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Alt 06.11.2013, 19:02   #1
männlich Westerner
 
Benutzerbild von Westerner
 
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Beiträge: 7


Standard Psycho

hey, ich hoffe die art der geschichte passt hier rein. sie spielt zur zeit des wilden westens, aber erwartet keine großen duelle bei glockenschlag und unterhaltsame reitkünste die story erzählt von drei charakteren, die zusammen die geschichte bilden. so in der art, lest einfach mal, würde mich interessieren wie ihr sie findet und was ich daran verbessern könnte




Es war ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit. Natürlich konnte man sich längst nicht mehr in kurzer Hose und ärmellosem Shirt im Park herumtreiben, aber Wasser sollte definitiv noch nicht gefrieren. Zumindestens nicht, solange noch ein paar wenige rot-braune Blätter an den Ästen hingen.
Fröstelnd schnippte er seine Zigarette von der Veranda auf den Kiesboden. Er hatte sie bis zum Stummel geraucht, bis seine Fingerspitzen und seine Lippen angefangen hatten zu schmerzen und seine Lungen ihm nicht mehr das befriedigende Gefühl des Tabakkonsums gaben. Der Morgen war neblig und düster. Die Sonnenstrahlen kamen nur mit äußerster Mühe durch den Dunst und wurden jäh verschlungen. Mit einem Seufzer drehte er sich um und ging zurück in die warme Stube. Sofort, als er die Tür hinter sich ins Schloss warf, fingen seine Finger an zu kribbeln. Er konnte es nicht verstehen, wusste nicht woher es kam. Aber es war ein gutes Gefühl. Wie in Trance bewegte er sich über den Teppich in Richtung Küche, unablässig kitzelte er seine Finger der einen Hand mit den jeweiligen Fingern der anderen, um den Effekt des Kribbelns zu verstärken und noch mehr zu genießen. Die Tür zur Küche stand offen und schon von weitem her kroch ihm der Geruch des Frühstücks in die Nase. Ein üppiges Frühstück, wie jeden Morgen. Etwas anderes kam für den Herrn nicht in Frage. Wenn er sich nicht täuschte, hatte Magreth heute zur Abwechslung mehr Knoblauch genommen, um das Omelett zu würzen. Sie war eine fabelhafte Köchin, er hatte noch nie so gut gegessen. Auch wenn er nur wenig aß, nicht freiwillig allerdings. Aber man musste in seiner Position das nehmen, was einem angeboten wurde. Und vor allem: es hätte ihn auch weitaus schlimmer treffen können!

„Was gibt es denn heute gutes?“ erkundigte er sich beim Eintreten. Zwei Meter entfernt stand Magreth in ihrem typischen blauen Kittel mit weißen Punkten darauf. Sie war das Paradebeispiel dafür, dass dicke Frauen gut kochen konnten.

„Wie letzten Freitag. Eine Reihe Omeletts und Schinkenaufschnitte für den Herrn und eine würzige Gemüsesuppe für die Dame des Hauses.“ Mit einem großen Stück Fleisch beschäftigt, das einfach nicht geschnitten werden wollte, fuhr sie fort. „Joe, bitte sei so lieb und bringe dem Herrn schon einmal seine Zeitung hinauf. Schätze, er ist in seinem Arbeitszimmer.“ Joe nickte und sein Blick schweifte im Raum umher, bis er an der neusten Ausgabe der Boston Times hängen blieb. Doch ehe er sich um die Bitte kümmerte, trat er neben Magreth. Ihr war der Stress deutlich anzusehen, der Schweiß düngte ihre komplette Kleidung und ihre Stirn glänzte wie ein schillernder See in der Sonne. Joe nahm sanft ihre rechte Hand und ihr damit das Messer ab.
„Lass mich das Fleisch zerlegen, du kannst solange die Zwiebeln schneiden.“

