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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 21.11.2012, 00:32   #1
weiblich Poetibus
 
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Standard Trennungsschmerzen

Trennungsschmerzen

Das Gänseblümchen, dort am Rand des Weges,
bleibt unbeachtet, niemand sieht es an,
obwohl um es herum doch so viel reges
Getümmel herrscht, von Frau und Kind und Mann.
Mitunter möchte ich zum Wegrand fliehen,
damit ich dem Tumult entkommen kann;
ließ ihn dann ruhig an mir vorüberziehen,
den unbeseelten Zeitgeist, den Tyrann.

Die Rose, dort im vielgepflegten Garten,
sie reckt ihr Haupt in stolzer Pracht empor,
wo viele schon bewundernd, stumm verharrten,
gebannt vom blütenprächtigen Dekor.
Jedoch, ich werde niemals zu ihr gehen,
ganz gleich, wie sehr sie meine Gunst beschwor
mit ihrer Hülle, reizend anzusehen
und kalt, weshalb wohl mancher hier erfror.

Die Feldschwebfliege, dort an einer Aster,
sucht Schutz im gelbgestreiften Tarnungskleid,
fällt so bei Vögeln aus dem Beuteraster,
verursacht ohne Stachel auch kein Leid.
Ach, könnte ich mich nur genauso tarnen,
befreit vom Zwang zu Mut, zu Kampf und Schneid,
stattdessen wäre es genug, zu warnen;
wie klug du bist, Natur, du weißt Bescheid.

Die Wespe, dort am Glas mit Limonade,
verlockt vom Zuckerduft der Süßigkeit,
verhält sich eigentlich wie ein Nomade,
fliegt hin und her, als sei es Trunkenheit.
Zu vielen ihrer Art bin ich begegnet,
genussversessen machen sie sich breit,
im Glauben, dass ein Stachel Diebstahl segnet;
die Fliegenklatsche lehrt Bescheidenheit.

Der Spatz, dort bei der immergrünen Hecke,
sitzt regennass auf einem dünnen Ast,
putzt sein Gefieder, dieser kleine Recke,
pflegt sich trotz Dauerregen ohne Hast.
Wahrhaftig, dessen Ruhe will ich haben,
mir ist das Wetter oftmals eine Last,
es hat so manche Freude untergraben,
sie wurde fortgespült, ist längst verblasst.

Die Krähe, dort im Feld mit reifem Weizen,
verkündet krächzend ihre Gegenwart;
ihr Schwarm erlaubt das kecke Flügelspreizen,
man pickt und frisst, der Bauer ist genarrt.
Ob sie alleine wohl so mutig wäre,
nicht eher schon vor Furcht zum Bild erstarrt
in dieser menschbestimmten Atmosphäre,
frag ich die Scheuche, die gelähmt verharrt.

Die Katze, dort im Schatten einer Mauer,
hat ihre nächste Beute längst erspäht,
ist regungs- und geräuschlos auf der Lauer,
ein Sprung – die Maus bemerkte sie zu spät.
Das Halsband sagt mir, da ist ein Zuhause,
mit wohlgefülltem Napf, von ihr verschmäht,
denn Dosenfutter taugt nicht gut zum Schmause,
wenn freie Jagd zum Gaumenkitzel lädt.

Der Hund, dort drüben an der kurzen Leine,
gehorsam folgt er seines Halters Schritt,
die Pfoten takten über Pflastersteine,
im Rhythmus zweier Beine geht er mit.
Mir scheint, sein ganzes Leben heißt: Gefallen,
sei die Belohnung auch ein böser Tritt;
hört er die Stimme seines Herrn erschallen,
gehorcht er, ganz egal, was er durchlitt.

Der Clownfisch, dort bei einer Anemone,
er lebt als Symbiont in Harmonie;
Gemeinsamkeit in ihrer Lebenszone
schützt beide mittels der Naturchemie.
Einst habe ich geliebt und wollte schützen,
erfüllt von Lebensglück und Euphorie,
nur galt es einmal, mich zu unterstützen,
fand ich statt Hilfe nichts als Lethargie.

Der Hai dort, nahe bei den Fischerbooten,
zieht schwimmend seine Bahn im Wartekreis,
zwar weiß er nichts von Fischfang oder Quoten,
doch er versteht den Tod, des Lebens Preis.
Bei vielen gilt ein Hai als Fressmaschine,
dass er auch Menschen fraß, gilt als Beweis;
so folgt das Denken stets der alten Schiene.
Maschinen, das sind wir, sag ich ganz leis.
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Alt 23.11.2012, 01:31   #2
männlich AndereDimension
 
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Beiträge: 3.325

Wieder so ein hervorragendes Gedicht von Dir - ich bin beeindruckt!

