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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 19.10.2011, 19:30   #1
männlich Erich Kykal
 
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Alter: 59
Beiträge: 876

Standard Sterbebettlägrig

Aus meiner tiefsten Mitte gerissen
und verschleudert ins Nichts
schau ich der Welt ins Gewissen.
Geschworener keines Gerichts
erbitte ich niemandes Lauschen,
bevor mich das Schweigen schlägt.
Ob keiner je mit mir tauschen
mag, eh es mir Trauer trägt?
Bald sterben auch die Gedanken,
treib ich mir selber davon.
Es fallen die Säulen ins Wanken,
sag, bersten die Mauern schon?

Sag, halten die fallenden Tage
ein Weniges kostbar und heil?
Erlaub mir die Gnade der Frage:
Liebt mich die Erde noch, weil
enthobenes Sichgewöhnen
nicht weiß, was die Stunde schlägt?
Haben mein Schluchzen und Stöhnen
am Ende sie gar nicht erreicht?
Und wenn sie mich doch nicht mehr trägt -
sag: Wird mir das Fortgehen leicht?
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2011, 19:59   #2
weiblich Ex-Encki
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Hallo eKy,

ein schweres Gedicht mit schwerer Form!
Umso öfter ich es lese, desto besser gefällt es mir.
Besonders gefällt mir:
Zitat:
Geschworener keines Gerichts
Zitat:
Es fallen die Säulen ins Wanken,
und
Zitat:
Erlaub mir die Gnade der Frage:
Liebt mich die Erde noch, weil
enthobenes Sichgewöhnen
nicht weiß, was die Stunde schlägt?
Haben mein Schluchzen und Stöhnen
am Ende sie gar nicht erreicht?
Und wenn sie mich doch nicht mehr trägt -
sag: Wird mir das Fortgehen leicht?
Ich selbst lag noch nicht im Sterben(), aber das Gefühl des (endgültigen) Abschiednehmens kann ich versuchen, nachzuempfinden.
Du beschreibst den körperlichen Verfall und die Angst um den geistigen sehr einfühlend und lebens- bzw. sterbensnah. Sich entwurzelt fühlen, nicht mehr zugehörig fühlen, aber auch noch ein bisschen Hoffnung...

Es hat mich zutiefst melancholisch berührt.
Bin zu betroffen für eine Interpretation!


Liebe Grüße
Encki
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Alt 19.10.2011, 20:21   #3
männlich Erich Kykal
 
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Hi, Encki!

Danke für deine Gedanken!
Der Titel sagt eigentlich schon alles, was man zum Verständnis wissen muss, und das Akrostichon erklärt den Rest, würde ich sagen.
Hab's eben ad hoc ins Forum getippt (nicht in dieses...), inspiriert von einem anderen Akrostichon. Wollte diese Gattung wieder mal ausprobieren. Ist also mein (!) zweiter Versuch eines Akrostichons.
Deinem Kommi entnehme ich, dass es wohl gut gelungen ist, denn es gefällt dir, ohne dass du das "Gerüst" der Zeilen überhaupt bemerkt hast. Für Akrostichons ist das ein Kompliment, denn die sind nicht leicht so zu konstruieren, dass man nichts bemerkt vom "Zusammenstückeln" der Zeilen!
Vielen Dank also für dieses zusätzliche indirekte Lob!

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2011, 20:26   #4
Thing
R.I.P.
 
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Beiträge: 34.998

Du Meister j e d e r Form
Du hast einmal mehr bis unter die Haut geschrieben.

Und JA:
Ich hoffe und glaube, daß Dich die letzte Zeile trägt.


Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2011, 21:02   #5
männlich Erich Kykal
 
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Beiträge: 876

Hi, Rom!

Vielen Dank! Zu Belohnung gleich noch eins!

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.10.2011, 22:17   #6
weiblich Ex-Encki
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Beiträge: 424

Hallo eKy,

Zitat:
Deinem Kommi entnehme ich, dass es wohl gut gelungen ist, denn es gefällt dir, ohne dass du das "Gerüst" der Zeilen überhaupt bemerkt hast.
Nee, hab das Akrostichon nicht gesehen, weil ich erst einmal vom Inhalt erschlagen war.
Das Gedicht gefällt mir jetzt noch besser, weil die Wörter des Akrostichons auch viel hergeben und den Inhalt und die Überschrift wunderbar ergänzen.

