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Alt 10.08.2013, 11:42   #1
männlich Desperado
 
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Standard Desperados Freiheit

Ich kannte mal einen Desperado, der hatte einen Büffelschädel vor seiner Hüttentür liegen, damit jeder, der ihn besucht, sofort sieht wo’s langgeht. Ein Jahr später war der Gute unter der Erde, bei seiner rauschhaften Lebensführung war das abzusehen, zwingend logisch sogar, ich hab’ den Todessehnsüchtigen deshalb um nichts weniger gemocht, nicht nur wegen seiner Ehrlichkeit. Es ist einfach immer gut zu wissen wie man dran ist bei einem.

Unter Desperados ist Sterben das Normalste auf der Welt, pack’ es oder lass’ es bleiben, sie sterben trotzdem. Erwischt du dich eines Morgens beim Fluchen, weil die Fellows im ganzen Land immer weniger geworden sind und eine selbstgeschaffene Kultur bis zum Verschwinden ausgedünnt ist, während du als einsames verlorenes Überbleibsel immer noch so dämlich bist, ziellos durch die Gegend zu reiten, musst du dich wahrlich nicht wundern.

Kommt dann freilich ein Greenhorn angetrabt und gesteht, dass es nichts Rechtes anzufangen weiß mit seinem jungen Leben, wirst du nicht beflissen in deiner Satteltasche nach einem passenden Rezept kramen, sondern ehrlich genug sein dem Hilfesuchenden zu antworten, dass du ihm leider auch nicht helfen kannst, weil du es noch viel weniger weißt. Alles was du tun kannst ist ihm zu raten, nicht so blöde zu sein sein Leben vorzeitig zu Ende zu bringen, wenn es nicht unbedingt sein muss, zu Ende nämlich geht es ganz von selber.

Und sehr viel schneller als er denkt.

Manchmal, ich geb’s offen zu, könnte ich eingreifen und drücke mich, da habe ich schlicht und einfach keine Lust. Früher, als ich noch die Kraft dazu hatte -vielleicht war ich auch nur zu stolz mir einzugestehen, dass sich mir der Kopf dreht und die Ohren abfallen, oder zu feige es meinem Gesprächspartner ins Gesicht zu sagen- wie auch immer, damals konnte ich stundenlangen Vorträgen lauschen über die verborgenen Wirklichkeiten unserer Welt, ohne mich dagegen zu verwahren.

Ein Kumpel, der sich über Nacht in einen Adler verwandelt hat und mit ausgebreiteten Schwingen aus dem Fenster entschwebt, mittels der Schwerkraft seinen Abflug senkrecht in die Tiefe fortsetzt und zu seinem unverschämten Glück in einem Kaktus landet, der ihm das gespickte Leben rettet, besucht mich regelmäßig und hält mir stundenlange Vorträge über die wahre Gestalt seiner Mitmenschen, die da aus einem buntgewürfelten Sammelsurium aus dem Reich der Tierwelt von der Erdkröte bis zur Giraffe besteht, und deren Naturell die Besagten vor ihm als einzig Schauendem nicht zu verbergen in der Lage sind. Und über die verborgenen Geheimnisse der Welt an sich, die ähnlich abwechslungsreich gestaltet sind, von Menschen, die in Schlangenhaut gefangen umherirren und vielen anderen Erscheinungen mehr, die mir dem Himmel sei Dank entfallen sind. Mein fluguntüchtiger Adler ist nun nicht der Einzige seiner Art, die unerklärlicherweise meine Nähe und mein geduldiges Ohr suchen.

Ein Mädchen irrt verzweifelt herum mit einem großen Ei im Bauch, dass sie irgendwohin legen müsse aber niemals dürfe, weil sonst auf der Stelle die Welt untergeht, und es kostet Stunden ihr klarzumachen, dass ihr Ei gar nicht gelegt werden will, sondern sich bestens aufgehoben fühlt in ihrem Schoß.

