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Alt 11.12.2005, 21:04   #1
Erstgeborener
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 5


Standard Winter

- Winter -

Er blickte hinauf zu den Sternen doch sie sahen weg. Dann sah er sie an. Ihr Haar wehte leicht im Wind, der gerade dabei war aufzukommen, als Vorbote des Gewitters, das sich am Horizont abzeichnete, wütend und mächtig. Ihre bleiche Haut fühlte sich kalt an, als er sie berührte. Nach allem was geschehen war, wagte er es nicht ihr in die Augen zu sehen, starrte weiter in den Himmel, auf das Spektakel, dass sich ihnen näherte.
Noch konnte man es nur sehen, zu hören waren nur der Wind und der Fluss, der unter der Brücke hindurch rauschte.
Obwohl er wieder mit ihr zusammen war, machte sich die Traurigkeit, die ihn hartnäckig verfolgte, wieder bemerkbar. Nichts war so verlaufen, wie sie es geplant hatten. Irgendwann einmal hatten sie zusammen gesessen - es war Frühling gewesen - und hatten geplant, phantasiert, geträumt. Den Garten um sie herum hatte er noch genau vor seinem inneren Auge, doch ihr Gesicht war verwaschen. Nur das sie glücklich gewesen waren, dass spürte er heute noch, als ob die Vergangenheit ihn foltern wollte.
Ein Blick in ihre Augen verriet ihm, dass sie genauso dachte und fühlte wie er, dass sie bedauerte, was später geschehen ist. Nun hörte man den ersten leisen Donner in der Ferne, die Sterne waren nur noch kurz zwischen den über ihnen hinwegeilenden Wolken zu sehen. Sie schwiegen weiterhin, als der Wind auffrischte und er sie fester an sich drückte. Hier gab es nur sie beide.
Die Bäume, die auf den Hügeln, die von dem Fluss durchschnitten wurden wuchsen, rauschten. Es waren durchweg Nadelbäume, vor Jahrzehnten von Menschen gepflanzt, nachdem sie den natürlichen Wald gerodet hatten. Obwohl er so jung war, erschien er doch geheimnisvoll. Vielleicht lag es auch nur daran, dass es Nacht war.
Wenn er sich umdrehen würde, könnte er wahrscheinlich noch die Lichter der Stadt sehen, aus der sie hierhergefahren waren. Ein Knäul von Lichtern, Strassen und Menschen, die hier oben noch weniger zählten als dort unten.. Sie sahen sich an.
Er dachte zurück an ihren ersten gemeinsammen Urlaub. Sie waren in den Süden gefahren, ans Meer, doch es hatte unaufhörlich geregnet. Zwar waren sie ein paar Mal in den nahegelegenen Ortschaften gewesen und hatten sich die obligatorischen Sehenswürdigkeiten angesehen, doch die meiste Zeit waren sie in ihrem kleinen, kahlen Zimmer eingesperrt gewesen. Nah zusammen, hatten gelebt, als ob sie eine Person geworden wären. Natürlich war nicht immer alles glatt verlaufen, nach ein paar Tagen hatte es einen Streit gegeben, an dessen Ursache er sich nicht mehr erinnern konnte, er wusste nur noch, wie er lange durch den Regen gelaufen war und sich erkältet hatte. Als er zurück kam, schlief sie schon. Er hatte sich zu ihr gelegt und sie angesteckt.
Ein Tropfen traf seine Haut, dann noch einer. Es fing an leicht zu regnen und den Donner konnte man nun deutlich hören. Wer wollte, hätte die Entfernung die das Gewitter noch hätte zurücklegen müssen berechnen können. Doch es machte ihnen nichts aus, dass der Regen ihre Kleidung durchdrang, sie schwer werden ließ, sie würde schon wieder trocknen, wenn morgen die Sonne scheinen würde.
Dennoch schweiften seine Gedanken ab zu jenem Tag, als sie sich getrennt hatten. Heute erschien es wie eine Lapalie. Er war aus der Wohnung hinaus in den grellen Sonnenschein getreten, mechanisch zu seinem Auto gegangen und los gefahren. Die folgenden Wochen hatte er sich bei Freunden und Verwandten einquartiert, hatte nach einiger Zeit seine Sachen aus der Wohnung geholt. Dabei hatte er bemerkt, dass auch sie dort nicht mehr gewohnt hatte, alles hatte unverändert dort gestanden. Sogar sein halb aufgegessenes Brötchen vom Frühstück, jetzt überzogen mit feinem weißen Schimmel. Das war ein paar Monate her gewesen und seitdem hatte er sie nicht wieder gesehen, bis heute.
Der Wind war zu einem Sturm geworden und heulte um sie herum. Der Regen stach ihm ins Gesicht. Die ganze Zeit hatten sie kein Wort gewechselt, es war nicht nötig gewesen. Er ließ ihren Leichnam in die Fluten unter ihm fallen, dann drehte er sich um und fuhr zurück in die Stadt.
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Alt 20.12.2005, 18:18   #2
Askeron
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 59


Dein Stil hat was. Zwar schreibst du mit einigen Ecken und Kanten, aber die allgemeine Grundstimmung ist auf ihre Art ansprechend und weiß zu gefallen. Es bleibt wohl jedem selbst überlassen ob er deine Geschichten mag oder als zu abstrakt abtut, dennoch ist vor allem 'Winter' nicht nur aufgrund des unerwarteten Endes einen zweiten Blick wert. Ist schon interessant wie ein Satz die ganze Geschichte in ein neues Licht rücken kann.
Askeron ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.12.2005, 18:57   #3
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Interessante Wendung, da muss ich Askeron Recht geben. "Sommer" alleine wäre mir wirklich zu langweilig, aber "Winter" wiegt das völlig wieder auf. Und auch ich bin auf die beiden anderen Teile gespannt.
Yve
Yve ist offline   Mit Zitat antworten
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