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Alt 21.03.2008, 12:06   #1
dark-creativity
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 4


Standard Ein Funken Wahrheit und ein Tropfen Blut

Ein Funken Wahrheit und ein Tropfen Blut

Er wusste nicht, ob gebrochene Herzen schlagen konnten, doch es musste wohl so sein, denn er lebte.
Er lebte für die Existenz. Und sein Herz schlug um zu existieren. Er atmete um da zu sein.
Und das nannten sie Leben.
Doch die Zeiten, in denen man tief Luft holen konnte, waren vorbei.
Er hatte sich zu weit von sich selbst entfernt, als dass er sein Leben selbst gestalten könnte.
Sein Herz war rein. Doch sein Kopf ein Ort rasender Gedanken, die nicht einmal die seinen waren.
Empathie durch Sympathie war einmal sein Motto gewesen, doch war es längst zum unaufhaltbaren Mittelpunkt seines Denkens geworden.
Er fühlte es einfach zu sehr, als dass er seinen eigenen Stolz, seine eigenen Sorgen, sein eigenes Leben, seine eigenen Probleme haben konnte. Es gab einmal einen Zeitpunkt, an dem er sich dieses FÜHLEN nicht hatte erklären können.
Leben hatte für ihn immer eine besondere Bedeutung gehabt, so wie es für jeden eine besondere Bedeutung hatte.
Der Inhalt eines erfüllten Lebens bedeutete für manche die Erfüllung eigener Träume.
Und für andere bestand ein schönes Leben aus einer einzigen, langen, ewig erscheinenden Suche nach dem Höhepunkt des Glücks und einem Zuhause, dass einem Schutz schenkte und die Fähigkeit, einen eigenen egoistischen Charakter aufzubauen.
Für ihn war es das spitze Messer eines lockenden Todes, der wusste, fühlte, und das sich langsam aber gewiss immer tiefer in den wunden Punkt bohrte, um ihn von innen heraus zu foltern und ihm klar zu machen, dass es für ihn nie so etwas geben würde.
Er sah die Menschen, die Tiere, die Pflanzen, die Sonne.
Und im Gegensatz zu den Menschen, für die diese Dinge alltäglich waren und denen die Existenz derer geradezu gleichgültig erschien, fühlte er die Natur.
Er fühlte den Schnee unter seinen nackten Füßen knirschen, und es waren die schmerzhaften Sekunden, in denen er sich darüber im Klaren war, dass seine Seele und sein Herz reiner waren als die anderer. Und dass er noch wusste, was Heimat und Ursprung waren.
Es waren die Sekunden, in denen er etwas in der Hand hatte und wusste, nicht fühlen musste, was andere fühlten, weil er endlich einmal selbst fühlte, was es bedeutete zu existieren.
Und auch er war ein Mensch. Er konnte nichts dafür.
Er lächelte, lachte, tanzte, malte. Auch er sah, tat
diese Dinge, doch fühlen konnte er sie nicht.
Stattdessen fühlte er das kleine Mädchen, das sich ängstlich ans Knie ihres Vaters drückte, als er sich näherte, weil der Mann, der sie missbraucht hatte, dieselbe Mütze getragen hatte.
Er fühlte ihre Angst.
Die Leute mochten die Hunde sehen, die Zähne fletschend an der Kette zerrten, um zuzubeißen.
Doch er fühlte, wie ihre ausgemergelten Körper und ihre tiefen Augen nach Liebe suchten und ihre Zähne waren Zähne, die davor bewahren sollten, verletzt zu werden. Wieder einmal.
Er fühlte die Hunde, die sie Kampfhunde nannten, am Gitter hochspringen, die ungeschnittenen Krallen an den Stäben kratzen, und er fühlte, wie sie ihre gelben Zähne zeigten.
Und sie waren unsichtbare Liebe mit Zähnen. Zähne, die zerreißen konnten, weil sie zu Zähnen gemacht worden waren, die zerreißen können.
Und er fragte sich, warum sich die Leute Worte wie „fiktiv“ ausdachten und einfach so naive und selbstsüchtige Geschöpfe ohne Charakter waren.
