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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 13.10.2015, 21:47   #1
weiblich shoshin
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Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Standard Der Distelfink

Ich denke an Flucht.
Die Wand im Licht.
Der Schein er trügt
den Schatten ohne Makel.

Draußen die Sonne.
Meinen Rücken wärmt sie,
seinen Blick erhellt sie nicht.

In der trüben Mitte
zwischen mir und diesem Bild
vermischen sich die Welten,
halte ich das Gleichgewicht.

Farben übersetzen.

Ich klammer mich an Eisenstäbe,
die Kette spür ich nicht,
verbrenne wie die Motten,
krieche in den Flaum.

Ich bin wie er entschlossen,
reise mit dem Licht.

Der Schatten fehlt.


*) inspiriert von
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.10.2015, 10:50   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Standard Hallo, charis -

Ich kann nur den ersten Eindruck schildern:

Schön, aber so traurig.
Der Distelfink (das Gemälde gefällt mir sehr) ist ja kein Käfigvogel - zumindest heutzutage nicht mehr.
Woher dann die Ketten?
Und warum vergleicht sich das LI mit dem Distelfink?
Oder ist es eine Zwiesprache?

Ich muß noch ein wenig einsteigen.


LG
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.10.2015, 17:00   #3
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Danke, liebes Thing, für dein Wahrnehmen!

Zunächst einmal hat mich das Bild gefesselt und je länger ich dieses scheinbar so einfache Bild (das sehr ungewöhnlich für diese Zeit war, in der man viel opulentere Bilder malte) betrachtete und es erfassen oder "begreifen" wollte, umso mehr hat sich mein Text reduziert. Ich hatte eigentlich zunächst ein Sonett im Sinn.

Es ist also ein Zwiegespräch - vielleicht ein Ineinanderfließen - zwichen dem betrachtenden Li und der Abbildung; es ist auch ein Zwiegespräch mit dem Licht, und enthält auch eine Anspielung auf Goethes Farbenlehre - das "Trübe".

Aber da hat sich wohl mehr in meinem Kopf und meinen Gefühlen mehr abgespielt, als es dem Leser zu vermitteln vermag. Bei so einem Sujet, wünschte ich mir wirklich, ich hätte das Genie von Goethe ua.

Lieben Gruß
shoshin
p.s.ich hab gut geschlafen
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.10.2015, 20:25   #4
männlich Jeronimo
gesperrt
 
Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237

Liebe shoshin,

ich persönlich stehe der Farblehre Newtons wie auch Goethes eher skepisch gegenüber, aber das ist halt auch Empfindungssache. Bei mir verursacht Blau nicht das Gefühl von Kälte, sondern eher von Wärme und Vertrauen und Sicherheit.
Das Bild ist erschreckend traurig und wirkt anklagend auf mich aus Sicht des Vogels. Einem Vogel am Fliegen zu hindern, ist das Schlimmste, was man ihm antun kann.
Dein Gedicht habe ich zunächst so gelesen, als spräche das LI für den Vogel, danach habe ich das LI als Pendant gelesen. Und dann erst als aufmerksamer Beobachter des Bildes, der zwischen dem Vogel und dem LI eine gemeinsame geistige Ebene herstellt.
Und herausgekommenn ist, dass der Beobachter einen Zugang zum LI und zum Vogel erhält, dem LI die Flucht gelingt, dem Vogel aber nicht, weil der nur seine Flügel hat und weder Phantasie noch eine Welt hinter seiner Welt.
Wichtig ist aber nur, dass mich dein Gedicht zum Nachdenken über „die Dinge“ angeregt hat, nicht nur über ein Bild, einen Vogel oder über Freiheit.
Dafür danke ich dir sehr, das passiert mir leider viel zu selten.

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.10.2015, 20:32   #5
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Die Kette war mir entgangen - ich hatte viel zu flüchtig geschaut.
Jetzt ist alles klar.


PS
Bin heilfroh, daß Du gut geschlafen hast!
Mir fällt ein Stein vom Herzen.

LG
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.10.2015, 22:57   #6
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073

Hallo, shoshin,

interessant und anregend deine Zwiesprache mit diesem Bild, das auf mich
beklemmend und düster wirkt.

Die Grenzen verschimmen. Ketten und das sich "Verkriechen in den Flaum"
- schön formuliert - kennen wohl beide.

Irritierend an dem Bild ist, wie du ja auch bemerkst hast, dass der Schatten
des Distelfinks fehlt. Ein geschickter Kunstgriff des Malers, finde ich.

lieben Gruß, und danke für Bild und Zeilen,
simba
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.10.2015, 18:35   #7
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Jeronimo, liebe Simba, liebes Thing,

Ich glaube ich könnte ewig über dieses Bild schreiben aber ich versuche es kurz zu machen:

Zitat:
Zitat Jeronimo: Wichtig ist aber nur, dass mich dein Gedicht zum Nachdenken über „die Dinge“ angeregt hat, nicht nur über ein Bild, einen Vogel oder über Freiheit.
Du sprichst mir aus der Seele oder was immer das ist, was mich zum Schreiben treibt, Jeronimo!

Was die Farbenlehre betrifft, dachte ich nicht an die psychologischen Wirkungen der Farben und auch nicht wissenschaftlich, dazu fehlt mir das Wissen.

