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Literatur und Autoren Literatur allgemein sowie Rezensionen von Büchern, Stücken und Autoren.

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Alt 28.03.2017, 20:48   #1453
Thing
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Zitat von Richmodis Beitrag anzeigen
Hitler. Eine Biografie.

von Joachim Fest.

Sehr lesenswert.
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Alt 01.06.2017, 16:28   #1454
männlich Amerdi
 
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Ich habe heute den historischen Roman "der schwedische Reiter" von Leo Perutz, aus dem Jahr 1936 ausgelesen.
Die Geschichte ist um 1700 angesiedelt, in den historischen Kontext der Eroberungsfeldzüge des Schwedenkönigs Karl XII, in einem durch den dreißigjährigen Krieg in chaotische Zustände gestoßenen Europa. Sie handelt von einem intriganten Identitätsdiebstahl, den ein landstreichender Langfinger an einem desertierten schwedischen Edelmann begeht.
Die beiden begegnen sich zufällig in einer Scheune und ziehen dann als verbrüderte Vagabunden durch Schlesien, das von Dragonersoldaten durchritten wird, die die Gesetzlosen an jeder Wegeskreuzung aufknüpfen. Ziel des Diebes sind die Steinbrüche und Brennöfen eines tyrannischen Bischofs, in die sich die Kriminellen des Landes vor dem Henker flüchten und in denen die Herumtreiber, auf deren Hals ebenfalls der Strick wartet, gegen Knochenarbeit, zumindest eine Suppe bekommen.
Plan des aus einem fremden Heer desertierten Adeligen ist es in der schwedischen Armee, unter seinem König zu dienen.

Ich will garnicht vorwegnehmen, auf welchen Wegen es nun zum Identitätswechsel kommt, kann aber versichern, dass die ganze Geschichte ausserordentlich spannend abläuft und mit einer ausgezeichneten sprachlichen Gewandtheit erzählt wird, die sich in sehr figurativen Formulierungen und immer wieder in poetischen Wendungen zeigt.

https://www.amazon.de/schwedische-Re.../dp/3423131608
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Alt 01.06.2017, 18:02   #1455
Thing
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Wie schön!
Leo Perutz war einer der begabtesten Schriftsteller seiner Epoche.
Von ihm außerdem sehr erfolgreich und (von mir) empfohlen:

Der Meister des jüngsten Tages
(mit Helmut Lohner und Michael Degen verfilmt) und
Wohin rollst Du, Äpfelchen...

Schön, daß er dem Vergessen hier entrissen wurde.
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Alt 01.06.2017, 21:43   #1456
weiblich Ilka-Maria
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Klaus-Rüdiger Mai: "Gutenberg" (Propyläen/Ullstein, 2016)

Für den Autor muss die Rekonstruktion der Biografie Gutenbergs eine Herkulesaufgabe gewesen sein, denn über den Erfinder des Buchdrucks ist wenig überliefert. Da galt es, Mosaiksteinchen zusammenzutragen und nach dem Motto "hätte, könnte, Konjunktiv" ineinanderzufügen.

Eins aber ist unbestritten: Gutenberg stand am Anfang einer neuen Epoche, die bis in unsere Zeit hineinwirkt. Seine Erfindung ermöglichte die Verbreitung von Wissen, und es waren Lehrbücher, die Gutenberg vervielfältigt haben wollte.

In Verbindung mit Luthers Aufwertung des Individuums (kein Priester sollte mehr die Schaltstelle zwischen Mensch und Gott sein), sowie der Übersetzung der Bibel in eine einheitliche deutsche Sprache, so dass jeder sie selbst lesen konnte, war diese Entwicklung revolutionär. Vorbei waren die Zeiten, in denen sich nur reiche Leute teure handschriftliche Kopien leisten konnten! Gutenberg und Luther öffneten den unteren Schichten das Tor zur Selbstwahrnehmung und zur Bildung.

Der Verbreitung von Wissen waren alle Bahnen freigemacht. Heute mutet der Umgang mit Zeitungen, Magazinen, Büchern, Reklamematerial etc. dermaßen normal an, dass niemand mehr einen Schimmer davon hat, was Gutenbergs Erfindung für die technische und wirtschaftliche Entwicklung des Abendlands bedeutete.
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Alt 07.06.2017, 22:45   #1457
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Ja, Thing! Ich hoffe, dass Perutz wieder mehr Popularität findet.



Gestern las ich Alexander Lernet-Holenias kleinen Roman "Ein Traum in Rot".

Günther Fischer schreibt in der Zeitschrift "Der Tagesspiegel", Berlin 8. 6. 1997, unter "K.u.K. bis ins Mark - Ein phantastischer Roman von Lernet-Holenia wieder aufgelegt":

..."Der vorliegende Roman erschien 1939 zum ersten Mal. Vielleicht liegt es daran, daß dieses relativ kurze Buch, das mit 'Der Mann im Hut' (1937) und 'Mars im Widder' (1941) zu den Hauptwerken Lernet-Holenias im Bereich des Phantastischen gehört, weitgehend unbeachtet blieb. Es ist eine seltsam anrührende Arbeit. Voll elegischer Trauer über den Untergang des russischen Zarenreiches und einem weihevollen, für uns heute ungewohnt hohen Sprachduktus, erzählt es von Rosenthorpe, der nach der Oktoberrevolution auf dem polnischen Gut des Erzählers Chlodowski, eines geflohenen russischen Adeligen, eintrifft. Doch er ist nicht der, der er zu sein scheint: Er ist ein Dämon, ein Teufel, der Antichrist, der von Dschingis-Kahn abstammt. Aber, und hier wird der Roman genial doppelbödig, das Böse, das er verbreitet, erwächst ausschließlich aus seinem Wunsch, Gutes zu tun. Seine Güte erweist sich stets als tödlich, seine Schönheit führt ins Verderben, sein Kuß besiegelt den Untergang. Virtuos spielt Lernet-Holenenia hier mit Versatzstücken unserer Kultur - angefangen von Judas Verräterkuß bis hin zum tödlichen Bruderkuß der Mafia - und stellt doch eindringlich klar: Gut und Böse sind untrennbar miteinander verbunden, die Liebe zum Menschen kann zu Mord und Totschlag führen. Diesen Grundgedanken, der in der gnostischen Vorstellung von der Undenkbarkeit Gottes ohne seinen Widerpart, den Teufel, wurzelt, spricht Chlodowski, der bald unter den Trümmern seines Hofes begraben werden wird, am Ende des Romans aus: 'Denn auch das Böse kommt von Gott, es ist sein Wille, daß es die Welt läutere.'

Heute gelesen, erscheint Lernet-Holenias Roman wie ein düsteres Omen, das den unheilvollen Aufstieg Hitlers hellsichtig vorausmeldet. Von grotesker Komik sind darüber hinaus Szenen, in denen Lernet-Holenia das Leben und Überleben der Adligen nach der Revolution schildert: Als Stallknechte, Diener, Köche und Waschmägde arbeitend, schwadronieren sie über vermeintliche Heere und Generäle, die demnächst den Sieg und die Wende herbeiführen werden, das leiseste Gerücht gibt ihnen Anlaß zu abendfüllenden Spekulationen. Bitter läßt einen vor allem die Erkenntnis zurück: Die Geschichte geht unterschiedslos über den einzelnen hinweg, und mit Menschen voll verzweifelter Hoffnung hat ein leibhaftiger Dämon wie Michail Rosenthorpe leichtes Spiel."

