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Alt 16.05.2007, 02:36   #1
stephchaos
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 20


Standard Grauer Mercedes

Womöglich beobachteten sie Alfred, wie er allein im Pförtnerhäuschen sich einen anpichelte. Im Fernsehen lief auf 22 schwarz-weißen Programmen wieder mal nix Gescheites, und er hatte schon ein Drittel der Flasche leergezogen, als ein grauer Mercedes vorfuhr. Darinnen saßen Zigarren schmauchend die Eminenzen mit Sonnenbrillen auf ihren Koksnasen. Alfred wünschte einen schönen Guten Morgen, erhielt aber keinen Gruß zurück. Er drückte auf den grünen Knopf, und die Schranke ging hoch. Der Mercedes fuhr aufs Sperrgelände. Er sah die roten Rücklichter im Nachtnebel verschwinden. Hier am See wurde es um diese Zeit, kurz vor Morgengrauen, immer sehr neblig.
Aus Langeweile besah er sich nun die anderen Knöpfe neben dem grünen. Er hatte keinen Schimmer, wofür sie gut waren. Bei seiner Einweisung vor 2 Monaten hatten sie nur gesagt: „Der grüne für die Schranke. Und das Telefon für den Fall, daß jemand kommt.“ Mehr brauchte er nicht zu wissen, hatten sie gesagt. Seine Schicht dauerte täglich 14h. von 18:00-08:00 Uhr. Alfred hatte keine Familie (mehr). Die hätte das auch nicht mitgemacht. Aber ihm war es egal, sogar lieber, hier im Pförtnerhäuschen vor der Glotze zu sitzen, als daheim oder anderswo. Er las auch eine Menge. Manchmal schaffte er 400 Seiten in einer Nacht. Es gab nichts zu tun. Die Eminenzen verließen abends gegen 21:00 Uhr das Gelände und kamen morgens gegen 5:00 Uhr wieder zurück ins Sperrgebiet. Ob sie da eine Villa oder ein Forschungslabor stehen hatten, wußte Alfred nicht. Von hier aus konnte man nicht weit in das hügelige Gelände einsehen. Ob es noch andere Pforten gab, wußte er auch nicht. Denn manchmal kamen die Eminenzen nur raus oder fuhren anderntags nur hinein, ohne, daß sie bei ihm vorher „ausgecheckt“ hätten. Entweder taten sie es vor bzw. nach seiner
Schicht. Oder es gab wirklich noch andere Ein- und Ausgänge. Die kürzere Tagesschicht übernahm seit kurzem Margot. An diesem Morgen fragte Alfred sie: „Sag mal, Margot, hast du eigentlich schonmal die Schranke betätigen müssen. „Nein, noch nie“, sagte sie. Und Alfred beschlich ein Verdacht. „Nur einmal das Telefon: Hier wollte ein Briefträger rein und ein anscheinend wichtiges Paket abgeben.“
„Und?“
„Nach meinem Anruf erschien zu Fuß ein Mann im dunkelgrauen Anzug und nahm das Paket entgegen. Ich fand es merkwürdig. Niemand sprach ein Wort. Nicht der Paketdienst-Mann noch der Mann im grauen Anzug. Ich selbst wagte schon gar nicht, etwas zu sagen.“
„Ja, ist schon komisch“, sagte Alfred. „Monatlich kriegen wir super-pünktlich unsere Gehalts-Überweisung, und man weiß eigentlich gar nicht wofür. Fürs vor der Glotze hängen und keine Fragen stellen.“
„Ja, merkwürdig“, meinte auch Margot. Alfred wünschte ihr eine schöne Schicht. „Dann bis heute abend.“
„Ja, bis heute abend“, sagte Margot. Alfred fuhr mit seinem Wagen, der vor dem Zaun neben Margots rotem Fiesta stand, zu sich nach Hause und legte sich schlafen.

Als er abends wieder in das Pförtnerhäuschen trat, saß dort nicht Margot und stickte, sondern zwei Männer in dunklen Anzügen und Sonnenbrillen schritten auf ihn zu, nahmen ihn von beiden Seiten an den Armen und forderten ihn mit sanftem Druck auf, sich zu setzen. Dann setzten auch sie sich. Der eine schräg hinter ihn, und der andere platzierte sich direkt vor ihm auf die Tischplatte leger mit schlenkerndem Bein.
„Was haben sie mit Frau Halwig besprochen, Herr Bukowski?“
„Nichts. Ich habe sie nur etwas gefragt.“
„Was haben Sie sie gefragt?“
„Na, ob sie schonmal die Schranke betätigen mußte.“
„Mußten Sie denn schonmal die Schranke betätigen?“
„Ja sicher, das wissen Sie doch bestimmt. Fast jeden Abend 2x.“
„Fast?“
„Naja, deshalb hab ich Margot, Verzeihung, ich meine Frau Halwig doch gefragt.“
„Wir verstehen nicht.“
„Ich hab sie gefragt, ob sie auch schonmal die Schranke öffnen mußte, weil vielleicht die Emi..., ähm, die Herren, die hier sonst immer rein- und rausfahren, zu spät oder zu früh dran waren. Gibt es eigentlich noch andere Pförtnerhäuschen?“
„Herr Bukowski, wir müssen Ihnen leider mitteilen, daß Ihr Beschäftigungsverhältnis bei uns ausgelaufen ist.“ Alfred wurde mit einem mal still. „Wir danken Ihnen sehr für Ihre bisherige Zuverlässigkeit, aber ab jetzt wird eine automatische Lichtschranke und eine Videokamera die Ein- und Ausfahrten überwachen. Frau Halwig haben wir davon heute morgen schon in Kenntnis gesetzt.“ Alfred wollte noch was sagen, als die Herren aufstanden und um 18:01 zu ihm meinten: „Guten Tag!“
Bukowski setzte sich mißgelaunt und offiziell arbeitslos in seinen grauen Mercedes und fuhr die Seestraßeentlang heimwärts. Das hätten sie ihm auch telefonisch mitteilen können. Schließlich, nur wußten das diese kleinen geschniegelten Spitzel nicht, war er der Chef von dem Laden!
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