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Alt 04.01.2014, 05:51   #1
weiblich Damaris
 
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Standard Die Egomanin und der Egophob, Serie

Prolog


'Verlieben und Entlieben - beides Automatismen. Schwierig ist nur die Akzeptanz, das Konsequenzenziehen.'

Dieses Zitat las er im Klappentext ihres Buches: 'Der Finger in der Wunde'. Der Roman war mehr ein Worse- denn ein Bestseller. Er fand ihn bei seinem Selbstzahlerverlag in der Wühlkiste und nahm ihn mit für 2 Euro und 50 Cent. Besser als das Buch gefiel ihm das Foto der Autorin: schmales Gesicht, sonniges Lächeln, sündiger Blick und die Personenbeschreibung: Sigi Emma Shneyder, Theaterwissenschaftlerin, Patronin der Unicef, Patent auf die Erfindung des Mimik Yoga 'For ever young', in zweiter Ehe verheiratet mit dem renommierten Regisseur U. Köter, eine Adoptivtochter aus El Salvador.
Er googelte, fand Adresse und Telefonnummer, notierte sie sich mit dem Vermerk: 'südamerikanische Adoptivtochter', drehte sich einen Joint, zündete ihn an, inhalierte, wählte ihre Nummer. Bereits nach dem dritten Klingelzeichen plärrte die Mailbox deutlich artikulierend:
"Hi, hier ist die Em Bi von Es I Shneyder, bitte hinterlassen Sie Namen, Telefonnummer und den Grund Ihres Anrufes. Thanks."
"Ja, Guten Abend Frau Schneider, Karl Schanti, freier Journalist meines Zeichens, bitte um ein Interview und um Rückruf. Danke."
Er legte auf und ihm fiel ein, dass er seine Nummer nicht genannt hatte, diese auch nicht angezeigt wurde, wie er es selbst programmiert hatte. Also wählte er erneut. Diesmal hob sie beim ersten Klingeln ab.
"Shneyder"
"Ja, servus, hier ist Karl Schanti. Schön, dass ich Sie nun noch persönlich erreiche. Wann schenken Sie mir ein paar ihrer kostbaren Minuten? Ich dachte an ein Interview betreffs ihres literarisch außergewöhnlichen Werkes 'Der Finger in der Wunde'. Ich dachte an morgen, besser noch heute aber, natürlich, Sie sind eine gefragte Künstlerin, stehe ich zu Ihrer Verfügung, wann immer Sie frei sind."
"Ja, Herr Schanti, es ist tatsächlich schwierig für mich, so auf die Schnelle, da geht fast nichts, äh, warten sie, wie wäre es in zwei Wochen, am Samstag?"
"Ach, das ist schade, an diesem Tag sollte die Rezension bereits erschienen sein. Tja, das ist wohl doch zu knapp. Ich befürchtete es bereits, dann..."
"Nun, warten sie, lassen sie mich sehen, was ich verschieben könnte, ja, es ginge bereits nächsten Donnerstag."
"Schön, um welche Zeit?"
"Morgens habe ich Termine, unaufschiebbar."
"So sorry, ich habe nur morgens eine Lücke."
"Dann vielleicht doch, morgens, nein, ich meine morgen, morgen Vormittag."
"Das ist ungünstig."
"Aber Sie sagten, morgen würde es Ihnen passen."
"Sagte ich das? Ja, bin untröstlich, habe die Homestory mit Liny Nohrens übersehen. Heute?"
"Ja, gut, eine Homestory. Es lässt sich arrangieren. Ich brauche, ich muss Termine absagen, kommen sie in einer Stunde."
"Toll, Frau Schneider, bin gleich bei Ihnen."

Karl blätterte hastig in ihrem Buch, blieb auf Seite 7 hängen:

Was bedeutet verlieben im wörtlichem Sinne? Um dies herauszufinden, will ich verlieben zerlegen.
Die Vorsilbe Ver gibt Worten Negativbedeutung.
Ich habe mich verhört, falsch hingehört beziehungsweise Verachten gleich nicht achten.
Ich habe falsch geliebt, mich nicht geliebt?

Das Ver vertreibt die Worte.
Vergeben vergibt sich, verschenken schenkt sich weg.
Verschiebt das Verlieben die Liebe weg?

Es kann Ver-golden, verfinstern.
Die Liebe wird transparent.

Oder das Ver führt die Worte ins Finale.
Die verheilte Wunde wird zur geheilten Haut.
Der verliebte Mensch verwandelt sich in ein liebendes Wesen.

Ver kann Objekte fressen.
Beim Verdampfen wird das Objekt zu Dampf und beim Verbrennen bleibt auch nicht viel übrig.

„Ver wie Verriss, der führt die Worte ins Inferno.“, murmelte Karl, markierte die Seite mit einem post it und schmökerte sich zur Buchmitte durch:

Wann kennt man einen Menschen wirklich? Wenn man mit ihm jahrelang Bett und Tisch teilte?
Sie hätte die Hand ins Feuer gelegt, auf alles, was ihr heilig war, geschworen, dass er ein aufrichtiger Mann sei, ein ihr treu ergebener Langweiler. Sie glaubte wirklich, ihn zu kennen, nach sieben Jahren Bett und Tisch. Sie hatte sich geirrt.

Karl überflog das Kapitel, machte eine Randnotiz: ‚Autobiografisch?’, klebte ein post it. Er schaute auf seine rumänische Rolex und schlug das Ende des Buches auf:

“Ich hab nichts gemacht.“, waren seine letzten Worte, bevor sie abdrückte. Sauberer Schuss zwischen die Augen, sie hatte geübt, beim Schützenverein, dem sie beigetreten war, als sie den Plan gefasst hatte, seiner Abscheulichkeit ein Ende zu bereiten.
Wie ein gefällter Baum stürzte der schwere Mann rücklings zu Boden.
„Verzeih, mein Ex-Gatte, dass ich dir vertraute. Nun, da du verstorben bist, will ich dich vergraben. Vergeben werde ich dir nie und niemals werde ich dich vergessen.“


„Verdammich!“ griente Karl, markierte, legte den Roman in den Aktenkoffer, schlüpfte in seine Cowboystiefel und machte sich auf den Weg.

Geändert von René (09.01.2014 um 01:53 Uhr) Grund: Korrekturwunsch
Damaris ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.01.2014, 10:24   #2
Thing
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Standard Hallo, Damaris -

außer dem "grienen" (ich weiß nie, auf welche Art der Mund dabei verzogen wird, deshalb ist mir der Ausdruck unsympathisch) gefällt mir alles.
Ein Eins-A-Text,
flüssig, makellos, spannend und in keiner Zeile verbraucht oder wischi-waschi.
Die Wort ver-Teilerei hat auch was.

Ich bin sehr angetan und habe Appetit auf mehr!

Herzlichen Gruß
von
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.01.2014, 19:52   #3
weiblich Damaris
 
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Vielen Dank, lieber Thing
Habe einige Verschreibfehler verbessert , ein bisschen gefeilt. Warte aber noch auf Anregungen, bevor ich die Korrektur eingebe.
Ich hoffe, die Fortsetzung folgt bald.
LG Damaris
Damaris ist offline   Mit Zitat antworten
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