Sichtlich dankbar, doch ohne ein Wort, wischte sich Magreth die Hände an ihrer Schürze ab und drehte sich um. Sie bückte sich und holte aus einer Lade ein Holzbrett hervor und fing an, darauf die Zwiebeln zu schneiden. Joe dagegen nahm genau Maß, ehe er seinen dürren Arm hob und wie wild auf dem Stück Fleisch herumsägte. Er stellte sich in all seiner Gutmütigkeit so tollpatschig an, dass ihm das Messer am glitschigen Fett abrutschte und mit voller Wucht am Steintisch aufprallte. Sofort brach die Klinge vom Griff ab und wirbelte kurz durch die Luft, ehe Joe sie reflexartig und geschickt mit seiner Linken auffangen konnte. Als er sich umdrehte, stand Magreth zornig und die Hände in die Hüften gestemmt da. Ihr Blick sagte alles, er machte ihr das Leben schwer, wieder einmal. Bevor sie anfangen konnte ihn zu beleidigen, klemmte er sich blitzschnell die Zeitung unter den Arm und verließ die Küche. Er schmiss die Tür hinter sich zu und hetzte den Flur entlang, bis er zur Treppe kam. Ruhig atmend, Laufen war keine Anstrengung für ihn, faltete er das Blatt auseinander. 'Neue Strecke zwischen Boston und New York eingeweiht', war auf der Titelseite zu lesen. „Pff, wen interessiert’s?“ blaffte Joe und blätterte weiter. Seite um Seite, immer darauf bedacht keine Risse verantworten zu müssen. Dann, bei Seite fünf, blieb sein Blick hängen. Auf halben Weg die Treppe hoch blieb er stehen und besah sich den Artikel ganz genau. Er las jedes Wort zwei-, dreimal. Sog es in sich auf. Es wurde der tragische Tod eines zwölfjährigen Mädchens geschildert. Dem Bericht zu Folge war sie nicht nach Hause gekommen und am nächsten Morgen mit aufgeschlitzter Kehle am Pier gefunden worden. Man hatte keinerlei Hinweise. Joe schüttelte leicht den Kopf, so etwas kam nur auf Seite fünf, die von den Meisten nicht einmal gelesen wurde und weil irgendein reicher Schwachkopf ein paar Meilen Eisen verlegt hatte, wurde ihm die Ehre der Titelseite zuteil. Joe blätterte langsam zurück zum Anfang und überflog den Text. Ein gewisser Martin Wallace hatte also der kleinen Hellen Bora den Platz auf der ersten Seite streitig gemacht. Was für eine Sauerei. Geistesabwesend schleifte sich Joe die Treppe endgültig hinauf und betrat das Arbeitszimmer ohne zu klopfen. Noch im selben Moment, in dem er in das grün tapezierte Zimmer betrat, biss er sich auf die Zunge. Er hätte seinen dummen Kopf schlagen können, wäre am liebsten im Boden versunken und nie wieder aufgetaucht, so sehr regte es ihn auf und so peinlich war es ihm. Doch es war zu spät. Sein Herr, der noch immer vertieft in seine Unterlagen war, sah nicht einmal auf. Aber der stramme Soldat, der immer neben der Tür stand, fasste Joe mit festem Griff an die Schulter und blickte ihm grimmig in die Augen. Schwer schluckend drückte Joe dem Soldaten die Zeitung in die Hand. „Die Times für Mister Wallace, Sir.“ Der Soldat nickte nur knapp und legte die Zeitung auf den Schreibtisch. Wallace hatte immer noch nicht aufgeblickt, entweder schien ihn die Situation nicht zu interessieren oder er hatte wirklich etwas Wichtiges zu tun. Zum Beispiel, ob er seine gottverdammte Strecke bis hin nach Philadelphia verlängern sollte! Joe schob seine verruchten Gedanken beiseite, er wollte jetzt nicht negativ auffallen. Ehe er zur Tür hinaus konnte rief ihm der Soldat noch etwas zu. „Du blutest an deiner linken Hand, geh zu Magreth und lass dich verbinden!“ Joe drehte sich zu ihm um, nickte freundlich und ging dann zurück durch den stickigen Flur. Zeit, dass hier endlich einmal ein Fenster im Stock geöffnet würde! Doch er ging nicht wieder in die Küche, die bereits leer war. Magreth hatte das Essen serviert. Die Dame des Hauses war bereits am Frühstücken, während das Essen ihres Gemahls langsam aber sicher kalt wurde. „Wo willst du hin?“ konnte Joe an Magreths Gesicht ablesen, die ihn abschätzend musterte. Doch er gab sich keine Mühe eine ähnliche Grimasse zu schneiden. Er ging schnurstracks auf die Eingangstür zu. Er öffnete die unterste Schublade des Schranks neben dem Eingang. Das Möbelstück war aus solidem Eichenholz und jedes Mal, wenn Joe die Lade öffnete, nahm er den unvergleichlichen Geruch des Holzes mit all seinen Sinnen war. Göttlich! Er nahm sich ein paar Münzen und öffnete die Tür. Vor dem Haus trat ihm Jonas entgegen, er war der Sattler des Anwesens und so ziemlich für alles außerhalb des Hauses verantwortlich, was ziemlich viel war. Pferde, Garten, Bäume, Reparaturen, um nur einige seiner Pflichten zu nennen. Die elf Dienstjahre unter Wallace hatten ihre Spuren hinterlassen. Sein altes Gesicht war faltig und seine Haare waren ihm ausgefallen. Vermutlich hatte er einmal schönes, welliges braunes Haar gehabt. Aber das war nur eine Vermutung seitens Joes, denn Jonas` Bart war struppig und bereits ergraut. Er begrüßte Joe mit einem Kopfnicken und Joe winkte schnell ab. „Tut mir Leid, Jonas, aber ich muss Geschäfte erledigen gehen.“ Etwas betrübt darüber, dass er sich nicht unterhalten konnte, schlurfte Jonas wieder hinter das Haus zu den Ställen und Joe machte sich auf durch den Garten und durch das Zauntor. Er musste einkaufen, es gab vieles zu erledigen!





