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Alt 11.04.2012, 08:37   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
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Standard Lieutenant Whitman

Schreibtischtäter haben stets blitzblank saubere Hände.

Den Militärs, die den mörderischen Krieg gegen die Apache führen, wird der Rücken gestärkt von Hasspredigern wie dem Sonderbeauftragten und Agenten Mowry, der sich einen großen Brocken vom Gewinn der im Apachegebiet gefundenen Erzvorkommen verspricht und lautstark verkündet:
„Es gibt nur eine Art der Kriegsführung gegen sämtliche Apachen. Ein ständiger, beharrlicher Krieg muss durchgehalten werden, man muss ihnen in ihre Schlupfwinkel folgen, sie müssen eingeschlossen werden, ausgehungert, überwacht und getötet.“

Damit sagt er ja nun nichts Neues, er wiederholt nur, was schon von viel höherer Stelle herabtönte, was es seit jeher von Regierungsseite zu „sämtlichen“ Apache zu sagen gibt, sprich zu den Jicarilla, Mescalero, Mimbreno, Mogollones, Chiricahua, Tonto, Coyotero und Pinaleno, die sich selbst Inde nennen in ihrer Gesamtheit, das Volk.
Aber inzwischen scheint es doch tatsächlich Leute zu geben, die diese Maßnahmen nicht ausschließlich unvermeidlich und unbedingt begrüßenswert finden, Leute ohne Ehrgefühl, die ihr verräterisches Schandmaul immer weiter aufzureißen wagen, weshalb er wohlweislich hinzufügt:

„Sollte die Vorstellung irgendeinen Weichling, der sich für einen Menschenfreund hält, entrüsten, kann ich nur sagen, dass ich ihn bedauere, ohne sein Mitgefühl zu teilen. Ein Mann könnte ebenso gut Mitgefühl mit einer Klapperschlange oder mit einem Tiger haben.“

Er könnte nicht nur, er kann, Menschenfreund her oder hin.

Ich hab mal einen Tiger gesehen bei einem kleinen Wanderzirkus, der in einem engen schmutzigen Käfig vor sich hindümpelte und ein elendes Dasein fristete, um abends in der Manege einen auf wilde Bestie machen zu dürfen für seine angefaulten Fleischbrocken. Die herrliche Katze hatte mein tiefstes Mitgefühl, wenn ich gekonnt hätte, hätt ich sie heimlich aus ihrer Einzelhaft befreit- mag sein für ihren Gnadenschuss, aber nicht bevor sie den fetten Zirkusdirektor aufgefressen hat, als Henkersmahlzeit sozusagen.

Schwester Klapperschlange, die unter meinem Sattelkopfkissen schläft, ist sowieso eine alte Freundin von mir, die mir jederzeit von ihren Nöten vorrasseln kann und ein offenes Ohr findet bei mir, man muss ihr Gift aus den Zähnen gemolken und getrunken haben, um... ach lassen wir das.

Ein Desperado könnte ebenso gut Mitgefühl haben mit Männern wie Mowry, hat er aber dem Himmel sei Dank nicht, die Kanaille sollte lieber darum beten, ihm nie zwischen die Finger zu geraten. Aber an dieses Pack kommst du nicht so leicht ran, die hocken gut abgeschirmt und bewacht unter den Ventilatoren ihrer feudalen Bürostuben und schwingen sich auf zu Herren über Leben und Tod.

Natürlich könnte ich mich hoffnungsvoll auf die wenigen Gegenstimmen stürzen, aber wenn die so optimistisch daherkommen wie die jüngste Verlautbarung des Mimbreno Agenten und Indianerforschers Graves, der da sarkastisch resümiert „alles, was von einer aufgeklärten und christlichen Regierung wie der unseren erwartet werden kann, ist, den Durchgang zum endgültigen Abschied der indigenen Völker von der Bühne menschlichen Daseins langsam und reibungslos zu gestalten“, kann ich nur sagen, der gute Mann ist auf dem besten Wege ein Desperado zu werden.

