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Alt 24.11.2021, 08:28   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.702


Standard Er hieß Heinrich (Kurzprosa)

Vielleicht hätte aus uns etwas werden können. Wenn nicht unsere Vornamen der Sache im Weg gestanden hätten.
Es war in der sechsten Klasse. Er hieß Heinrich. Meine Initialen waren A. B. Wie jeder weiß, hat Heinrich VIII seine zweite Ehefrau Anne Boleyn hinrichten lassen, angeblich wegen fünffachen Ehebruchs, in Wahrheit aber, weil er die Ehe mit ihr nicht für ungültig erklären lassen konnte und eine andere heiraten wollte.
Woher wusste ich das im sechsten Schuljahr? Geschichte war ein ganzes Jahr lang aufgrund Lehrermangels ausgefallen. Und den dicken Shakespeare-Band hatte ich zwar aus der Bibliothek nach Hause geschleppt, aber nie und nimmer in drei Wochen ganz gelesen.

Wenn Heinrich im Unterricht etwas sagte, fiel mir ein, was Heinrich VIII getan hatte. Ich beschloss, mich von Heinrich fernzuhalten. Man konnte ja nie wissen. Warum hatten seine Eltern ihm einen so furchtbaren Namen gegeben? Natürlich redete ich mit niemandem darüber.

Zwei Jahre später musste ich das Gymnasium verlassen. Zuhause fiel mir beim Schulbücher aussortieren ein altes Klassenfoto in die Hände. Heinrich stand ganz vorne. Mir war immer aufgefallen, wie braungebrannt er war. Und hübsch. Ich betrachtete das Foto lange.

Schade, dass ich nie mit ihm geredet hatte.
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Alt 24.11.2021, 10:27   #2
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.076


Guten Morgen, Silbermöwe,

dein Stil hat sich stark verbessert. Beinahe hätte ich die üblichen Füllwörter vermisst .

Statt "beim Schulbücher aussortieren", was für mich zusammengeschrieben gehört (auch wenn es modern geworden ist, die einst zusammengesetzen Substantive auseinanderzureißen), hätte ich "beim Aussortieren meiner Schulbücher" geschrieben. Aber das ist eine Kleinigkeit und außerdem Geschmackssache.

Das Thema "Vornamen" aufzugreifen ist eine gute Idee. In den fünfziger bis achtziger Jahren galt es als chic, den Kindern möglichst mondäne Namen zu geben. Inzwischen hat sich der Trend durchgesetzt, auf alte Namen wie Paul, Georg, Emil, Anna, Emma usw. zurückzugreifen.

Ob die Kinder damit glücklich sind, wird sich erweisen. Ich lernte mal einen Nachfahren von Georg Wenzelslaus von Knobelsdorff kennen (Baumeister Friedrichs II. und Architekt von Sanssouci), der noch heute ein Fotostudio in Offenbach betreibt. Seine Eltern hatten ihn aus Verehrung des Preußenkönigs "Friedrich" genannt. Er hasste es und ließ sich von seinen Freunden "Freddy" nennen.

Psychologen behaupten, dass Namen Einfluss auf die Persönlichkeit eines Menschen haben. Beweisen wird man das wohl nie können. Wäre aber spannend, zu hinterfragen, ob Madonna ihrer Kunst auch dann einen skandalös exzentrischen Anstrich gegeben hätte, wenn das nicht ihr echter Vorname wäre.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 24.11.2021, 14:08   #3
männlich Ex-Lichtsohn
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Dabei seit: 03/2015
Beiträge: 1.493


hallo du,

hier hast du einen guten gedanken in eine sehr gute geschichte umgewandelt, die protagonistin durchlebt eine veränderung nur und alleine durch die drohende gefahr der namensgleichheit mit heinrich VIII - zudem schaffst du (scheinbar mühelos) einen spannungsbogen aufzustellen und auch wirklich durchzuziehen - für sowas bin ich immer zu haben

sehr gern gelesen und ebenfalls gerne kommentiert


alle liebe
ein
lichtsohn
Ex-Lichtsohn ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.11.2021, 18:11   #4
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.702


Hallo Ilka,
Hallo Lichtsohn,

vielen Dank für eure Kommentare! Ich hatte tatsächlich ein wenig Bammel, den Text einzustellen, weil ich dachte, damit kann sicher keiner etwas anfangen. Wie schön, dass ich mich da geirrt habe .

Zitat:
hätte ich "beim Aussortieren meiner Schulbücher" geschrieben.
Ich hatte überlegt, es so zu schreiben, dann wollte ich wissen, ob es so, wie ich es geschrieben habe, auch ankommt und ließ es deshalb stehen.

Zitat:
dein Stil hat sich stark verbessert. Beinahe hätte ich die üblichen Füllwörter vermisst .
Danke, Ilka, mittlerweile achte ich mehr darauf - jedenfalls meistens.

Zitat:
Das Thema "Vornamen" aufzugreifen ist eine gute Idee. In den fünfziger bis achtziger Jahren galt es als chic, den Kindern möglichst mondäne Namen zu geben. Inzwischen hat sich der Trend durchgesetzt, auf alte Namen wie Paul, Georg, Emil, Anna, Emma usw. zurückzugreifen.
Ich hatte nicht nur einen Heinrich, sondern auch eine Brunhilde in der Klasse. Und die sah genauso aus, wie man sich eine Brunhilde vorstellt. Die anderen Namen waren auch nicht viel besser. Keine Ahnung, was die Eltern sich dabei gedacht haben. Mondän waren die Namen alle nicht, eher altdeutsch. Ich glaube schon, dass der eigene Vorname ein Kind beeinflussen kann.

Zitat:
Zitat von Lichtsohn Beitrag anzeigen
hallo du,

hier hast du einen guten gedanken in eine sehr gute geschichte umgewandelt, die protagonistin durchlebt eine veränderung nur und alleine durch die drohende gefahr der namensgleichheit mit heinrich VIII - zudem schaffst du (scheinbar mühelos) einen spannungsbogen aufzustellen und auch wirklich durchzuziehen - für sowas bin ich immer zu haben

sehr gern gelesen und ebenfalls gerne kommentiert


alle liebe
ein
lichtsohn
Schön, dass ein Spannungsbogen herausgekommen ist ich hatte keine Lust, eine „richtige" Geschichte zu konstruieren und dachte, ich wage mal was anderes.
Freut mich, dass sie euch gefällt!

LG DieSilbermöwe
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