Seit mehr als zwei Stunden stand er jetzt schon still da, die duftenden Mohnkekse von Magreth zum Greifen nah und doch so fern. Er hatte kein Wort gesagt, keinen Mucks getan. Nicht einmal, als ihn eine Fliege minutenlang um den Kopf kreiste und ihm am Ohr kitzelte, hatte er sich geregt. Es war eiserne Disziplin, das was ihm jahrelang eingeredet wurde. Eingedroschen. Die Kaserne war seine schlimmste Zeit gewesen und noch war er froh, sie besucht zu haben. Was täte er nur ohne seine Fähigkeiten im Kampf, als Soldat. Frank dehnte seinen Kopf zur Seite und ein Knacken ertönte. Immer noch nicht fertig, was gab es denn so wichtiges und langes zu besprechen? Martin Wallace beriet sich nun zum wiederholten Male mit seinem Arbeitskollegen über die Beschaffenheit des Landes rundum Boston. Mehr hatte Frank nicht mitbekommen, es interessierte ihn auch nicht. Sollten die Bürokraten ihr Ding machen, er zog seines durch. Noch vor zwei Jahren hatte er dem Bestzahlenden gedient, demjenigen, der am tiefsten in seine prall gefüllten Taschen greifen konnte – oder wollte. Oder musste! Sanft schloss er die Augen und erinnerte sich an vergangene Zeiten. An die Schlachten, die er gegen die Engländer geführt hatte, das Niedermetzeln der Rothäute, die zahlreichen Einschüchterungen und nicht zuletzt die bezahlten Morde. Er war nicht stolz auf seine Taten, nein. Er war lediglich stolz darauf, dass er sie damals hatte durchziehen können, ohne mit der Wimper zu zucken. Dadurch hatte er gutes Geld, blutiges Geld, verdient und hätte eigentlich friedlich leben können. Sich zurückziehen, eine kleine Farm aufbauen, eine hübsche Frau finden und viele Kinder haben! Aber das war nichts für ihn, Frank brauchte eine andere Beschäftigung. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er auf ewig Getreide ernten und Tomaten anpflanzen würde. Allein bei der Vorstellung an ein derart langweiliges und monotones Leben lief ihm ein Schauder über den Rücken. Und als er jetzt so da stand, wenige Meter neben zwei sehr wichtigen Männern, wurde ihm klar, dass er alles im Leben hatte, was er brauchte. Die wenigen Freunde, die er jemals hatte, waren ihm mit der Zeit entweder davon gelaufen oder sie waren gestorben. Getötet worden. Bei dem Gedanken kamen Anzeichen einer Träne in Franks glasige Augen, doch er konnte sie wegblinzeln. Thomas Mood war wohl sein bester Gefährte gewesen und er allein, er, Frank Winster, hatte seinen Tod zu verantworten. Es war ein eisiger Winter gewesen und sie beide gingen nach einem erfolgreichen Überfall über einen zugefrorenen See. Aus irgendeinem Grund wurde plötzlich das Eis unter Thomas` Füßen rissig und brach wenige Augenblicke danach ein. Thomas, der kein guter Schwimmer war schaffte es noch, sich an der Eiskruste festzuhalten, abwärts der Brust war er jedoch in das eiskalte Wasser getaucht. Frank sah den flehenden und entsetzten Blick seines Freundes, doch aus Angst, in dem rissigen Eis um Thomas herum selbst einzubrechen, drehte er ihm den Rücken zu und verschwand. Nach einigen Schritten waren Thomas` Schreie verstummt und er sah ihn nie wieder.

„Frank, erklären Sie sich!“ Rasch atmend öffnete der Soldat die Augen und sah zu Martin Wallace und dessen Geschäftspartner, die ihn beide verwirrt anstarrten. Frank hatte angefangen so heftig zu atmen, dass die Beiden auf ihn aufmerksam geworden waren. Jetzt, da er sich wieder auf seine Arbeit konzentrierte, tanzten lauter Punkte fröhlich vor seinen Augen umher, als wollten sie ihn verspotten.

„Tut mir leid, Sir, ich gehe … ich gehe kurz etwas trinken.“ Mit einer lockeren Handbewegung gab Martin Wallace seinem Leibwächter die Erlaubnis zum Gehen und wandte sich dann wieder seinem Papierkram zu.

