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Alt 04.08.2009, 05:47   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Die Abrechnung

Heute ist der Tag.

Gelegenheit, abzurechnen.

Im Haus ist alles still, alle sind fort. Ich bin allein, niemand kann mich beobachten, niemand wird mich erwischen.

Im Trockenraum hängt seit gestern abend die Kleidung von dieser Schnepfe über mir. Markenklamotten, nicht billig. Eine dunkelbraune Velourlederjacke, mit Pflegemittel frisch eingesprüht; eine brandneue schwarze Samthose mit passendem Bolero; ein champagnerfarbenes Cocktailkleid: drei Chiffonblusen, weiß, rot und russich-grün. Alles sorgfältig auf Kleiderbügel gehängt. Dazu zwei Leinen voll raffinierter Dessous. Lauter Sachen, die nie eine Waschmaschine von innen gesehen haben, die nie ein Tropfen Wasser benetzt hat - da bin ich hundertprozentig sicher, das würden sie gar nicht vertragen. Sie hängen schlicht und einfach da, um gesehen zu werden. Und zwar nicht nur von der weiblichen Konkurrenz. Wäre es nicht zu dick aufgetragen, hätte diese Ziege sicherlich noch einige Reihen ihrer „high heels“ dazugestellt, um die Männer im Haus vollends verrückt zu machen.

Noch jetzt kocht mir das Blut vor Wut, wenn ich daran denke, wie mein lieber Schatz gestern abend mit der größtmöglichen Phantasie, zu der er in Notfällen fähig ist, ein paar aberwitzige Gründe vorgetäuscht hatte, um nochmal „schnell“ in den Keller zu gehen. „Schnell“ bedeutete zehn bis fünfzehn Minuten Abwesenheit von Fernsehen und Bier, ohne daß der gesuchte Gegenstand in unserem pingelig aufgeräumten Keller zu finden gewesen wäre. Und das dreimal hintereinander!

Anfangs bin ich nicht wütend gewesen, da hat es mich nur traurig gemacht, daß mein lieber Schatz beim ersten Anblick unserer neuen Nachbarin Stielaugen bekam, die einer Schnecke die Überlebenschancen im Kampf gegen die feindliche Natur um mindestens das Dreifache erhöht hätten. Leider muß ich auch zugeben, daß dieses Weibsbild tatsächlich aussieht wie ein Hollywood-Import der Marke MM, ausgestattet mit den drei begehrten „B“: blond, Busen, Bein. Selbst den Hüftschwung bekommt sie hin, und auf ihren Stöckeln bewegt sie sich, als könne sie darauf Tschaikowskis „Schwanensee“ tanzen.

Da habe ich nichts dagegenzuhalten. Das hat mich zuerst gewurmt und bedrückt, aber dann bin ich wütend geworden – sauwütend!

Zeit, etwas zu unternehmen und der Schnepfe einen Denkzettel zu verpassen.

Ich nehme die beiden Sprühdosen, die ich mit gründlicher Überlegung beim Drogerie-Discounter ausgesucht habe, und schleiche in den Trockenraum. Womit anfangen, was zuerst? Die braune Lederjacke natürlich, Reizobjekt Nummer eins vom ersten Tag an. Da gibt es nichts zu überlegen: eine Dose links, eine Dose rechts und die Daumen auf die Sprüher, daß es nur so zischt! Apfelgrün und Zitronengelb machen sich wirklich gut auf Braun, und das Muster ist die wahre Wucht, ein Gemisch aus Pollock und Kandinsky. Ich bin von meinem Werk beeindruckt und empfinde ein warmes Glück.

Und jetzt das Cocktailkleid! Ich stelle mir vor, daß ein heißes Bad in der Waschmaschine positiv auf die Form wirken könnte, immerhin wäre der Stoff hinterher weniger steif. Würde der Fummel zudem schrumpfen, käme der Busen darin noch auffallender zur Geltung als bisher, jedenfalls was den Anteil sichtbaren nackten Fleisches betrifft. Das müßte dieser Schnepfe doch gefallen. Also Bullauge auf und hinein mit dem Fetzen! Die Chiffonblusen passen eigentlich auch gut in dieses Konzept, also alle drei gleich mit in die Trommel. Waschpulver drauf, Wasser marsch und Strom ab!

