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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 04.06.2008, 01:15   #1
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Standard All inclusive

Sanft spült sich eine Welle nach der anderen
hinauf zum Strand, zerfließt in Gischt,
sie murmelt sacht "Darfur, Darfur".
Und regellos trägt Wind die Möwen
übers Land, sie kreiseln, treiben, singen
alte Lieder, vom blaugrün spiegelgleichen Meer.
Wer sitzt wohl in den Booten ohne Segel,
treibt hin, treibt her und auf den Wellenkronen
tänzeln glänzend Wasserleichen.
Am Rand der Flut, von grau zu schwarz schattiert,
streckt friedlich eine Flotte einstmals stolzer Schiffe
die Glieder. Rund um den Leib der Sonne
zieht sich ein Kranz aus brennendem Benzin.
Ein braungebranntes Kind spielt "Fang den Ball"
am Stadtrand von Pjöngjang, zerlumpt, verhungert.
Barfüßig durch die Glut aus Sand zum Beachcafe,
ein Fink schlägt aus im nächsten Wald, Guantanamo,
die Zeitung ins Recycling. So lieb den Neger
wenn er nackt ist. Der erste Drink schmeckt sowieso.
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.06.2008, 10:18   #2
Lila
Gast
 
Beiträge: n/a

Hi lyrwir,

Tja, da kann man ja nur noch einen schönen Urlaub wünschen!

dein Gedicht ist sehr ausdrucksvoll, hat mich berührt. Die 'tänzelnden Wasserleichen' waren das einzige störende Bild.

gern gelesen, gut gemacht!

LG
Lila
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Alt 08.06.2008, 11:01   #3
Schneeflocke
Gast
 
Beiträge: n/a

Hallo LyrWir,
stark, stark! Friedliches Plätschern täuscht hier eine Idylle vor, aber mir graust beim Lesen deines Gedichtes ein wenig ... und immer wieder ...
... mehr ...und es steigert sich ... bis zu dem ersten Drink ...

und wenn ich "Wasserleichen" lese, sehe ich vor meinen Augen ... Tsunami ...

leider habe ich nie eine wirkliche Interesse der Geographie gewidmet, deswegen bin ich jetzt etwas verunsichert ...
Aber könnte es sein, dass du die Kern-Aussage deines Gedichts diesmal - zur Abwechslung - in die Mitte des Gedichts eingebettet hast ...

Es geht (wieder) um eine (scharfe) Gesellschaftskritik, nicht wahr ...

fragt
mit LG
Schneeflocke

.
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Alt 08.06.2008, 11:05   #4
colderthanyou
 
Dabei seit: 06/2008
Beiträge: 4

Standard RE: All inclusive

Hallo,

ich schliesse mich an. Sehr schön geschrieben und gerne mehrfach gelesen. Was mich allerdings ein ganz klein wenig stört, ist der Ausdruck "Neger".
Zu gleich komme ich aber auch nicht wirklich darauf, wie man ihn sinnvoll ersetzen könnte, ohne den Text kaputt zu machen...


LG
cty
colderthanyou ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.06.2008, 11:16   #5
weiblich Ex-phönixe
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 401

Hallo lyrwir,
fang ich mal an deinem Schluss an,
ich dachte du meintest...schon mal einem nackten Neger in die Tasche gepackt? ( diese Redewendung ist mir geläufig)
Insgesamt finde ich einen All-inklusiv Aufenthalt manchmal als Erholung,
aber ...hast du gewusst, daß jede Menge Gehirnzellen verschwinden, wenn man so urlaubt...wenn man dann nach hause kommt, weis man die einfachsten Dinge nicht mehr,
einfach geschrieben, der Mensch verblödet, wenn es ihm zu leicht gemacht wird.
Im Prinzip ist es ein Geistzerstörendes Schlaraffenland, wobei ich glaube, dieses gilt auch für Foren( das natürlich nur im übertragenen Sinn)

Dieser Gedankengang kam mir, weil unsere Bürodame nach ihrem Urlaub nicht mehr das Passwort für unser Betriebssystem wusste( und sie arbeitet schon 15 Jahre dort...)