Der hochbegabte Saitenkünstler sei hinter das Geheimnis eines gewissen Mr. Universe gekommen, einer finsteren Gestalt noch schwärzerer Verschwörungen, die sämtliche Fäden in der Hand hält und die Menschheit samt Kosmos beherrscht, dieser ominöse Mister wiederum sei ihm dahintergekommen und verfolgt ihn seitdem unerbittlich, weshalb er immer nur murmelt und flüstert, weil jedes seiner Worte gehört und er daselbst andauernd beobachtet werde.

Die alternde Künstlerin werde tagein tagaus von ihrem Feind mit unsichtbaren Pfeilen beschossen, was ihre körperlichen Schmerzen und ihre ständige Müdigkeit erklärt, die ihr kein Medikus und Schamane abkaufen wolle, auch nicht, dass sie auf Schritt und Tritt überwacht und kontrolliert wird, mit Schmährufen terrorisiert und Beschimpfungen überhäuft, mitten in der geraubten Geborgenheit ihrer Hütte und ohne etwas dagegen tun zu können, weil ihr niemand Glauben schenken wolle.

Wieder ein anderer, dem die Haare wirr zu Berge stehen, redet ohne Punkt und Komma, Zusammenhang und Thema, hat er mal eins gefunden, wechselt er im selben Satz zum nächsten und so weiter, er kann mir in einer Minute zwanzig Songs vorspielen und fragt mich nach jedem begierig nach meinem Urteil, was in Anbetracht ihrer Kürze, bestehend aus drei Akkorden und fünf Worten, gar nicht so einfach ist, aber ihm umso wichtiger. Außerdem hat er endlich herausgefunden, dass er im Falle des haargenau auf die Millionstelsekunde gleichzeitigen Zuknallens von Milchkannendeckeln eine gewaltige Explosion auslösen könne, die Stadt und Umland verwüsten werde, und übt fleißig in den stillen Morgenstunden vor Sonnenaufgang.

Vor dem Krieg, bevor sie die großen Anstalten und Irrenhäuser gebaut und gefüllt haben, rannten diese etwas eigenwilligen Zeitgenossen die meiste Zeit frei und hilflos herum, ohne dass ihre besondere Sichtweise der Dinge durch irgendein Heilmittelchen beeinträchtigt wurde, bestenfalls bekamen sie was zur Beruhigung, das sie alsbald aufschwemmte wie Pilze im Herbstregen. Es genügte, sie soweit ruhig zu stellen, dass sie aufhörten irr zu schreien und toben und um sich zu schlagen, sie verbrachten ein paar ans Bett gefesselte Tage und Nächte, schlürften ein paar Wochen durch die Schlafsäle und wurden entlassen, sowie sie ruhig sprich einigermaßen unauffällig geworden waren und für niemanden mehr eine Bedrohung darstellten.

Weshalb sie die Klapse fortan als Folterkammer fürchten, die Ärzte als grausame Folterknechte verdammen und die ganze Welt als böse, uneinsichtig und gegen ihre Mission eingeschworen erleben, die sie als die eigentlich Erleuchteten mit dem wirklichen Durchblick von allen gnadenlos verfolgt und verkannt werden, und sie bleiben felsenfest bei dieser Überzeugung wohl zeitlebens. Und weil sie genau diese Sichtweise in den wesentlichen Punkten bis auf den der Erleuchtung mit der eines Desperado verbindet, suchen sie seine Nähe und sein offenes Ohr, was ihnen in der Regel vollständig für ihre Standortbestimmung genügt. Und da der Desperado als nirgendwo so recht Dazugehöriger sich immer irgendwo im Dämmerlicht zwischen den Welten herumtreibt, haben sie auch keine Mühe ihn aufzuspüren und seine Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.

