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Alt 16.08.2017, 19:03   #1
wolfgang
 
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Beiträge: 223


Standard Was ich bei der Caritas, als Ein-Euro-Jobber, erlebte

Anfang der Nuller Jahre unseres Jahrhunderts war ich als „Ein-Euro-Jobber“ bei der Caritas angestellt. Meine Aufgabe bestand darin, Möbel und Haushaltsgeräte, wie etwa Trockner, aufzubereiten, damit sie verkauft werden konnten.

Wie es bei der Caritas zuging, verrät folgende Geschichte, die ich höchstselbst erlebt habe.

Unser Vorarbeiter, ein dicker Herr mit Vollbart, meinte es immer gut mit uns. Er legte Wert darauf, dass wir unsere Arbeit erledigten, standen wir danach in einer Ecke, rauchend und schwatzend, tat er, als sehe er nichts; war aber die Arbeit noch unerledigt, durften wir uns keine Bummelei erlauben. Anders hingegen sein Vorgesetzter. Er reichte unserem Vorarbeiter nur bis zur Brust; was ihm aber an Körpergröße abging, ersetzte er durch Lautstärke und wildes Armgefuchtel. Man konnte ihn schon vom anderen Ende des Lagers hören. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn je unaufgeregt erlebt zu haben. Er war das genaue Gegenteil unseres Vorarbeiters.

Einmal mussten wir einen massiven Schrank abholen, der aus Eiche gebaut war. Es war ein Monster, für das wir zehn Mann brauchten, so schwer war er. Das Gewicht indessen hat uns weniger Kopfweh bereitet. Es war vielmehr der Umstand, dass wir keinen Kratzer oder gar Dellen in das Holz machen durften. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie der Chef, dieses Rumpelstilzchen, toben konnte. Aber selbst unser Vorarbeiter reagierte dann sauer. Allerdings tobte er nicht. Er scheuchte uns stattdessen den ganzen Tag im Lager umher und fand immer irgendeine Arbeit, selbst wenn sie total sinnlos war, etwa: Möbel vom einen Ende des Lagers ans andere umzustellen und wieder zurück. Das konnte er ohne Skrupel und hatte sichtlichen Spaß dabei. Erst wenn er sah, dass wir erschöpft stöhnten, sagte er schadenfroh: „Überlegt euch vorher, ob ihr wieder einmal Möbel zerkratzt!“

Wir holten also den Schrank, bei einem Verstorbenen ab, der ihn der Caritas vermacht hatte. Als wir ihn aus dem vierten Stock, heil durch den engen Hausflur, in den Lkw transportiert und ihn ebenso unbeschadet im Lager abgestellt hatten, atmeten wir erleichtert auf. Was sollte jetzt noch passieren? Richtig: Das Rumpelstilzchen lief uns über den Weg.

„Steht nicht so faul rum! Möbel verkaufen sich nicht von allein. Ihr stellt den Schrank jetzt noch in den Verkaufsraum. Lasst euch von dem Verkäufer sagen, wo er am Besten stehen soll. Auf! Auf! Ihr seid hier zum Arbeiten!“

Durch ein großes Tor, dass das Lager mit dem Verkaufsraum verband, schleppten wir also unseren Schrank zum Verkäufer, ein hagerer Bursche mit Vollglatze und Schnurrbart, der immer „Nä!“ sagte.

Als er uns kommen sah, lachte er schon und meinte: „Ihr wollt jetzt sicher wissen, wohin ihr dieses Ungetüm hinbringen sollt – nä!“

Ja, nach dieser Antwort begehrte es uns.

„Puh!“, sagte er, stütze seine Hände an den Hüften ab und überlegte. Der Verkaufsraum stand voller Möbel. Da kam unser Vorarbeiter. „Sucht ihr Platz?“, fragte er.