Und es war ihm, als hörte er ihre Schreie, die diese Unhörbaren Wesen in die chaotische Welt ausstießen, in der Fairness Dinge regierte, die nicht ihre waren.
Sie fühlten es nicht.
Er fühlte das Mädchen, das sich jeden Tag nach dem Abendbrot im Badezimmer einschloss, um die Möbelzusammenstellung des Wohnzimmers, in dem ihre Mutter gestorben war, als Muster zu rekonstruieren, indem sie es mit viel Sorgfalt mit der Schere in ihre Haut einzeichnete.
Sie ritzte nicht, sie zelebrierte eine besondere Art der Kunst. Es war ihre Erinnerung. Und es war seine Erinnerung.
Er fühlte den brennenden Urin der alten Frau auf seiner Haut, wie er warm und flehend in seine Poren drang, um ihm die Geschichte aus Windeln, Dessous, und Gebissen zu erzählen, deren Struktur sie Leben nannte. Sie würde sterben, das wusste sie, das fühlte er, und doch wollte sie nicht als hilflose Urinprobe auf dieser Erde verweilen. Er fühlte ihre Bitte nach einem Ende in Würde. Und es war sein Flehen nach dem Ende der Reise.
Und vor allem, obwohl die Naivität der Menschen dies als unwichtigstes Detail wahrnehmen würde, sah er den Turnschuh eines kleinen Jungen, den seine Lehrer liebenswert nannten, und der sich langsam auf den Regenwurm senkte, aus Neugier auf den Aggregatzustand eines zerquetschten Tieres, das es nicht verdient hatte, denselben Boden zu betreten wie er. Es war Notwehr.
Sie sagten, jeder müsse diese Erfahrungen sammeln.
Doch er fühlte das Gegenteil.
Er fühlte die Faust in seinem ausgemergelten Gesicht, dessen Furchen sich jeden Tag tiefer in die Haut drängten, als wollten sie vor der Aufdringlichkeit des Lebens fliehen, die einen Jungen traf, der schon lange am Boden lag. Er fühlte die Füße, die diesen Jungen traten.
Und er fühlte die salzigen Tränen, die dessen Gesicht als stumme Dekoration zierten wie der Beweis, dass es so etwas wie Gefühle gab. Er fühlte die Gefühle. Und es waren seine Gefühle.
Und er fühlte, dass die Stimmbänder dieses Jungen gelernt hatten, nicht zu reden, sie nannten es petzen, und dass sie gelernt hatten, beim Weinen keinen Ton von sich zu geben.
Und er fühlte, dass der magere, schielende Junge, dessen gerötete Augen seit Monaten surrende Alarmlampen waren, nicht mehr lange da sein würde um zu leiden.
Er fühlte seine Ungewissheit. Und es war seine Ungewissheit.
Sehen. Sehen würden sie morgen die Leiche eines mageren Jungen mit roten, schielenden Augen, der aufgrund angeborener Depressionen von der Brücke gesprungen war.
Und er fühlte die bittere Wahrheit, die hart wie eine Steinmauer war und doch so durchsichtig, dass sie kein anderer zu sehen, fühlen schien. Er fühlte die Wahrheit. Und es war seine Wahrheit.
Er fühlte die Schrift, die sich qualvoll und quälend und organisiert über die Plastikboxen zog, welche die Mäuse, ja sie nannten es tatsächlich so, „beherbergte“.
Er fühlte die kalten, unerbittlichen Handschuhe, die „Versuch abgeschlossen“ dazu kritzelten und er spürte das kalte und gefühlslose Packen eines quietschenden Schwänzchens, dessen Körper als überflüssiges Teil in die Tonne geworfen wurde, aus der Gas drang, das aus den Seelen der Unschuld bestand. Er fühlte ihre Hilflosigkeit. Und es war seine Hilflosigkeit.
Es hatte wieder aufgeräumt werden müssen.
Er fühlte die Welpen hinter der Glasscheibe, die die Welten voneinander trennte, deren Mutter man bereits wieder decken ließ.
