Versace versus H&M

[Isis van Raxy]

Es ist noch nicht einmal sechs Uhr in der Frühe, da drücken sich die Massen völlig debiler pubertierender Mädels, bisweilen auch seltsame Auswüchse der Erwachsenenwelt, die sich die Nase an der Schaufensterscheibe plattdrücken. Insgeheim sammeln sie alle für sich schonmal soviel Sauerstoff wie möglich, um beim Einlass bis in die letzten Reihen zu stürmen. Jeder nimmt schon die kämpfende Startposition ein, hier ist alles erlaubt. Ob beissen, kratzen oder der Einsatz des Ellenbogens und der Fingernägel! Hauptsache man kriegt soviel man tragen kann. Alles was glitzert, glänzt, funkelt oder einfach nur PINK ist, wird auf die Schulter gewuchtet. Ohne Rücksicht auf Verluste, wie z.b. meine eigenen Haare, an die sich eine hysterisch brüllende, sichtlich verzweifelte Jugendliche klammert, damit sie schneller irgendwo herankommt (egal wohin, ich schätze sogar Streichhölzer von Versace könnten sich hier überteuert auf dämliche Besitzer freuen...) Was sie bekommt? Nun, das ist ihr, wie dem Rest der überschnappenden Jugendlichen Mädchen, dabei eigentlich egal. Es scheint, als ob dies das Paradies vieler Hartz4-Empfänger ist, die einen ganzen Swimmingpool voller Pfandflaschen gefunden haben und sich nun in das schnoddrige, glibbrige Becken werfen um möglichst viele davon einzusammeln...

Auch ich komme nicht zum atmen, geschweige denn zum denken...Ach hätte ich bei dem Geburtstvorbereitungskurs meiner Schwester die kunst des Ein-und Ausatmens nur ernster genommen! Ich fische drei verschiedene-alle PINK- Pumps aus dem Wühltischhaufen, die ich mir näher ansehen will, als sich die Masse vor mir teilt, wie das rote Meer damals zu Moses-zeiten. Ein vor gier geifernder Daniela Xatzenberger-Verschnitt, mit bedrohlich wackelnder Oberweite, stürzt auf mich zu. Mein Leben zieht noch einmal an mir vorbei, als ich sehe, wie sie das passende Gegenstück meines erbeuteten High-heel in der Luft schwenkt, als ob sie mir die Kriegserklärung erteilt. Aber..Oh nein! Da hat sie sich mit der falschen angelegt, gut gezielt kicke ich ihr meinen getragenen Stöckelschuh gegen den Kopf. Kreischend stürzt sie durch die Menschenmassen, zwischendenen ich schnell abgetaucht bin. Von hier unten hat man ja sogar die beste Sicht auf lachsfarbende Stütztrümpfe und den vielen hässlichen Schuhen einiger Kaufsüchtigen. Gegenüber sitzt ein Baby unterm Grabbeltisch halb vergessen, läuft das so? Baby gegen Versace? Dann könnte meine ältere Schwester hier ja so richtig abräumen.

Tatsächlich verstehe ich jedoch schneller als geahnt, warum manch hysterisch taumelnde Mütter mit Versace-Brosche in der Hand, ihren Kinderwag...äh ...panzer mitbringen. Sie walzen dich einfach platt oder Sie halten dir das brüllende Baby solange "unabsichtlich" ans Ohr bis du aufgibst! Aber nicht mit mir:" So!" entfährt es mir laut wie eine Kriegserklärung.Ich habe schon alles über den Arm gelegt, ein Kleiderbügel im Mund, an dem ein "kleines Schwarzes" baumelt und versuche nun krampfhaft an meinen Geldbeutel zu kommen, um die Kreditkarte herauszufummeln. Hinter mir mutieren die Mutter zu Hooligans und der ein oder andere Schuh fliegt. Schockwellenartig wird mein Körper in der Kassenschlange nach vorn gedrückt! Es wird lauter gestöhnt, als beim Sex hier, vereinzelte Schmerzenslaute sind zu vernehmen.Hätte ich mir lieber eine Eintrittskarte für justin bieber gekauft und ich würde das locker überleben,denke ich mir noch bevor

der Kreditkartenautomat an der Kasse rattert und meine Karte wieder herausspuckt, sonst nichts...? Momentmal muss man hier nicht eigentlich auf der Rückseite des Kassenzettels unterschreiben? Schnell lasse ich das ganze Prozedere nochmals mit einer anderen Kreditkarte über mich ergehen. Die Ziege an der Kasse entnimmt meine Visa-karte und schneidet sie, diabolisch lächelnd, in zwei Teile!! Mir ist nach heulen, toben, schreien zumute! Hinter mir ertönen "Buh"-Rufe, gleich zwei Mädels kreischen synchron: "Ich nehm Ihre Sachen!!!"

Entnervt wühle ich in meiner Geldbörse und finde noch 50€. Der Schein würde exakt für die obere- oder untere Hälfte des Kleides reichen. Also bezahle ich widerwillig einen Schal von Versace, den ich einer Oma im Kampf entrissen habe.

Ich lasse mir meinen Stolz nicht nehmen und müßige mich thriumphierend herab, um der Kassenschnepfe den Befehl zu erteilen, eine passende Tragetasche für das erlesene Stück"Haute Couture" zu suchen. Sardonisch lächelnd wird meine Versace-Errungenschaft von einer boshaft wirkenden Verkäuferin in eine Mini-Plastiktüte gestopft und Zack! Schon bin ich vor die Ladentür geschoben worden. Dort hole ich erstmal tief Luft, von meinem " kleinem Schwarzen" kann ich wohl weiterträumen.. Einkaufen um glücklich zu sein ist eine harte Angelegenheit und ich muss mich wohl mit meiner mageren Ausbeute zufrieden geben und mich im Spiegel des Schaufensters selbst bestaunen, denn eigentlich sieht der, eben im Kaufhauslicht glänzende Schal, nicht nach Haute Couture aus, sondern eher nach dem seltsamen Stück, das meine Oma sich um die Schultern legte, wenn es ihr kühl wurde.

Ich zünde mir genervt eine Zigarette an, als mich ein Hartz4-Empfänger, der eine riesige Tüte voll Pfandflaschen mit sich trägt, mit einem glücklichen, zahnlosem Lächeln im Gesicht ansieht und mich auf seinem Heimweg streift...