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Alt 13.05.2021, 16:04   #1
männlich Ex-petrucci
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Standard Emerald

Teil 1

Nun. Ich bin gewiss kein Mann der Briefe oder Tagebücher schreibt. In Wahrheit ist es so, dass mir nur selten etwas durch den Kopf geht. Und kommt es doch einmal vor, dass ich emotional beladen bin, so fehlen mir die Worte, die Empfindungen auszudrücken.

Ich glaube, ich liebe eine Frau, die eigentlich überhaupt nicht mein Typ ist. Auf den Bildern empfinde ich sie als nicht sonderlich anziehend, auch wenn ein gewisser Glanz ihre Augen umwirbt. Ja, auf den Bildern, ich habe sie noch nie gesehen. In unserem Jahrhundert ist diese Art von Kontakt sicher keine Seltenheit mehr.

Sie ist meine beste Freundin und ich lernte noch nie einen besseren Menschen kennen. Sie ist nicht toxisch, von keinerlei destruktiven Charakterzügen belagert, sie ist freundlich, zuvorkommend und hegt einen gesunden Umgang mit Emotionen und anderen Menschen. Und ich vermute, dass sie das nicht einmal weiß. Denn sie selbst denkt darüber völlig anders. Doch ich frage mich, ob dieses Bild, das ich wahrnehme, idealisiert ist? Vielleicht ist sie völlig anders und trägt Seiten in sich, die ich noch nicht kenne? Jeder Mensch ist ein Sklave seiner Umgebung und seines Umfeldes. Nur weil wir beide eine gute Bindung pflegen, heißt das noch nicht, dass sie die gleiche Bindung mit anderen führt. Mit Sicherheit wird sie das nicht tun. So wie ich es auch nicht tue.


Sie hat Krebs und ist seit über 20 Jahren an einem anderen Mann gebunden und ihre Lebensumstände erlauben derzeitig keine Veränderungen. Und selbst wenn! Ich frage mich, ob sie sich für mich verändern würde. Wäre ich Grund genug? Ich selbst schreibe mir diesen Wert eigentlich zu. Die Krankheit warf sie in die Arbeitslosigkeit und die Beziehung zu ihrem Freund ist, wie mir scheint, nicht einfach. Einerseits sind beide von einer langen gemeinsamen Zeit verbunden, andererseits sehe zwischen beiden auch Abhängigkeit. Und ich frage mich, wie ich als Mann, der im Begriff ist für sie ernste Gefühle zu entwickeln, damit umgehen kann? Und überhaupt, warum schreibe ich das alles? Weil sie mir mitteilte, dass sie wohl ebenso empfinde wie ich.

Vorhin traf ich Anna und sie ist eine Frau wie aus dem Bilderbuch. Ein gegossenes Abbild körperlicher Schönheit. Als sie mir entgegentrat, lächelten wir uns an und betrieben etwas Small-Talk. Sie ist sehr weiblich und ebenso sind es ihre Verhaltensweisen: Sie gab sich sehr sexualisiert, suchte Körperkontakt, der mich vermuten ließ, dass sie sich fast anbiederte. Diese Eigenschaft finde ich widerwertig an Frauen und zum Teufel nochmal, es gibt so viele davon, die so sind. Es ist, als hätte sie nichts anderes zu bieten als ihre Optik. Und ja, ich empfinde Mitleid. Das ist für mich als „Mann“ so ermüdend. Es gleicht einer optischen Manipulation, die über all die defizitären charakterlichen Schwächen hinwegtrösten soll. Ich komme zu dem Schluss, dass diese Perfektion nur ein Resultat eines nicht vorhandenen Selbstwertes ist. Ja, ich habe als Mann die Wahl, wie jeder andere Mensch auch und kann entscheiden. Und ich fürchte, dass ich bald eine Entscheidung zu meinem eigenen Wohl - das mir mittlerweile viel wert ist - treffen muss.

Doch wie löse ich dieses Problem? Einerseits fühle ich mich meinen Gefühlen völlig ausgeliefert. Einerseits entsteht der Wunsch nach reeller Nähe ihr gegenüber. Damit meine ich nicht Anna, sondern meine beste Freundin. Aber sie wohnt so weit weg und ist somit unerreichbar. Ich verspüre auch ein sexuelles Bedürfnis, das ich gern mit ihr ausleben würde. Ebenso ein Bedürfnis mit ihr durch den Alltag zu gehen. Um genau zu sein, will ich keine andere, da wir, meinem Bemessen nach, perfekt zusammenpassen würden. Diese Gefühle entstehen und werden zunehmend intensiver. Und nichts von allem, was ich empfinde lässt sich realisieren. Es verweilt nur die Hoffnung auf Veränderung in Zukunft. Darauf zu bauen, und ihr all die Freundlichkeit zu schenken, ihr all meinen Beistand zu schenken… Mit der Gefahr, dass sich die Situation nie verändern wird, würde mich gewiss zu jemanden degradieren, der ich nicht sein will. Denn sind wir mal ehrlich? Es ist nicht so, als gäbe es im Leben keine Auswahl. Ich selbst führe kein gesellschaftskonformes Leben, bin derzeitig arbeitslos und das Leben ließ mich in meiner Vergangenheit einige Steine aus dem Weg räumen. Doch so ist eben das Leben und alles war gut so, wie es kam. Ich schaue mit Frieden zurück. Denn mittlerweile kann ich vor die Tür gehen und einfach stehen bleiben und was übrig bleibt ist empfundene Ruhe und Seelenfrieden. Es ist fast so als würde ich in mir selbst ruhen. Schon alleine diesen Ausspruch in der Öffentlichkeit zu preisen, würde mir hochwahrscheinlich den sofortigen Tod einbringen. Man würde mich steinigen. Aber, und nur das zählt, es ist mir egal, denn ich stehe zu mir und zu dem, was ich tue. Punkt.

