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Alt 27.11.2016, 16:13   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Dabei seit: 07/2015
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Beiträge: 6.725


Standard Alles in Ordnung

Mathilda saß im Flugzeug, das sie am Abend von Hamburg nach Berlin bringen sollte. Nach dem Abheben hatte man für kurze Zeit eine großartige Sicht auf die funkelnden Lichter der Stadt, bis sie immer kleiner wurden und schließlich ganz verschwunden waren. Mathilda genoß den Anblick aus dem Fenster, solange wie es nur ging, auch wenn sie zum Schluss ihren Kopf ziemlich weit nach links drehen musste. Dann, als es nichts Interessantes mehr zu sehen gab, richtete sie sich wieder gerade auf und ließ ihre Gedanken schweifen.

Sie dachte an die vergangenen Stunden an diesem Abend, als sie, von ihren Fans umjubelt, ein erstes Konzert zur Adventszeit gegeben hatte. „Mathilda Soubert, der neue Stern am Schlagerhimmel“, titelten die Zeitungen schon seit einem halben Jahr, nachdem sie es geschafft hatte, sich aus dem Nichts hochzuarbeiten und ihr Name in ganz Europa bekannt geworden war. Und seit dieser Zeit hatte sie Gustave auch nur noch selten gesehen. Auch er arbeitete im Showbusiness, war ein bekannter Moderator. Sein Stern leuchtete seit Jahren gleichbleibend hell; er hatte Charme, Verstand und Witz, alles, was für einen Moderator unabdingbar war, um erfolgreich zu bleiben. Als sie sich kennenlernten, hatte er sie gefragt, ob sie seinen berühmten Namensvetter kennen würden. Mathilda, die an einen Star dachte, musste bedauernd verneinen. Er hatte geschmunzelt und sie darauf hingewiesen, dass ein Herr namens Alexandre Gustave Eiffel den Eiffelturm erbaut hatte, das Wahrzeichen der französischen Hauptstadt. Konsterniert hatte sie geantwortet, dass sie wohl wisse, was der Eiffelturm war und wo er stünde. Er hatte schallend gelacht; das war der Beginn ihrer Bekanntschaft gewesen, aus der dann ihre große Liebe wurde. In ihrer Anfangszeit hatten sie sich zumindest jedes Wochenende gesehen; dann, als Mathildas Karriere Fortschritte machte, zunächst noch jedes zweite Wochenende. Jetzt konnten sie froh sein, wenn sie es alle drei bis vier Wochen einmal schafften, Zeit miteinander zu verbringen. Die Vorweihnachtszeit schien besonders stressig für Mathilda zu werden – ein Adventskonzert jagte das nächste, die meisten wurden aufgezeichnet, aber es waren auch Live-Auftritte dabei. So wie das Konzert in Hamburg, das sie gerade hinter sich gebracht hatte und dieser Auftritt in Berlin, dem sie nun entgegenflog. Aber dieser Auftritt war ein ganz besonderer, denn Gustave würde als Moderator fungieren. Mathilda lächelte, als sie daran dachte. Er hatte sicher Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um diese Show moderieren zu können – nur, um sie zu sehen. Als sie sich gerade in Gedanken an ihn verlieren wollte, hörte sie ihr Handy in der Handtasche vibrieren. Seufzend nahm sie es heraus, eigentlich hatte sie keine Lust, ihrem Agenten oder wer auch immer es sein mochte, zu antworten. Es konnte sich zu diesem Zeitpunkt auch kaum um etwas anderes als etwas Geschäftliches handeln.

Doch die SMS war von Gustave. „Meine Liebe“, las sie, „du warst fantastisch auf deinem Konzert heute Abend. Ich habe mir den Auftritt gerade im Internet angeschaut. Ich hoffe, es ist nicht zu stressig für dich, morgen Abend direkt schon wieder aufzutreten, aber es ist ja nur ein Lied und ich wollte dich doch so gerne sehen. In Liebe, Dein Gustave.“

Mathilda schloß die Augen und versuchte, sich Gustave vorzustellen, wie sie ihn morgen Abend sehen würde – sicher im schwarzen Anzug, weißes Hemd und Krawatte. Heute Abend würde sie nur noch in ihr Hotel einchecken und todmüde ins Bett sinken. Vor der Show morgen würden sie sich nicht mehr sehen können, da Gustave noch vorher jede Menge Verpflichtungen zu erfüllen hatte und so würde ihr trautes Wiedersehen vor jeder Menge Kameras, ein paar Millionen Fernsehzuschauern und einem gespannten Publikum im Saal stattfinden. Und auf einmal wusste sie, dass sie das glücklich machen würde. Es war nicht besser, als sich überhaupt nicht sehen zu können. Es war wunderbar, sich so sehen zu können. „Ich bin zum Star geboren“, dachte sie und musste über sich selber lachen. Nie hätte sie gedacht, dass sie mal ein umjubelter Star sein würde – und dazu noch glücklich verliebt.

Sie wollte gerade eine Antwort schreiben, als das Handy schon wieder vibrierte. Auch diese SMS war von Gustave … aber was war das?

„Liebste! Morgen Abend können wir uns nach der Show nicht sehen. Meine Freundin kommt und ich kann sie nicht versetzen, habe sie länger nicht gesehen und möchte ihr vorläufig noch nichts von uns erzählen. Hab Geduld. In Liebe, Gustav.“

Mathilda saß immer noch mit dem Handy in der Hand da und starrte auf die Nachricht, als die Stewardess vorbei kam und freundlich fragte, ob sie etwas zu trinken wünsche. Als Mathilda sie verwirrt ansah und zunächst gar nicht begriff, was sie wollte, erschrak die Stewardess: „Sie sind ja ganz blass! Ist Ihnen nicht gut?“

Mathilda schüttelte nur den Kopf. Sie schaute nochmal auf ihr Handy.

„Es ist alles in Ordnung“, sagte sie dann leise.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.12.2016, 23:44   #2
weiblich Ex-Letreo71
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Dabei seit: 01/2014
Ort: Niedersachsen
Beiträge: 4.032


Liebe Silbermöwe,

das ist sehr spannend geschrieben. Mit so einem Schluss habe ich nicht gerechnet.
War eben ziemlich schockiert. Wie muss sich Mathilda erst gefühlt haben.

Gut gemacht.

Liebe Grüße

Letreo
Ex-Letreo71 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.12.2016, 23:51   #3
männlich dr.Frankenstein
 
Benutzerbild von dr.Frankenstein
 
Dabei seit: 07/2015
Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
Alter: 41
Beiträge: 5.467


Haha, ja scheiß moderne Technik. Was bleibt sie auch monatelang weg.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.12.2016, 23:58   #4
weiblich Ex-Dabschi
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2014
Beiträge: 2.371


Liebe Silbermöwe,

dieser Schuft ...

Ich finde, dass Du es richtig gut drauf hast, Geschichten spannend zu schreiben. Deine Ausdrucksweise klingt für mich professionell.

Gern gelesen - Hut ab.

Liebe Grüße
Dabschi
Ex-Dabschi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.12.2016, 08:26   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 61
Beiträge: 6.725


Hallo ihr Lieben,

vielen Dank für eure positives Feedback!

Ich hatte zunächst gezögert, die Geschichte einzustellen, weil ich nicht ganz zufrieden war - aber jetzt freue ich mich, dass ich mich getraut habe.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
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