Im "Trüben", wie ich es verstehe, ist sozusagen potienzell alles vorhanden, die "Farbe" Weiß ist nach Goethe sozusagen das "reine Trübe", es geht um diesen Übergang von Licht zu Farbe. Damit wir Farben sehen können, braucht es ein "Medium". Die Wissenden mögen mich verbessern, aber das war mein Zugang.

Im übertragenen Sinn: Um Gedanken und Gefühle zu entwickeln auch.

"Sind" wir überhaupt, ohne dass wir denken? Gibt es unser "Selbst" überhaupt, wenn sich der Denker nicht selbst erfindet? Sind wir dann nicht einfach nur ein Teil des Ganzen, ohne diese Trennung und der daraus resultierenden Einsamkeit, die wir empfinden, oder denken? Sind Bild und Betrachter nicht eins, (teilweise verdichtete) Energie - Licht?

Es stellt sich für mich daher letztlich nicht wirklich nicht die Frage, ob der Vogel oder der Betrachter "flüchten" kann oder nicht.

Das Bild, das wir sehen oder uns machen, ist es in Wahrheit nicht einfach eine Illusion? Liegt es nicht nur im Auge des Betrachters? Ohne Licht sehen wir keine Farben, ohne Licht gibt es keine Farben und ohne unsere Interpretation (unser Denken) sind nur Dinge und ein Vogel dargestellt.

Erst durch unsere Interpretation erhält es eine Aussage, einen Inhalt und in der "trüben Mitte", da gibt es einen Bereich, wo alles entsteht. Dort wird "es" in den Bereich der Wahrnehmung transformiert, oder in sogenannte Realität verwandelt; ohne unseren Geist oder unseren Willen entsteht gar nichts, ist gar nichts. Wir schaffen also die Realität.

Und irgendwie habe ich das Gefühl, dieses Bild ist geradezu eine Metapher dafür.

Die Gegenstände, das Lebewesen sind im Verhältnis zu dieser lichtüberfluteten Wand (es ist eben kein düsteres Bild, wie Thing das geschrieben hat), die das Licht also "einfängt", oder refelektiert, im Verhältnis zur Wandfläche untergeordnet.

Also da "sind" ein paar unscheinbare "Dinge" und der Vogel - dieses bisschen, zarte Leben in einem fremden "Lebensraum" gefangen - er schaut den Betrachter direkt an. (Übrigens: Von diesem Kunstwerk an sich, also der Malerei an sich, müsste man gesondert sprechen.)

Ich dachte zuerst wie du, Jeronimo, an eine Anklage, aber ich sehe das nicht mehr so. Ich habe das Gefühl, er sieht uns herausfordernd und entschlossen an, aber wie? Im Sinne deiner Interpretation? Oder indem er uns sagt, fügt euch und erkennt, was "besseres" gibt es nicht, keine Freiheit, die man erstreben müsste: Es ist einfach Leben! Ich Vogel und du Mensch, es ist gibt keinen Unterschied, das Gefängnis gibt es nicht.

Und ja, der Schatten, der im Verhältnis zur lichten Wand sehr klein ist, aber bedrohlich wirkt, der hat sofort meinen Blick angezogen, noch bevor ich mir den Vogel genauer angesehen habe. Ich glaube schon, dass hier auch der Vogel diesen Schatten wirft, liebe Simba, aber der große Schatten des Betrachters fehlt.

Der Betrachter hat den Vorteil der Fähigkeit zur (Selbst)refelexion - im Gegensatz zum Vogel -, zum Abstrahieren, zur Fantasie, aber damit auch den Nachteil der Verdrängung, der Täuschung und der Illusion...Daher, lieber Jeronimo, weiß ich nicht, ob er - der Betrachter - "entkommen" kann, aber es entspricht jedenfalls meiner Intention, die ich in den (Zwischen) Raum zu stellen versucht habe.

Ich danke euch sehr herzlich für das Teilen eurer Gedanken! Mir ist auch sehr bewusst, dass eurer "Danke", über das ich mich sehr gefreut habe, eigentlich diesem besonderem Kunstwerk gilt und nicht meinen unbeholfenen Zeilen mich diesem Kunstwerk zu nähern.

Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.10.2015, 12:44   #8
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Standard Der Distelfink

Ich denke an Flucht.
Die Wand im Licht.

Der Schein er trügt
den Schatten ohne Makel,
draußen die Sonne.
Farben übersetzen,

- in der trüben Mitte
halte ich das Gleichgewicht -

klammern sich an Eisenstäbe,
kriechen in den Flaum.
Die Kette hält sie nicht.

Ich bin wie er entschlossen,
reise mit dem Licht.

Der Schatten fehlt.


*)überarbeitet, ich kann das Original leider nicht mehr ändern.
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.10.2015, 10:42   #9
männlich ganter
 
Benutzerbild von ganter
 
Dabei seit: 04/2015
Beiträge: 2.478

Standard Was ich vom Li immer schon wissen wollte

Sind wir überhaupt -
ist er überhaupt, dieser denkende Fink,
oder sind nur wir, weil wir für ihn denken,
für den gebunden, seelisch geschundenen Vogel?

Grüß Dich liebe shoshin,

-ganter-
ganter ist offline   Mit Zitat antworten
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