Wäre ich nicht so müde, ich könnte dir meine Begeisterung begründen.
Vielleicht reiche ich es nach.

Gruß, A.D.
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Alt 23.11.2012, 13:51   #3
weiblich Poetibus
 
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Hallo, AndereDimension,

Zitat:
Wieder so ein hervorragendes Gedicht von Dir - ich bin beeindruckt!

Wäre ich nicht so müde, ich könnte dir meine Begeisterung begründen.
Vielleicht reiche ich es nach.
Der erste Satz beruht auf Gegenseitigkeit, nachdem ich nun bereits einige deiner Gedichte las!

Was den zweiten Teil deines Kommentars betrifft: Es würde mich freuen, aber fühle dich zu nichts verpflichtet.

Ich bedanke mich für deine Anerkennung.

Freundlichen Gruß,

Poetibus
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Alt 25.11.2012, 12:12   #4
weiblich simbaladung
 
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Hallo, Poetibus,

hab heute erst dein Gedicht aufmerksam gelesen. Sehr schön, dein Nachsinnen
über Natur und Tierbeobachtungen. Bei den ersten beiden Strophen musste ich an den Spruch:

Unkraut,
ich möchte dein Gärtner sein
in Zeiten,
da alle die Rosen hätscheln.

denken, den ich sehr mag.

Über den Titel hab ich lange nachgedacht. Trennungsschmerzen?
Wovon hat sich das Lyr Ich getrennt oder verabschiedet. Von seiner Hoffnung, dass Menschen endlich von der Natur lernen, aufwachen?
So scheint es für mich. Die enttäuschte Grundstimmung kommt gut rüber.

lg simba
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Alt 25.11.2012, 15:08   #5
männlich Desperado
 
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Poetibus,

bis auf eine kleine Holprigkeit-
Mitunter möchte ich zum Wegrand fliehen,
damit ich dem Tumult entkommen kann,
ließ ruhig dann an mir vorüberziehen
den unbeseelten Zeitgeist, den Tyrann.

-inspirierend, bildreich und mitreißend.


Ein Viecherl hätt ich noch:

Der Wolf, obgleich er manchmal Schäfchen frisst,
lässt nur sein Heulen hören, nie ist er zu sehen,
weiß aus Erfahrung, wer die wahre Bestie ist,
für immer wird mit ihr getrennte Wege gehen.
So mag in Schauermärchen ruhig als der Böse gelten,
wer einst die ersten Jäger lehrte im Daseinskampf bestehen,
als dessen Rudel freundlich wohnte nahe bei den Zelten,
das heute spurlos seine Fährte vom Winde lässt verwehen.

Bewundernde Grüße
Desperado
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Alt 25.11.2012, 15:37   #6
männlich Caliban
 
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Der Titel ließ mich Schlimmes vermuten, ich wurde aufs angenehmste überrascht. Hintergründig an manchen Stellen, zum Schmunzeln an anderen. Eine schöne und technisch beinahe einwandfreie Abrechnung mit dem Zweisamkeitsmörder Zeitgeist. Und ich denke mir, da steckte ordentlich Arbeit drin. Eine der ganz seltenen Gelegenheiten, die mich in einem Lyrikforum den Drucker anwerfen ließ.

Erinnert ein bisschen an Heine.
Caliban ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.11.2012, 18:58   #7
weiblich Poetibus
 
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Hallo, simbaladung,

Zitat:
hab heute erst dein Gedicht aufmerksam gelesen. Sehr schön, dein Nachsinnen
über Natur und Tierbeobachtungen. Bei den ersten beiden Strophen musste ich an den Spruch:

Unkraut,
ich möchte dein Gärtner sein
in Zeiten,
da alle die Rosen hätscheln.

denken, den ich sehr mag.
Von Hans-Jürgen Heise. Ich kannte das bisher nicht, aber es gefällt mir sehr gut. Googeln hilft.

Zitat:
Über den Titel hab ich lange nachgedacht. Trennungsschmerzen?
Wovon hat sich das Lyr Ich getrennt oder verabschiedet. Von seiner Hoffnung, dass Menschen endlich von der Natur lernen, aufwachen?
So scheint es für mich. Die enttäuschte Grundstimmung kommt gut rüber.
Über den Titel habe ich auch lange nachgedacht und sogar ein bisschen "gezögert" - siehe die Anmerkung von Caliban. Aber ich fand, er lässt sich, in Verbindung mit dem Gedicht, vielfältig "deuten", passt wirklich zum Thema, daher wählte ich ihn trotz der "Gefahr", dass er vielleicht "abschrecken" könnte.

