Wann ist es in Japan 19 Uhr?

[Jeronimo]

Wann ist es in Japan 19 Uhr?

Sketch


Drei Personen, Renate, Bernd und Udo sitzen im Restaurant. Udo sitzt Renate gegenüber, Bernd sitzt links von Renate. Auf dem Tisch steht eine Suppenterrine mit einer Kelle darin. Alle drei haben einen Suppenteller vor sich stehen, aber nur Bernd löffelt die Suppe. Udo und Renate unterhalten sich.

Udo: „Uns Astrophysikern werden ja häufig viele dumme Fragen gestellt. Beliebt ist die dumme Frage, was denn vor dem Urknall passiert ist bzw. was denn vor der Planck-Zeit war. Man kann es einem Laien einfach nicht erklären, dass es vor der Planck-Zeit weder Raum noch Zeit noch Materie gegeben hat, sondern nur ein unbestimmbares Chaos ohne irgendwelche Gesetzmäßigkeiten. Man kann es erklären, wie man will, immer kommt die Frage: Was war vorher?“

Renate:“ Ach Udo, du bist so belesen und gebildet, weißt alles über den Kosmos und die Entstehung der Erde und über die Plankton-Zeit, da erscheint mir einfach jede Frage dumm und peinlich, die man einem Astropsychiker stellt.“

Bernd löffelt langsam seine Suppe und schaut abwechselnd Udo und Renate an.

Udo winkt bescheiden ab. „Auch wir Wissenschaftler wissen nicht alles, und wenn du eine Frage hast, muss dir das nicht peinlich sein. Frag nur.“

Renate:“ Ich habe tatsächlich eine Frage und sie hat auch mit der Zeit zu tun, aber natürlich nicht mit der Plankton-Zeit und für einen Astro-Psychiker ist sie natürlich total banal und lächerlich.“

Udo:“ Aber nein. Ich bitte dich, frag nur.“

Renate:“ Also schön.“ Sie holt tief Luft. „Wann ist es in Äthiopien 19 Uhr?“

Udo schaut etwas verwirrt. „Was meinst du mit „wann“?“

Renate:“ Mit wann meine ich 19 Uhr.“

Udo: “Also wenn es hier…“

Renate haut impulsiv mit der Faust auf den Tisch. Die Suppenkelle dreht sich einmal im Kreis in der Terrine. Udo verfolgt sie erschrocken mit rollenden Augen.

Renate: “Hier meine ich nicht! Wie spät es hier ist, weiß ich ja. Da muss ich ja keinen Astropsychiker fragen.“

Udo:“ Aber man muss doch einen Vergleich haben!“

Renate:“ Ich bitte dich! Mach dich nicht lächerlich. Was willst du denn vergleichen? Ist es nicht vielmehr so, dass ihr Wissenschaftler jegliches Gespür für Normalität verloren habt? Ihr forscht in eurer eigenen Welt in eurem Laborkosmos und habt für die banalen Fragen unserer Welt gar keinen Zugang mehr. Oder weißt du, wie man seine Socken bügelt, wie man einen Drachen fliegt und einparkt, wie man einen Leberriss verbindet oder einen Kühlschrank tapeziert? Aber gut, vielleicht war Äthiopien auch zu schwer. Nehmen wir ein anderes Land. Nehmen wir Japan. Japan ist gut, das kommt oft in den Nachrichten, das könntest du kennen. Also: Wann ist es in Japan 19 Uhr?“

Bernd schaut gespannt auf Udo, der etwas säuerlich wirkt.

Udo: “Schau doch mal bitte auf deine Uhr.“

Renate: “Nein!“

Udo: „Wieso nein?“

Renate: „Weil ich eine nagelneue Seiko SymG35K1 Automatikuhr trage und die möchte ich schonen. Und wegen dir werde ich sie bestimmt nicht abnutzen.“

Udo verwundert: „Aber du sollst doch nur draufschauen…“

Renate: „Eben…“

Udo: „Wenn du die Zeiger –“

Renate haut wieder mit der Faust auf den Tisch und die Suppenkelle dreht wieder ihre Runde.
Bernd löffelt vorsichtig seine Suppe.

