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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 22.07.2008, 20:35   #1
Jeanny
 
Dabei seit: 04/2007
Beiträge: 660

Standard Traumbilder

Ich werf ein Hemd über dich
wie tausend Tropfen
getaucht in Licht
kleiner Sterne.

In jeder Dunkelheit
fallen diese vom Himmel,
eingefangen
in deinen Schoß.

Dann fahren Momente
wie Boote und häkeln
am Saum lauter Netze.
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Alt 25.07.2008, 19:28   #2
blaue_Raupe
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 82

Hallo Jeanny,


„Traumbilder“ scheint ein sehr beliebter Titel zu sein, und manchmal sitz ich dann vor den Inhalten und frage mich, ob ich überhaupt erwarten darf sozusagen, dass der Text auch einer inhaltlichen Kohärenz zufolge lebt und wie ich Bilder gegeneinander gewichten kann.
Manchmal entstammen sie, zumindest laut der Verfasser, tatsächlich einem Traum und wirken auf Fremde arg gestückelt, manchmal findet man aber dann auch Motive wie diese hier, die in Nacht, Sternen und ja, schreiben wir’s mal, Schwärmerei stark im Romantischen beheimatet sind. Die Punkte, die dem Bildgeschmack geschuldet sind, findest du ja dann.
Ich geh einfach mal davon aus dass ich manches erwarten darf und sag was zu diesem speziellen hier.

Ich werf ein Hemd über dich
wie tausend Tropfen
getaucht in Licht
kleiner Sterne.
~
Was mir am ersten Stückchen gut gefällt, ist die Lesemelodie gemäß dem Versaufbau. Nicht so hübsch: „werf“. Nja, immerhin besser als „schmeiß“, aber das Werfen stört doch in der Stimmung und in den Konnotationen, die sich durch ein anderes Bild weiter unten ergeben: das Boot. So ganz kann ich aus dem Kontext sonst nicht einordnen, warum jemandem ein Hemd übergeworfen wird, mit dem Boot wird’s aber etwas schief, weil beides sich zu einem Bild fügt, das vermuten lässt: „Boot/(Netze)/Hemd überwerfen“ … eine Fahrt auf dem Wasser, und jemandem wird zum Schutz gegen die zahlreichen Stechviecher ein Hemd übergedeckt.
Das drängt sich auch deshalb auf, weil diese beiden Bilder die einzigen „geerdeten“ im gesamten Gedicht sind, einem Unabstrakten entnommen und doch für’s Abstraktere gesetzt. Ich denk nicht, dass in den Konnotationsketten Mücken schwirren sollten, gemäß dem, was du wolltest. Liest sich halt etwas komisch durch diese einzige Konkreta-Linie.

Auch etwas heikel: „wie tausend Tropfen“. Jemand wirft jemandem ein Hemd (wie tausend Tropfen) über? Das passt in meinen Augen nicht, zusammen mit dem Folgenden. Ich denk schon, dass die „Schutzfunktion“ deinerseits beabsichtigt war durch das Hemdbild, aber dann wird’s doch arg verschwiemelt durch die in Licht getauchten Tropfen kleiner Sterne, die mit dem Stoff des Hemdes gleichgesetzt werden. Der Schutz verfällt, kein Abdecken mehr, keine Wärme mehr, aber Tröpfchen, getaucht in Licht kleiner Sterne. Hm. Nun gut.
Eine Linie, die ich in deinem Aufbau auszumachen vermag, ist die der „Sterne“ (I), des „Einfangens“ (II) und der „Netze“ (III), was wieder hervorruft, dass es vielleicht auch wie zum Hemd angedacht um ein Gefühl der Sicherheit geht. Jemand gibt Sicherheit/Geborgenheit, der Geschützte kann somit Sterne einfangen und für beide etwas zurückholen. Oder so ähnlich.

In jeder Dunkelheit
fallen diese vom Himmel,
eingefangen
in deinen Schoß.
~
Für mich nicht so schön: „diese“, weil das meist unheimlich gestelzt klingt, da würde ich echt lieber auf das ganz schnöde „sie“ zurückgreifen. Schwierig ist auch noch ein Bezug – der des „fallen (sie) vom Himmel / eingefangen in deinen Schoß“. Mit der Konstruktion wird gesagt, dass die Sterne eingefangen in der Person Schoß vom Himmel fallen, und ich vermute, die Abfolge sollte die umgekehrte sein, nicht „rückwirkend“. Durch die Verkürzung in V3 ist ein „Ist-Zustand“ entstanden, der dem Fallen vorangeht. Was tun?, sprach Dingens.
„Schoß“ und „Himmel“ als Deckbilder? Ich weiß nicht … nee. Vielleicht:

In jeder Dunkelheit
fallen sie vom Himmel –
fangen sich
in deinem Schoß.


Sieht derzeit in meinen Augen günstiger aus, und du hättest durch das „sich fangen“ im Doppler auch noch einen Zusatzfunken des Verspielten gewonnen.
Die Tröpchen in S1 gefallen mir immer noch nicht, aber durch die Änderung wäre wenigstens das Bild nicht zerstört, dass der Lichtschein der kleinen Sterne von der Person ausgeht, der etwas übergeworfen wird, wo sich dann Schutz und Licht „treffen“ im Akt des schützenden Überwerfens. Das steht noch.

Dann fahren Momente
wie Boote und häkeln
am Saum lauter Netze.
~
Dann kommt der Bildausbruch, den ich zugegebenermaßen als schief und der Stimmung eher abträglich empfinde. „Momente häkeln“? Hrgh. Warum Momente Boot fahren (das „wie“ würde ich rauskegeln) ist mir auch noch schleierhaft. Eine Art Sternendampfer? Dann würde sich ein deutlicherer Bildbezug zum Vorangegangenen aber doch besser machen … Was gäbe es noch … Boot fahren, irgendwie erahne ich den möglichen Hintergrund, dass „Boot fahren“ etwas Abgeschiedenes bedeuten soll, losgelöst sein von den Ufern, wo andere sind, Momente also völlig zweisam zu verleben. Was ist „Saum“? Der Wassersaum, also die Schnittstelle zwischen Boot und Fahrwasser? Ein Versuch, Klappe II:

Dann fahren Momente
Boot mit uns

Wir knüpfen am Saum
neue Netze.


Du siehst, das „lauter“ wollte ich gern gestorben sehen. Im Gegensatz zum Gestelzten des „diese“ oben finde ich das nun wieder zu salopp. "Neue" ist eine Notlösung gewesen, aber die Fülle an alternativen Adjektiven ist ja groß.

Soweit eine erste Betrachtung, nebst was Angedachtem. Vielleicht ergibt sich was draus oder mit dem ein oder anderen ist letztlich was anzufangen. Mal sehn.

VG
r~~~
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