Sella Ronda

[knorri-verdorri]

Oh Sella, Du hast Dich gewehrt, hast uns Schotter vor die leder-umspannten Knöchel geworfen, ließest die steile Scharte zu einer ewig abwärtsführenden Rolltreppe mutieren, auf der wir hamstergleich auf profiliertem Gummi den Kampf gegen dahinrinnende Kiesel nur mit großer Mühe und im spitzen Winkel zur Gravitationslinie gewannen.

Und doch war es nur ein Teilerfolg bei der Erstürmung Deiner Festung, als wir diese, Deine dritte Bastion, schließlich nur mit beherztem Hand- und Stockeinsatz überwanden, um endlich, aus engem Kamin hervor-lugend, Deinen Gipfel erspähend, dem Irrglauben verfielen, nun sei alles nur mehr ein Katzensprung, ein leichter Marsch von nicht mehr als zwei Viertelstündchen und wir würden uns von Deinem Gipfel unter türkisblauem Himmel die gewaltige Rundumsicht auf alle Dolomitenfelsen einverleiben können.

Nein Sella, Du hast uns getäuscht. Mit der wissenden Gelassenheit Deiner jahrmillionenreichen Erfahrung ließest Du uns Stein für Stein, Schritt für Schritt, Fels für Fels unsere unruhige Hast abarbeiten, hast Dich bei jedem unserer ungeduldigen Schritte ein Stück zurückgezogen, unsere Wahrnehmung narrend, hast Du gleich einer Schnitzeljagd rot-weiße Markierungen erscheinen und auch wieder nicht erscheinen lassen.

Du hast uns an der Nase herum- und in Klüfte hineinmanövriert, in Deinem Imperium aus geschliffenem Dolomit. War es nur, weil wir uns mit modernster Technik auf eine genehme Höhe haben liften und sesseln lassen, ohne den Saum Deiner Wälder zu durchstreifen, ohne die erste und zweite Felsenbastion eigenfüßig zu durchsteigen um direkt ans Eingemachte zu kommen?

Och Sella, Du olles Korallenriff. Vielleicht hättest Du es lieber gesehen, wenn wir schnorchelnd, von Luftbläschen umgeben, auf Dich zugesteuert wären, vom Golfstrom geleitet, an der Biskaya rechts abbiegend zur Franzenfeste, um dem zwinkernden Fingerzeig Luis Trenkers folgend im Passogardenastrudel auf Dich hinzuwirbeln, nur um von Deinem Pisciaduloch angesaugt zu werden und einem Schwarm neolateraler Beißfische als Morgenfutter zu dienen, damit der Frieden Deines Korallenriffs, des wahrlich schönsten in ganz Nordpangäa, nicht gestört würde?

Oh Sella, das kannst Du vergessen. Zu hoch haben Dich die Erdkräfte aus dem Meer gehoben. Jetzt stehst Du da seit Jahrmillionen. Immer im Wind und gut abgetropft und dennoch ungemütlich, wenn heftige Schauer ihren Griesel bevorzugt an Deinen Westflanken ablegen oder dicke Tropfen sich an Dir festsaugen wollen. Doch solcherlei Tand lässt Du in majestätisch würdevollen Wasserspielen an Dir abperlen.

Du, mit allen Wassern gewaschen, von allen Winden gepeitscht, vom Frost angeknackst aber nicht gebrochen, stehst Du dreitau-sendeinhundertzweiundfünfzig Meter über dem Meeresspiegel, vier Pässe in Deiner Handtasche, vier Täler zu Deinen Füßen, vier Himmelsrichtungen, die sich an Dir orientieren und vier verschiedene Vehikel, die Dich von Sonnenauf- bis untergang brummend, surrend, quietschend und hupend umwuseln. Sella ronda in quattro ori und chinqento secondo.

Sind wir schon über der Dreitausendmetermarke? Sie scheint nir-gendwo verzeichnet zu sein. Dabei müssen Dich doch Heerscharen von Vermessungsingenieuren umwoben haben, jeden Fels kategorie- und katalogisierend beäugend und notierend, Deinen dezimalgetreu positionierten Spitzen Namen gebend wie Neunerspitze, Zehnerspitze ... Gut, das war nicht immer sehr originell. Torre Corallione con doppio Zabbaione würde eher passen, schließlich sind wir ja heute in Italien.

Warum haben Sie keinen fluorszierenden Dreitausendmeterring um Deine Spitze gezogen? Dann wüssten wir jetzt wenigstens, woran wir sind. Dreitausend Me-ter sind schließlich kein Pappenstiel. So hoch ist kein Berg in Deutschland. Trotz steigendem Bruttosozialprodukt. Vermutlich haben wir früher unsere Dreitausender nach Österreich verscherbelt, für Milch und Käse. Schließlich sind wir ja Exportweltmeister. Jetzt stehen wir da. Ohne einen einzigen Dreitausender und müssen übern Brenner oder drunter durch um an Deine und unsere Grenzen zu stoßen. Selten haben auch feine Damen mit kunstvoll verzierten Schildkrötenhandtäschchen und noble Herren mit Fliege und Zweireiher diesen Meridian überwunden, von Helikoptering in Skigebieting einmal abgesehen.