Lässig und immer darauf bedacht, den Körper aufrecht zu halten, ging Frank die Treppe hinab. Als in der Küche nichts als schmutziges Wasser zu finden war, klopfte er dreimal gegen die schwere Tür des Schlafzimmers der Dame des Hauses. Isabella öffnete rasch und fixierte Frank mit ihren strahlenden blauen Augen.
„Was kann ich für dich tun?“

„Ich wollte fragen, ob du etwas für mich zu trinken da hast, ich kann in der Küche nichts finden“, antwortete er schulterzuckend.

„Ist jemand in der Nähe?“

„Glaube nicht ...“

Ehe er den Satz zu Ende gesprochen hatte, warf sie sich ihm an den Hals und bedeckte seinen starken Nacken mit Küssen, bevor sie seine gewaltigen Brustmuskeln liebkoste. Frank genoss zwar das Beisein der schönen Frau, allerdings behagte ihm der Gedanke nicht, dass er seinen Arbeitgeber und somit seine Geldquelle betrog. Würde er aber Isabella von sich weisen, so würde sie ihn bei Martin mit Sicherheit anklagen und er würde erst recht bestraft werden und hinausfliegen. Also ließ er es mit sich geschehen und gab sich vollends den weichen Händen Isabellas hin. Mit einem verheißungsvollen Blick, der Lust auf Mehr machte, zog sie ihn an der Hand in ihr Schlafzimmer und ließ das Schloss einrasten. Von außen war die Tür nun nicht mehr zu öffnen.
„Was ist, wenn Martin kommt?“

Sie verdrehte spöttisch die Augen.

„Er 'kommt' schon seit Wochen nicht mehr und ich deshalb auch nicht. Du bist der Einzige hier, der mir aus dieser misslichen Lage helfen kann. Und vor allem: Martin ist noch bis tief in die Nacht mit seiner Planung beschäftigt, wir haben also alle Zeit der Welt ...“. Die letzten Worte sprach sie übertrieben langsam und erotisch aus. Frank hatte gar keine Zeit, etwas zu sagen, da brachte sie ihn schon sanft auf dem Bett zu liegen und setzte sich mit gespreizten Beinen auf seinen Unterkörper. Abgelenkt von ihrer betörenden Schönheit, ihren schlanken Beinen, die, noch, eingekleidet waren in eine helle Leinenhose, ließ Frank alle Skrupel fahren und lehnte sich zurück. Dann begann sie sich auszuziehen.

Während er sich noch das Hemd in die Hose stopfte, eilte Frank geschwind die Treppe hinauf. Wie lang war er wohl weggewesen? Zwei Stunden? Ja das könnte hinkommen. Als er oben angelangt war, schüttelte er sein rechtes Bein um unten herum wieder alles in den Griff und locker zu bekommen. Seine Brust brannte, Isabella war wie eine Katze gewesen und hatte ihn gekratzt. Doch er vertrieb die Gedanken an das Geschehene, so schön es auch war. Und wenn er sie richtig verstanden hatte, dann war da noch mehr. Als er vor der Tür zu Wallaces Zimmer stand, holte er einmal tief Luft, dann trat er ein. Im ersten Moment war nichts zu sehen, die Öllampe am Tisch war erloschen. Martins Geschäftspartner musste schon gegangen sein und offensichtlich hielt er sich selbst auch nicht mehr hier auf. Beruhigt atmete Frank gelassen aus, dann sah er es. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und mit pochendem Herzen näherte er sich nun dem Schreibtisch. Er hatte sich nicht getäuscht. Etwas oder jemand lag darauf, die Hände schlaff zu Boden hängend. Mit gekonnter Leichtfertigkeit entzündete Frank ein Streichholz und brachte die Lampe wieder zum Leuchten. Vor ihm lag Martin Wallace, das Gesicht blau angelaufen und die Augen ganz weiß. Schockiert und dennoch gefasst trat Frank zu ihm und fasste an seinen Hals. Kein Puls. Der Mann war tot!







