Kleine Ode an den Großvater bei Poetry.de

Thing · 10.03.2011, 22:52

Der Jüngste war er unter den Geschwistern.
Klein und flink und sehr geweckt.
Im Stall an Kuh- und Pferdenüstern
hat er sein Hüteschicksal früh entdeckt.
Als Schulerbub schuf er Erstaunen.
Er war so klug. Sein Geist war wach.
Pastoren, Lehrer hört' man raunen:
Der wird mal was. Legt das nicht brach!

Der Kleine wollte Hirte sein.
Doch man verwehrte ihm die Schafe.
Zuerst war Studium ihm nur Strafe.
Dann taf ihn Gott. Im Einsamsein.

Er wurde dann zum großen Überwinder.
kat exochän der Glaube ihm.
"Hüt ich nicht Schafe, so hüte ich jetzt Kinder
des Herrn. Ich halt die Ziem."

Er wurde nie irre. Er wurde nie schwach.
Die Braunen brachten viel Ungemach.
Eine Halbjüdin wagte er zu begraben.
Er, unter Hundert, traute sich, Mut zu haben.

Man nahm ihm das Recht, in der Schule zu lehren.
Nur auf der Kanzel durft man ihn hören.
Er sollte geknebelt werden mit deuschem Recht..
aufrecht blieb er, allein Gottes Knecht.

Er fehlt mir. Er fehlt mir so sehr.
Wer weiß, was ich ohne ihn geworden wär.

Ex-Odiumediae · 10.03.2011, 22:57

Sehr bewegend und gefühlvoll erzählt!

Und da Du den geistlichen Großvater schon des Öfteren erwähnt hast, nehme ich an, die Geschichte ist so nah an der Wahrheit, wie es Deine eigene Erinnerung nur sein kann.

Thing · 10.03.2011, 23:12

Ja, alles authentisch.
Ich war 17 Jahre alt, als er starb.
Die Reichskammer- und (leider) auch die Synode in Speyer haben ihm schlecht verbrämt Sanktionen in Aussicht gestellt (davon habe ich mir Fotokopien gemacht). Selbst von den Wingolfiten-Brüdern haben nur wenige zu ihm gehalten. Das zeigt, wieviel Angst vor Repressalien herrschte.
Mein Großvater war zwar enttäuscht und auch gekränkt, blieb aber unbeirrt.

N a c h der Kapitulation haben sich selbst Gegner liebedienerisch an ihn gewandt. Und er war großmütig. Der große Verzeiher.

Thing

Ex web-del · 10.03.2011, 23:16

Welch ein bemerkenswerter Mensch muss der Großvater gewesen sein - Hut ab vor so viel Menschlichkeit!

Beneidenswert, solch einen Menschen gekannt zu haben.

web-del

Ilka-Maria · 10.03.2011, 23:18

gelöscht - nicht wegen eigener Meinung, sondern mangels einschlägiger Erfahrung.

Thing · 10.03.2011, 23:24

Halli Hallo, web-del -

es war eher der persönliche Mut, der mich ihn bewundern ließ und läßt.
Menschlichkeit besaß meine Großmutter auch. Aber sie mußte sie nicht gegen die Obrigkeit verteidigen.

Thing

@ Ilka-Maria:
Das finde ich nobel.

PeterB · 11.03.2011, 09:39

Lieber Thing,

ein sehr berührendes Gedicht, besonders das Fazit.

Danke fürs Zeigen.

P.

Ex-Schamanski · 11.03.2011, 10:11

Ich schließe mich dem Lob an.

Es erinnert mich an eine wahre Anekdote aus dem schlesischen Dorf, aus dem meine Vorfahren väterlicherseits kommen.

In diesem Dorf lebte der alte K., ein überzeugter Kommunist. Als nach der Wahl 1933 der Dorfamtmann in einer Versammlung verkündete, das Dorf habe zu 100% die NSDAP gewählt, stand der alte K. auf und sagte, 100% könnten es nicht sein, denn er habe für die Kommunisten gestimmt.

Thing · 11.03.2011, 10:14

Wie mutig!
Respekt!

gummibaum · 13.03.2011, 00:14

Das Gedicht geht zu Herzen. Klar und würdig wie der Großvater ist auch der Stil dieser ihm gewidmeten Zeilen. Danke, Thing. LG gummibaum

Thing · 13.03.2011, 11:09

Halli Hallo, Gummibaum!

Hab Dank für das freundliche Lob!
Ich freue mich, daß Du Inhalt und Stil kongenial findest.