Für mich war vorallem das rätselhaft Unheimliche des Buches ein Genuss, die Wippe zwischen Wirklichkeit und Wahn, die der Autor mit großer Sprachkunst in Schwung hält, denn Lernet-Holenia, der, mit Leo Perutz, oft als Meister des Phantastischen seiner Epoche in Österreich genannt wird, verstand es in ungewöhnlichen und eindrücklichen Formulierungen und Bildern zu schreiben.
Ich empfehle das Buch! Übrigens auch seinen "Baron Bagge", der ebenfalls ein Meisterstück der Phantastik ist.
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Alt 10.06.2017, 12:52   #1458
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Zitat:
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Ich empfehle das Buch! Übrigens auch seinen "Baron Bagge", der ebenfalls ein Meisterstück der Phantastik ist.
Oh, oh, oh!
Ein Kenner!
"Der Baron Bagge" und "Der Golem" (v. Gustav Meyrink) sind die einzigen Romane, die ein Traumerlebnis schildern können.

(Hans Reimann)


Sehr zu empfehlen:
"Der Golem" von Gustav Meyrink.
Ich habe ihn mindestens zehnmal gelesen und kann manche Sätze aus dem Gedächtnis rezitieren - wenn und wo sie passen.

Rein phantastisch, trotzdem des realistischen Hintergrunds nicht entbehrend:

"Die letztze Welt"
von Christoph Ransmayr.
(Habe ich auch s e h r oft gelesen; ein Kapitelchen konnte ich aufsagen).
Nimmt vom ersten Satz an gefangen und läßt nicht wieder los.

Ich grüße sehr, sehr herzlich!

Thing
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Alt 12.06.2017, 17:13   #1459
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Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Oh, oh, oh!
Ein Kenner!
"Der Baron Bagge" und "Der Golem" (v. Gustav Meyrink) sind die einzigen Romane, die ein Traumerlebnis schildern können.

(Hans Reimann)


Sehr zu empfehlen:
"Der Golem" von Gustav Meyrink.
Ich habe ihn mindestens zehnmal gelesen und kann manche Sätze aus dem Gedächtnis rezitieren - wenn und wo sie passen.

Meyrinks Golem steht schon seit längerem auf meiner Liste. Habe bisher nur seinen weißen Dominikaner gelesen, der mir sehr gefallen hat durch seine unheimliche, rätselhafte, mit mystischer Weisheit durchmischte Atmosphäre, in deren Dunst eine wirklich spannende und rührende Liebesgeschichte sich zuträgt.
Das Buch spielt intensiv mit den Grenzen zwischen Traum, Illusion und Realität und hat darin einen solchen Eindruck auf mich gemacht, dass ich in der Nacht nach Beendigung der Lektüre tatsächlich einen luziden Traum hatte (ohne jedwede sonstige Vorbereitung). Seither gelingt mir dieser Zustand recht häufig.

"Die letzte Welt" habe ich noch nicht gelesen, Thing, ist aber nun notiert.
Merci!


liebe Grüße zurück
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Alt 24.06.2017, 11:44   #1460
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Standard Ich habe gerade gelesen und empfehle

Jorge Bucay, Geschichten zum Nachdenken.
In 2015 las ich bereits, Komm, ich erzähl dir eine Geschichte.

Beide sind toll. Ich werde nach mehr von ihm schauen.

Beste Grüße
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Alt 24.06.2017, 13:26   #1461
Thing
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Zitat:
Zitat von Amerdi Beitrag anzeigen
Meyrinks Golem steht schon seit längerem auf meiner Liste. Habe bisher nur seinen weißen Dominikaner gelesen, der mir sehr gefallen hat durch seine unheimliche, rätselhafte, mit mystischer Weisheit durchmischte Atmosphäre, in deren Dunst eine wirklich spannende und rührende Liebesgeschichte sich zuträgt.
Das Buch spielt intensiv mit den Grenzen zwischen Traum, Illusion und Realität und hat darin einen solchen Eindruck auf mich gemacht, dass ich in der Nacht nach Beendigung der Lektüre tatsächlich einen luziden Traum hatte (ohne jedwede sonstige Vorbereitung). Seither gelingt mir dieser Zustand recht häufig.

"Die letzte Welt"
habe ich noch nicht gelesen, Thing, ist aber nun notiert.
Merci!

liebe Grüße zurück
Im Wechsel. Immer wieder. Wie den Simplizissimus auch.
Ich werde mit Büchern vertrauter als mit manchen Menschen.
Bücher lügen nicht.

Lieben Gruß
von
Thing
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Alt 26.06.2017, 03:17   #1462
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Bücher können Lügen beinhalten. Lügen die Bücher dann?

Auch den Simplizissismus will ich mir bald besorgen. Es gibt so unendlich viel Gutes...
Weswegen ich selten dazu komme ein Buch zweimal zu lesen. Meistens gehe ich lieber etwas Neues entdecken. Kann aber die Schönheit des Vertrautwerdens mit einem Buch durchaus nachempfinden.
Welche Bücher gehören denn noch zu deinen engeren Freunden? Wenn ich fragen darf.

Derzeit lese ich "Sebastian Haffner: Im Schatten der Geschichte. Historisch-politische Variationen aus 20 Jahren"
Das ist eine Zusammenstellung unterhaltsam-lehrreicher Causerien, die zum Großteil (nicht nur) europäische und deutsche Geschichte und Politik zwischen etwa 1845 und 1970 zum Inhalt haben (Kapitelüberschriften sind zB: "Preußens kurze Geschichte", "Bismarcks Reichsgründung", "Sedantag", "die Pariser Kommune", "Hitlers Machtergreifung" etc). Es sind auch einige sehr interessante biografische Entwürfe enthalten über Lenin, Mao, Stresemann, Adenauer, Churchill.
Haffners Stil ist anschaulich, von großer Klarheit und substanziellem Inhalt, dadurch lehrreich und gleichzeitig aber angenehm gelassen und locker. Wie ein sprachgewandter Freund dir eine spannende Geschichte aus seinem Lebensfeld erzählen würde, so erzählt Haffner Geschichte. Man fühlt, dass ihn der Stoff fesselt und fasziniert.
Auch lässt er, zu den geschichtlichen Vorkommnissen, immer wieder anregende Gedanken allgemeinerer Art fallen, über deren universelle Bedeutung. Manchmal wirft er kleine, intelligente Spekulationen ein (was wäre passiert, wenn...), woran man wiederum merkt wie ihn selber die Inhalte beflügeln. Sympathisch. Ein leidenschaftlicher Gelehrter.

