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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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25.12.2011, 16:11 | #1 |
Die (nicht-) tanzende Revolution
Ein Gedicht aus einer möglichen Zukunft.
Wir wollten immer eine Revolution. Aber als sie dann kam, war sie nicht gut genug. Sie war schlichtweg falsch. Mehr ein wutentbranntes Aufbegehren. Zerstören. Als ein Utopia. Eine Veränderung. Eine Idee. Ein Traumland aus friedlichem, einfachem Ignorieren von Herrschaft. Das war unsere Vorstellung von Revolution. Sich nicht mehr an Regeln halten und Gesetze. Sich nicht weiter dem kapitalistischen, Geld verherrlichenden System anpassen. Eigene Freiräume schaffen, eigene Systeme, unabhängig vom Ganzen. Unsere Revolution sollte tanzen können. Auf dem Parkett irgendeines schmuddelligen AZ's sollte sie sich mit dem Beat in Ekstase grooven. Unsere Revolution sollte Leben verändern, nicht sie zerstören. Doch das was kam, ergötzte sich am Töten. Lief Amok in allen Herrschaftsebenen und ließ nichts zurück außer der Angst und dem Hass der Überlebenden. Das was kam, war keine Revolution, sondern ein Bürgerkrieg. Ein Bürgerkrieg, den wir nie gewollt hatten. Der aber unaufhaltbar auf uns zustürmte und uns mitriss in unserer Wut, unserer Enttäuschung über das herrschende System. Und wir wurden selbst zu Amokläufern. Wir zerstörten und töteten, Soldaten, unter der Führung irgeneines selbsternannten Revolutionsführers. Guerillia- Kämpfer, die nichts kannten, außer dem Gedanken an Rache, an allen, die ihnen Leid zugefügt hatten. Und als wir merkten, was wir taten, war es schon zu spät. Tausende Städte waren vom Feuer zerfressen, standen vielerorts immernoch in Brandt. Ganze Armeen hatten ihren Tod gefunden, in Leuchtfeuern aus Granaten und Minen. Wir hatten das nie gewollt, und dennoch hatten wir mitgemacht. Einigen war das egal, sie scheerten sich nicht um das Wie der Revolution. Aber die meisten von uns quälte der Gedanke bei diesem Bürgerkrieg, dieser Vernichtungsmaschinerie, mitgemacht zu haben. Und sie erkannten, dass es kein Zurück mehr gab, dass ihre Revolution längst nicht mehr tanzte. Denn es gab keine Musik mehr, zu der sie hätte tanzen können. Es gab kein Parkett mehr, auf dem sie ihre Sorgen und Ängste hätte weggrooven können. Die tanzbare Revolution war ein Traum gewesen, der die Welt wirklich hätte verändern können. Aber bevor sie hatte richtig anfangen können ihre Hüften zu schwingen, war der Lärm gekommen, zerschlagene Bierflaschen, blutende Nasen. Zerstörungswut. Und die Revolution hatte dem nichts entgegenzusetzen. Sie hatte verloren. Die Musik war abgebrochen und das Parkett mit den Scherben unserer Utopie übersät. Der Traum war zum Alptraum geworden. Es gab keine Hoffnung mehr. Wir hatten aufgegeben und verfielen dem Wahnsinn. Niemand tanzte noch. Unsere Revolution war gescheitert. |
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25.12.2011, 18:26 | #2 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Utopia sieht eben gerade strenge Regeln vor, und zwar eine patriarchalische Hierarchie. Die Jungen haben sich den Älteren unterzuordnen. Die Utopier leben und arbeiten nach den Regeln des Kommunismus, d.h. Privateigentum gibt es nicht, die gemeinschaftlich produzierten Güter werden umverteilt. Zwar gibt es für Handwerker freie Berufswahl, aber für jeden auch regelmäßige Pflichtarbeit im gemeinschaftlichen Ackerbau. Es herrscht Sklaverei, die Menschen dafür sind im Ausland gekaufte Straftäter, die zum Tode verurteilt worden sind. Überbevölkerung der Städte wird ausgeglichen mit der Bildung von Kolonien (heute nennt man das "Zwangsumsiedlung"), umgekehrt werden bei Bevölkerungsrückgang Kolonisten zurückgeführt (also wieder Zwangsumsiedlung). So sieht das "Utopia" aus, von dem Thomas Morus träumte. |
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25.12.2011, 18:32 | #3 |
R.I.P.
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Revolutionen, die die Welt - zum Guten - verändern, bleiben Wunschtraum.
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25.12.2011, 18:47 | #4 |
Forumsleitung
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25.12.2011, 18:52 | #5 |
R.I.P.
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Ja. Das habe ich auch nicht bestritten.
Ich frage mich lediglich, wie man v o r der Enttäuschung der festen Überzeugung sein kann, mit Revolutionen etwas zum Guten (auf Dauer) zu ändern. U. |
25.12.2011, 19:16 | #6 | |
Forumsleitung
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Zitat:
... irgendwann mit dem Rücken an die Wand gedrängt sind und sich nicht anders zu helfen wissen, ... diese Leute empfänglich sind für Ideologien und Versprechungen, ... es tatsächlich Führungspersönlichkeiten bzw. Ideologen gibt, die glauben, das schultern zu können (wenn sie gescheitert sind, heißen sie dann "Rädelsführer"), ... diese Ideenverbreiter glauben, daß ihre Ideologie etwas viel weiter Entwickeltes ist als alle Ideologien davor, ... sie an den "neuen" Menschen glauben, usw., usf. Wer eine einfache, mühelose und dazu spannende Studie zum Thema haben will, schaue sich einfach den Film "Germinal" an. |
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25.12.2011, 19:18 | #7 |
R.I.P.
