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Alt 22.02.2013, 21:14   #1
männlich IhreUnheit
 
Dabei seit: 02/2013
Ort: :( :) :(
Alter: 32
Beiträge: 11


Standard Introspektion

I.

Ich schlafe. Große Umrisse wecken mich. Jemand flüstert meinen Namen. Eine Riesenschlange klappert und rasselt an meinem Tor. Entzückt beäugt sie mich mit ihren schneeweißen Fängen. Strahlend starrend seziert sie mich. Stück für Stück sortiert sie meine Gedanken, notiert meine Bewegungen. Ich erstarre … und fasse mich wieder, nackt und schutzlos wie bei der Geburt.

II.

Zögerlich trete ich auf sie zu. Je näher ich komme, desto lieber möchte ich umdrehen und davon stürzen, und dennoch... etwas an ihr fasziniert mich; bestürzt, doch annähernd hypnotisch und mittlerweile humpelnd fahre ich fort.
Ich trockne aus. Schweiß verlässt meinen Körper als stände dieser kurz vor einer Sprengung. Schwerfällig, Meter für Meter, nähere ich mich ihr.

Unwissend, naiv und ängstlich, doch geblendet von ihrer exotischen Pracht, scheine ich mich zu verlieren. Sie stellt mein Sein in den Schatten, mit Schuppen, die sich stetig anders anordnen, schwach leuchtend in mir unbekannten Farben und mir unbegreiflichen Formationen; mit einem Zischen, das sich mir in den Schädel bohrt und von dort aus im restlichen Körper widerhallt.
Eine zersetzende, chaotische und vor allem gespannte Atmosphäre umgibt sie, eine falsche Bewegung zerreiße mich in Fetzen, so fühle ich.

III.

Haare verdecken mir die Sicht. Ich streiche sie zurück und merke, wie ein ganzes Bündel ergraut zwischen meinen feuchten Fingern klebt. Plötzlich knicke ich ein. Die Erde zieht mich an sich, als träge ich Gewichte um den Hals. Nicht einmal auf allen Vieren komme ich voran.
Erschüttert blicke ich auf aus der Ruine, die sich einst Körper nannte: Offenbar befinde ich mich am Tor. Ein monumentales Auge gafft mich, durch Gitterstäbe von mir getrennt, an. Seine Größe umfasst ein Vielfaches meiner Selbst. Was lese ich alles darin: Stärke und Trauer und Mitleid, Hass und Verachtung, Erkenntnis, Freude, Mut, Glück und Kraft!
Ein kleines bisschen Kraft noch, eine minimale Anstrengung, verglichen mit dem gefühlt tausendjährigen Gang zum Tor.
Eine Pupille nimmt mein gesamtes Blickfeld ein, macht es mir unmöglich, wegzuschauen. Langsam, so fühle ich, löst sich faulendes Fleisch von mir, erst stellenweise, dann rasant.

IV.

Unerhörte Schmerzwellen kriechen blitzartig durch den Körperrest, als dieser verzweifelt versucht aufzustehen. Haut reißt an den Beinen auf; aus den klaffenden Wundlöchern quillt dampfende Fleischmasse. Doch das war es wert, denn er steht, oder stützt sich viel mehr auf eisernen Knochenstämmen.
Während nun ein halber Arm in Richtung Tor geschickt wird, befeuchten Tränen aufgedunsene Wangen, auf karierte Bodenstrukturen herab tröpfelnd. Das Denken hat schon längst ausgesetzt, es handelt nur noch.
Die Realisierung jener nahezu banalen Stille tritt verspätet ein.
Dennoch, eine von Vorfreude erzürnte halbe Handfläche presst sich auf eine verschwimmende Torklinke. Zentimeter um Zentimeter verdunstet das letzte bisschen Disziplin, bis Erlösung eintritt.

V.

Das Tor an mich ziehend, Fingerreste in die Klinke krallend, lasse ich mich fallen. Zerfallend gesellen sich meinen Tränen nun Haarfetzen und Zahnklumpen hinzu. Ich vergehe.

VI.

Kaltes Wasser. Verschwindende Verschwommenheit. Ich merke, dass die Schlange nicht mehr da ist.
Vor mir nichts als ein nieder- und in Stücke gerissenes Tor.
Hinter mir trostlose, sich in den Horizont endlos erweiternde, farblose Leere.

Unvorhergesehene Erkenntnis weckt mich. Vollkommenheit.

VII.

Ich war und bin ich und sie, nunmehr aus der Perspektive des ehemaligen Reptils. Die Schlange ist Teil von mir, von Anfang an war sie es.
Endlich erinnere ich mich wieder. Ich öffne mein Maul und verschlinge mich, werde eins mit dem bisschen Körperrest, der nicht in der Lage dazu war, meine und unsere Existenz zu verstehen.

Vereint begeben wir uns in einen tiefen Schlaf, dringen träumend in ungeahnte Gebiete des Seins vor, nach weiteren Teilen suchend, welche im Schein jenes separaten Unbewusstseins unwissend vor sich hin vegetieren.
Ich finde sie alle, verschmelze mit ihnen ( oder mir) und erwache letztlich vollkommen aus dem tiefsten, verborgendsten und abgelegendsten Schlaf, als ein Ganzes wiedergeboren, endlich in der Lage zu gebären und zu leben.
IhreUnheit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2013, 21:38   #2
Thing
R.I.P.
 
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


pardon -


habe den Text noch nicht ganz durchgelesen.
Auffallend ist die sprachliche Fastvollkomenheit.
Sie hat mir einen tiefen Eindruck hinterlassen.

O, könnten alle Poetryaner so schreiben...!

Kleiner Einwand zum ersten Absatz:
Fänge (Zähne) können nicht beäugen.
Auch haben Klapperschlangen völlig andersgeartete Ortungsorgane.

Bis später.

Vorerst Kompliment
vom
ollen Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.02.2013, 22:26   #3
männlich IhreUnheit
 
Dabei seit: 02/2013
Ort: :( :) :(
Alter: 32
Beiträge: 11


Hallo du Oller :-P
Das mit der Fastvollkommenheit ist nett gemeint, aber letztlich doch eher Ansichtssache, oder? Mir persönlich kommt der Text jetzt nach erneutem Durchlesen ein bisschen "unnatürlich" ( mir fehlt das Wort) rüber... aber was solls.

Jedenfalls danke für das Lob und die Infos was Klapperschlangen angeht und einen schönen Abend noch, bine rstmal weg.. ciao
IhreUnheit ist offline   Mit Zitat antworten
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