Die Bediensteten waren allesamt angespannt. Eigentlich war es ein normaler Morgen, sogar schöner als die der restlichen Woche, womöglich der schönste des ganzen Monats. Joe wurde von dem Zwitschern der Vögel geweckt, stand früh auf und erledigte seine ersten Aufgaben. Der Flur im Erdgeschoss musste geputzt, das Treppengeländer poliert und die Messer in der Küche mussten geschliffen werden. Er hatte seine Arbeiten innerhalb von drei Stunden erledigt. Aber so normal war der Morgen dann doch nicht. Da standen sie, alle rausgeputzt in ihren Dienstklamotten. Magreth trug zur Abwechslung einmal rote Punkte, Jonas, der noch sehr verschlafen wirkte, hatte sein Wollhemd mit der für ihn typischen Latzhose an, der ruhige Frank hatte sich seine alte Söldnerkleidung übergestreift und Joe versuchte in seinem grauen Overall möglichst unauffällig auszusehen. Sie standen in einer Linie nebeneinander. Ganz links und ganz rechts von ihnen stand je ein Ranger mit einem geschulterten Gewehr. Vor ihnen hatten sich der Sheriff und dessen Gehilfe aufgebaut. Keiner der Angestellten wagte es, sich nach dem Grund zu erkundigen. Jeder hatte Angst, der angsteinflößende Sheriff könnte als erstes auf ihn zukommen und zerlegen. Also schwiegen sie. Doch man hätte es sich denken können, der Sheriff ging als erstes auf Joe zu.

„Name?“
„Joe.“
„Voller Name?“

„Einfach nur Joe. Wirklich, Sir.“

Der Sheriff wurde zornig, doch sein kantiges Gesicht lief nicht rot an, lediglich eine tiefe Falte auf seiner Stirn gab Auskunft über seinen Gemütszustand. Dann, ohne Vorwarnung, schnellte seine Hand vor und packte Joe am Hals. Der Griff war fest und schmerzhaft für Joe. Röchelnd und mit leicht vortretenden Augen starrte er hilflos vom Sheriff zu den anderen und dann wieder zum Sheriff. Nach einer scheinbar endlos langen Zeit ließ er ihn schließlich wieder los. Joe kauerte sich auf den Boden und schnappte verzweifelt nach Luft. Nach einer kurzen Pause packte der Sheriff ihn wieder und hob ihn auf die Beine.
„Ich versuche es nochmal: Name?“

„Joe Hamilton, Sir.“

Der Sheriff nickte kaum merklich und sein Schnurrbart bewegte sich leicht auf und ab als er die Nase rümpfte. Dann ging er langsam zu Joes Nachbarn.
„Name?“
„Frank Pats!“

Sichtlich erstaunt über die muskulöse Statur und kräftige Ausstrahlung des Mannes wich der Sheriff ein kleines bisschen zurück. Niemand bemerkte es, außer Frank.
„Gut, bist in Ordnung, kannst wieder an die Arbeit gehen.“ Zwar hatte Frank nicht mehr wirklich etwas zu erledigen, aber ohne ein weiteres Wort zu verlieren nickte er den Gesetzesmännern zu und verschwand im Haus. Der Sheriff schritt weiter zum Nächsten, doch Joe achtete nicht mehr darauf. Es war, als wäre er mit einem Schlag taub geworden und hätte nur noch Ohren für das Geräusch gute zehn Meter hinter ihm. Vorsichtig drehte er sich um und sah die Dame des Hauses, Isabella, am Balkon stehen. Sie schluchzte über ihren Verlust. Sie war jetzt mittellos. Sie hatte all die Jahre nur von Wallaces Geld gelebt und von ihrer naturgegebenen Schönheit. Sie hatte nichts gelernt, konnte nur mit Mühe lesen und schreiben. Da trat Frank neben sie und legte seinen Arm um sie. Es war eine kleine Geste. Unwichtig für einen zufälligen Blick. Doch Joe verstand sofort, er hatte sich schon seit einiger Zeit so etwas gedacht.

„... sonst werde ich die Scheiße aus dir rausprügeln du verdammter Bastard!“
Erschrocken wich Joe einige Schritte zurück, der Sheriff hatte sich wieder vor ihm aufgebaut und schrie ihn wohl schon seit einigen Augenblicken an. Joe stand wieder gerade und wischte sich den Speichel aus dem Gesicht. Allem Anschein nach hatte der Sheriff schon einen Morgen-Whisky gekippt, denn die Spucke roch streng nach beißendem Alkohol. Joe hörte nicht mehr wirklich zu, sein Schädel dröhnte und alles drehte sich. Er versuchte sich zu konzentrieren, doch es gelang ihm nicht. Er war komplett eingeschüchtert, wagte sich nicht zu bewegen. Er verstand etwas von wegen 'wir wissen, dass du es warst' und 'Todesstrafe'. Verängstigt machte Joe wieder einen Satz zurück. Das nahm einer der bewaffneten Ranger als Anlass ihm mit dem Gewehrkolben eines überzuziehen. Joe klatschte auf den Boden und blieb liegen. Ihm wurde abwechselnd schwarz und weiß vor Augen, sein Kopf pochte wie wild und er fühlte sich, als wäre seine Schädeldecke explodiert. Aus den Augenwinkeln sah er verschwommen, wie Frank neben ihn trat und in die Knie ging. Ehe er von den Gesetzeshütern verdrängt wurde, versprach er Joe mit einem Blick, dass er das regeln würde. Dann packten ein Paar kräftige Hände Joe und hoben ihn auf. Ihm wurden Handschellen angelegt und er wurde unsanft gestoßen. Der Sheriff lächelte. „Ich sage nur Schlafmittel, du kranker Bastard. Und keine Sorge, wir haben eine Zeugin!“





