Der Kranich und die Krabbe (Fabel außer Konkurrenz, zu lang
Der Kranich und die Krabbe
Karlheinz Lörner
An einem Teich lebte eine Krabbe, die argwöhnisch zwölf kleine Fische bewachte. Ein Kranich, der in der Nähe wohnte und mit der Krabbe befreundet war, mochte die Fischlein gern als Schnabelfrühstück. Sobald die Krabbe sich im warmen Sand schlafen legte, immer nachts zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang, kam er angeflogen, verspeiste eines der Fischchen und stellte sich am nächsten Morgen dumm: "Als du eingeschlafen bist, kamen die Fischer vom Dorf und haben einen deiner Fische gefangen." So ging das elf Nächte lang bis nur noch ein Fischchen übrig war. Wie ihr Euch denken könnt, war die Krabbe ziemlich verzweifelt. Darum beschloss sie, egal wie müde sie auch war, die ganze Nacht wach zu bleiben. Tatsächlich kamen die Fischer in dieser Nacht und fanden die Krabbe vor dem Teich liegen. "Das ist aber ein großes Tier. Es wird viel gutes Fleisch geben," sprachen sie zueinander: "Kommt, lasst uns Keulen holen, damit wir es erschlagen."
Die Krabbe lief zu ihrem Freund, dem Kranich, so schnell sie konnte und rief: "Rette mich, rette mich, die Fischer wollen mich erschlagen, wie sie es schon bei meinen Fischen getan haben!" "Gern", sagte der Kranich, "mache ich das. Komm klettere in meinen Schnabel, dann trag ich Dich in die Wüste, wo Dich keiner findet." Der Kranich hatte wirklich den besten Vorsatz, aber man wird eben hungrig auf einem langen Flug, vor allem wenn man eine gute Mahlzeit im Schnabel hat.
Ganz unwillkürlich begann er zu schlucken, ohne es zu wollen. Die Krabbe merkte das ziemlich spät, weil sie sich ja nicht umdrehen konnte. Bei Krabben ist bekanntlich Kopf und Bauch in einem Stück, Aber als sie das dann doch endlich merkte, da - schnapp!! - hatte sie schon ihre Scheren ausgefahren und dem Kranich den Hals zugedrückt. Der schluckte und schluckte, aber nichts ging mehr. So blieb dem Kranich nichts anderes übrig, als die Krabbe fallen zu lassen. Weil sie gerade über dem Nil waren, plumpste die Krabbe mitten hinein und ruderte eilig zum Ufer. Der Kranich setzte sich auf einen Stein auf der anderen Seite. Die Freundschaft war wohl zu Ende.
Seitdem aber kann der Kranich nur noch Tiere verschlucken, die kleiner sind als eine Krabbe und die Krabbe wacht argwöhnisch nachts über die Fische im Fluss zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie wohl am Nil zu Göttern geworden.
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