lg
phönixe
Ex-phönixe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.06.2008, 11:31   #6
Drehrassel
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 100

zu diesem gedicht habe ich, was sein metrum anbelangt, eine these, von der ich sehr gern wissen würde, ob sie zutrifft: und zwar, bemerke ich beim deklamieren, dass du immer wieder fünfhebige, sich nicht end-reimende jamben eingestreut hast (also sogenannte "blankverse), welche ja auch rhythmisch wunderbar mit dem motiv der gezeiten - vor allem nach dem grandios-prologhaften (der blankvers wurde historisch aus dem drama übernommen und erst spät in der lyrik eingesetzt) eingangsvers:"sanft spült sich eine welle nach der andern" - korrespondieren. - diese so gleichmäßig "rollenden", einen wechsel von "kommen" und "gehen" klanglich darstellenden zeilen (die das geschmackempfinden des lesers sozusagen "befrieden") befinden sich aber nun inmitten von sie rhythmisch hart unterbrechenden (und somit das gehör "störenden", den wohlklang zer-störenden) trochäen und anderen (metrisch nicht genauer bestimmbaren) versen. - aber auch diese rhythmischen "katastrophen" finden ja ihren tieferen sinn auf der inhaltlich/thematischen ebene, wobei also nur noch die frage wäre, weshalb genau an diesen stellen? (der wohl härteste bruch findet statt gleich in vers4:"und regellos trägt wind die möwen")

von der anlage/konzeption und umsetzung (künstlerisch-handwerkliche plausibilität, dass heißt: bewusste dissonanz von klang und bild, sowohl als auch ihre temporäre harmonisierung) ein starkes gedicht, an dem meiner meinung nach aber noch etwas "gefeilt" werden könnte, im hinblick auf die oben aufgeworfene these, weshalb ich es damit einmal belassen möchte und auf eine antwort des autors warte.

drehrassel


edit:lieblingsstelle:"...rund um den leib der sonne / zieht sich ein kranz aus brennendem benzin. / ein braungebranntes kind spielt "fang den ball" */ am stadtrand von pjönjang..." - starkes bild! rhyhtmisch-melodisch eindrucksvoll präsentiert! - bleibt haften. konnte ich schon nach zweimaligem lesen auswendig...

* an der stelle würde ich zugunsten eines sehr versierten enjambements auf die satzzeichensetzung verzichten
Drehrassel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.06.2008, 18:28   #7
lyrwir
 
Dabei seit: 06/2007
Beiträge: 449

Hallo Lila,
freut mich, dass es berührt. Kannst du mir sagen (gerne auch per PN), was dich am Tänzeln der Wasserleichen stört?
Hallo Schneeflocke,
freut mich, dass es dir graust, dafür ist es (auch) gedacht. Ich habe versucht, das wie eine Welle aufzubauen, die kommt, scheitelt und zurfliesst, von daher wäre der Scheitelpunkt in der Mitte, ja. Gesellschaftskritik? Dies ist die beste aller Welten.
Hallo colderthanyou,
den "Neger" kann ich nicht ersetzen, gerade weil er stört. Nimm ihn nicht wörtlich und denke an R'n'B.
Hallo phönixe,
nette Anmerkungen. Ich notiere meine Passwörter immer im Pass, dann kann so etwas nicht passieren. Einen all-inclusive Uralaub kenne ich nicht aus eigener Anschauung, so etwas verbietet meine politische Gesinnung.
Hallo Drehrassel,
ehrlich gesagt, habe ich dies nach Gefühl geschrieben. Es ging mir um ein Aufeinandertreffen von Wellen und Wogen, friedlichem Strandleben und Ausschnitten aus Zeitungsberichten. Und so, wie eine Welle nie ganz regelmäßig ist, wollte ich den Text nicht ganz streng gegliedert, sondern mit kleinen Brüchen. Verbesserungsvorschlägen stehe ich offen gegenüber. Ich habe nicht lange überarbeitet, um etwas spontanes zu erhalten (das Gedicht ist entstanden während einer längeren Straßenbahnfahrt).
Den Tipp mit dem Weglassen des Kommas übernehme ich gerne.
Euch vielen Dank für die Antworten,
LG,
LW
lyrwir ist offline   Mit Zitat antworten
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