Ich kann diese Sammlung wärmstens dem empfehlen, der sich für kurzweilige Historiographie interessiert. Auch andere Bücher von Haffner will ich nennen: "Anmerkungen zu Hitler", "Von Bismarck zu Hitler: Ein Rückblick"



Davor habe ich "der Immoralist" von André Gide gelesen (von 1901).
Ein ausgezeichneter kleiner Entwicklungsroman von enormem psychologischem Tiefgang.
Nachdem ich so viel zu Haffner gesagt habe, will ich es dabei erstmal belassen und euch nur noch zur Lektüre des Buches raten.
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Alt 27.06.2017, 08:07   #1463
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Zitat:
Zitat von Amerdi Beitrag anzeigen
Auch den Simplizissismus will ich mir bald besorgen.
Endlich mal wieder jemand wie dich, der ein paar Worte zu den Büchern sagt, die er liest. Haffner ist klasse.

Den Simplizissimus kannst du hier lesen:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/sim...issimus-5248/1

Unten rechts ist der Link, der dich durch die Kapitel führt.

Viel Vergnügen!
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Alt 27.06.2017, 08:14   #1464
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Wurde mir neulich geschenkt, weil ich über meinen Bauchansatz sinnierte.
Sehr lehrreich.
"Esst endlich normal" von Udo Pollmer

https://www.amazon.de/E%C3%9Ft-endli...endlich+normal
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Alt 27.06.2017, 08:23   #1465
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Zitat:
Zitat von Pit Bull Beitrag anzeigen
"Esst endlich normal" von Udo Pollmer
Habe ich vor Jahren gelesen. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass der Autor in erster Linie den Schlankheitswahn der Frauen im Blickfeld hatte.

Männer durften schon immer ein Bäuchlein haben. Eine frühere Kollegin von mir pflegte zu sagen: "Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel."
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Alt 27.06.2017, 08:27   #1466
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Habe ich vor Jahren gelesen. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass der Autor in erster Linie den Schlankheitswahn der Frauen im Blickfeld hatte.
Männer durften schon immer ein Bäuchlein haben. Eine frühere Kollegin von mir pflegte zu sagen: "Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel."
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Alt 27.06.2017, 08:34   #1467
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Ich wollte mal wissen, wie sich Sprache in heutigen Jugendbüchern artikuliert und griff deswegen nach einem Jugendroman:

Grit Poppe, "Abgehauen".

Es geht um einen weiblichen Teenager mit Spitznamen Gonzo, ausgebüchst aus dem Jugendwerkhof Torgau.

Schon allein die Zustände in diesem Heim, die Behandlung der Jugendlichen, lassen mir die Haare zu Berg stehen und den Hals dick werden.

Das Buch ist flott geschrieben und lässt nicht erkennen, ob es für Erwachsene oder jüngere Leser geschrieben ist. Mit anderen Worten: Über Jugendsprache konnte ich leider nichts erfahren.

Auch kommt das Thema etliche Jahre zu spät.

Trotzdem ist der Roman unterhaltsam, wenngleich der Ausgang - meine ich nach dem halben Buch - voraussehbar ist.
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Alt 09.07.2017, 13:51   #1468
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Karl Iglesias: "Emotional impact - Advanced dramatic techniques to attract, engage, and fascinate the reader from beginning to end".

Was dieses Buch von anderen Büchern über Schreibtechniken unterscheidet, ist auf der Rückseite des Buches in vier Sätzen zusammengefasst:

It's not about plot points.
It's not about act structure.
It's not about character.
It's about EMOTION !

Von Anfang an betont Iglesias, dass viele Manuskripte in einer perfekten Technik steckenbleiben und den Leser oder Filmzuschauer deshalb nicht packen, weil in ihrer Geschichte die Emotionen fehlen. An Beispielen von Filmen, die deshalb beim Publikum ankamen (manchmal trotz großer Skepsis der Produzenten), weil sie Emotionen weckten, zeigt Iglesias, wie man es richtig machen und eine Geschichte auch denn zum Erfolg führen kann, wenn der Autor sich nicht sklavisch an die Technik gehalten hat.

Iglesias bietet seinen Lesern eine von ihm erstellte Liste über alle menschlichen Emotionen an, die er per PDF versendet. Ich habe sie mir schicken lassen.

Unter den Überschriften FEAR, HATE, ANGER, SORROW, CONFUSION, SHAME, CURIOSITY, SURPRISE, CONFIDENCE, DESIRE, LOVE und JOY hat er hunderte von Adjektiven aufgeführt, die Emotionen benennen. Die meisten davon fallen - wer hätte es anders erwartet - unter LOVE, JOY und SORROW (jeweils zwischen 80 und 90 Bezeichnungen).



https://www.youtube.com/watch?v=U9V4rEQnle8&t=50s
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Alt 19.07.2017, 16:59   #1469
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Zitat:
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Endlich mal wieder jemand wie dich, der ein paar Worte zu den Büchern sagt, die er liest. Haffner ist klasse.

Den Simplizissimus kannst du hier lesen:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/sim...issimus-5248/1

Unten rechts ist der Link, der dich durch die Kapitel führt.

Viel Vergnügen!
Das ist lieb von dir, Ilka. Allerdings lese ich am liebsten in einem echten Buch, das für meine Hände ein haptisches Erlebnis ist, das ich blättern, dessen Duft ich atmen, das ich anschauen kann als kleines viereckig-handliches Abenteuer. Und viele Bücher nebeneinander im Bücherschrank zu sehen (jedes, wie schon gesagt, als kompaktes Abenteuer empfunden, mit unzähligen Assoziationen und Erinnerungen), hat einfach einen betörenden Reiz für mich...


Aber zurück zum Thema:

Derzeit lese ich "The Psychology of Dictatorship: Based on an Examination of the Leaders of Nazi Germany" von Gustave Mark Gilbert.
Darin wird die NS-Diktatur aus der Sicht des Psychologen, der die Hauptkriegsverbrecher bei den Nürnberger Prozessen betreut hat, wissenschaftlich (dennoch leicht lesbar auch für Laien) durchleuchtet.
Das Buch ist in drei Teile parzelliert. Im ersten geht es um die Entstehung der nationalsozialistischen Diktatur, ihre geschichtlichen, kulturellen und psychosozialen Voraussetzungen. Speziell wird natürlich die Person Hitlers untersucht.
Im zweiten Teil analysiert er in Fallstudien verschiedene, von ihm während der Haft begutachtete Nazi-Funktionäre, deren Charaktere er unter anderem anhand der zahlreichen Gespräche darstellt und erklärt, die er mit ihnen führte und aus denen er immer wieder interessante Äußerungen zitiert. Ebenfalls spannend sind die Erläuterungen zu den Ergebnissen psychologischer Tests, die mit ihnen durchgeführt wurden (zB der Thematische Auffassungs- und der Rorschachtest).
Der letzte Teil heißt "Psychological Implications" und den habe ich eben erst begonnen zu lesen. Darin versucht er nun wahrscheinlich nochmal, etwas allgemeiner, die psychologischen Grundlagen und Funktionsweisen der einzelnen Elemente einer Diktatur zu erklären (kulturelle Pseudopathologie, psychopathische Charaktere, Persistenz von Vorurteilen und Stereotypen, Führerschaft und soziale Interaktion, das autoritäre Wertesystem, etc...).

