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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 27.02.2008, 13:54   #1
NachtPoet
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: München
Beiträge: 18

Standard Das Mahl

Das Mahl

Du schweigst, nur Deine Augen sprechen Bände.
das Brot ist unberührt, der Wein längst schal.
Wie Liebende verkeilt sind Deine Hände
und unbedacht von ihnen liegt das Mahl.

Und keiner von uns wagt den ersten Bissen,
und keiner von uns wagt das erste Wort,
und jeder von uns nagt an seinem Wissen
und spülts mit einem Schluck Verdrängung fort.

Verhungernd sitze ich der reich bedeckten
Tafel bei und rastlos geht mein Blick
vom Wein der Wahrheit zu der gut versteckten
wunschgeträumten Lüge in Aspik.


Epilog: Als Kind habe ich mal ein Buch gelesen, dessen Titel mir längst entfallen ist, ebenso wie die Geschichte an sich. Allein ein Charakter ist mir im Gedächnis geblieben, ein seltsamer Mann, der dem Protagonisten einen elementaren Rat gab: Führe immer die angefangenen Sätze zu Ende, die du beginnst, denn wer weiß, was sonst aus den unausgesprochenen Worten wird.

Und wann immer ich an diesen Rat denke, kommt mir ein Lied von Thomas D. in den Sinn, “Lass Los”, und eine Textzeite daraus: “das unausgesprochene Wort währt ewig”.

Die Dinge, die wir nicht sagen, die wir nicht tun, sie haben oft größere Auswirkungen als jede Handlung es vermag. Worte, die wir nicht sagen, entwickeln ein unkontrollierbares Eigenleben in den Köpfen der Menschen, die sie nicht hören. Dinge, die wir nicht tun, um den anderen zu schützen, verletzen vielleicht die Haut nicht, aber schneiden viel tiefer in das, was unter der Oberfläche liegt. Und manchmal, manchmal denken wir, ein unbedachtes Wort könnte etwas zerstören, das wir nicht aufgeben wollen, nicht können, und was doch schon längst in Trümmern liegt, nur noch zusammengehalten durch Schweigen.

Und wie viele Menschen gibt es, die eine Mauer aus Schweigen um sich bauen, deren unausgesprochene Worte ohne Ausweg in ihnen widerhallen und abprallen am Nichts um ihnen herum und sich jedes mal ein wenig tiefer graben und dem Nichts ein wenig mehr überantworten. Manchmal ist es erschreckend, wenn man gelernt hat, das Unausgesprochene zu hören. Und wenn man merkt, wie laut das nie gesagte in den Menschen schreit.

Und da sind dann noch die sogenannten Liebenden, die wortverloren voreinander sitzen und sich etwas nicht sagen können. Und dieses kleine Schweigen breitet sich aus, verschlingt alles um sich herum, und darüber hinaus, bis am Ende nichts, gar nichts mehr zu sagen bleibt. Ich meine, was gibt es schlimmeres zwischen zwei Menschen, die einander vertrauter sein sollten als irgendjemand sonst, die einander so nahe sind, wie es unsere physische Existenz nur zulässt, und sich dann etwas nicht sagen können?

Es ist ein guter Rat, den dieser Mann in dem mir fast entfallenen Buch gegeben hat. Ja, die Worte, die wir sagen, können viel zerstören, aber auch viel erschaffen, und manchmal beides zugleich, wenn sie Platz schaffen für neues. Und besser, wir sprechen sie beizeiten mit bedacht, als wenn sie mit all der unterdrückten Kraft ausbrechen und sich ihren Weg bahnen, ohne Rücksicht auf Verluste. Oder, noch schlimmer, nie im Ohr der Welt erklingen.

In diesem Sinne: Auf ein Wort!
NachtPoet ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.02.2008, 15:10   #2
Brachialegewalt
 
Dabei seit: 02/2008
Beiträge: 158

Einfach wunderschön, tut mir leid das ich kein bessere Aussage dazu machen kann, aber dieses Gedicht ist wunderschön
Brachialegewalt ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.02.2008, 17:33   #3
Terror Incognita
 
Dabei seit: 12/2007
Beiträge: 392

Standard RE: Das Mahl

Vorneweg:
Inhaltlich finde auch ich es sehr gelungen, der Reim "Blick" - "Aspik" ist natürlich nicht ganz sauber, aber dennoch ist der letzte Vers eindeutig ein Höhepunkt.

Sprachlich passt das alles, von mir mal nur eine handwerkliche Betrachtung.
Reimschema ist da und durchgehalten (mit der einen Einschränkung)
Was mich vom optischen stört ist das kursive und der große Titel, das sieht bescheuert aus.

So, Metrum:

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xXxXxXxXxX
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Der Wechsel stört hier nicht, sauber gearbeitet soweit.
Zwei Kritikpunkte habe ich aber noch:
1. So schön die Parallelismen in der zweiten Strophe sein mögen, sie sind auch gut gekmacht und gut gesetzt, ich finde sie passen nicht wirklich in den Erzählstil hinein. Aber das ist nur eine Kleinigkeit.

2. Der "Wein der Wahrheit" gefällt mir nicht. Das ist so eine 08/15-Metapher, wenn man mal davon absiehst dass du den Wein schon in S1 hattest. Auch wenn du vielleicht auf "In Vinum Veritas" anspielst, das wirkt nicht. Ich bin sicher da fällt dir besseres ein, denn der Qualitätsunterschied zwischen dieser Metapher und der vorhin schon gelobten "Lüge in Aspik" ist einfach zu groß.

Aber nach wie vor:
Gutes Handwerk und schönes Gedicht.

Gruß,
TI
Terror Incognita ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.02.2008, 17:54   #4
NachtPoet
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: München
Beiträge: 18

@Terror Incognita: Hach schön, fundierte Kritik 8^) hier gefällts mir

Vorneweg: Zum falschen Reim Blick-Aspik: War tatsächlich Absicht. So handelt es sich ja hier um die wunschgeträumte Lüge, und ich fand es nur passend, da einen 'gelogenen' Reim zu verwenden.

Und ja, das kursiv stört mich im Nachhinein auch 8^) war als optischer Absetzer zum Epilog gedacht, aber funzt nicht *editier*. Meinen Hang zu großen Überschriften hingegen behalt ich bei *g*

1. Ja, die zweite Strophe fällt ein wenig zu den anderen ab. Andererseits haben wir hier den Wechsel von der Betrachtung des Gegenübers zu der Selbstbetrachtung über einen distanzierten Blick auf beide gleichermaßen. Durch diese Distanzierung und Verallgemeinerung entsteht fast zwangsläufig ein Bruch in der Erzählintensität. Gibt Gründe, warum man in Erzählungen Perspektivenwechsel meiden sollte *g*
Was mich selbst am meisten stört, ist das Wörtchen "spülts", was einfach nicht schön in meinen Ohren klingen mag. Aber vielleicht geht es auch nur mir so.

2. Der Wein als Wiederholung ward von mir als zusätzliche Verstärung der Klammer von Vers eins zu Vers drei so gesetzt (2. Zeile zur vorletzten Zeile). Und ja, "Wein der Wahrheit" als Bild ist weit banaler als die "wunschgeträumte Lüge in Aspik". Aber das hat die Wahrheit im Vergleich zur Lüge meist so an sich *g*

Nochmals danke für die detaillierte Kritik, sowas hilft immer ungemein.
NachtPoet ist offline   Mit Zitat antworten
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