Wir nickten. Er sah sich kurz um und meinte, stellt ihn einfach zu den anderen Schränken, und dann macht Pause, ihr habt es euch verdient.“

Und der Verkäufer: „Ist mir recht. Hauptsache, mir steht nix im Weg – nä!“

Also hoben wir den Schrank an, trugen ihn vorbei am Verkäufer, und stellen ihn ab in die Nähe der anderen Schränke, aber so, dass man noch zwischen ihnen umhergehen und sie von allen Seiten besichtigen konnte. Und es war auch genügend Platz zwischen der Kasse und den Schränken - und! Und der Schrank hatte nicht den Hauch eines Kratzers! Was konnte jetzt noch passieren? Richtig, es erschien das Rumpelstilzchen. Schnurstracks lief er auf uns zu, als habe er uns eben beim Diebstahl erwischt:

„Was soll der Schrank hier? Ihr seht doch, dass alles verstellt ist. Schafft den Schrank woanders hin. Ihr denkt wirklich keinen Meter weit. Hauptsache Pause im Kopf. An die Arbeit! Auf! Auf!“ Sprach `s und lief davon.

Der Verkäufer sah uns mitleidig an. Dann überlegte er. „Eigentlich ist nirgendwo mehr Platz, nä!“ Er drehte sich nach allen Seiten und sagte immer bloß: „Ts! Ts! Ts!“

Wir nahmen alles stillschweigend hin, Hauptsache der Tag ginge bald vorüber.

Der Verkäufer lief ans andere Ende des Raums, vorbei an der Kasse und den Teppichen, bis er an die Ecke kam, wo Tische und Stühle ihren Platz hatten. Dann kam er zurück und sagte: „ Stellt ihn einfach zu den Tischen und Stühlen, da gehört er zwar nicht hin, aber da ist jedenfalls mehr Platz, nä!“

Also hoben wir das Monster, kamen glücklich an der Kasse vorbei und – plumps, einer stolperte über seine Füße, fiel auf einen Zweiten – und mit Scheckensschreien kippte der Schrank und landete auf seine eigene Tür, die aufgegangen war, und aus den Scharnieren brach.

Ich dachte nur: „Warum? WARUM? WARUM??????“

Der Verkäufer sah uns bleich an. Wir sahen denjenigen an, der gestolpert war und der sah in die Luft, als ginge ihn das alles nichts an.

Sofort kam auch – nicht das Rumpelstilzchen – aber unser Vorarbeiter. Mit Schrecken dachten wir an seine Drohung zurück, jedoch blieb er auffallend ruhig. „Was ist passiert?“ Wir erklärten es ihm. „Ja“, sagte er, „das passiert. Ihr hattet auch keine Pause.“ Dann hieß er uns den Schrank aufstellen. Als er den Schaden begutachtet hatte, sagte er: „Sieht schlimmer aus als es ist. Das kann ich reparieren.“

Erleichtert atmeten wir auf.

„Noch mal Glück gehabt – nä!“ Auch der Verkäufer hatte jetzt wieder mehr Farbe im Gesicht. Doch wie auf Kommando erschien der Vorgesetze, und als er den Schaden sah, kam er näher. Wir stellten uns schon auf ein großes Donnerwetter ein, aber er blieb seltsam ruhig.

„Ich kann das reparieren“, sagte unser Vorarbeiter.

„Es war ein dummer Unfall“, sagte der Verkäufer, „ich kann das bezeugen, nä!“

Wir schwiegen. Da sagte das Rumpelstilzchen zu uns: „Wisst ihr was, wir haben für Schränke eh kaum Platz. Schmeißt ihn weg!“ Sprach` s und lief einfach fort.

„Ihr habt ihn gehört“, sagte unser Vorarbeiter und trollte sich ebenfalls.

