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Alt 01.11.2009, 14:50   #1
weiblich Scilla
 
Dabei seit: 10/2009
Alter: 73
Beiträge: 9


Standard Mein Kastanienbaum

Wenn ich aus meinem Küchenfenster schaute konnte ich ihn sehen, stolz und gewaltig stand er da.
Es war im Monat August und in diesem Monat des Jahres erschien er am prächtigsten. Er sah so gesund und kräftig in seinem satten Grün aus als wolle er allen zeigen daß er eben der schönste Baum auf dieser Straße war.Seine großen Blätter umschlossen ihn so dicht daß es vom Fenster aussah als trüge er einen schweren grünen Mantel.
An einigen Stellen seiner Äste hingen bereits seine ersten Früchte.
Noch waren sie von einem stacheligen Mantel umschlossen der bereits eine bräunliche Farbe annahm.
Ein Zeichen dafür daß sie bald aufplatzten. Die darin reifen Kastanien würden bald zu Boden fallen.
Es war schön auf diesen prächtigen großen Baum hier von meinem Fenster aus , auf ihn zu sehen.
Strahlte er doch in seinem ganzen Aussehen so viel Ruhe und ein großes Vertrauen aus.
Nichts schien ihn zu stören , oder in seinem Ganzen zu erschüttern.

Mittlerweile ging der Monat September zu Ende.
Wenn man mit all seinen Sinnen die Natur wahrnahm, dann konnte man schon den nahenden Herbst spüren.
Erste Nebelschwaden zogen am frühen Morgen schon über die Felder und die Sonne schien zu glänzen wie pures Gold.
Mein Kastanienbaum war in diesen Tagen umringt von Menschen.
Groß und Klein zogen ihn an, lagen doch an seinem Fuße die nun abgefallenen reifen Früchte.
Sie wurden nun emsig von allen Vorbeikommenden gesammelt.
Mensch und Tier bedienten sich nun von dem was er abwarf und er hatte um diese Zeit kaum Ruhe.
Große Stöcke und Steine wurden in seine Äste geworfen um die letzten darauf
hängenden Früchte herunter zu holen.
Bald lag der Boden um ihn herum voll mit seinen Blättern, abgebrochenen Ästen und den leeren Schalen der daraus entnommenen reifen Kastanien.
Es war eine Zeit der Unruhe für den Baum, obwohl er gerade dann am meisten begehrt und besucht wurde.
Es war Dezember.
Langsam fielen die letzten braunen Blätter des Baumes zu Boden.
Nur hier und da versuchte noch ein Blatt sich verzweifelt an den Ästen festzuhalten, aber der Wind, der nun schon kräftig an ihm rüttelte, holte auch die letzten Blätter restlos herunter.
Es war einsam geworden um meinen Baum.
Die Menschen blieben in ihren Häusern und die Früchte, die er noch vor einiger Zeit zu bieten hatte, waren längst vergeben.
Sein Kleid aus grünen Blättern umgab ihn nicht mehr und schaute ich aus dem Fenster, sah es so aus als würde er in seinem Gerippe aus kahlen Ästen frieren.
Nichts erinnerte mehr an den prächtigen stolzen Baum der er einst vor Wochen war.
Es sah aus als wollte er sterben.
Der Februar sog in`s Land und eins morgens war "mein" Kastanienbaum eingehüllt in ein weißes Kleid.
Von meinem Fenster sah es aus , als trüge er ein Hochzeitskleid.
Die ersten Sonnenstrahlen, die zaghaft hervorkamen, ließen ihn glitzern und er sah wunderschön aus.
Der Schnee, der nun alles bedeckte schluckte jeden Laut und es herrschte eine feierliche , wundersame Ruhe.
Es sah aus als würde sich der Baum in der sich um ihn herum herrschenden Stille ausruhen und seine Kräfte für den Frühling sammeln, der nicht mehr weit war.
Die Sonne wurde mit jedem Tag kräftiger und der Kastanienbaum sah plötzlich aus als schien er zu weinen.
Der ihn bedeckende Schnee schmolz dahin, wurde wässrig und tropfte langsam zu Boden. Goße Wasserpfützen bildeten sich zu seinen Füßen.
Und dann eines Tages im März lugten ganz vorsichtig die ersten grünen Blättchen durch seine Äste hindurch.
Er wirkte fröhlich , bald würde es wieder Sommer sein und dann würde es nicht mehr lange dauern bis er wieder der geliebte und begehrte Baum war, dank seiner Früchte die Mensch un Tier anzogen und erfreuten.
Schließlich wußte er darüber genau Bescheid denn dies erlebte er schließlich immer auf`s Neue und das schon viele, viele Jahre lang.
Die Sonne die ihn warm beschien und der Regen der ihn tränkte, sorgten dafür daß sich das hellgrün der Blätter immer mehr ausbreitete und er mehr und mehr ein zartes Blütenkleid erhielt.
Und dann kam die bunteste Seite des Baumes. Die wärmende Sonne half ihm dabei. In einem wunderschönen rosarot von weißen Knospen gekrönt, hingen große Blüten in Form von Reben an seinen Ästen.
Sie waren die Vorreiter für die Früchte, die er bald wieder tragen würde.
Er zeigte sich zu dieser Zeit in seiner vollen Pracht und wirkte in seiner Größe stolz und erhaben.

Eines Tages erschütterte das Rattern großer Baumaschinen die Erde.
Gestank von heißem Teer durchdrang die Luft.
Hastig liefen die Menschen hin und her.
Männer, die unter seinen dichten Ästen verweilten, sprachen laut und diskutierten heftig.
Lange Stöcke wurden in die Erde gesteckt und um in herum wurde vermessen und fotografiert.
Den Kastanienbaum konnte dies alles nicht erschüttern.
Er stand da, fest groß und wuchtig wie schon viele Jahrzehnte vorher.

Dann aber kamen Menschen mit großen Sägen.
Sie begannen damit den Stamm des schweren Baumes zu durchsägen.
Das laute Zischen der Säge drang bis zu meinem Küchenfenster.
Es war als würde "mein" Baum in seiner Not um Hilfe rufen.
Aber die Menschen ließen von ihrem Vorhaben nicht ab.

Gnadenlos sägten sie weiter, schließlich war die Straße, die bald hier vorbeiführen sollte, wichtiger.
Der Baum würde den Verlauf der Straße stören.
Dann verstummte das Zischen der Säge.
Mit einem gewaltigen Krachen neigte der Baum sich zu Boden, so als wollte er um Gnade bitten.
Aber er hatte für immer verloren.
Nie mehr würde er in seinem grünen Blätterkleid das ihn wie einen Mantel umgeben hatte, dastehen.
Nie mehr würde er Menschen und Tiere erfreuen,die ihn wegen seiner reifen Früchte Jahr für Jahr besucht hatten.
Nie mehr in einem weißen Kleid aus Schnee in der Sonne glitzern und glänzen als hätten sich 1000 Sterne darin verfangen.

Mein Kastanienbaum war tot.
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