Er sah das Kind, „süß“, sagte es und zupfte am Ärmel seiner Mutter.
Das Lächeln des süßen Welpen war in Wirklichkeit ein helles Aufjaulen, ein Hilferuf nach seiner Mama, den man durch die Wand der Interpretation nicht hören konnte. Er fühlte ihre Angst. Und es war seine Angst.
Er fühlte die Gesichter längst gestorbener Menschen, die erschöpft und mit einer gewissen Erleichterung dem Tod in Verkleidung entgegenblickten und in freudiger Erwartung ihre Hände nach den Duschköpfen reckten und Münder öffneten, um das Gas ihrer Mörder sie langsam von innen heraus auffressen zu lassen.
Er fühlte ihren Schmerz. Und es war sein Schmerz.
Sie hatten nie verstanden, dass diese Welt aus Ebenen bestand.
Wahrheit und Wirklichkeit waren traurige Gedanken. Traurige Gedanken wollten sie nicht. Sie logen.
Ihr Aberglaube an Kommunikation und Fortschritt war so tödlich, so abstoßend und doch irgendwie zivilisiert und menschlich.
Wenn sie von Alltag sprachen, meinten sie das beruhigende Gefühl, noch da zu sein.
Und wenn sie von Glück sprachen, dachten sie an das egoistische Etwas, das Streben nach dem Besten, eine Vollkommenheit und Erinnerung an das Trugbild, das ihnen sagte, das Leben sei lebenswert.
Eine Lüge, eine Lebenslüge und zugleich eine Lüge, die alle Leben überleben würde.
Sie hatten nie gefühlt, dass es anders war.
Und wenn er in den Himmel blickte, auch wenn er sich Mühe gab, fühlte er Gott nicht.
Und er sah ihn nicht einmal.
Und zum Einschlafen hörte er die Stimmen all derer, die dem wunden Punkt, den Biologen und Ärzte mit der Bezeichnung „Herz“ umschrieben, nichts anderes als Schmerz zufügen wollten.
Sie liefen weg, und er wollte auch weglaufen.
Doch die Realität und Wahrheit waren ihm näher als sein eigenes selbst.
Es gab eine Zeit, in der er dieses Gefühl, diesen Zustand nicht hatte definieren können.
Heute konnte er es. Die Erkenntnis traf ihn wie die Gewissheit seiner Entscheidung.
Er hatte sich von sich selbst distanziert.
Und wenn er morgens früh erwachte, fragte er sich, wer Hendrik war.
Fremd war er.
Und wenn er seine Haut berührte, fühlte er sie nicht.
Er fühlte die brennenden Tränen einer Substanz, die aus verletzten Gefühlen, Schlägen und Bruchstücken einst reiner Seelen bestand. Und sie brandmarkten ihn wie die Eisen, die aus Angst vor dem Chaos in das Fleisch der Kühe gestochen wurden, und deren Schreie nach Rechten und Mutter Natur mit Gesang und Gelächter übertönt wurden, zur Beruhigung der eigenen Schuldgefühle. Und es waren seine Schuldgefühle.
Er fühlte, wie die Tränen aller Existenz sich in ihn einbrannten und ihn mit einem tiefem Schmerz versahen, als sei er auserwählt um zu leiden.
Das Gelächter tat ihm weh.
Er fühlte ihren Schmerz. Und es war sein Schmerz.
Er fühlte ihre Angst. Und es war seine Angst.
Er fühlte ihr Leid. Und es war sein Leid.
Er fühlte ihren Tod. Und als das Messer auf den wunden Punkt traf, war es sein Tod.
Er wusste nicht, ob gebrochene Herzen schlagen konnten, doch es konnte nicht so sein, denn er lebte nicht mehr.
dark-creativity ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.03.2008, 12:26   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


-verschoben, da dies kein Theaterstück ist-
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.03.2008, 12:27   #3
dark-creativity
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 4


ja, hab mich aus versehn verklickt...
dark-creativity ist offline   Mit Zitat antworten
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