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Alt 06.03.2021, 17:46   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Der Königsfisch

Es war einmal in einem von Krieg, Hunger und Seuchen heimgesuchten Land. Da ging ein Mädchen vor die Stadt an den See, kniete im Schilf und vergoss bittere Tränen. Das rührte den Königsfisch, und so schwamm er an die Oberfläche und streckte seine Glubschaugen und Barschlippen heraus. „Was weinst du meinen Teich voll, dass er über seine Ufer zu schwappen droht?“

Das Mädchen wischte sich die Tränen von den Augen. „Ich weine, weil mein Vater arm, meine Mutter krank und mein kleiner Bruder am Verhungern ist.“

Der Königsfisch faltete seine Rückenflossen zu Flügeln aus und erhob sich in die Lüfte. „Solange ich in der Luft stehen kann, hast du Wünsche frei, so viele du äußern kannst.“

Das Mädchen überlegte hin und her, was die besten Wünsche wären, konnte sich aber nicht entscheiden.

„Meine Kräfte lassen nach“, ermahnte sie der Fisch, „ich kann die Luft nicht ewig schlagen und muss bald ins Wasser zurück.“

Da beeilte sich das Mädchen. „Ich wünsche, dass mein Vater reich, meine Mutter gesund und mein Bruder dick und rund wird.

„Für dich selbst wünschst du nichts?“

„Doch, schon …“

Aber da war der Königsfisch mit seinen Überwasserkräften am Ende und tauchte zurück in sein Reich.

Über Nacht wurde der Vater des Mädchens wohlhabend und zu einen gewieften Geschäftsmann. Er wurde so reich, dass ihm kein Bewerber um die Hand seiner Tochter gut genug war. Die Mutter wurde gesund, band dem Mädchen eine Schürze um und lehrte sie die Dienste einer Magd. Der Bruder bekam zu essen, bis er dick, fett und träge war.

„Das habe ich nicht gewollt“, sagte das Mädchen und eilte zum Teich: "Königsfisch, Königsfisch, zeige dich!“

Doch der Teich lag still.

Noch einmal versuchte das Mädchen, den Königsfisch zum Auftauchen zu bewegen, ohne Erfolg, bis es beim dritten Mal im Schilf niederkniete: „Königsfisch, Königsfisch, zeige dich!“

Da tauchte er auf, glupschäugig und barschlippig. „Was willst du?“

„Mache es rückgängig!“

„Du bist also weise geworden?“

Das Mädchen nickte.

„Du weißt jetzt, worauf es ankommt?“

Das Mädchen nickte wieder.

„Dein Wunsch sei dir gewährt.“

Der Königsfisch erhob sich aus dem Wasser, schlug dreimal mit den Flügelflossen in die Luft und tauchte zurück in den Teich.

Auf dem Weg zurück in die Stadt begegnete das Mädchen dem Sohn des Müllers, der auf seinem Karren Brot austrug. „Der Krieg ist aus. Wir haben wieder Mehl und können backen.“ Er nahm drei Laib und legte sie dem Mädchen in die Arme. „Für deinen Vater, damit er wieder stark wird, für deine Mutter, damit sie wieder gesund wird, und für deinen Bruder, damit er heranwächst.“

„Was bin ich dir dafür schuldig?“

„Sehr viel“, erwiderte der Müllersohn. „Einen Kuss, ein Band und ewige Treue. Es liegt bei dir, ob du die Schuld annimmst oder nicht. Ich kann sie dir nicht auf den Rücken schreiben, aber das Brot sollst du trotzdem haben.“

Da nahm das Mädchen den Müllersohn bei der Hand und ging mit ihm weiter.
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