Für mich ein unerhört faszinierendes Buch, das mir ein deutlich größeres Verständnis dieser Zeit gegeben hat.
Ich werde vermutlich auch gleich zu einem nächsten Werk von Gilbert übergehen - "Nürnberger Tagebuch (Die Zeit des Nationalsozialismus)". Dieses enthält die Aufzeichnungen zu den Gesprächen, die er mit den Angeklagten führte.



Ich will noch ein Buch erwähnen, das ich letztens gelesen habe: Jakob Wassermanns "Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens".
Das ist ein historischer Roman, der das rätselhafte Erscheinen des "Findlings" Kaspar Hauser im Jahr 1828 in Nürnberg und dessen folgende Lebensjahre zum Thema hat.
Eines Tages steht dieser ca 16-jährige Bursche hilflos auf einem öffentlichen Platz, nur einen Zettel in der Hand, auf dem wenig mehr zu lesen ist als der Name "Caspar Hauser". Er kann ein paar Worte sprechen, scheint aber den Sinn von ihnen nicht zu wissen. Alles ist ihm fremd, nicht die gewöhnlichsten Dinge kennt er. Man ist fasziniert.
Zunächst lebt er als Kuriosität in einem Turm. Dann siedelt er in das Haus eines Lehrers über, der ihn erziehen soll. Sein Sprechen wird besser, sein Verhalten etwas menschlicher. Man kommt durch Untersuchung der Sache zu der Ansicht, dass er jahrelang in einem dunklen, kleinen Kellerloch gelebt habe, ohne Wissen von der Aussenwelt, ohne Bewusstsein seiner selbst.
Die Geschichte verbreitet sich in Deutschland und nicht alle glauben an die "Keller-Erklärung", viele halten ihn für einen Betrüger, einen armen Bauern, der sich ein parasitäres Abhängigkeitsverhältnis ergattern, die Gutherzigkeit anderer Menschen ausnutzen will.
Mit der Zeit entstehen sogar Verschwörungsgerüchte, nach denen der Findling ein aus dem Weg geräumter Thronerbe sein soll. Ein populärer Verfechter dieser Theorie ist der Staatsrat von Feuerbach, der ein Schirmherr Hausers wird und, nebenbei erwähnt, der Vater Ludwig Feuerbachs war.
Bevor ich zu viel verrate, will ich meine Beschreibung hier einstellen und mit einer dringenden Empfehlung des Buches enden!
Eine fesselnde und bewegende Geschichte, von Golo Mann als der schönste Krimi der Welt bezeichnet.

Geändert von Amerdi (19.07.2017 um 18:28 Uhr)
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Alt 22.07.2017, 13:47   #1470
männlich urluberlu
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Gianni Rodari: "Das fliegende Riesending", original "La torta in cielo"

Weil ich etwas suchte, was meinen Text "Le gâteau ivre" halbwegs rechtfertigen kann.

Und siehe da. In Rodari finde ich eine Art verwandter Seele... Naja, eine Art von...

Urluberlu

P.S. Das Buch ist witzig, kurz gehalten, in gutes Deutsch übersetzt. Und nicht nur für Kinder.
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Alt 24.08.2017, 20:36   #1471
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"Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Mythos und Realität" von Norman G. Finkelstein (aus dem Jahr 2002).

Das wohlfundierte, fußnotenreiche Buch ist der Widerlegung von "israelischen Propagandamythen" über den Israel-Palästina-Konflikt gewidmet, die es in einer kritischen, minutiösen Auseinandersetzung mit der maßgebenden Literatur zum Thema zu zerpflücken versucht.
Für ein tieferes Verständnis, einen klareren Blick gut geeignet, allerdings ist kein wirklicher Überblick zur Fehde gegeben, weshalb ein wenig Vorwissen benötigt wird (wer solches hat, wird seine Freude haben).

"Die aufschlussreichste Untersuchung über die Hintergründe des ‚Nahost-Konflikts'." Noam Chomsky

http://www.faz.net/aktuell/feuilleto...-11323684.html



Danach habe ich mir heute "Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage" (1896) von Theodor Herzl, dem wohl bekanntesten Zionisten, vorgenommen, das der vermutlich wichtigste Aufruf zur Gründung Israels war. Es entfaltete eine enorme Wirkung, die im folgenden Jahr zB zur Gründung der Zionistischen Weltorganisation und zum ersten Zionistenkongress führte.
In der kurzen Schrift (70 Seiten), die schnell gelesen werden sollte, gibt er eine prägnante und animierende Anleitung (einen Masterplan) zur Verwirklichung eines jüdischen Staates. Er skizziert in kleinen Kapiteln die Durchführungsmöglichkeiten des Vorhabens und entkräftet die offenkundigen Gegenargumente und Einwände. Vorwiegend pragmatisch und sachverständig dargelegt, mit passioniert-mitreißenden Zwischentönen (die gelegentlich ins Utopische schwenken), ist die Schrift von großer Überzeugungskraft.

Ein faszinierender Einblick in die Ursprünge Israels und des modernen Zionismus. Auch insofern interessant, als sie einen Eindruck der generellen Zukunftsideen/-Hoffnungen und Ideale der Zeit vermittelt.
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Alt 29.08.2017, 16:35   #1472
männlich Amerdi
 
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Vor kurzem las ich "Verbrechen und Strafe" von Dostojewski (Übersetzung von Swetlana Geier).
Hauptfigur ist der Student Raskolnikov, der seine universitäre Ausbildung nicht mehr finanzieren kann und sich in seinem "sargähnlichen" Zimmer (dessen Bezahlung er ebenfalls nicht zu Wege bringt) isoliert. Aus einem Überlegenheitskomplex heraus entwickelt er eine Ideologie, nach der die Welt in die Masse unterlegener und einige wenige überlegene Menschen unterteilt ist. Den Herausragenden ist es seiner Denkart nach erlaubt, die schlichte Masse (das "Menschenmaterial") zu nutzen, gegebenenfalls sogar zu töten. Speziell Napoleon ist ein Vorbild für ihn.
In seinem Kopf bildet sich, da er sich selber als Angehöriger dieser Elite fühlt, in der grüblerischen Einsamkeit seiner winzigen Kammer, der Gedanke heran einen Mord zu begehen.
Zunächst noch irreales Gedankenspiel, wird die Idee immer beherrschender, sinnvoller, konkreter. Er sucht sich ein Opfer (eine alte Wucherin, "die nicht mehr wert ist als eine Laus.") und arbeitet die Vorgehensweise mit allen Details heraus. Schließlich findet der Wahnsinn in Form eines Raubmordes seine Verwirklichung. Nicht zuletzt aufgrund der pekuniären Probleme des Protagonisten, wobei er sein Handeln durch ideologische Motive rationalisiert.
Im weiteren Verlauf (der beschriebene Teil ist nur der Anfang) wird einerseits seine Umgangsweise mit dem begangenen Verbrechen, sein intensiver seelischer Konflikt dargestellt, andererseits die Ermittlung der Polizei, die den Schuldigen sucht.
In Folge des Mordes bricht Raskolnikovs physische Vereinsamung zwar auf, geistig fühlt er sich aber völlig abgeschnitten, da er sich niemandem anvertrauen kann. Es ergeben sich verschiedenartige Beziehungen zu anderen Menschen (zB besuchen ihn Mutter und Schwester, die er jahrelang nicht gesehen hat), die alle von enormer Komplexität sind und sich auf mitreißende Weisen miteinander verflechten (Ich will da nichts vorwegnehmen).
So ist "Verbrechen und Strafe" zum einen ein psychologischer Roman, der seinen Charakteren (nicht nur dem Hauptakteur) und zwischenmenschlichen Beziehungen eine ungeheure Tiefe verleiht (wie für Dostojewski typisch) und zum anderen ein ausserordentlich aufregender, mit überraschenden Wendungen durchsetzter Kriminalroman.
Ein interessanter Aspekt der Psychologie Raskolnikovs, der auf fesselnde Weise auf das kriminalistische Katz und Maus-Spiel einwirkt, ist dessen zT auf Schuldgefühlen basierender Wunsch sich zu verraten (eine von Toxoplasma Gondii befallene Maus, könnte man sagen).

