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Alt 22.07.2020, 13:38   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Im Kino

Meine Erinnerungen sind blass, aber dennoch glasklar. Ich kann die Jahreszeit nicht nennen, aber ich weiß, dass es regnerisch war und Mutter mir einen Anorak angezogen und eine Mütze aufgesetzt hatte. Vielleicht war es Herbst.

Und Waschtag. Niemand da zum Spielen. Selbst die Ameisen unter den Steinen im Hof hatten sich verkrümelt.

„Hier, ein Fünfziger. Pass auf, dass du vier Groschen zurückbekommst.“

Nach diesen Worten ging Mutter zurück in die Waschküche, wo im Kessel angeheizt war, um die Wäsche der Woche abzukochen, die später in die „Bütt“ gehievt werden und auf einem Waschbrett geschrubbt werden würde.

Mit dem Geldstück in der Faust, meinem aufgespannten Kinderregenschirm in der anderen Hand und meinem Lieblingsplüschtier, einer kunstgefellten grauen Katze, unter den Arm geklemmt ging ich los. Ich hatte nicht weit, nur wenige Minuten zum Stadttheater in unserer Straße. Außer dem großen Sall mit der Bühne und den vielen Sitzreihen gab es noch den kleinen Saal im Stockwerk darüber. Eigentlich war es ein Kino, auf dessen Leinwand einmal pro Woche für zehn Pfennige Eintritt die Welt-Nachrichten der Fox angesehen werden konnten. Dafür gab es ein lohnendes Publikum, denn Fernsehgeräte waren noch Neuland.

Als Dreikäsehoch verstand ich natürlich kein Wort von dem, was der Sprecher dieser Nachrichten in dem damals üblichen Ton den Zuschauern ins Ohr bellte. Aber darauf kam es nicht an. Ich wollte bewegte Bilder sehen, und davon ist mir besonders eins in Erinnerung geblieben, nämlich das einer Wiese mit Blumenblüten und Gräsern, die sich im Wind wiegten.

Doch an diesem einen, verregneten Tag, war das Theater geschlossen. In meinem Kopf machte es kurz „klick-klack“, und dann marschierte ich weiter in Richtung Innenstadt. Bis zum ASTOR am Markptplatz waren nur zehn Minuten zu gehen.

„Meine Mama hat gesagt, dass ich zehn Groschen zurückgekomme,“ sagte ich an der Kasse. Und ich bekam sie zurück, marschierte in den dunklen Kinosaal, in dem der Hauptfilm längst lief und sah beglückten Herzens die Szene, die sich für alle Zeit in mein Gedächtnis einbrannte: Einen knallroten, flachen Sportwagen, aus dem ein großer Mann schlupfte wie eine Sardine aus einer zu engen Büchse.

Ich war selig. Draußen war nichts, aber hier vor mir, auf der Leinwand, war Leben. Hier war alles anders als im öden, sich wiederholenden Alltag. Von Platons Höhlengleichnis wusste ich noch nicht.

Aber als der Film – es war eine Komödie – zu Ende war und ich ins Freie trat, ergriff mich der Schreck: Es war stockdunkel, und ich wusste nicht, wie spät es war. Die Nachrichten im kleinen Saal dauerten nur zehn Minuten – aber ein Spielfilm in einem richtigen Kino ...

Mutter musste außer sich vor Sorge sein. Und Strafe war zu befürchten.

Also sauste ich um die Ecke, denn dort, in einem Hinterhaus, wohnte Großmutter, selbst Kino-verliebt und Spenderin meines Kino-Gens.

„Mädel, wo kommst du jetzt her?“

Keine Frage, dass sie die Situation ergriff und mich nach Hause brachte, um zu vermitteln und mir die Strafe meiner erbosten Eltern zu ersparen. Um Omas Herz zu erweichen, hatte es nur einer Antwort bedurft:

„Ich war im Kino.“
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