Sag nichts...

[Jeanny]

Wenn die Stunde naht
blutrot hinterm See
sag nicht
woher das Boot kommt
so leise, daß du den Steuermann
erst siehst, wenn er dich anblickt
sag nicht
warum die Fluten schlagen
beim Einsteigen
sag nicht
wohin es geht
wann die Stunde
sag nichts
endet
sag nicht
bald

[ravna]

Liebe Jeanny,


ein sehr wunderbares Gedicht, das Du hier vorlegst. Ein Beweis dafür, dass gelegentlich auch sich wiederholende, einfache Phrasen, etwas anderes als Langeweile erzeugen kann.

Das ständige 'sag nicht(s)' steht in einem so schönen Widerspruch zu dem nahenden Tod, denn es ist ja eben die Sprache der man nachsagt sie mache das Menschliche aus. Ein Redeverbot scheint da den Tod (der verdrängt werden will) vorwegzunehmen.

Die durch die weggelassenen Satzzeichen entstehende Lesartenvielfalt insb. gegen Ende des Textes ist auch sehr gut gelungen.

Sehr angenehm auch, dass einfache Sprache und tradierte Motive sich hier vereinen können, ohne dass das übliche Gefühl von 'schon gelesen' sich einstellt. Die erzeugten Bilder sind stark, eben weil Du bewusst (unterstelle ich Dir jetzt mal) auf diese tradierten Motive zurückgegriffen hast.
Das Wasser als mythischer, nicht gesetzespflichtiger, geschweige denn gesetzesmöglicher Raum, über welches die letzte Reise führt, dazu das Nicht-Wahrhaben-Wollen und das Nicht-akzeptieren-Können aber dabei (wie oben angesprochen) dann doch das Dazu-Verleiten.

Noch einmal: großartig.

Lieben Gruß,
Ravna

P.S.: Zwei kleine Fehler haben sich eingeschlichen: "beim einsteigen" müsste das e groß und vor dem 'daß' müsste ein Leerzeichen sein.

[Jeanny]

Hallo ravna,
ich hab versucht, ein wenig zu experimentieren und war
dann doch ziemlich unsicher,gerade wegen der fehlenden Satzzeichen.
Aber manchmal ist weniger eben doch mehr.
Dein Kommentar hat mich ziemlich berührt.
Ich hab das Gefühl, daß ich nun langsam wieder ankomme.
Und es macht einfach richtig Spaß.
L.G. Jeanny