Liebe Grüße
Encki
Ex-Encki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2011, 07:34   #7
männlich Martin Laut
 
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Beiträge: 370

Hier drückt mir mancher Vers auf die Seele, Erich.
Während des Lesens lag ich im Sterbebett.
Habe mich dann kurz ins wirkliche Bett gelegt und an den Ausgang gedacht.
Ich wusste nicht, dass diese Form Akrostichon heißt. Sehr gelungen. Da werde ich mich auch mal dran versuchen.



Martin Morgen
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Alt 20.10.2011, 07:55   #8
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.111

Zitat:
denn die sind nicht leicht so zu konstruieren, dass man nichts bemerkt vom "Zusammenstückeln" der Zeilen!
Wundert mich etwas, daß dies niemand gemerkt hat, denn mir kam dieses Gedicht beim ersten Lesen ziemlich gedrechselt und bemüht vor, gerade um der Reime willen. Einige Bilder sind undurchdacht, vor allem die Säulen, die ins Wanken fallen - ein Ausdruck, der schwer und erhaben sein will, aber in etwa so komisch anmutet wie ein rückwärts gespulter Film: Erst fallen die Säulen, dann wanken sie.

Auch wußte ich noch nicht, daß die Welt ein Gewissen hat, ich dachte vielmehr, das sei eine rein menschliche Erfindung.

Das sind nur zwei Beispiele, bei denen ich es aber belassen will.

Hier wurde derart verkrampft auf die Form und die Reime hingearbeitet, daß etliche Bilder schief hängen und der Inhalt verschüttet ging. Schade um das Thema.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2011, 08:23   #9
männlich Martho
 
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Ich ging davon aus, daß mit "Es fallen die Säulen ins Wanken", ein beginnendes Wanken gemeint war.
"Es fangen die Säulen an zu wanken" oder "Es beginnen die Säulen zu wanken" klingt aber nicht so doll.
Da käme dann auch wieder jemand: Die Silbenzahl, die Silbenzahl...
Die Hebungen, die Hebungen!
Martho ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2011, 08:30   #10
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Martho Beitrag anzeigen
Ich ging davon aus, daß mit "Es fallen die Säulen ins Wanken", ein beginnendes Wanken gemeint war.
"Es fangen die Säulen an zu wanken" oder "Es beginnen die Säulen zu wanken" klingt aber nicht so doll.
Da käme dann auch wieder jemand: Die Silbenzahl, die Silbenzahl...
Die Hebungen, die Hebungen!
Ist mir schon klar, was Erich gemeint hat. Gegen ungewöhnliche Ausdrücke ist im Grunde auch nichts einzuwenden, wenn das Bild gewahrt oder sogar unterstrichten wird. Ich kann mir aber z.B. keinen Besoffenen vorstellen, der "ins Wanken fällt" - es ist umgekehrt: Er wankt, bis er fällt. Und wie Du mit Deinem Hinweis auf Silbenzahl und Hebungen selbst bemerkt hast: Dieses Gedicht ist der Form zum Opfer gefallen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2011, 09:57   #11
männlich Martho
 
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Da falle ich doch glatt ins Grübeln...
Du hast vermutlich wieder einmal recht.
Martho ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2011, 11:42   #12
weiblich Ex-Encki
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Für mich ist die Zeile
Zitat:
Es fallen die Säulen ins Wanken,
ein wunderbares Bild.
Sie fallen ins Wanken, bedeutet aus meiner Sicht hier, dass sie permanent in Bewegung sind. Wir erleben den Anfang des Wankens mit, aber nicht den Fall.
Es gibt einen schönen Ausdruck: Kontrolliertes Fallen. Dieser Ausdruck sagt nichts anderes, als dass man geht. Denn als Kind lernten wir, jeden Fall abzufangen, indem wir einen Ausgleich schafften: Also "kontrolliertes Fallen" eben. Aber wir fallen nicht!