So kommt es, dass ich schon in jungen Jahren mehr sogenannte Verrückte kennenlerne und mehr oder weniger mit ihnen befreundet bin, als anderen in ihrem gesamten Erdendasein über den Weg laufen, und dieser Prozess hat sich unvermindert fortgesetzt bis grade mal Gestern. Durchaus liebenswerte, empfindsame Gemüter, kluge Köpfe und gescheite Leute mit tiefschürfenden Gedanken, denen zu folgen nur leider niemand in der Lage ist, es sei denn er ist einer von ihnen. Oder einer, der ihnen immerhin zuhört, alles kann er selbstverständlich nicht verstehen, aber immerhin genug, um zu den Eingeweihten und Vertrauten zu gehören.

Wag ich ihnen ab und an erschöpft zu widersprechen oder sie überdrüssig in die Schranken zu weisen, bin ich auch schon mal der wiedergeborene Nero, Cortez oder Attila, was als Betitelung durchaus zu den Komplimenten gehört im Vergleich zu manch anderen Streicheleinheiten, die sie mit traumwandlerischer Sicherheit genau auf meinen Hühneraugen und wunden Punkten platzieren. Um sich hinterher umso öfter und zerknirschter dafür zu entschuldigen und beim nächsten Zusammentreffen so überhaupt gar nichts mehr davon zu wissen. Was ihre belebende Gesellschaft in Saloons, Cantinas oder sonstigen Orten öffentlichen Lebens so an unvorhersehbaren Überraschungen mit sich bringt, etwa wenn mein Adler unvermittelt rumstolziert und den Cowboys und ihren Bräuten grinsend ihre durchschauten Tiergestalten ins Gesicht verkündet, du bist ein Ochse und deine Braut ein Kamel, das lass ich jetzt ihnen zu Liebe einfach mal außen vor, nur soviel, die Prügel beziehe immer ich.

Und manchmal, ich gesteh’s offen zu meiner Schande, habe ich schlicht und einfach keine Lust, mich vor einen der Ihrigen zu stellen, nur um mich zur Zielscheibe zu machen infolge seiner Verkündigungen und Belehrungen, wenn der Strafprediger mal wieder nicht ohne Grund und wohl völlig zu Recht mit dem Rücken zur Wand gegen ein paar Leute steht, die sichtlich mit ihrer Geduld und Nachsicht an ein gründliches Ende gekommen sind. Alles was mir einfällt ist ein müdes fast zu mir selbst gesprochenes: „Jetzt komm mal wieder runter! Hab zwar keine Ahnung was los ist, kann’s mir aber sehr gut denken. Hauptsache im Mittelpunkt des Geschehens, das langweilt, es nervt, hörst du? Lass die Leute in Ruhe, okay?“

Ist sowieso schon zu spät, er hat längst erreicht was er wollte, eine entfesselte Horde wildgewordener Ignoranten und verbiesterter Menschenfeinde stellt sich gegen sein unerkanntes überlegenes Genie, Weltsicht bestätigt, Mission erfüllt, was willst du mehr? Sie schaffen es und sie schaffen es immer, sie brauchen das zum Überleben wie der Fisch das Wasser und die Blüte die Sonne, und mir ist es piepegal, nicht nur weil ich nicht mehr dabei sein muss und auch nicht will, sondern weil sie nun mal so sind und nicht im Traum daran denken sich ändern zu wollen. Ist mein mich Raushalten nun Selbstsucht, Selbstschutz oder einfach nur Gleichgültigkeit?

Es ist Desperados Freiheit.
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.08.2013, 12:44   #2
weiblich Persephone
 
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Nicht jeder Ungenießbare ist ein Psychopath.
Die meisten sind einfach nur Charakterschweine.
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Alt 10.08.2013, 15:15   #3
männlich Desperado
 
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Zitat:
Zitat von Persephone Beitrag anzeigen
Nicht jeder Ungenießbare ist ein Psychopath.
Die meisten sind einfach nur Charakterschweine.
Da hast Du freilich recht, Persephone,

nur überschneiden sich die Verhaltensmuster und Auswirkungen von Psychopathen und Charakterschweinen allzu oft und lassen sich mitunter kaum voneinander unterscheiden, zerstörerische Lust und Geltungssucht um jeden Preis auf Kosten seiner Mitmenschen haben ja auch was zutiefst Krankhaftes an sich, klar spricht man bei dem einen von Entscheidungsfreiheit und bei dem andern von zwanghaftem Wahn, aber vielleicht ist ein Psychopath ja einfach nur ein durch und durch böser Mensch und ein Charakterschwein ein halbwegs unauffälliger Psychopath.

