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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 23.01.2013, 09:30   #1
männlich otto
 
Dabei seit: 07/2012
Ort: Berlin
Alter: 86
Beiträge: 191

Standard Unverschuldet

Das glück hat filigrane, schwache beine,
Ein scheuer stein, dem lebensberge ausgeschlagen
Ist es nicht haltbar, nicht mit trauern, klagen,
Es kommt und geht, perdu, für sich alleine.

Im grunde schwach, verträgt es keine härte,
Versprüht die funken todgeweihter sonnen,
Gewinnen läßt kein glück sich, leicht verronnen,
Propheten webten daraus ihre bärte.

Und wer es hat, ist gleich an es verloren,
Es ist ein wankelmütig scheues wesen
Weit besser ist es glück aus pech zu lesen,
Dem haftet es, du bist dem leid geboren.

Dein stein, die lebenslast aus schattengrauem,
Dein berg, aus niederlagen neu zu bauen.
otto ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.01.2013, 10:31   #2
weiblich Ex-Nitribitto
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2011
Ort: Berlin
Beiträge: 407

Standard Unverschuldet

Hallo Otto,

gefällt mir, dein Sonett über das Glück. Glück ist eine variable Konstante, mit der man nicht rechnen darf. Wenn es kommt, ist es gut, kommt es nicht, muss man es verschmerzen. Ich lese ein kleines ironisches Lächeln aus dem Gedicht heraus.

Trotzdem die Frage: Kann ein Stein scheu sein? Im Gegenteil, ein Stein ist doch gar nicht scheu. Immerhin liegt er einem immer aufdringlich im Wege.

Nicht so richtig gefällt mir die Zeile und wer es hat, ist gleich an es verloren. Grammatikalisch ist alles korrekt, aber ich finde sie etwas ungeschickt formuliert.

In der Zeile weit besser ist es, Glück aus Pech zu lesen fehlt das Komma hinter "es".

Was mir gar nicht gefällt, ist die Kleinschreibung mit der Anfangs-Versalie. Entweder alles klein, oder Normalschreibung. So aber macht es einen doch etwas ungeschickten Eindruck.

Aber was soll es, es ist ein schönes Sonett, ich habe es gern gelesen.

Lieben Gruß
Nitribitto
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Alt 23.01.2013, 10:45   #3
Thing
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Zitat:
Zitat von otto Beitrag anzeigen
Das glück hat filigrane, schwache beine,
Ein scheuer stein, dem lebensberge ausgeschlagen/Komma
Ist es nicht haltbar, nicht mit trauern, klagen,
Es kommt und geht, perdu, für sich alleine./statt perdu evtl. dahin?

Im grunde schwach, verträgt es keine härte,
Versprüht die funken todgeweihter sonnen,
Gewinnen läßt kein glück sich, leicht verronnen,
Propheten webten daraus ihre bärte.

Und wer es hat, ist gleich an es verloren,
Es ist ein wankelmütig scheues wesen
Weit besser ist es glück aus pech zu lesen,/Komma nach "es"
Dem haftet es, du bist dem leid geboren.

Dein stein, die lebenslast aus schattengrauem,
Dein berg, aus niederlagen neu zu bauen.

Lieber otto,


ein sehr schmerzliches Gedicht, das mich tief anrührt.
Und welche Erkenntnis in den beiden letzten Versen!
Das "scheu" finde ich - und ganz gewiß nicht aus Opposition - an beiden Stellen passend, denn scheuhat zumindest fünf Bedeutungen.

Wehmütigen Gruß
von
Thing
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Alt 23.01.2013, 12:53   #4
männlich otto
 
Dabei seit: 07/2012
Ort: Berlin
Alter: 86
Beiträge: 191

Standard Unverschuldet

Zunächst danke für das Lesen, ihr beiden.

Zum Text:

Der Stein hat wegen seiner auch physikalischen Eigenschaften derer viele : in der Tat kann er im ( auf dem...) Wege liegen, er kann vom Berg rollen, passiv betrachtet kann er aufgehoben werden ( in der antiken griechischen Mythologie
gab es den, der den Stein immer wieder auf den Berg schleppte; hier gilt das Schicksal des von den Göttern Abgestraften, wer kennt, erkennt sich nicht in ihm?). Wir kennen den getragenen, den geschleppten Stein, den am Finger oder
bei den Pyramidenbauern. Uns gilt der verlorene Stein, der des Weisen, der edle polierte, der zertrümmerte, ja sogar der preußische Reformator fällt mir ein.

In meinem Gedicht steht der Stein zugleich als der Berg, wie auch ein Teil von
ihm. Das Glück als vergänglicher, als lebenslänglicher Ballast eines Wunsches oder real, als manchen kostenbarer Augenblick eines unverschuldeten Glückes. Denn es ist nicht unser selbstverschuldetes Verdienst, wenn wir Glück haben. Aber wie ich im Gedicht
ausführte, haftet es zugleich am Pech. Aber es scheint mir lebenslanges Glück
die Strafe der Götter erdulden müssen. Denn nur so stellt sich die Sinnfrage nach dem Leben. Ich meine, dass das Leben an und für sich sinnlos scheint (so kommt es mir vor). Also frage ich nach dem Sinn m e i n e s Lebens, indem ich ihm selbst einen Sinn gebe ( sozusagen an den strafenden Göttern vorbei). Von Albert Camus ist bekannt, daß er Sisyphos ein Lächeln zuerkannte, wenn dieser den herabgerollten Stein im Tale wieder aufnahm. Das Lächeln seiner Verachtung, die den Göttern galt, ein flüchtiger Augenblick, um Kraft aus einer weiteren Niederlage zu schöpfen. Der Stein (Glück) im Berg, das Leben ein Berg, das alltäglich zu Bewältigende. Hier habe ich mit einer doppelten Metapherbedeutung gespielt.

Wie Thing anmerkt geben die letzten beiden Verszeilen möglicherweise einen Aufschluß wie bei einer aufgeschlagenen Druse, deren eingeschlossener Schatz ins Licht tritt. Und so ist die meinem Stein ( hier als flüchtiges Glück gemeint) das Scheue beigegeben, weil das Glück etwas ist, das "kommt und geht", liebe Nitribitto. Danke Dir auch für das " geschenkte" Komma. Die Kleinschreibung, so wie ich sie handhabe, soll mir weiter so bleiben. Meine Ungeschicklichkeiten sind alle zu überlesende Unikate. "Und wer es hat, der hat es gleich an es verloren": Hier habe ich dem "ES" noch eine andere Bedeutung unterlegt. Aber die möchte ich an dieser Stelle nicht ausführen und lasse es kryptisch. Denn so bewahre ich mir das mich " verrückende" ES.

So bleibt denn gesund und fröhlich in der Mitte der Woche.

Gruß, otto
otto ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.01.2013, 12:59   #5
Thing
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Beiträge: 34.998

Albert Camus ist da aber sehr großzügig gewesen.
Ich selbst habe S. ebenso wie Tantalos immer sehr bedauert.

Daß Sisyphos im Grunde zur Metapher wurde (und hurtig rollte der tückische Marmor!),
macht die beiden Endverse noch tiefer.
Und lapidarer.


LG
Thing
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