Nach einer Stunde öffnete Joe wieder seine Augen. Er konnte wieder normal sehen, doch seine Nase brannte höllisch. Er hatte sie sich wohl geprellt, wenn nicht gar gebrochen, als er zu Boden gestürzt war. Seine Zellentür wurde geöffnet und er erhob sich von seinem, zugegebener Maßen nicht einmal so unbequemen Bett. Es bestand aus einem notdürftig zusammengebastelten niedrigen Tisch mit einer kratzigen Wolldecke und Stroh.
„Hinsetzen!“ donnerte der Sheriff und sein Schnauzer bebte wild. Sofort gehorchte Joe und nahm wieder Platz. Hinter dem Sheriff kam eine ältere Frau durch die Tür. Sie war alles andere als schön, ihre Nase schien verkrüppelt und sie hatte sehr dünnes, ungepflegtes Haar. Joe erkannte in ihr die Verkäuferin des Gemischtwarenladens von gestern. Sie zeigte mit den Finger auf ihn und nickte heftig.
„Ja, es ist der Neger!“

Joe schluckte heftig. Alle Gedanken, das Schlimmste was er sich vorgestellt hatte, drohten nun wahr zu werden. Der Finger der Frau zitterte und Joe war, wieder einmal, kreidebleich.
„Glauben Sie mir, Sheriff, ich bin unschuldig! Das war ich nicht!“
Der Sheriff wog seinen Kopf hin und her. Fast konnte man meinen, er glaubte Joes Worten, doch das konnte man nicht klar deuten. Lange war es ruhig, dann brach der Mann mit dem gewaltigen Schnauzer die unangenehme Stille.
„Ma'am, Sie können den Finger wieder senken.“ Langsam, aber sicher, glitt ihr Arm wieder nach unten und fand sich kurz darauf in ihrer Manteltasche wieder. Gerade, als der Sheriff seinen altgedienten Satz sagen wollte, dass die Beweise erdrückend wären und er ja leider nicht anders könne, platze ein Ranger in das Office hinein.
„Charlie, es ist nicht der Neger! Wir haben das Haus nochmal durchsucht – es war die Köchin und zwar hundertprozentig!“

Etwas verwirrt schaute Charlie von seinem Gehilfen hin zu Joe, der winzig auf der Liege saß und zu einem Zwerg zusammen geschrumpft war. Dann nickte er ihm zu.
„Du hast es gehört, mach, dass du rauskommst!“

Joe war mit einem schnellen Satz auf den Beinen und noch schneller war er vor der Tür. Die frische Luft durchströmte seine Lunge und es tat gut. Es tat gut, frei zu sein, wenn auch nur knapp. Doch anstatt zu gehen, wartete er vor dem Sheriffshäuschen. Er drückte sein Ohr an die dünne Tür und versuchte angestrengt zu hören, was drinnen vor sich ging. Er schloss die Augen, hielt den Atem an, blendete die Pferde- und Menschengeräusche um sich herum aus und konzentrierte sich nur auf das Gespräch zwischen dem Sheriff und dessen Ranger.
„...da waren doch solche Kekse, weißt du noch?“
Stille, vermutlich dachte Charlie nach oder nickte.
„Auf jeden Fall hat die Zeugin gemeint, der Schwarze hätte Schlafmittel gekauft. Also, dieses Zeug von diesen merkwürdigen Pflanzen.“
Wieder Stille.

„Und, naja, der Sattler der Villa meinte, die wären für einen der Hengste gewesen, der zu aufgedreht ist. Hat er uns versichert. Und dann haben wir uns die Küche näher angesehen. Dort haben wir in einer Schachtel eine Reihe giftiger Pflanzen gefunden. Die werden nicht in Speisen verwendet.“

Zum ersten Mal sagte nun auch der Sheriff etwas. „Und? Was sag die Köchin dazu, Magreth hieß sie, glaube ich.“

„Ja, sie streitet ab, dass es ihre sind. Aber das war ja zu erwarten. Durch den Mohn in den Keksen lässt sich das Gift nicht eindeutig feststellen, aber das muss die Lösung sein! Es war die Köchin, mit Sicherheit!“

„Gut, das reicht mir. Mehr Beweise als bei dem Nigger, lass sie uns holen gehen.“
Joe hörte wie Stühle verschoben wurden und machte sich hastig davon. Als sich die Tür des Office öffnete, war er schon lange außer Sichtweite.