Auch die unregelmäßigen Zeilenlängen und die unregelmäßige Metrik passen wunderbar zum Inhalt. Wie schon erwähnt, wanken die Säulen und das Leben des Lyrischen Ichs. Da finde ich es nur angebracht, dass Metrik, Verse und Reime nicht zu homogen sind.

Übrigens gefallen mir auch das dreifache "sag" am Anfang der Zeilen. Dadurch wird der Ton eindringlich. Vor allem die beiden "sag", die hintereinander kommen, verbinden beide Strophen eindringlich und geben der Aussage des Lyrischen Ich sehr viel Kraft.

Dass die Welt ein Gewissen hat, zweifle ich allerdings auch an.
Aber Sterbende wissen mehr, nicht wahr?

Liebe Grüße
Encki
Ex-Encki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.10.2011, 15:45   #13
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Es gibt einen schönen Ausdruck: Kontrolliertes Fallen. Dieser Ausdruck sagt nichts anderes, als dass man geht. Denn als Kind lernten wir, jeden Fall abzufangen, indem wir einen Ausgleich schafften: Also "kontrolliertes Fallen" eben. Aber wir fallen nicht!
"Kontrolliertes Fallen" habe ich in Ju-Jitsu auch gelernt, das nützt aber nur, wenn man tatsächlich fällt, denn es heißt nichts anderes, als dabei arge Verletzungen zu vermeiden. Hilft aber nicht immer, z.B. wenn man ans Fenster wankt und dann rausfällt - es sei denn, man "wankt" durch die Luft.

Eher verstehe ich es noch, wenn gemeint ist, mit etwas zu beginnen, wie man z.B. sagt: "in Trab fallen" oder "in Gedanken verfallen". Aber dann hätte man auch schreiben können "die Säulen geraten ins Wanken / ... beginnen zu wanken", statt eine verdrehte, widersprüchliche Metapher zu bemühen.

Aber egal: Wenn Botschaft und Atmosphäre auf die Leser wirken -, wie das hier der Fall ist - kann das Gedicht insgesamt nicht mißlungen sein.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.10.2011, 19:58   #14
männlich Erich Kykal
 
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Naja, ist ja auch erst mein drittes Akrostichon. Dafür ist "nicht ganz misslungen" schon fast ein Kompliment...
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.10.2011, 21:52   #15
weiblich Ex-Sabi de Sombre
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Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
sag: Wird mir das Fortgehen leicht?
diese frage, eky, hast du als quintessenz - schlussakkord folgerichtig etabliert.

das akrostichon ist mir erst auf hinweis aufgefallen. schade eigentlich, dass es durch den starken text einigermaßen unauffällig blieb.

warum, das interessiert mich doch sehr, hast du den titel sterbebettlägrig gewählt?

ansonsten hast du die "situation" beeindruckend in szene gesetzt; egal, ob säulen ins wanken fallen oder nicht.

lg sabi
Ex-Sabi de Sombre ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.10.2011, 22:01   #16
männlich Erich Kykal
 
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Hi, SdS!

Weil ich das Gedicht als Gedanken und Fragen eines Sterbenden ansehe - und es ist ein niedliches Wortkonglomerat aus Sterbebett und bettlägrig. Ich mag sowas.

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.10.2011, 23:37   #17
männlich Ex-Abendstern
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Beiträge: 581

Hallo eky,

mein erster Eindruck - ich war begeistert. Bis ich den Kommentar von Ilka las.
Leider muß ich ihr Recht geben.

Dennoch - dieser Text gehört mit zu den besseren Texten des Forums. Oder noch klarer: er ist, trotz seiner Mängel, noch immer um Längen besser, als das meiste, das hier im Forum gepostet wird.

LG
Abendstern
Ex-Abendstern ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.10.2011, 09:50   #18
männlich Erich Kykal
 
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Hi, Abendstern!

Danke für deine tröstlichen Zeilen! Ilka kann sehr hart sein in ihrem Urteil, aber ein solches freies steht nun mal jedermann zu. Ich finde den Text auch vergleichsweise gelungen.

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
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