Die blutige Drecksarbeit überlassen sowohl Schreibtischtäter als auch Generäle sowieso den niederen Blauröcken, denen die Sonne das Hirn restlos ausgebrannt hat, so sie denn eins hatten, die der quälende Durst in den schrillen Wahnsinn getrieben hat und sie in gewissenlose mordlüsterne Ausgeburten verwandelt. Was natürlich keine Entschuldigung sein soll, eher ein hilfloser Erklärungsversuch, der jedoch allein daran scheitert, dass nicht alle Soldaten zu Verbrechern werden im Fegefeuer der Wüste.

Ihr Kampfgeist jedenfalls hat im Laufe der Apachenkriege beträchtlich gelitten, selbst General William Sherman, seines Zeichens oberster Befürworter des totalen Krieges, verliert die Lust daran, die uneinnehmbaren Gebirgsfestungen der „Cochise Stronghold“, in denen sich Cochise mit seinen Kriegern seit Jahrzehnten mehr oder weniger unsichtbar verschanzt, und der gefürchteten „Chiricahua-Mountains“ ergebnislos zu belagern.

„Wir haben Krieg gegen Mexiko geführt, um Arizona zu bekommen, und wir sollten einen weiteren Krieg führen, es wieder los zu werden.“
Hat der große General wortwörtlich so an die Bundesbehörden geschrieben, da geht einem doch so richtig das Herz auf. Welcher weitere Krieg gegen wen das nun genau sein soll, weiß zwar niemand so recht zu sagen, aber ein General ist es eben gewohnt, sämtliche Probleme mit kriegerischen Mitteln zu lösen.

Ein unlösbares Problem wie die zähen Apache hingegen kann selbst einem Sherman den Spass am Kriegführen gründlich verleiden.

In so einer festgefahrenen Situation muss man eben auf die bewährte Bürgerwehr zurückgreifen, die keinerlei Hemmung hat, über friedlich lagernde Stämme herzufallen und ihre Familien mit Feuereifer bis auf die letzte Seele niederzumetzeln, deren Sippen nichts zu tun haben mit den erbitterten Verteidigungskämpfen gegen die Army, sich bereitwillig ergeben um zu überleben und lieber ihre von Blauröcken überwachte Ruhe haben wollen.

Vor der Bürgerwehr freilich bewacht sie kein Mensch, ja doch, einer, Lieutenant Royal Whitman, aber der kommt leider zu spät um Häuptling Eskiminzin und seine Ariavaipa vor dem anrückenden Unheil warnen zu können geschweige denn davor bewahren.

Ein sympathischer Mann, der da mit seiner kleinen verstaubten Truppe im Schatten der Berge lagert und mir, einem Fremden und schrägen Vogel, sein schweres Herz ausschüttet, weil der eben grade zufällig neben ihm auf den nachkochenden Felsen sitzt, offensichtlich so einiges erlebt hat und ebenso viel vertragen kann, wenn nicht gar alles, so wie der jetzt schon aussieht, dieser schillernde Federhut, der mit seinem undurchsichtigen Coyotero Scout geplaudert hat wie mit einem alten Bekannten.

Ich habe mich unauffällig dazugesellt, weil diese Männer eine andere Ausstrahlung mit sich herumtragen als die sonstiger Kompanien, man entwickelt dieses feine Gespür mit der Zeit, wenn jeder Soldatenhaufen zum Scharfrichterkommando werden kann, der einem in der Wüste begegnet.

„Als ich ankam,“
erzählt er stockend, „als ich ankomme, finde ich fast nur Frauen vor, eine große Anzahl davon, die man erschossen hat, während sie neben den Heubündeln schliefen, die sie erst an diesem Morgen gesammelt hatten. Überall liegen getötete Verwundete herum, die nicht schnell genug hatten flüchten können und denen sie mit Steinen und Keulen die Schädel eingeschlagen haben, andere sind am ganzen Leib mit Pfeilen gespickt, die sie ihnen in ihre leblosen Körper trieben, als sie bereits tot am Boden lagen.“

