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Alt 14.06.2008, 01:31   #1
weiblich Damaris
 
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Standard Brückenbauer

Marie reitet im Galopp über Felder und Wiesen. Ihr Dorf rauscht an ihr vorbei. Bekannte Gesichter, auch das der Mutter. Sie winkt Marie zum Abschied. Der Vater schreit: "Komm zurück!" Marie reitet weiter, hin zum Felsen. Kurt fliegt ihr entgegen. Er kann längst fliegen, ohne Gleitschirm. Lachend ruft er: "Komm, ich trage Dich über den goldenen Fluss!" Marie bohrt ihre Fersen in die Flanken der scheckigen Liese und setzt zum Sprung an. Doch Luft festigt sich zur Mauer. Kurts Lachen zerschellt. Marie fällt in schwarze Watte.

Piepsen gellt in ihren Ohren. Metallenes Klicken, schnarrend öffnet sich die Tür. Marie spürt einen Luftzug, Schritte nähern sich hastig. Murmelnde Stimme, Hände ziehen an Maries Armen und Beinen, verdrehen ihren Kopf, drücken gegen Maries Schultern und Hüfte. Marie fliegt, wohin fliegt Marie? Angstschrei implodiert zu Brei, quillt in Mund und Nase und erstickt sie. Kaltes Plastik sticht in Maries Nasenloch, schiebt sich in den Rachen und saugt schmatzend den zähen Schleim weg. Plastik wird unter ihre Nase über die Ohren bis hin zum Kinn gelegt, festgezurrt. Blubbergeräusche. Luft strömt in Marie hinein. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich gleichmäßig. Schritte entfernen sich. Die Nase juckt, Marie sucht ihre Hand zum Kratzen. Tür schließt sich. Marie sucht eine Hand, die Nase juckt! Sie juckt, dass ihr die Augen tränen.

Kurts Hand kitzelt ihre Nase mit Gänseblümchen. Marie muss niesen. Sie lacht und balgt sich mit Kurt im Gras. Fauchend bringt sich Kater Mohrle in Sicherheit. Kurts spröde Lippen auf ihrem weichen Mund, der sich gern seiner Zunge öffnet. Kurts Hände liebkosen ihren Hals, ihre Brust. Marie zittert: "Kurt, mir ist so kalt!" "Schau, Mariechen, die Sonne ist fort! Es wird Zeit! Ich bring Dich rüber ans Ufer! Du musst nicht frieren!" Strahlend nimmt Marie seine Hand. Kurt lässt sein Lachen klingen. Es trägt sie weit hinaus über die Wiese zum Felsen am Fluss. Mutter winkt zum Abschied. Vater streckt seine Hand nach ihr aus. Er schreit: "Komm zurück!" Seine Stimme heult mit der Sirene. Hände zerren sie weg von Kurt, weg vom wärmenden Licht des Flusses. Die Welt versinkt in kalter Dunkelheit.

Eisige Götterspeise presst sich auf Maries nackte Brust, ihre Muskeln ballen sich krachend zur Faust und werfen Marie in die Luft. Schmerz flutet ihren Körper. Lärm zerfetzt ihre Ohren. Überall Hände, welche Nadeln und Schläuche in sie schieben. Alles übertönende Stimme: "Schwacher Puls, wir haben sie! Weiter beatmen und Verlegung auf Intensiv! Ich sag den Eltern Bescheid!" Maries Bett dreht sich, wird zur Achterbahn.

"Bitte, bitte Mami! Bitte lass mich Achterbahn fahrn! Nur einmal!" "Nein, Marie! Du weißt doch, der Papa hats verboten! Du bist noch viel zu klein dafür!" "Aber, weißt Du was, Mamilein? Ich sags den Papa nicht, bitte, bitte!" "Nein, Marie! Das ist zu gefährlich für kleine Mädchen." "Warum, waru-hum?" "Du könntest rausfallen, Marie!" "Bin ich dann tot?" "Ach, Marie, wo hast Du das denn her!" "Papa hat gesagt, man kann sich totfallen." "Nein, so was sagt der Papa doch nicht!" "Doch, hat er! Papa hat gesagt, wenn ich mit Kurt so wild tobe, wird sich noch einer totfallen." "Ach Marie, das sagt man so. Das verstehst Du noch gar nicht! Komm, ich geh mit Dir zur Schiffschaukel!" "Mama, was, was, oh Schiffschaukel fetzt! Mama, da ist Kurt! Kurt! Fährst Du mit mir Schiffschaukel?"

Schiffschaukel schlingert durch die kreischende Geisterbahn. Papa schluchzt: "Lass uns nicht allein, Marie! Kleine, Du darfst uns nicht verlassen, hörst Du! Alles wird gut, verlass uns nicht! Ich..." Mama weint auch, streichelt Maries Hand. Fremde Stimme, sehr ernst: "Herr und Frau Rose? Guten Tag, Dr. Ehrlich. Kommen sie bitte mit, ich möchte mit ihnen sprechen!" Schritte lassen sie zurück. Marie ist allein mit den stöhnenden und schmatzenden Geräuschen. Sie will weg, zu Kurt!

"Kurt, was willst Du mal werden, wenn Du groß bist?" "Pilot!" "Warum?" "Weil, dann kann ich fliegen in der Luft!" "Ich, ich werd dann Pilotin, dann fliegen wir zusammen, wie in der Schaukel!" "Mädchen können das nicht!" "Das ist doof! Warum?" "Weil, Mädchen werden Stutadressen." "Gut, dann eben das! Kurti, bist Du schon mal Achterbahn gefahrn?" "Klar, schon mindestens hundert und tausend mal." "Und wie ist das?" "Cool!"

Kalt! Stille. Warme Hände streicheln. "Mädchen", weint Mama, "Du darfst gehn! Wir lieben Dich über alles. Wir lassen Dich!" "Meine kleine Marie, mein Schatz, ich war, bin so sehr gern Dein Papa. Ich bin sehr traurig, aber ich lass Dich auch." Maries Wimpern zittern, ihre Lider schieben sich ein paar Millimeter nach oben und sacken bleiern nach unten. Ihre Lippen versuchen sich zu bewegen, doch Maries Mund bleibt stumm: "Mama, Papa! Darf ich zu Kurt, zur Achterbahn?" "Liebling, Du darfst. Du darfst gehn. Es ist gut!" "Danke, lieb Euch, bis bald!"

"Kurt, weißt Du was? Ich darf mit der Achterbahn fahrn! Ich darf!" "Komm Marie, komm!" lacht Kurt, "Wir fliegen mit der Achterbahn zum goldenen Fluss!" "Zum goldenen Fluss und dann?" "Und dann, Marie, dann bau ich Dir eine Brücke, bis ans andere Ufer."
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Alt 14.06.2008, 02:36   #2
Joana
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 424


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