Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 16.04.2016, 01:36   #1
weiblich Damaris
 
Benutzerbild von Damaris
 
Dabei seit: 03/2008
Ort: München
Alter: 57
Beiträge: 261


Standard Das Blaue vom Himmel

Kennst Du schon die Geschichte von Angelo, dem Himmelsmaler und Magdalena, der Gärtnerin. Ich will sie dir erzählen.

Angelo steht vor der Himmelsleinwand, in der linken Hand hält er noch die Palette und in der rechten den Pinsel. Endlich erhellt sich sein Gemälde. Das gleißende Licht der aufgehenden Sonne lässt die verschiedenen Farbnuancen, von Campari Orange bis Zinnoberrot, erstrahlen. Lächelnd dreht er sich um, senkt seinen Blick hinab auf die Erde.
Dort erscheint Magdalena auf ihrem Ostbalkon, wie immer zu dieser Stunde. Andächtig betrachtet sie sein Bildnis.
„Ach wenn du doch auch mich sehen könntest!“, ruft Angelo ihr zu.
Magdalena blinzelt und lauscht in die Stille. Jetzt schaut sie auf ihre Armbanduhr. Sie muss los, sonst schafft sie es nicht zu Fuß. U-Bahn-Tage sind selten zu retten. Magdalena mag dieses hektische Gedränge, die muffige Dunkelheit nicht. Lieber läuft sie die knappe halbe Stunde zu ihrer Arbeitsstelle, dem Stadtpark.
Angelo geleitet sie mit seinen Blicken. Er liebt es, wie sie mit funkelnden Augen seine Himmelsbilder betrachtet. Er mag ihr Lächeln, die Art, wie sie ihr geflochtenes blondes Haar über der rechten Schulter trägt. Und wie sie geht, als würden ihre Füße die Erde kaum berühren. Seine Hände bewegen sich von selbst, er malt nur für sie, malt sie.
Schon ist Magdalena im Stadtpark angekommen. Heute wird sie die Hecken schneiden und neu formen. Ihre Inspiration holt sie sich von den Wolkenbildern.
Angelo malt ohne Unterlass, entzückt, seine Bildnisse in den Hecken des Parks wiederzufinden.
Die Sonne steht im Zenit, als Magdalena ihr Werkzeug aus der Hand legt.
Auch Angelo hält inne. Versonnen betrachtet er Magdalena, wie sie bäuchlings im Gras ruht. Jäh wird er aus seinem Tagtraum gerissen. "Mein Bild, einfach zerschnitten!", schreit Angelo.
Magdalena schreckt hoch, dreht sich auf den Rücken. Kleine Wolken, wie Blumen, schweben über den Himmel. Kondensstreifen eines Düsenfliegers schneiden sie in Stücke. Eine riesige Wolke, ähnlich einer menschlichen Gestalt, bewegt sich auf sie zu. Das Weiß flattert wie ein Gewand, darüber ein Kopf. Sie starrt in Augen, helltürkis oder eher gletscherblau, himmelsblau. Tränen verschleiern ihre Sicht. Magdalena blinzelt sie weg. Wo eben dieses Abbild war, schwebt nun ein kleines Herz heran, was immer größer wird. Sie lacht verdutzt, steht auf und beginnt, die nächste Hecke herzförmig zu stutzen.
Angelo beobachtet den dürren rothaarigen Mann, der von hinten an Magdalena heranschleicht. Er langt ihr an die Schulter, sie dreht sich um, sprechen miteinander. Er lacht, sie schüttelt den Kopf. Wieder feixt er blöde, drängt sich an sie, sie schubst ihn weg, er landet im Gras. Mit beiden Händen fasst Angelo in den Farbtopf, holt das Schwarz heraus, ballt es zu einer Wolke, zerreißt diese und knallt ihre beiden Hälften gegeneinander, direkt über dem Widerling. Donner, Blitz und Regen entladen sich. Der Halunke flitzt im Zickzack Richtung U-Bahn. Schaut sich nach Magdalena um, die im Trockenen steht. Angelo ruft den Wind, um den Schuft mit den Gewitterwolken zu jagen, bis er unter der Erde verschwunden ist.
„Es ist genug.“, spricht Angelo zum Wind, nimmt die beiden Wolken, gibt das Schwarz zurück ins Gefäß. Dann wäscht er sich die Hände und malt das Friedenssymbol quer über den Himmel.
Magdalena starrt nach oben, sucht diese himmelsblauen Augen. Doch sie findet nur einen Regenbogen, wo eben noch zwei Gewitterwolken tobten. Sie hat nicht einen Tropfen abbekommen. Magdalena wischt sich den Schweiß von der Stirn und setzt ihre Arbeit fort.
Angelo malt große Wolkenbilder um die Hitze zu mildern.
Magdalena formt die letzten Hecken zu Elefanten, Löwen und Giraffen. Zufrieden betrachtet sie ihr Werk und tritt den Heimweg an. Diese himmlischen Augen, sie gehen ihr nicht aus dem Kopf.
Angelo hat auf Magdalena gewartet. Pünktlich zum Sonnenuntergang betritt sie ihren Westbalkon. Gleich einer Sinfonie komponiert er Nuancen von Bernstein bis Blutorange über Krapplackrot hin zum feurigen Magenta, durchwirkt sie mit Butterblumengelb und schimmerndem Gold.
Magdalena kann sich nicht satt sehen an dieser Farbenpracht. Das angebissene Brot bleibt unverzehrt, Telefon klingelt und gibt endlich auf. Langsam werden Arme und Beine schwer, gleichzeitig wird ihr ganz leicht, die Augen fallen zu.
Das Licht geht aus. Er kann sie kaum noch sehen, doch klebt sein Blick an ihr. Angelo möchte sie so gern aufhalten, die alles verschlingende Nacht. Dennoch werden seine Glieder bleiern, der Atem wird langsamer, die Augenlider schließen sich.
Magdalena schwebt durch unbekannte Dimensionen.
Angelo ihr entgegen.

Genauso hat es sich zugetragen. Du glaubst mir nicht? Die Geschichte ist wahr, so wahr ich bin, die ich bin, schon vor dir und nach dir und immer sein werde. Solange jemand liebt, bin ich bei ihm, um Berge zu versetzen, Meere zu teilen, Gräben zu schließen. Sei es auch nur in seinen Träumen.
Damaris ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Das Blaue vom Himmel

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Ins Blaue shoshin Gefühlte Momente und Emotionen 5 10.07.2015 16:50
Das Blaue Walter Gefühlte Momente und Emotionen 5 17.05.2015 00:21
Blaue Wogen shoshin Gefühlte Momente und Emotionen 10 26.03.2015 19:12
Der blaue Spiegel Briefmarke Düstere Welten und Abgründiges 4 05.07.2011 21:08
Blaue Augen Heinz Liebe, Romantik und Leidenschaft 11 15.01.2011 00:15


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.