Der Roman ist einer der packendsten, die ich bisher die Freude hatte zu lesen. Ich kann viele Bücher empfehlen, dieses ist eines der allervordersten.
Laut Reich-Ranicki sind Dostojewskis Hauptromane, dieser darunter, die größten psychologischen Werke der Weltliteratur. Meine persönliche Übersicht ist noch klein, aber soweit ich kann, kann ich ihm zustimmen.
Jetzt stehen erst ein paar andere Bücher an, aber bald werde ich dann zu "die Brüder Karamasow" greifen, wozu Freud sagte: "Die Brüder Karamasoff sind der großartigste Roman, der je geschrieben wurde, die Episode des Großinquisitors eine der Höchstleistungen der Weltliteratur, kaum zu überschätzen.".

https://www.medimops.de/dostojewskij...riant=UsedGood



Ich habe übrigens, Things Vorschlag folgend, "der Meister des jüngsten Tages" von Leo Perutz gelesen (danke für dafür!).
Zwar hat er mich nicht so begeistert wie Perutz´ schwedischer Reiter, aber eine sehr spannende Geschichte ist es auf jeden Fall.

"Das Werk war für Perutz einer der größten Erfolge bei Publikum und Kritik. Positiv äußerten sich beispielsweise Theodor W. Adorno und Walter Benjamin. Jorge Luis Borges nahm den Roman in seine Reihe großer Kriminalromane des 20. Jahrhunderts auf. Perutz selbst hielt nicht viel von dem Werk, bezeichnete es einmal gar als „Bockmist“." (haha)

Ich bin auf der Seite Adornos, Benjamins und Borges´.

Geändert von Amerdi (29.08.2017 um 18:46 Uhr)
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Alt 24.09.2017, 18:07   #1473
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Ich habe jetzt im Urlaub "Book Elements - Die Magie zwischen den Zeilen" (Band 1 einer Trilogie) von Stefanie Hasse gelesen und war fast sofort hin und weg, obwohl ich mich mit Fantasy noch nicht sehr viel beschäftigt habe. Ich fand das Buch in einer Buchhandlung in der Jugendbuch-Abteilung, in der ich stöberte, um zu sehen, was da angeboten wird (da ich selbst eine Geschichte für Jugendliche in Fortsetzungen geschrieben habe, hat es mich sehr interessiert, wie andere Autoren das angehen).
Also es geht um Fantasy, (um Luft-, Feuer-, Wasser-, Erde-Elementare, darum, dass Romanfiguren von Lesern Leben eingehaucht wird - allein die Idee ist schon genial), ist aber gleichzeitig eine Liebesgeschichte. Die Autorin erzählt so mitreißend, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen könnte und das passiert mir mittlerweile sehr, sehr selten.
Am Ende des Buches schreibt die Autorin, dass sie hofft, "euch gut unterhalten zu haben". Das hat sie bei mir auf alle Fälle geschafft und ich finde diese Aussage das größte Kompliment für einen Autor.
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Alt 01.10.2017, 16:12   #1474
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American Caesar: Douglas MacArthur 1880 - 1964 - William Manchester



Ganz zweifelsfrei die beste Biographie über Gen. MacArthur, die man derzeit lesen kann; die "beste Biographie" in dem Sinne, dass es Manchester gelingt, ohne moralische oder sonst wie geartete Vorurteile, ohne Romantisierung oder Dämonisierung, ein lebendiges Porträt MacArthurs zu zeichnen. Ich kann mich einigen Amazon-Rezensenten dahingehend nur anschließen, dass insb. der Konflikt zwischen Truman und MacArthur während des Koreakrieges hervorstechend herausgearbeitet worden ist.

The General vs. the President: MacArthur and Truman at the Brink of Nuclear War - H.W. Brands



Brands' Biographie über Roosevelt - Traitor to his class - hatte ich bereits seit längerem "auf dem Radar". Als ich dann dieses Buch von ihm - die Taschenbuchausgabe konnte ich, im Gegensatz zu Amazon (welches die Taschenbuchausgabe erst in zwei Tagen liefern kann), bereits in meinem Stammladen kaufen - entdeckt habe, habe ich mich, auch im Lichte der jüngsten Ereignisse in Asien, zum Kauf dieses Buches entschlossen. Brands beschränkt sich allerdings nicht, wie der Titel seines Werkes vielleicht vermuten lässt, auf den Konflikt zwischen MacArthur und Truman, sondern zeichnet ein Gesamtbild der Periode und platziert "MacArthur vs. Truman" in jenem Kontext; die Darstellung dieser Verbindungen macht die Handlungen der Protagonisten wie auch der vermeintlichen Antagonisten wesentlich verständlicher - etwas, dass bei der Bewertung sowohl Trumans als MacArthurs oder sogar Joseph McCarthys oftmals schmerzlich vermisst wird.
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Alt 01.10.2017, 22:54   #1475
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Standard das ungeliebte Mädchen Misskaella

Seeherzen - von Margo Lanagan



https://www.buch-boutique.de/taschen...seeherzen.html




Ich möchte euch dieses wunderbare Buch ans Herz legen.
Mich hat es verzaubert.
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Alt 31.10.2017, 18:54   #1476
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Vor ein paar Wochen habe ich den Bildungsroman (nicht von dem Wort abschrecken lassen!) David Copperfield von Charles Dickens ausgelesen, der diesen als das ihm liebste Kind seiner Fantasie bezeichnete: 'But, like many fond parents, I have in my heart of hearts a favourite child. And his name is David Copperfield'.
Die Geschichte des starke autobiographische Züge tragenden Werks ist im viktorianischen England angesiedelt und hat das wechselvolle Leben des titelgebenden Helden zum Thema, das uns ich-perspektivisch von ihm selber, darauf zurückschauend, erzählt wird.
Wie für Dickens bezeichnend gibt es eine Fülle ungeheuer markanter Charaktere, die sich mir mit ihren spezifischen Merkmalen und typischen Verhaltensweisen tief einprägt haben. Natürlich erinnere ich mich vorallem gern an die sympathischen, mit ihren liebenswürdigen Eigentümlichkeiten und lustigen Marotten (ich nenne nur Peggottys abknallende Knöpfe und Micawbers Briefeschreiberei), aber die unliebsamen und zT wahrhaft abscheulichen sind nicht weniger eindrücklich geschildert.
Schon allein die Figuren machen den Roman lesenswert.
Man entwickelt eine sonderbar enge Vertrautheit mit ihnen, was sich zB zeigt wenn D.C., bei einem Wiedersehen mit jemandem, mit dem er über lange Spannen des Textes keinen Kontakt hatte (die recht hohe Seitenzahl ermöglicht größere Abwesenheiten), Eigenarten an dieser Person wahrnimmt, die ihn an frühere Zeiten, an bestimme Erlebnisse erinnern, und man sich bewegt miterinnert. Das ist mühelos möglich, weil die Details der Charaktere so eingängig sind.
Die Charaktere treten auf unterschiedlichste Weise zueinander in Beziehung und in ihrem Erscheinen, Verschwinden und oftmals unerwarteten Wiedererscheinen flechten sie immer wieder neue, interessante, überraschende Fäden in das Netz der Beziehungen ein, woraus eine vielschichte Handlung erwächst, deren ineinandergreifende und, auch für sich allein genommen fesselnden Stränge (beinahe) alle in ein befriedigendes Ende auslaufen.