Dem satten Schwarz des Samtanzugs würde Entfärber gut tun. Davon habe ich ein ganzes Päckchen, bin gespannt, wie sich das macht. Könnte etwas grauschleirig werden. Das wird bestimmt eine ganz spannende Angelegenheit!

Bei den Dessous hilft nur die Schere. Viel zu üppig! Die Spitze muß weg, erst dann sitzen die Dinger so richtig knapp und sexy. Also – schnipp-schnapp, schnapp-schnipp, und weg damit!

Die Arbeit hat mich angestrengt, und jetzt bin ich rechtschaffen müde. Ich gehe in die Wohnung, gieße mir ein Glas Rotwein ein und warte mit Frieden in der Seele auf meinen lieben Schatz. Kurz vor Mitternacht – beinahe wäre ich eingenickt - vermeine ich, aus den unteren Gefilden des Hauses einen hysterischen Schrei zu vernehmen. Ich muß lächeln. „Hass und Niedertracht sind ein ideales Paar,“ denke ich, „sie tun einander richtig gut - und nichts kann sie trennen. Wohl dem, der sie zum Freunde hat.“

© by Ilka-M., 22.10.2008
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Alt 08.08.2009, 18:29   #2
weiblich C.Alvarez
 
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Liebe Ilka-Maria,

deine Geschichte hat alles, was ein guter Text braucht, ist spannend geschrieben, mit einem Schuss (Selbst) Ironie und dazu amüsant und nachvollziehbar.

Nur eine kleine Sache fällt mir auf:

Der eigentliche Täter bleibt mal wieder ungestraft. Gestraft wird wird ein Ersatztäter, weil man an den eigentlichen Täter nicht rankommt oder nicht rankommen will. Der geht straffrei aus. Der MM Verschnitt ist eigentlich selbst Opfer und wird nun zusätzlich noch bestraft.

So empfinde ich das ein wenig.

corey
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Alt 10.08.2009, 12:03   #3
weiblich Ilka-Maria
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Liebe Corazon,

richtig, die Täterin geht straffrei aus. Das erklärt sich daraus, daß die Geschichte beim Durcharbeiten eines Workshops entstanden ist. Die Aufgabe bestand darin, einen negativen Charakter zu erfinden und in den Mittelpunkt des Erlebens zu stellen. Angeblich sei es nämlich schwierig für einen Autoren, sich in negative Charaktere hineinzuversetzen.

Nun, ich hatte damit keine Mühe.

Danke fürs Lesen und Kommentieren.

LG
Ilka-M.
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Alt 10.08.2009, 14:51   #4
weiblich C.Alvarez
 
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
richtig, die Täterin geht straffrei aus.
Die habe ich nicht gemeint.

Ihn habe ich gemeint:

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
mein lieber Schatz
Lieber Gruss

corey
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Alt 10.08.2009, 18:14   #5
weiblich Ilka-Maria
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Oooch, der ist doch nur ein unschuldiges Lamm, das nichts angerichtet hätte. Der wollte sich doch nur umgucken. Der Krieg findet woanders statt. Und auch noch ohne Not! Einfach der alltägliche Wahnsinn!

Nicht vergessen: Es ist fiktiv.

LG
Ilka-M.
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Alt 10.08.2009, 18:30   #6
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Nicht vergessen: Es ist fiktiv.
Liebe Ilka-Maria,

das ist mir klar. Eine Frau in deiner gesellschaftlichen Position hat sicher andere Prioritäten und Möglichkeiten mit Dissonanzen und bilaterlalen Verstimmungen beziehungstechnischer Art umzugehen und fertig zu werden.
Sie zu finalisieren.

(Hab ich doch schön ausgedrückt, oder?)

Liebe Grüsse

corey
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Alt 11.08.2009, 02:55   #7
weiblich Ilka-Maria
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Corey,

du bist einfach umwerfend, wie du mit Sprache umgehst:
Zitat:
Dissonanzen und bilateralen Verstimmungen beziehungstechnischer Art
Ich kenne das als "atmosphärische Störungen". Heutzutage ist wohl alles etwas "heftiger".

LG
Ilka-M.
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