Die Geschichte ist etwa zwei Jahre alt und ist mir aus unerfindlichen Gründen eben wegen dieser augenscheinlichen Übereinstimmungen eingefallen.

Friedlichen Nachmittag!
Desperado
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Alt 11.08.2013, 00:17   #4
männlich Ex kipling
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Standard freiheit

[QUOTE=Desperado;272726]Da hast Du freilich recht, Persephone,

nur überschneiden sich die Verhaltensmuster und Auswirkungen von Psychopathen und Charakterschweinen allzu oft und lassen sich mitunter kaum voneinander unterscheiden, zerstörerische Lust und Geltungssucht um jeden Preis auf Kosten seiner Mitmenschen haben ja auch was zutiefst Krankhaftes an sich, klar spricht man bei dem einen von Entscheidungsfreiheit und bei dem andern von zwanghaftem Wahn, aber vielleicht ist ein Psychopath ja einfach nur ein durch und durch böser Mensch und ein Charakterschwein ein halbwegs unauffälliger Psychopath.

hi, persephone, hi desperado, darf ich hinzufügen:nach schneider ist ein psychopathat dadurch gekennzeichnet, dass er gestörte beziehung zur umwelt hat. eine aussage über charakter ist nicht getroffen. charaktere sind wenn nicht genetisch bedingt durch erziehung geprägt, im pathologischen sinn neurotisch ausgebildet. das äussert sich dann in zerstörerischer aktivität, / lust, geltungssucht oder zwanghaftem wahn; wobei der begriff wahn an psychose gleich realitätsverlust denken lässt. liebe grüsse, kipling
Ex kipling ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.08.2013, 08:53   #5
weiblich Persephone
 
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Sach ich doch: Jedem sein Neuröschen.
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Alt 11.08.2013, 16:01   #6
männlich Desperado
 
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Danke, kip, für Deine fachkundigen Ausführungen.

Klar muss nicht jeder, der ein gestörtes Verhältnis zur Umwelt hat, deshalb auch böse sein, beileibe nicht, ich bin nur so ein bisschen Schlittschuhgelaufen mitten im Sommer.

Es ist nur so, dass mir das inzwischen(?) vollkommen schnuppe ist, ob ein sogenanntes Charakterschwein sich nun aus genetischen, erziehungsbedingt neurotischen Gründen oder aufgrund eines psychopathischen Dachschadens wie ein solches benimmt, er ist als solches zu behandeln, abzulehnen, in die Schranken zu weisen und gegebenenfalls zu bekämpfen. Vor allem aber und zuallererst hat er mir nichts zu sagen und darf keinerlei Einflussnahme besitzen auf mein Leben oder meine Gemütsverfassung, weil er sonst so oder so als gefährlich einzustufen ist.

Kurzum: In meiner persönlichen Wahrnehmung wird er aus der Gemeinschaft der Spezies Homo Sapiens ausgeschlossen und nötigenfalls eliminiert, sprich zur Nichtexistenz erklärt im Sinne eines Bannes bei den Gesellschaften sogenannter Naturvölker. Diese Freiheit nehme ich mir jederzeit, wenn ich es für angebracht und unvermeidlich erachte.

Lieben Gruß
Desperado
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.08.2013, 23:20   #7
männlich Ex kipling
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Standard freiheit

@ desperado:
homo sapiens antwortet: recte dixisti, amicus. kip
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