David Copperfields Biografie (diese Betitelung bitte nicht falsch verstehen) hat viel großen, ernsten Schmerz und Unglück in sich (zT wird, finde ich, auch etwas zu viel geweint) in der Darstellung von Tod und Verlust, Einsamkeit, enttäuschtem Vertrauen, häuslicher Gewalt, auch Kinderarbeit der industriellen Revolution, grausamen Schulmethoden, etc, doch trotz der Tragik ist für mich der Grundton des Buchs ein heiterer, hoffnungs- und humorvoller, auch ein mitfühlender und menschlicher.
Man spürt Dickens tiefe Humanität und sie hat etwas sehr Wohltuendes.

Dass ich es wärmstens empfehle, versteht sich von selbst.


Ich will noch ein paar Sachen zu den Büchern sagen, die ich danach gelesen habe (versuche mich eher kurz zu fassen, aber das könnte hier und dort in die Hose gehen...)

Yasushi Inoue - Das Jagdgewehr
Ein Dichter veröffentlicht ein lyrisches Werk in einer Jagdzeitschrift, weil ihn ein Freund darum bittet. In dem Poem, "das Jagdgewehr" betitelt, geht es um einen Jagdmann, den der Verfasser am Rande eines Berges gesehen hat. Später bereut er es, weil er findet, dass sein Gedicht nicht zum sonstigen Ton der Zeitschrift passt. Er erwartet ablehnende Leserbriefe. Stattdessen kommt eines Tages der Brief eines Mannes, der angibt eben jener mit dem Jagdgewehr gewesen zu sein, den das Gedicht behandelt.
In Form von drei Briefen, den Abschiedsbriefen dreier Frauen (seiner Frau, seiner Geliebten und deren Tochter) will er dem Dichter, von dem er sich tief erkannt fühlt, den Eindruck der Einsamkeit und Stille erklären, die dieser in seinen Versen eingefangen hat.

Die Erzählung ist ein Klassiker der modernen japanischen Literatur.
Sehr gefühlvoll, poetisch und leise erzählt. Hat mir ausserordentlich gut gefallen.


Alfred Döblin - Berlin Alexanderplatz
Das Buch, das neben Ulysses von Joyce und Manhatten Transfer von Dos Passos zu den bedeutenden Großstadtromanen der Weltliteratur gehört behandelt das im Berlin der 1920er Jahre angesiedelte Leben von Franz Biberkopf, der frisch aus dem Gefängnis entlassen ein anständiger Mensch werden will.
Berlin selber ist ebenfalls Protagonist des Romans und parallel zu und anhand von Franz Biberkopfs ereignisreichem Rehabilitationsversuch wird hier ein Portrait dieser damals schon knappe vier mio Einwohner habenden Großstadt gezeichnet, allerdings weniger auf die funkelnden Facetten der 20er fokussiert als auf die dunklen.

Ich missbillige an diesem Buch einiges.
Vorallem die erste Hälfte zieht sich und ist oft nervig.
Was mich konkret stört sind bspw die endlosen Wiederholungen von Bahnstreckenhaltestellen und ähnlichem, das ständige plötzliche Einwerfen von Reklamesätzen (speziell die krampfhaften, misslungenen Versuche lustig damit zu assoziieren), die dauernd in den Text eingestreuten unbeholfen und dümmlich wirkenden Reime, das Aneinanderreihen von Zahlen (im Schlachthaus sind 12938 Rinder, 2398 Schweine, 234 Hühner, 23749 Schafe... und dann wird ein paar Seiten später der gleiche Stuss nochmal aufgezählt). Ich weiß, dass das damals avantgardistische Erzähltechniken (Montage usw) waren, mit denen die komplexe Realität der modernen Metropole in den Griff bekommen werden sollte. Aber es liest sich schlichtweg grauenvoll, besonders wenn man gerne ein Buch ganz aufnehmen und nicht ständig mehrere Zeilen überspringen will.
Bei mir hatte es auch den Effekt, dass ich bis zur Hälfte keine wirkliche Beziehung zum Biberkopf aufgebaut habe, daher Probleme hatte von seinen Erlebnissen berührt zu werden. Auch die aufdringliche mythologische Ebene empfinde ich als unpassend und öde. Kann natürlich Geschmackssache sein...
All das bedeutet nicht, dass es bis zur Hälfte keine gelungenen Darstellungen
des Stadtlebens, keine spannende Handlung um Biberkopf gibt, sonst hätte ich garnicht weitergelesen. Ich wurde aber oft herausgeworfen.
In der zweiten Hälfte hat mich das Buch dann doch sehr gepackt. Vielleicht weil die nervigen Elemente weniger wurden, vielleicht weil ich mich etwas darauf eingestellt habe, das weiß ich nicht (vermutlich beides).
Jedenfalls wurde ich dann sehr in das Leben Biberkopfs hineingesogen und mitgerissen. Viele spannende Verwicklungen, Beziehungen, Charaktere und Szenen (zB, für die, die bescheid wissen, die Stelle als Reinhold im Bett liegt und lauscht. Was für eine Passage und wie sie sich aus der Geschichte ergibt! Überhaupt sind die Figur des Reinholds und seine Beziehung zu Franz ungeheuer fesselnd).
Trotz der vielen Kritikpunkte hat sich die Lektüre daher für mich gelohnt.

Eine kleine Anmerkung noch:
Döblin war eine enorme Inspirationsquelle für Günter Grass und ich möchte behaupten, dass vieles Schlechte, das Günter Grass an sich hat, von Alfred Döblin kommt. Hätte Grass Döblin nicht gelesen, wäre die Blechtrommel vielleicht 200 Seiten dünner und besser geworden. Das ist etwas polemisch gesagt und ganz so arg mein ichs natürlich nicht.
Aber wer die Blechtrommel liest und dann Berlin Alexanderplatz, wird merken, dass beide Bücher nicht wenige Passagen enthalten, die auf sehr ähnliche Weise nervig sind. Oder ansprechend, je nach Geschmack.