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Habe ich gesehen. Auch den "Robespierre" von Sieburg gelesen.
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25.12.2011, 21:12 | #8 | |||
Liebe Ilka- Maria und Thing,
"Utopia" in diesem ?Gedicht? ist nicht Utopia aus dem Buch von Thomas Morus. Utopia ist ja ein Begriff aus dem griechischen, der soviel wie "Nicht- Ort" bedeutet und einen wünschenswerten Zustand der Welt/ Gesellschaft beschreibt. Wie nun dieser wünschenswerte Zustand aussieht, ist denke ich jedem Träumer selbst überlassen. Im anarchistischen Teil der links- autonomen Szene, von denen dieses ominöse "Wir" im Prinzip handelt, ist Utopia ein herrschaftsfreier Ort. Ein Ort, wo die Menschen, ganz ohne führende Personen, friedlich miteinander leben. Weil sie sich zusammen auf ihre Regeln (also nicht 'keine Regeln', sondern keine !aufgezwungenen! Regeln) innerhalb ihrer Gemeinschaft verständigt haben. Eine Gesellschaft die dem Konsens- Prinzip folgt. Der Gedanke, dass einer sich immer an die Macht drängen würde, verfällt in diesem System, da Macht nicht nur durch den Mächtigen reproduziert wird, sondern immer auch durch die "Untergebenen". Machen die nicht mit, ignorieren sie einfach ihren "Herrscher" und leben ihr leben einfach ohne ihn weiter groß zu beachten, wäre dann der Herrscher, noch Herrscher? Ist ein Diktator, dert keine Untergebenen hat, denn überhaupt ein Diktator? Ich denke hier lautet die Antwort ganz klar: Nein. Mensch kann keine Macht ausüben, wenn er niemensch hat über den er Macht ausüben kann. Und so ist auch die Vorstellung in diesem Gedicht, die der tanzenden Revolution. Das herrschende System einfach entmachten, indem keiner mehr mitmacht. Aber das scheitert in diesem Fall. Nicht, weil es eine schlechte Idee wäre, sondern weil die Vorstellung von Revolution, die den meisten Menschen immernoch innehaftet, die der gewaltsamen Revolution ist. Einer Revolution, die nicht ohne Tote auskommt. Und so wird hier einer Revolution nachgejagt, die nicht funktionieren KANN. Nicht, wenn das Ziel eine herrschaftsfreie Gesellschaft ist. Es ist sozusagen ein Gedicht, dass sich, auf seine ganz eigene Art, mit dem Diskurs innerhalb der Szene auseinandersetzt. Der Fragestellung, wie Revolution nun auszusehen hat, aussehen könnte. Zitat:
Ich bin für mich zu der Überzeugung gelangt, dass eine gewaltsame Revolution, mit dem Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft, scheitern MUSS. Aber auch, dass die friedliche Revolution stände sie einer Gewaltsamen gegenüber, keine Chance hätte. Ein trauriger Gedanke. Zitat:
Revolution verändert immer etwas und oft sogar zum Guten (letzten Endes). Das Problem ist nur, dass es so viele Menschenleben kostet, dass mensch sich manchmal fragt, ob es das wert war. Und eine gewaltsame Revolution, da liegt in diesem Gedicht das Problem, KANN keine herrschaftsfreie Gesellschaft zur Folge haben. Aber ich denke, das habe ich jetzt oft genug erwähnt. Revolution muss also nicht scheitern, wenn sie andere Ziele hat. Zitat:
Indem mensch noch Hoffnung hat. Und Vorallem: Indem mensch, weiß!, dass sein "Utopia" funktionieren kann. Anarchie ist machbar, Herr Nachbar! PS. Keine falschen Vorstellung von der links- autonomen "Szene" bitte. "autonom" bedeutet in den seltesten Fällen "schwarzer Block". Wir sind soviel mehr. Wir sind Volxküchen, gemeinsam Kochen, Solitheken, Spenden an vielfältige Projekte, Konzerte, ausgelassen Tanzen, Kreidezeichnungen, lustig und bunt, Konfetti, (auch) lustig und bunt, Clownsarmy, denn Fasching ist immer, Mars TV, Kritik mal anders, Farbbomben, es muss nicht immer knallen, Zeitungen, Satire geht immer, Kletteraktionen, Transparente für das Brandenburger Tor, Vorträge und Seminare, Bildung ist wichtig, und so vieles mehr. Autonom sein, bedeutet Gemeinschaft sein, der Vereinzelung entgegenzuwirken. Und hiermit: Lieben Dank, dass ihr es geschafft habt, bis hierher zu lesen. Ich persönlich hätte es nicht geschafft. |
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25.12.2011, 21:19 | #9 |
R.I.P.
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Ich habe mir im Moment mal alles, was kurzgefaßt über Utopia und Utopie in wikipedia steht, durchgelesen.
@ Ilka-Maria - dort steht, daß Morus evtl. ironisch geschrieben hat. |
26.12.2011, 14:23 | #10 |
Meine eine Antwort war zu lang, oder? :P Ich hätte sie auch nicht gelesen, geschweige denn beantwortet
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