Ja, deine Lesart ist eine der Möglichkeiten.

Herzlichen Dank für Lob und Kommentar!

Freundlichen Gruß,

Poetibus


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Hallo, Desperado,

Zitat:
bis auf eine kleine Holprigkeit-
Mitunter möchte ich zum Wegrand fliehen,
damit ich dem Tumult entkommen kann,
ließ ruhig dann an mir vorüberziehen
den unbeseelten Zeitgeist, den Tyrann.
-inspirierend, bildreich und mitreißend.
Ich dachte mir beim Schreiben, dass das sicher jemand bemerkt. Manchmal, das habe ich ja bereits geschrieben, greife ich auch mal zu einem kleinen "Kniff". Ich gestehe! Mir lag das "ihn", das mit der Lesart "ruhig" als einsilbiges Wort auf einer Betonung liegt, am Herzen, das wollte ich "behalten". Wie aber "ruhig" und "ihn" behalten, ohne die Syntax zu verdrehen? Zu so etwas greife ich nur dann, wenn ich abwäge - wodurch "verliert" ein Vers/die Aussage/das Werk mehr, und zum Schluss komme, dass die Korrektheit den größeren "Verlust" darstellt. Daher bin ich ja auch bei den Werken anderer nicht so akribisch (es sei denn, es ist z. B. nur ein Holperer von vielen oder es beeinträchtigt die "Wirkung" des Gedichts), denn ich denke immer, dass die metrisch absolute Korrektheit nicht auf Kosten des Inhalts gehen sollte ... aber da gibt es natürlich auch andere Meinungen. Kurz: Ich möchte den kleinen Holperer bitte behalten, ausnahmsweise.

Zitat:
Der Wolf, obgleich er manchmal Schäfchen frisst,
lässt nur sein Heulen hören, nie ist er zu sehen,
weiß aus Erfahrung, wer die wahre Bestie ist,
für immer wird mit ihr getrennte Wege gehen.
So mag in Schauermärchen ruhig als der Böse gelten,
wer einst die ersten Jäger lehrte im Daseinskampf bestehen,
als dessen Rudel freundlich wohnte nahe bei den Zelten,
das heute spurlos seine Fährte vom Winde lässt verwehen.
Der Rhythmus ist gut (die beiden Daktylen ergeben schöne Zäsuren an den "richtigen" Stellen, im letzten Vers sogar noch einen "Tick" besser). 5, 6 und 7 Hebungen, Kreuzreim. Ein gutes Gedicht - vielen Dank! (Das mit dem Zäsurreim muss ich unbedingt auch mal ausprobieren, bis jetzt habe ich das noch nicht gemacht.) Manchmal wird mir dieses "Analysieren" vorgeworfen, aber es ist keine Angabe, wahrhaftig nicht - und ich lerne dabei. Es gibt noch so viel, das ich nicht weiß. Das Lernen hört nie auf, das ist ja das Schöne.

Auch dir meinen herzlichen Dank für Kommentar und dein Lob!

Freundlichen Gruß,

Poetibus
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Alt 25.11.2012, 19:06   #8
weiblich Poetibus
 
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Hallo, Caliban,

freut mich, dich kennenzulernen.

Zitat:
Der Titel ließ mich Schlimmes vermuten, ich wurde aufs angenehmste überrascht. Hintergründig an manchen Stellen, zum Schmunzeln an anderen. Eine schöne und technisch beinahe einwandfreie Abrechnung mit dem Zweisamkeitsmörder Zeitgeist. Und ich denke mir, da steckte ordentlich Arbeit drin. Eine der ganz seltenen Gelegenheiten, die mich in einem Lyrikforum den Drucker anwerfen ließ.

Erinnert ein bisschen an Heine.
Ja, der Titel - wie ich bereits bei simbaladung schrieb, "schwankte" ich ein wenig, ob ich ihn wirklich nehmen soll, entschied mich dann aber trotzdem dafür. Er passte einfach (fand ich).

Ich schreibe und lerne erst seit zwei Jahren (das eine Jahr "Gedankenaufschreibslerei ohne Internetzugang" davor zähle ich nicht mit ), aber wenn du der Ansicht bist, dass es beinahe einwandfrei ist, dann freut mich das sehr.

Und du machst mir zwei wirkliche Komplimente - herzlichen Dank dafür.

Freundlichen Gruß,

Poetibus
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