Edgar Allan Poe - "der umständliche Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket" (1838)
Kurz und knapp: Ein wunderbarer Abenteuerroman (der einzige Roman, den Poe verfasst hat), mit geheimnisvollen und phantastischen Elementen, der eine Schiffsreise in Richtung des damals noch unbekannten Südpol in Form eines Reiseberichts darstellt.


Jules Verne - "die Eissphinx" (1879)
Verne war ein glühender Poe-Verehrer und hat mit der Eissphinx eine Fortsetzung des umständlichen Berichts des Arthur Pym geschrieben.
Das Buch ist aus der Perspektive des reichen Amerikaners Herr Joerling geschrieben, der, um von einer ihn anödenden Inselgruppe (Kerguelen) fortzukommen, sich eine Mitfahrgelegenheit auf dem ersten, nach dem Winter einlaufenden Schiff verschafft. Er will zu einem anderen Archipel (Tristan da Cunha) gebracht werden, an dem die Halbrane, so heißt der Schoner, einen weiteren Halt einlegen wird.
Dann allerdings stellt sich heraus, dass der Kapitän, ein kompetenter Seefahrer namens Len Guy, den 1 Jahr vorher erschienen Poe-Roman für einen wirklichen Bericht hält und diesem aus bestimmten Gründen nachspüren will. Der zunächst irritierte Joerling gerät in ein Abenteuer.

Nicht weltbewegend, aber hat mir Spaß bereitet!


Plutarch - Alexander/Caesar
Ich könnte viel zu dieser Doppelbiographie sagen, will mich aber, wie gesagt, kurz halten. Vielleicht greife ichs nochmal auf.

Plutarch hat es verstanden Menschen schriftlich lebendig zu machen. Er war ein Seelenspeleologe, der sich in den Kopf des Beschriebenen hineinversetzte und dessen Wesen erfassen wollte. Wer ein Gefühl für die Persönlichkeit Alexanders des Großen und Caesars haben will, der lese also dieses Buch.
Neben den eindrücklichen Portraitzeichnungen, in denen der Charakter des Modells oft durch persönliche Anekdoten greifbar gemacht wird, wird auch ein genereller Eindruck der Zeit und ihrer Mentalität gegeben. Im Vordergrund steht allerdings stets die einzelne Person, weshalb Plutarch sagte, er sei kein Historiograph, sondern ein Biograph.
Bei all dem Interesse an der Psychologie, an der Wesensart des Individuums ist es kein Wunder, dass Nietzsche ein großer Verehrer Plutarchs war und ich möchte mich dessen Empfehlung anschließen: "Sättigt eure Seelen an Plutarch"
Achja - Plutarch ist witzig!

Für mich sind diese alten Schriften aus tausend Gründen faszinierend.
Einer ist, dass sich in ihnen die "menschliche Natur" oft ohne den Deckmantel der Gewöhnung zeigt. So zeigen sich einem auch menschliche Verhaltensweisen ohne diesen Deckmantel und offenbaren sich dadurch in ihrer ganzen Absurdität. Für mich ist das stets ungeheuer lehrreich und lustig.
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Alt 06.11.2017, 20:52   #1477
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Standard Das Buch in dem die Welt verschwand



Die Lektüre, die mir die graue Langeweile der Novembertage nimmt.
Auch ich kann in diesen Zeilen verschwinden.

Lest nur hinein, wenn ihr mutig genug seit, in diese spannende vielschichtige Erzählung einzutauchen.
Unar die Weise ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.11.2017, 04:25   #1478
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Ich bin gerade dabei, den Hexer von Edgar Wallace zu lesen.
Wirklich fesselndes Buch, kann ich nur empfehlen!

(Nebenbei noch Maria Stuart von Schiller - mehr oder minder unfreiwillig. Danke, Schule.)
Skaylar ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.11.2017, 09:08   #1479
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Zitat:
Zitat von Skaylar Beitrag anzeigen
Nebenbei noch Maria Stuart von Schiller - mehr oder minder unfreiwillig. Danke, Schule.)
Spannender Stoff. Ich kenn das Stück zwar nur oberflächlich, aber der Vergleich mit der wahren Historie macht die Sache fesselnd. Da es um Theater geht, das vom Dialog lebt, musste Schiller Mary Stuart und Elisabeh zusammenbringen, obwohl sie sich nie im Leben begegneten. Der Schottin gelang es, Elisabeth in tiefe Gewissenskonflikte zu stürzen, denn es galt damals noch als schändlich, eine Königin oder einen König hinrichten zu lassen. Dennoch sah Elisabeth keinen anderen Ausweg.

LG
Ilka
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Alt 16.11.2017, 20:29   #1480
wolfgang
 
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Von James Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt.

Ich schwanke zwischen Neugierde und Enttäuschung. Frey erzählt viel über Gustav Freytag und wie toll der ist und was für ein gutes Buch über Dramatik der geschrieben hat.

Da frage ich mich, wenn der Freytag so toll ist, warum hat dann Frey selbst eines geschrieben? Freytag reicht ja dann wohl aus ...
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Alt 17.11.2017, 13:40   #1481
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Zitat:
Zitat von wolfgang Beitrag anzeigen
Da frage ich mich, wenn der Freytag so toll ist, warum hat dann Frey selbst eines geschrieben? Freytag reicht ja dann wohl aus ...
Ich widerspreche: Nein, das reicht nicht aus. Wer will sich schon ein einziges Vorbild nehmen, weil es super schreiben kann (worüber die Meinungen in der Regel auseinandergehen), statt den eigenen Stil zu finden?

Die Einführung in die Kunst des Schreibens ist etwas anderes, als einen Roman zu schreiben. Wer letzteres tut, macht es etweder aus dem Bauch heraus (worbei es selten gut wird) oder kennt die Regeln des Schreibens bereits (viel Vorarbeit!).

Ich habe drei Bücher von Frey und hätte nicht missen mögen, sie zu lesen ("Wie man einen verdammt guten Roman", Teil 1 und Teil 2, sowie "Die kraft des Mythos"). Teil 1 ist verständlich geschrieben, gut gegliedert und deckt alle wichtigen Aspekte ab. Deshalb ist das Buch für Anfänger absolut geeignet.

Gegliedert ist Teil 1 in "Figuren entwickeln", "Wichtigkeit des Konflikts", "Funktion der Prämisse", "Innerer Zusammenhalt der Story", "Zustreben auf den Höhepunkt", "Erzählperspektiven", "Gute Dialoge", "Überarbeitung des Entwurfs".

Damit sind alle wichtigen Aspekte berücksichtigt.

Beim Lesen von Freys Büchern über kreatives Schreiben sollte dem Leser allerdings bewusst sein, dass Frey als Amerikaner einen Zugang zur Literatur hat, der uns Deutschen oft (zumindest am Anfang) verschlossen ist. Amerikaner lernen kreatives Schreiben bereits in der Schule, fangen also schon früh mit dem Üben an. Sie haben eine weniger hohe Hemmschwelle, Gefühle zu beschreiben, Political Correctness zu ignorieren, Tabus zu brechen oder die Wahrheit einer sensationellen Handlung zu opfern.