Wir wissen Sella, das ist nicht Dein Stil. Du hast Dich an die Heerscharen wuseliger karierthemdiger Steinetrampler in rot-blau-grün-weiß gewöhnt, ja vielleicht hast Du sie schon ein wenig in Dein Herz geschlossen, zumindest diejenigen mit der neuen Bergweltmodefarbe in gelb. Jedenfalls wirkst Du auf sie alle gewaltig und unmittelbar, wie ein Korkenzieher, der den Welschriesling entkorkt: Plopp! Der Sella-Seelenöffner.

Bei Dir bin ich dem Himmel nah, nicht erst bei dreitausend Metern, nein, es reicht schon, Dich aus halber Höhe zu betrachten, die Gedanken durch Deine Klüfte schweben zu lassen, sich im Geiste an Deinen Flanken hochzuschrauben, dem zähen Alltag ein lustvolles Adieu zuzurufen, die ganze Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen und Ihnen dabei doch ein Schnippchen schlagend auf einem Bimsstein hockend die Wärme Deines Mittagstals einzuschnaufen dass es einem die Morgensteifigkeit aus den Knochen treibt, ohne Begleitzettel und Nebenwirkungen.

Sella, Sella, wir sind eindeutig über dreitausend Meter. Dein Gip-felhäuschen lugt so frech über rauhreifen Steinen, dass ich glaube, schon ohne Fernglas die Tageskarte entziffern zu können: Leberknödelhauswurz mit nickendem Tragant an versengter Platterbse, dazu klare Wasserfallbrühe mit Steinschleck. Letzte Schritte, vorsichtig schlitternde Tritte. Wir sind oben. Gelöste Gesichter, freundliche Grüße, Handschlag, Umarmung, ein Tisch, eine Bank, der Wind heult um die Ohren. Kalt und schneidig.

Viele Besucher hast Du hier oben und die kleine Hütte steht wirklich da. Etwas Warmes wäre gut. Ja, heiße Schokolade. Her damit. Trinken, rühren, trinken, rühren. Wie kommt die Schokolade hier hoch? Egal, bloß kein Stillstand jetzt. Trinken, rühren, sonst haucht der Wind sofort ein dunkelbraunes Häutchen in die Tasse, frei nach alpiner Quantenphysik: Temperatur mal Höhe mal Windstärke durch Hitze mal Kakaobohne in Klammern Gravitation mit Evolution. Bestimmt war Einstein mal hier oben. Oder der Yeti.

Komisch, gar kein Gipfelkreuz, nur eine platte Holzsteele. Piz Boe 3152 Meter über dem Meer. Na ja, das Meer ist nicht mehr zu sehen. Aber 52, das ja ist unser Jahrgang. Toll, in unserem Alter. Sonst tummelt sich viel junges Volk hier oben. Die Apothekenumschau sollte mal über uns berichten. Geriatric walking on the rocky dolomits, Folge 8.

Gegenüber der Langkofel schaut uns verstört an. Zwar ist er einige Meterchen höher, doch dafür wölbt sich ein Wolkenband um seine Haarspitzen. Echt dumm, wenn wir jetzt dort gegenüber auf dem Gipfel stünden, wäre doch vor lauter Nebel keine der Sellabastionen zu erblicken. Zur Linken ist Frau Marmolada im Begriff, sich ein gräulich-weißes Hütchen aufzusetzen. Ja, lass ruhig den Hut auf. Deine eisigen Ausläufer heizen auch so die Phantasie an. Wo auch immer deine Konfitüre versteckt sein mag, ein Fruchtzwerg bist Du beileibe nicht.

Ich rede und rede, dabei müssen wir ja wieder von hier runter. Die Hot Chocolade ist ausgetrunken, die beiden Möhren zerkaut und die talgeschmierte Semmel verzehrt. Nur der Alibiapfel bleibt wie immer unversehrt im nun zu schnürenden Beutel zurück. Dobry den, arrivederci, dzien dobry, Salve, Grüß Gott, tot ziens und Tschüß.

Geliebte Sella, der Abschied von Dir geriet zu einer eis-zapfenumrahmten, schneeglitschigen Schmierenkomödie mit leichter Knieprellung als Souvenir. Unten endlich ein Bier.

[Orange]

Hi!
Gähn! Tut mir leid, aber ich finde das ziemlich langweilig, obwohl ich wirklich für Berge zu haben bin. Was willst du damit aussagen? Ich kann beim besten Willen keine Aussage erkennen. Machst du dich über die Bergsportindustrie lustig? Warnst du uns vor den unberechenbaren Bergen? Soll das witzig sein?! Wahrscheinlich ist das Absicht, aber deine Sprache ist irgendwie seltsam.
Kleiner Tipp: das Programm hier kennt keine Silbentrennung, man muss die Silbentrennung in Word ausschalten, sonst hat man Trennstriche mitten in der Zeile.
Viele Grüße
Orange

[knorri-verdorri]

Hallo Orange,
danke für den Tipp mit der Silbentrennung.

[Ex-phönixe]

Hallo knorri-verdorri
selten an einem Stück solange gelacht. Ich habe keine Ahnung was Sella ronda ist, aber ist mir sehr sympatisch wenn es dich zu solchen Kurzgeschichten verleitet. Mir war beim lesen so als ginge es hier eher um eine dumme Kuh als um einen Berg, aber ich bin auch keine Kennerin,
finde diese Geschichte übertrieben überladen, genau richtig, um Anstrengungen zu beschreiben, perfekt




lg
phönixe