LG
Thing

10.03.2011, 22:52	#1
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Kleine Ode an den Großvater Der Jüngste war er unter den Geschwistern. Klein und flink und sehr geweckt. Im Stall an Kuh- und Pferdenüstern hat er sein Hüteschicksal früh entdeckt. Als Schulerbub schuf er Erstaunen. Er war so klug. Sein Geist war wach. Pastoren, Lehrer hört' man raunen: Der wird mal was. Legt das nicht brach! Der Kleine wollte Hirte sein. Doch man verwehrte ihm die Schafe. Zuerst war Studium ihm nur Strafe. Dann taf ihn Gott. Im Einsamsein. Er wurde dann zum großen Überwinder. kat exochän der Glaube ihm. "Hüt ich nicht Schafe, so hüte ich jetzt Kinder des Herrn. Ich halt die Ziem." Er wurde nie irre. Er wurde nie schwach. Die Braunen brachten viel Ungemach. Eine Halbjüdin wagte er zu begraben. Er, unter Hundert, traute sich, Mut zu haben. Man nahm ihm das Recht, in der Schule zu lehren. Nur auf der Kanzel durft man ihn hören. Er sollte geknebelt werden mit deuschem Recht.. aufrecht blieb er, allein Gottes Knecht. Er fehlt mir. Er fehlt mir so sehr. Wer weiß, was ich ohne ihn geworden wär.

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10.03.2011, 22:57	#2
Ex-Odiumediae abgemeldet Dabei seit: 07/2010 Beiträge: 1.151 Meine Gedichte	Sehr bewegend und gefühlvoll erzählt! Und da Du den geistlichen Großvater schon des Öfteren erwähnt hast, nehme ich an, die Geschichte ist so nah an der Wahrheit, wie es Deine eigene Erinnerung nur sein kann.

10.03.2011, 23:12	#3
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Ja, alles authentisch. Ich war 17 Jahre alt, als er starb. Die Reichskammer- und (leider) auch die Synode in Speyer haben ihm schlecht verbrämt Sanktionen in Aussicht gestellt (davon habe ich mir Fotokopien gemacht). Selbst von den Wingolfiten-Brüdern haben nur wenige zu ihm gehalten. Das zeigt, wieviel Angst vor Repressalien herrschte. Mein Großvater war zwar enttäuscht und auch gekränkt, blieb aber unbeirrt. N a c h der Kapitulation haben sich selbst Gegner liebedienerisch an ihn gewandt. Und er war großmütig. Der große Verzeiher. Thing

10.03.2011, 23:16	#4
Ex web-del abgemeldet Dabei seit: 10/2009 Beiträge: 132 Meine Gedichte Meine Favoriten	Welch ein bemerkenswerter Mensch muss der Großvater gewesen sein - Hut ab vor so viel Menschlichkeit! Beneidenswert, solch einen Menschen gekannt zu haben. web-del

10.03.2011, 23:18	#5
Ilka-Maria Forumsleitung Dabei seit: 07/2009 Ort: Arrival City Beiträge: 31.115 Meine Gedichte Meine Favoriten	gelöscht - nicht wegen eigener Meinung, sondern mangels einschlägiger Erfahrung.

10.03.2011, 23:24	#6
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Halli Hallo, web-del - es war eher der persönliche Mut, der mich ihn bewundern ließ und läßt. Menschlichkeit besaß meine Großmutter auch. Aber sie mußte sie nicht gegen die Obrigkeit verteidigen. Thing @ Ilka-Maria: Das finde ich nobel.

11.03.2011, 09:39	#7
PeterB abgemeldet Dabei seit: 11/2010 Beiträge: 236 Meine Gedichte	Lieber Thing, ein sehr berührendes Gedicht, besonders das Fazit. Danke fürs Zeigen. P.

11.03.2011, 10:11	#8
Ex-Schamanski abgemeldet Dabei seit: 12/2010 Beiträge: 2.884 Meine Gedichte	Ich schließe mich dem Lob an. Es erinnert mich an eine wahre Anekdote aus dem schlesischen Dorf, aus dem meine Vorfahren väterlicherseits kommen. In diesem Dorf lebte der alte K., ein überzeugter Kommunist. Als nach der Wahl 1933 der Dorfamtmann in einer Versammlung verkündete, das Dorf habe zu 100% die NSDAP gewählt, stand der alte K. auf und sagte, 100% könnten es nicht sein, denn er habe für die Kommunisten gestimmt.

11.03.2011, 10:14	#9
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Wie mutig! Respekt!

13.03.2011, 00:14	#10
gummibaum Dabei seit: 04/2010 Alter: 70 Beiträge: 10.909 Meine Gedichte	Das Gedicht geht zu Herzen. Klar und würdig wie der Großvater ist auch der Stil dieser ihm gewidmeten Zeilen. Danke, Thing. LG gummibaum

13.03.2011, 11:09	#11
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Halli Hallo, Gummibaum! Hab Dank für das freundliche Lob! Ich freue mich, daß Du Inhalt und Stil kongenial findest. LG Thing