„... und konnte daher eindeutig überführt werden. Sheriff Charlie Kaper wollte sich nicht zu dem Fall äußern. Allerdings steht außer Frage, dass das Gesetz wieder einmal den Täter gefasst hat, wenn auch nicht der Mord an einem der geachtetsten Männer im Land verhindert werden konnte. Der Bahnexperte Martin Wallace wurde Opfer seiner eigenen Köchin Magreth Sheen. Sie war bereits seit ...“

Nina Connor lehnte sich zurück und ließ ihre Finger knacksen. Der Artikel zog sich in die Länge, dabei hatte sie lediglich eine halbe Seite zur Verfügung, und das war schon großzügig. Sie hatte all ihre weiblichen Reize spielen lassen müssen, um den guten Platz in der morgigen Ausgabe der Bostoner Times zu bekommen. Dennoch war es dem Chefredakteur wohl wichtiger, dass die Fertigstellung des gewaltigen Schiffes Santa Cora auf der Titelseite landete. Aber sie hatte sich damit zufrieden gegeben, ihre Arbeit hier hing ohnehin schon am seidenen Faden. Im Gegensatz zu vielen ihrer Landesgenossen aus Irland hatte Nina auf Anhieb in Boston Fuß gefasst und war sehr schnell erfolgreich bei der Times gewesen. Doch in letzter Zeit gab es immer weniger für ihr Fachgebiet, Morde, zu schreiben und wenn, dann hatte man nichts Handfestes für sie. So wurden ihre Beiträge immer knapper und knapper und sie wusste, dass es nur mehr eine Frage der Zeit war, bis sie von der Bildfläche verschwinden würde und Platz für jemand anderen machen müsste. Sie wischte sich mit ihren zarten Händen über das mit Sommersprossen übersäte Gesicht und atmete tief ein und aus. Sie versuchte sich zu entspannen und fing an, ihren Nacken zu massieren, strich sich das rote Haar zur Seite und schloss die Augen. Was sollte sie machen? Es war schon längst Redaktionsschluss und sie hatte Glück gehabt, dass in der Schreibmaschine noch Papier war. Ralph, ihr Chefredakteur, nahm normalerweise immer alles mit nach Hause. Nach einer Reihe weiterer Versuche, etwas zu Papier zu bringen, brach sie das Schreiben ab. Die Journalistin ließ die bereits beschriebenen Blätter in der Schreibmaschine stecken und stand auf. Der alte Holzstuhl knarrte mit einem hässlichen Geräusch über die kahlen Dielen und hinterließ einen weiteren tiefen Kratzer. Sie war immer wieder verwundert, wie lang sich der Sessel dann doch hielt, er drohte eigentlich jeden Moment zusammenzubrechen. Sie hatte ihn bereits vorgefunden, als sie vor sieben Jahren das erste Mal ihren Platz zugewiesen bekommen hatte. Damals hatte Ralph noch dichtes rabenschwarzes Haar und sie hatte die Motivation und Kraft ihrer Jugend. Jetzt, sie ging auf die dreißig zu, war ihr Elan größtenteils erloschen. Natürlich wollte sie immer noch eine mitreißende Story haben, doch der Ehrgeiz, eine solche aufzutreiben, war erloschen. Im Grunde genommen war sie wie eine Kerze. Solange noch genügend Wachs um den Docht herum war, loderte die Flamme wild auf. Doch sobald sie herabgebrannt war, gab es kaum noch eine Chance, das Licht zu erhalten, obwohl das Feuer mit aller Kraft versuchte, sich am Leben zu erhalten. Mit demselben Schaben schob sie den Stuhl wieder unter den Tisch, zog sich ihren Mantel an und verließ die Redaktion. Auf dem Weg nach draußen musste Nina durch den Raum durch, in dem gedruckt wurde. Der Geruch von Tinte und frischem Papier züngelte ihre Nase hinauf und erfreute sie jedes Mal aufs Neue. Sie liebte ihren Job, war sich allerdings nicht mehr ganz so sicher, ob er sie auch mochte.

Die plötzliche Kälte schlug ihr wie ein Faustschlag ins Gesicht. Frierend schlang sie ihren Mantel um sich und schnürte den Gürtel enger um ihre schmale Taille. Schritt für Schritt näherte sie sich ihrem Haus, es war nicht sonderlich weit entfernt. Sie wohnte von Anfang an darin, mittlerweile hatte sie etliche brüchige Holzdielen und Fenster ausbessern, Teppiche verlegen und Möbel anliefern lassen. Das Geld reichte gerade so, dass sie nichts für eventuell drohende schlechte Tage zurückzulegen konnte. Vorerst. Als sie vor ihrer Eingangstür stand und bereits den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte, löste der Duft von gebratenem Wild den Tintengeruch ab. Lächelnd betrat sie ihre Wohnung, schmiss den Mantel achtlos zur Seite und ging schnurstracks in die Küche. Ihre Zwillingsschwester stand am Tisch und bereitete gerade die Portionen vor. Nina legte ihrer Schwester die kalten Hände auf den Nacken und sie erschrak.
„Nina, du bist ja eiskalt. Geh ins Wohnzimmer, der Kamin ist eingeheizt!“
„Mhh ja, mache ich gleich. Warum bereitest du nur zwei Mahlzeiten zu, hast du nicht mit mir gerechnet?“