Ich wandte mich an den Verkäufer: „Das ist nicht der erste Schrank, den wir wegschmeißen. Wird das nicht langsam zu teuer?“

„Ach ne, das sind alles Spenden. Wen kümmert` s, was auf dem Müll landet – nä!“

So war das Unglück gnädig mit uns gewesen und wir hatten auch diesen Tag heil überstanden.
wolfgang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.08.2017, 21:43   #2
männlich dr.Frankenstein
 
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Gab es nie einen Aufruhr bei euch?
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.08.2017, 15:17   #3
männlich Gemini
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Von mir kriegt keine NoGO Kohle.
Wenn, gebe ich es einem Penner direkt in die Hand.
Ich unterstütze doch keine Maschine die mein Land mit Flüchtlingen zuschüttet für den Profit.
Genauso wie Humana.
Ich hatte mal eine Freundin die dort gearbeitet hat. Alles nur Ausbeuter die mit der Gutmütigkeit und dem Leben der Menschen spielen, wie eben auch im Mittelmeer.
Die größten Kotzbrocken.
Soros Merkel Partie.

Widerlich

Gem
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Alt 17.08.2017, 21:49   #4
wolfgang
 
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Hallo Leute,

danke für die Kommentare. Leider war damals so, dass wir vom Arbeitsamt gezwungen worden sind. Wer nicht wollte, galt als "Arbeitsverweigerer" und bekam Leistungskürzungen.

Auch während der Zeit, bei der Caritas, gab es welche, die sich beschwert haben und sogar gegangen sind. Aber auch die hatten damit keinen Erfolg. Es hieß dann nur: Seid froh, dass ihr überhaupt Arbeit habt.

Dazu sei erwähnt: Dass ich damals Arbeit hatte, aber mein Vertrag ist nicht verlängert worden. (Scheinbar war ich meinem Arbeitgeber zu teuer und er wollte lieber billigere Mitarbeiter haben!) So stand ich also vor der Tür. Doch auch während meiner Caritas-Zeit habe ich mich weiter beworben. Von "asozialen Schmarotzern" wie es noch heute gern in Zeitungen heißt, kann keine Rede sein. Wenn hier einer schmarotzt hat, nämlich von staatlichen Zuschüssen, weil er ja "Arbeit vermittelt", dann dürft ihr raten, wer das war. Es hat übrigens KEINER eine Stelle bekommen, die durch die Caritas vermittelt worden ist. Die haben sich nämlich keine Mühe gegeben.

Ob das noch heute so ist, weiß ich nicht, da ich mit dem Laden nie mehr zu tun hatte.

Bis dann!

Wolfgang
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Alt 17.08.2017, 22:07   #5
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Beiträge: 1.297


Keine Macht dem Faschismus.
Zumindest war Orban so klug die NoGOs aus seinem Land rauszuwerfen.
Wir sind noch nicht so weit wegen unserer ewigwährenden Schuld.
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Alt 19.08.2017, 09:36   #6
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
. Aber selbst unser Vorarbeiter reagierte dann sauer. Allerdings tobte er nicht. Er scheuchte uns stattdessen den ganzen Tag im Lager umher und fand immer irgendeine Arbeit, selbst wenn sie total sinnlos war, etwa: Möbel vom einen Ende des Lagers ans andere umzustellen und wieder zurück. Das konnte er ohne Skrupel und hatte sichtlichen Spaß dabei. Erst wenn er sah, dass wir erschöpft stöhnten, sagte er schadenfroh: „Überlegt euch vorher, ob ihr wieder einmal Möbel zerkratzt!“
Interessante Erzählung. Es ist immer wieder erstaunlich, zu sehen, wie schnell manche Menschen sich zu Sadisten entwickeln, sobald sie Macht über andere haben.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.08.2017, 11:38   #7
männlich dr.Frankenstein
 
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Beim DRK wars nicht so, um mal was vorzubringen. Da hab ich mal Arbeitsstunden gemacht. Es liegt ja, wie Silbermöwe sagt, immer an den Menschen die dort sind.
Und ob jemandem der Chefposten zu Kopf steigt. Es ist ein schmaler grad über andere zu bestimmen.
Manche sind da Wie Hühner, nach oben kuscheln und nach unten hacken.
Als ich beim DRK war, war grade die Flut in Dresden und Kressner hat alles aus einem Laden gespendet. Das haben wir zum trocknen ausgelegt und ich konnte mir ne ganze Ausstattung von Klamotten aussuchen(die von den trockenen unbeschädigten). Kostenlos shoppen,
manchmal war viel zu wenig Arbeit..