Wenn du Freys Handwerk verstehen willst, lies seinen Roman "Tausend kleine Scherben". Es geht um einen Alkoholiker, der eine peinvolle Entziehungskur durchläuft. Ich habe zu diesem Roman eine Reihe von Stellungnahmen Alkoholsüchtiger gelesen, die sich darüber empört haben, was alles an dem Roman nicht stimmt. Trotzdem habe ich ihn fast in einem Zug gelesen. Warum?

Weil er spannend ist. Weil man sich auch als Nichtalkoholiker mit dem Protagonisten identifizieren kann ("Wie grauenvoll, ein Glück, dass mir das nicht passiert!"). Weil man wissen will, ob er es schafft, vom Alkohol loszukommen. Und nicht zuletzt: Weil der Roman mit Dialogen gespickt ist, was ihn sehr lebendig macht.

Es spielt keine Rolle, ob alle Details der Wahrheit oder der Logik entsprechen. Wichtig ist, dass der Leser den Eindruck hat, es könnte alles so gewesen sein, wie es erzählt wird, also dass die Geschichte plausibel rüberkommt.

Wenn dir Frey dennoch nicht zusagt, empfehle ich dir, es einmal mit einem deutschen Autor zu versuchen: Fritz Gesing.

https://www.amazon.de/Kreativ-schrei...40_&dpSrc=srch

Besten Gruß
Ilka
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Alt 19.11.2017, 14:00   #1482
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Zitat:
Von James Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt.
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, das war der Roman, der mir vor einigen Jahren als erstes in die Hände gefallen ist zur Technik des Schreibens und den ich dann so unglaublich langweilig fand. Allerdings hatte ich damals noch nie vorher versucht, nach bestimmten Regeln zu schreiben und glaubte, wenn man Talent hätte, würde das ja wohl reichen und alles andere käme von selbst (mittlerweile weiß ich, dass das Quatsch ist).

Zitat:
Beim Lesen von Freys Büchern über kreatives Schreiben sollte dem Leser allerdings bewusst sein, dass Frey als Amerikaner einen Zugang zur Literatur hat, der uns Deutschen oft (zumindest am Anfang) verschlossen ist. Amerikaner lernen kreatives Schreiben bereits in der Schule, fangen also schon früh mit dem Üben an. Sie haben eine weniger hohe Hemmschwelle, Gefühle zu beschreiben, [I]Political Correctness zu ignorieren, Tabus zu brechen oder die Wahrheit einer sensationellen Handlung zu opfern[/I].
Das ist interessant, vor allen Dingen der letzte Teil.

Ich habe (nicht in poetry.de, sondern in einem anderen Geschichtenforum) schon Kritiken gelesen, die allen Ernstes darauf abzielten, eine Handlung solle man so darstellen, dass z. B. in einem Fast-Mordfall der Angeklagte, wenn es denn zum Mord gekommen wäre, hinterher auf "Totschlag" statt auf "Mord" plädieren könnte. (Wie kann man auf eine solche Idee kommen? Ist mir schleierhaft.) Im Prinzip wollte der Kritiker damit wohl sagen, dass man an der Wahrheit sozusagen kleben sollte. Sehe ich aber nicht so und ich wüsste auch gern, ob es dazu eine Regel gibt ... wohl kaum, denke ich.

Andererseits fällt mir da wieder meine Tina-Geschichte und Wills Beinbruch ein, wo mir gesagt wurde, dass Geschichten plausibel sein müssten (da in meiner Geschichte niemand einen Krankenwagen gerufen hat, bis Tina auf den Sportplatz kam). Gibt es dazu ein Buch, das sich mit der Thematik befasst (wie nah muss man beim Schreiben an der Wahrheit bleiben?)? Würde mich interessieren.

LG DieSilbermöwe
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Alt 20.11.2017, 10:02   #1483
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Andererseits fällt mir da wieder meine Tina-Geschichte und Wills Beinbruch ein, wo mir gesagt wurde, dass Geschichten plausibel sein müssten (da in meiner Geschichte niemand einen Krankenwagen gerufen hat, bis Tina auf den Sportplatz kam). Gibt es dazu ein Buch, das sich mit der Thematik befasst (wie nah muss man beim Schreiben an der Wahrheit bleiben?)? Würde mich interessieren.
Zu derartigen Details ist mir kein Buch bekannt, aber man könnte ja mal ein Essay darüber schreiben.

Im Grunde ist das aber nicht nötig, denn die Sache ist einfach und von mir auch schon mehrfach erklärt worden: Eine Handlung muss nicht "wahr" sein, aber sie muss für den Leser plausibel sein.

Dieses Prinzip kann vor allem an Science-Fiction- oder Fantasy-Geschichten festgemacht werden: Im realen Leben ist es "unwahr", nämlich unmöglich, dass ein Mensch, der als vermeintlich tot auf dem Mars zurückgelassen wird, nach seinem Erwachen aus dem Koma allein überleben kann, indem er in einem Raum mit künstlicher Atmosphäre Kartoffeln anbaut. Innerhalb der engen, eigens für die Geschichte vom Autor geschaffenen Welt, in der sich der Astronaut wochenlang bewegt, ist es jedoch möglich.

Anderes Beispiel: In "Die unendliche Geschichte" wird Bastian in ein Buch hineingezogen und nimmt aktiv am Geschehen teil. Das geht an der Realität unserer Welt völlig vorbei, aber in Bastians Welt passiert es einfach. Ist eine Kunstwelt vom Autor erst einmal geschaffen, muss die Geschichte jedoch innerhalb dieser Welt plausibel sein, d.h., der Autor darf keine unlogischen Handlungen erfinden, die Störgefühle erzeugen.

Es wäre beispielsweise unlogisch gewesen, wenn in "Der Marsianer" der Astronaut Kartoffeln angebaut hätte, der Autor jedoch vergessen hätte, sich über die Gewinnung des dringend notwendigen Wassers zu kümmern. Der Autor muss zwingend eine Lösung für dieses Problem bereitstellen. Natürlich ist auch erklärt, woher die Kartoffeln stammen, nämlich aus den mitgeführten Vorräten der zurückgelassenen Raumschiffteile.

Über "Wahrheit", "Plausibilität" und "Logik" könnte man in der Interessengemeinschaft "Kreatives Schreiben" diskutieren, denn das würde in diesem Faden hier zu sehr ausufern.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.11.2017, 13:17   #1484
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Gute Idee. Ich werde einen entsprechenden Faden dort aufmachen.
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Alt 27.11.2017, 08:01   #1485
weiblich DieSilbermöwe
 
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Ich lese gerade "Kinder der Eifel" von Clara Viebig (Novellen). Ich habe diese Autorin schon früher bewundert. Sie verwebt eigentlich Alltägliches auf so meisterhafte Art mit dem Erleben der Figuren, dass man als Leser mitgerissen wird. Da ich aus der Nähe der Schauplätze stamme, macht es doppelt Spaß zu lesen und die in Platt gehaltenen Dialoge, (zumindest in der ersten Novelle "Samson und Delilah", weiter bin ich noch nicht) sind für mich auch kein Buch mit sieben Siegeln, für jemand, der das nicht kennt, allerdings vielleicht schon.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
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