Er nimmt einen kräftigen Schluck aus seiner Feldflasche und prüft den blassen Himmel über sich, als wolle er darin eine Antwort finden.
„Alle waren sie splitternackt ausgezogen, sie haben ihnen die Kleider förmlich von den toten Leibern gerissen.“
„Nicht nur von den toten“, ergänzt der Militärarzt rau, der hinzugetreten ist und sich wie selbstverständlich die Feldflasche reichen lässt von seinem Lieutenant, „ich habe Frauen gesehen, die ohne Zweifel vorher vergewaltigt wurden, bevor man sie erschossen hat, man konnte es deutlich daran erkennen, wie sie die Ärmsten haben liegenlassen. Einen Säugling habe ich gefunden, höchstens zehn Monate alt, dem haben sie drei Kugeln verpasst, dem Kleinen vermutlich vorher einen seiner kleinen Füße so gut wie abgehackt, hing nur noch an der Haut am Bein.“

Der Doc wendet sich ab, schlürft mit müden Schritten zu seinem Sanitätszelt zurück und verschwindet hinter dem Vorhang des Eingangs.
„Weißt du, Desperado, was Häuptling Eskiminzin, den die Meute aus unerfindlichen Gründen am Leben gelassen hat, unter Tränen, verstehst du, unter Tränen zu mir gesagt hat unmittelbar nach der Schlächterei, als ich mit meinen Leuten ankam?“, wendet sich Whitman wieder an mich, „ich möchte nicht länger leben, sagt der Mann zu mir, aber noch lange genug, um jenen Menschen die uns das angetan haben zu sagen, dass nichts was sie tun mich dazu bringen kann, meine Treue zu euch zu brechen, solange ihr zu uns steht und uns verteidigt.“

Er schweigt und brütet in tiefer Düsternis vor sich hin.
„Keiner war da, sie zu verteidigen, nicht ein einziger, wir sind zu spät gekommen, zu spät. Das werde ich mir mein Lebtag nicht verzeihen, mein ganzes Leben lang nicht.“

„Wieso“, merke ich auch mal ein paar Worte an, „Sie haben zu spät Wind bekommen von der Sache, ist doch nicht Ihre Schuld, das Gesocks war einfach einen Tick schneller, die Generals und Majors wussten längst Bescheid über deren Pläne, ach was, die Herrschaften haben die Brut selbst losgeschickt, inoffiziell versteht sich, Sie aber, Lieutenant, man, du hast getan was du tun konntest.“

„Nicht genug, nicht viel genug.“
Er brütet weiter vor sich hin und ein schwarzes Loch in den Boden, ich mach mich mal wieder auf den Weg, da muss er durch, und der schafft das, das weiß ich.

Ich sollte mich nicht irren.

Whitman gibt so lange keine Ruhe, bis die Verantwortlichen des Gemetzels vor Gericht gestellt werden, wo sie zwar, wie nicht anders zu erwarten, in allen Punkten der Anklage freigesprochen werden, aber der Mann hat immerhin seine Ehre wieder. Sicher nützt ihm die reichlich wenig in Bezug auf seine vielversprechende militärische Laufbahn, die nämlich ist schlagartig zu Ende, ja Whitman selbst wird mehrmals unter Anklage hanebüchener Bezichtigungen vors Kriegsgericht gezerrt, kann sich aber jedes Mal erfolgreich rechtfertigen.

Dass Whitman ein paar Jahre nach dem Massaker die Nase gestrichen voll hat von dem Verein, den Dienst quittiert und die Armee verlässt, war wohl das Beste, was er tun konnte. So muss er sich wenigstens nicht vorwerfen, auch nur in irgendeiner Weise in das verwickelt gewesen zu sein, was da noch alles an Niedertracht und Grausamkeit gegenüber den Apache folgen sollte, so dass keiner sich bemüßigt fühlen muss, den stinkenden Indianerfreund auf offener Strasse zu erschießen.

Nicht alle Blauröcke werden zu Verbrechern im Fegefeuer der Wüste, nicht alle.

Nur leider die allermeisten.
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