Ich versuche mich jeden Tag neu zu besinnen, denn ich weiß, dass ich ja ein Mann bin. Diese Aussage ist in diesem Jahrhundert sehr schwammig, denn gerade der Feminismus degradiert so manchen Mann zu einem Pfau. Es gäbe also die Möglichkeit, Distanz zu etablieren. Dies würde weniger Kontakt bedeuten. Und von meiner Seite aus, dass Erwidern ihrer Kusssmileys zu unterbinden, damit ich mich auf Dauer emotional wieder abkühlen kann. Andererseits geht dadurch viel Nähe und das Gefühl einer Verbundenheit verloren, die ich so noch nie in meinem Leben erfahren habe. Auch würde ich mich sehr gern wie jemand verhalten, der verliebt ist. Das ausleben zu können, was ich in mir trage, mit dem Wissen, dass es auf Gegenseitigkeit beruht. Und dann ist da noch das Leben mit all den eigenen Dynamiken und all den Dingen, die man nicht im Griff hat. Das Leben ist wahrlich nichts für Menschen, die gerne die Kontrolle haben. Wehe, sie geht einmal verloren...

Dann bestünde noch die Möglichkeit den Kontakt gänzlich abzubrechen und mich wieder auf mein eigenes Leben zu konzentrieren. Dadurch würde ich aber viel verlieren und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit wieder jemanden kennenzulernen, mit dem ich mich so gut verstehe? Dafür müsste ich viel Aufwand betreiben und viele Menschen kennenlernen und nach all den Jahren, bin ich dazu nicht mehr bereit, denn das Leben schenkt nur selten etwas. Und mittlerweile mag ich meine Ruhe. Weswegen ich mich fragen muss, ob ich damit leben könnte sie gehen zu lassen? Es wäre Liebe, wenn ich es täte...
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.05.2021, 15:32   #2
weiblich Noroelle
 
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Beiträge: 288

Warum hat hier keiner kommentiert?

Hallo Petrucci,

herzlich Willkommen bei Poetry.

Ich habe den Text mehrmals gelesen, ich mag dein Schreibstil und die Eleganz der Sprache. Es klingt wie einen Selbstgespräch, bin mitte in deinen Reflektionen, kann nachvollziehen und mache mir Gedanken mit.
Ich bin begeistert und auf die Fortsetzung gespannt!

Es wäre Schade, wenn du nicht weiter schreibst

Viele Grüße von Noroelle
Noroelle ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.05.2021, 18:04   #3
männlich Ex-petrucci
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Beiträge: 414

Hallo Noroelle,

danke für die netten Worte.
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.05.2021, 18:09   #4
weiblich Noroelle
 
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Beiträge: 288

Zitat:
Zitat von Noroelle Beitrag anzeigen
Es wäre Schade, wenn du nicht weiter schreibst
Ich glaube, richtig ist:

Es wäre Schade, wenn du nicht weiter schreiben würdest...

Fragt sich Noro kritisch und wartet neugierig auf die Fortsetzung...
Noroelle ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.05.2021, 18:42   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Noroelle Beitrag anzeigen
Eleganz der Sprache. ...
Von Eleganz kann ich leider nichts feststellen. Das Gegenteil ist der Fall: Schwülstige Sprache ("auch wenn ein gewisser Glanz ihre Augen umwirbt" - Formulierungen dieser Art sind grausam), viele Füllwörter, Handlung und Charaktere werden erklärt statt in lebendigen Bildern gezeigt. Für einen Tagebucheintrag mag das durchgehen ... für mehr aber nicht.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.05.2021, 23:39   #6
männlich Ex-petrucci
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Beiträge: 414

Hallo Ilka,

es sollte nichts Besonderes werden.
Ein Eintrag von einer ganz normal Person, die nicht existiert.
Ob jeder Mensch eine hohe Literarizität besitzt, sei dahingestellt.

Wie man gut schreibt oder wie etwas literarisch richtig funktioniert...
Das übersteigt meine Fähigkeiten bei weitem und liegt nicht in meinem Interesse.
Ich schreibe nur aus Jux, wenn ich nichts Besseres zu tun habe.

Ich kann versuchen, deine Kritik im nächsten Textwerk zu verweben.
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.01.2022, 20:15   #7
weiblich Yellow
 
Dabei seit: 11/2018
Beiträge: 128

Ach, wunderschön reagiert auf die kluge Ilka


Ich habe deinen Text auch sehr gern gelesen.

Yellow
Yellow ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.01.2022, 02:03   #8
männlich Ex-petrucci
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Dabei seit: 05/2021
Beiträge: 414

Zitat:
Zitat von Yellow Beitrag anzeigen
Ach, wunderschön reagiert auf die kluge Ilka


Ich habe deinen Text auch sehr gern gelesen.

Yellow
Danke Dir, Yellow!
Ex-petrucci ist offline   Mit Zitat antworten
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