Renate: „Du kannst doch einfach zugeben, dass du es nicht weißt. Du hast doch selbst gesagt, dass Wissenschaftler nicht alles wissen und Astropsychiker offenbar noch weniger …“

Udo wird ärgerlich. „Aber das ist doch Blödsinn! Du hast die Frage nicht richtig gestellt! Das ist doch ganz einfach. Wenn es hier in Deutschland – “

Renate haut wieder mit der Faust auf den Tisch. Die Kelle rotiert ein weiteres Mal. Renate ist sichtlich in Rage.

Renate: „Es interessiert doch gar nicht, wie spät es in Deutschland ist, du dummer Astropsychiker! Kennst du irgendeinen Japaner, der hier nach Deutschland anruft, um nach der Uhrzeit zu fragen, damit er weiß, wie spät es bei ihm ist?“

Sie nimmt ihre Handtasche von der Stuhllehne, stopft ihre Utensilien, die auf den Tisch liegen hinein, steckt auch den Suppenlöffel mit ein und schimpft, während sie das tut.

„Die Frage ist nicht richtig gestellt“, äfft sie Udo nach, „Der Herr weiß nicht, wie spät es in Äthiopien ist, der Herr weiß nicht, wie spät es in Japan ist, der Herr möchte, dass ich an meiner neuen Uhr rumfummle, damit die Garantie verfällt, nur damit der Herr weiß, wie spät es hier im Restaurant ist anstatt in Okinawa. Bernd---!“

Bernd hält mit dem Essen inne, den Mund geöffnet.

Renate: „Bernd, was ist es in Japan 19 Uhr?“

Bernd verdreht angestrengt die Augen. „Um 19 Uhr?“

Renate: „Genau!“ Sie steht auf. „Komm, wir gehen, Bernd. Dieser Poet ist kein Umgang für uns!“

Sie zieht Bernd am Arm vom Stuhl hoch und geht schnell Richtung Ausgang. Bernd folgt ihr zwangsläufig, den Suppenlöffel noch in der Hand.

Udo bleibt verdattert zurück. Alle Augen der anderen Gäste ruhen auf ihn.
Die Tür knallt zu und noch einmal dreht sich die Suppenkelle im Kreis.

Jeronimo

[Schmuddelkind]

Geile Szene! Alle drei Figuren kommen mir so bekannt vor, besonders diese Renate kenne ich. Und Bernd ist total lustig.

Hast den beinah gegenstandslosen Konflikt sehr fein und mit jeronimoschen Witz gezeichnet und die Auflösung erinnerte mich an das Ei des Kolumbus.

Klasse!

LG

[Thing]

Hahaha -
den Udo kenn ich auch nur zu gut!

Hast ja den Astropsychiker und Planckton schön durch den Kakao gezogen.

Amüsiert:
Thing

[Schmuddelkind]

Der Astrophysiker erinnert mich zudem peinlich an den jungen Schmuddi.

[Thing]

Und?
Kannste mir erklären, was hinter dem Weltall oder außerhalb des Weltalls ist?

[Ex-Ralfchen]

um 19 uhr el JERONIMO.

[Schmuddelkind]

Und?
Kannste mir erklären, was hinter dem Weltall oder außerhalb des Weltalls ist?

Nein, aber ich konnte früher genauso klugscheißermäßig auf wichtig tun.

[Thing]

Ja, mit ein paar Ausdrücken aus der Fachterminologie rumstrunzen - und die andern halten sich für doof...

[Jeronimo]

Eigentlich wollte man doch nur einen netten Abend verbringen mit dem leidigen Umweg übers Restaurant, dessen Ambiente diese Damen nicht zu schätzen wissen.
Und weil man keine Vorurteile hat, sieht man über die Beschränktheit der Dame bis zum Frühstück hinweg.
Die kommt aber mit einem Berufszeugen an, steht urplötzlich auf vegetarisch und möchte einen intellektuell auflaufen lassen.
Da hat man einfach schlechte Karten, vor allem, wenn einem nur bestimmte Sätze gestattet sind ...

Lieben Dank an Schmuddelkind, Thing und Ralfchen, der wie immer die Lösung sofort wusste.

Jeronimo

[Ex-Peace]

Köstlich, Jeronimo!

Ich hätte wahrscheinlich genauso rotiert wie die Suppenkelle.

Liebe Grüße
Peace

[Jeronimo]

Lieber Peace,

vielen herzlichen Dank, dass es Dir gefallen hat!