Es gibt überall schwarze Schafe, die Tafel find ich auch eine gute Idee, auch wenn der Chef von Hamburg sich einen Maserati von Einkünften gekauft hat.
Nicht jeder traut sich zu Kontainern.
Und warum sollen Harz 4 Schmarotzer sein?
Das System ist doch so gemacht, das ist die größte Errungenschaft unserer Zeit, dass nicht nur Reiche vom nichts tun leben können.
Wenn unser System auch sonst nur alles zerstört, haben wir im Punkt friedlichkeit viel erreicht.
In anderen Ländern sind die sogenannten Schmarotzer gute Schutzschilde und Dienstboten der Mafia. Oder anderen Terror Herren....
Hier sind sie so gut wie friedlich,
wenn keine Schmarotzer gewollt wären bräuchten wir ja wieder eine Art Sozialismus in der die Arbeit auf alle verteilt wird.
Aber die Menschen lieben immer die Narzissten, die können sie so schön manipulieren.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.08.2017, 16:38   #8
wolfgang
 
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Hallo Leute,

es ist immer wieder interessant, wie unterschiedlich doch Erfahrungen sein können. Aber genau das ist ja der Quell für Geschichten. Ich kann nur jeden ermuntern, seine Erlebnisse aufs Papier zu bringen.

Sadisten habe ich oft erlebt. Darüber werde ich auch noch Geschichten schreiben. Für mich sind solche Typen einfach nur arme Würstchen. Manche, die ich näher kennen gelernt habe, hatten zu Hause nichts zu melden, aber kaum waren sie im Büro - dann gingst aber rund! Dann waren sie Chefs oder Abteilungsleiter oder Chefsekretärin usw. und das ließen sie andere fühlen.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich werte so ein Verhalten schon lange nicht mehr. Stattdessen machen ich mir Notizen und beschreibe es in Geschichten, das finde ich interessanter.

Bis dann!

Wolfgang
wolfgang ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.08.2017, 06:59   #9
männlich talking head
 
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Deine Geschichte aus dem großen Bereich der Gemeinnützigkeit ist interessant, Wolfgang. Ich greife mal ein Beispiel für eine institutionelle Betrachtung raus:
Hatten neue, gebrauchte Küche gekauft, die alte, noch brauchbar, musste weg. Für 280 EUR bei ebay eingestellt, kein Interesse. Großen institutionellen gemeinnützigen Trägern angeboten; Ergebnis: es meldete sich eine Mitarbeiterin "im Auftrag der Verkaufsleitung: unsere Kosten betragen 400 EUR, für die Geräte geben wir 200; für 200 EUR holen wir die Küche bei Ihnen ab."
Hatte das Gefühl, mit einem multinationalen Konzern zu telefonieren. Auf der Internetseite 9 Logos von Unterstützern von der EU bis zu Verwaltungen alles vertreten, steuerbegünstigt. Der Markt der Gemeinnützigkeit und Stiftungen aller Art ist riesengroß, manch einer ist verwöhnt und hat seine kleinen Anfänge längst vergessen.
Ach ja, abgeholt hat die Küche eine neue, kleine Flüchtlingsinitiative. Es kamen zwei Syrer, arbeiteten sorgfältig und zügig. Beide nutzten die Arbeit für Spracherwerb, lernten Lüsterklemme, Telefonzange, Seitenschneider, fragten mich ein Loch in den Bauch. Als alles weg war, gab's Tee. War ein schöner Tag.
talking head ist offline   Mit Zitat antworten
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