Andere Hände

[poetra]

Ihr Wunsch war Weitweg von dir und all dem
So zu tun: unversehrt, geburtlos, kein Problem.
Sie hat gesucht und ohne dich nur -das- Leben gefunden,
ihre ausgefüllte Leere und Sorglosigkeitsstunden.
Hat Liebe in sich hinein nur gekehrt
vermisste Nähe dir, Zufrühkind, morgenrot schon verwehrt

Brachst aus deiner Not: erst einmal ungesehen.
Sie war bei ihm, Blicke, Worte, ein einziges Gehen.
Dir Fehlen würde sie -doch- Sie zu halten irgendwie...
Warst am Ertrinken im Versuch richtig zu sein nur für sie:
niemals krank, oder hungrig und so leise, gefühlsstill,
fern von Fordern oder Drängen oder einem Habenwill.

Sie ließ dich allein, warst verwundert, zu früh selbstbestimmt.
Kleine Jahre, voller Stille, die viel Raum in dir nimmt.

Standst an der Tür, verschlossen, verlassen irgendwie.
Man trug dich fort, hat gebracht dich hierher- ohne sie,
ließ dich hier fallen, Alleinsein, das fiel dir nicht mehr schwer,
Hungerangst, und diese Kälte nahmen dich ein, viel zu sehr.

Öffnungszeiten deiner Seele nur sehr selten, wenn: allein
Brachst kaum Wort- Denn Wortbruch ihr gegenüber wär' gemein...
Keine Tränen, keine Wut: Nur Schlafen im Neuzimmer.
Das dir gegeben, lange Zeit, aber eben doch nicht für immer.
Tief, fest und traumgut, weichgefallen in andere Wände.
Haben dich genommen, auf und in gutenachtwarme Hände.

Nun schlafe, schlaf ein.
Ich betrachte fremd und still
dich, Kind, dessen Mutter
dich nicht mehr haben will.

[gummibaum]

Hallo poetra,

ein schönes Gedicht über die Stationen eines aus befremdlich kühlem Leben in wärmere Gefilde abgereisten Kindes. Alle seine Anpassungen hoben die Distanz nicht auf. Die Mutter durchbricht zwar im Nachhinein empathisch die Distanz ("brachst aus der Not"), macht sie dem Leser aber auch bewusst in dem anonymen "man", den maschinell wirkenden Operationen an einem vergegenständlichten Wesen, dem Protokollstil usw.

Gern gelesen
gummibaum

[C.Alvarez]

Hallo poetra,

dein Gedicht hat mich wirklich beeindruckt. Die Sprache, die Wortschöpfungen wie "Zufrühkind", "Hungerangst" und andere, das sind schon Highlights in einem Text, der eposähnlich die Sinne emotionalisiert und eher sensibler Naturen wie mich zu Tränen rührt. Es ist eher selten, dass ich hier einen Text finde, der ohne bemüht zu wirken so eindringlich unter die Haut geht. Da kann ich dir nur meine Anerkennung für so ein umfangreiches Werk aussprechen, etwas ähnliches habe ich hier bisher noch nicht entdeckt, grosse Klasse!

CDP

[poetra]

Hallo, lieber Gummibaum,

vielen Dank, dass du dir die Zeit für eine Rückmeldung genommen hast.
Deine Deutung war spannend für mich, da ich den ganzen Text beim Schreiben an unsere kleine Mitbewohnerin adressiert habe und somit das 'du' durchgängig an sie gerichtet gemeint war. Deine Interpretation des kurzen Aufbrechens der Mutter war interessant für mich- und tatsächlich nicht falsch und die Mehrdeutigkeit war mir nicht bewusst. Den Text mit deinem Blickwinkel noch mal zu lesen, war eine kleine Überraschung...

Danke dir dafür und die lieben Worte!

Poe

Liebe CDP

danke dir für so lobende Worte! Weiß gar nicht, was ich da sagen soll außer: danke, das tat gut! Hänge an dem Text, weil er in der ersten Zeit mit unserer kleinen Mitbewohnerin entstand...

Ein ganz lieber Gruß
Poe

[Ex-Letreo71]

Schwer und unsagbar schwer zu verdauen...
Mir fehlen die Worte...

Anerkennende Grüße liebe Poe von

Letreo

[poetra]

ich danke dir für deinen Rückmeldung... In Reimform war das gar nicht so einfach inklusive der Gefühle zu verpacken. Wie gut, wenn es richtig ankommt, auch wenn es schwerer Inhalt ist...

Liebgruß
Poe