Zora verdrehte die Augen und goss etwas Soße über das herrlich duftende Fleisch.
„Mama geht es nicht besonders, ich befürchte, es wird schlechter.“
Nina seufzte still in sich hinein. „Ich gehe schon rüber.“
Sie betrat das Wohnzimmer und sofort wurden ihre ohnehin schon rosa Bäckchen vollends rot. Das Feuer loderte hell im Kamin, davor saß ihre Mutter im Schaukelstuhl. Nähzeug lag auf ihrem Schoß, doch offensichtlich war es wenig oder gar nicht benutzt worden. Ein weiterer vergeblicher Versuch Zoras also, ihre Mutter zu reaktivieren. Vorsichtig kam Nina ihr näher. Trotz der, fast schon übertriebenen, Hitze war sie in eine große, selbstgenähte Wolljacke eingewickelt. Sie atmete ruhig, jedenfalls hoffte Nina, dass sie es tat. Atmen.

„Hi, Mama, ich bin wieder da. Wie geht es dir, möchtest du einen Happen Wild oder einen Tee?“ Keine Antwort. „Mama, alles in Ordnung?“ Wieder nichts. Ungeduldig spielte Nina mit ihren Fingern. „Mama?“ Sie trat näher an ihre Mutter heran, sie hatte die Augen geschlossen. Mit zittrigen Fingern berührte Nina die Halsschlagader ihrer Mutter. Er war da, ihr Puls! Ihr Herz hatte den Kampf ums Überleben noch nicht aufgeben. Noch nicht. Nina atmete erleichtert auf, da öffnete ihre Mutter leicht die Augen. Nur einen Spalt. Mit schwacher Stimme flüsterte sie. „Mein Schatz, schön dich zu sehen. Sag Terence, dass Zora heute gekocht hat.“
Nina schluckte einen Kloß herunter. „Terence wird heute nicht heimkommen.“ Doch ihre Mutter hatte die Augen bereits wieder geschlossen und schlief weiter. Still und ebenfalls, eher zu sich selbst, flüsternd ergänzte sie: „Papa kommt nie wieder heim...“
Zoras erheiternde Stimme riss Nina aus ihren trübseligen Gedanken. „Ist sie wach, will sie etwas essen?“
„Nein, aber sie hat wieder von Papa angefangen ...“
Zora machte ein trauriges Gesicht. „Ja, hat sie heute Mittag auch schon. Aber sie vergisst, egal wie oft wir es ihr sagen, dass er seit Jahren tot ist.“
Schweigend genossen die Zwillinge ihr Abendessen. Der Braten, kombiniert mit der vorzüglichen Pilzsoße und den Linsen, führte eine wahre Geschmacksexplosion in Ninas Mund herbei. Ihre Augen verrieten sie und Zora konnte ihren Genuss erkennen.
„Freut mich, dass es dir schmeckt.“ Ja, das Kochen hatte Zora wirklich von ihrer Mutter geerbt!
Als sie das Essen beendet hatten, machten sie sich an den Abwasch. Doch Nina winkte ab, du hast gekocht, ich wasche ab. Ohne sich großartig gegen den Vorschlag zu wehren ließ Zora alles liegen und stehen. Sie hob Ninas Mantel vom Boden auf und zog ihn sich über.
„Ich flitze noch schnell zum Laden, etwas Schnaps holen, um den Abend ausklingen zu lassen.“ Sie zwinkerte Nina zu. „Alles klar, gute Idee. Aber zieh dir noch Handschuhe an!“ Doch da war Zora bereits verschwunden und Nina widmete sich wieder dem Abwasch.
Als sie die letzte Gabel geputzt hatte - der Käse, mit dem das Fleisch überbacken gewesen war, hatte sich widerspenstig gewehrt und konnte erst durch eine struppige Bürste entfernt werden - ging Nina zurück ins Wohnzimmer. Ihre Mutter saß noch immer so da, wie eine Stunde zuvor. Friedlich schlief sie, hoffentlich dauerte es noch lange, bis sie es für immer tat. Nina wollte sich gerade hinsetzen und den frisch gemachten Tee genießen, als sie von draußen her einen Schuss hörte. „Nur ein Freudenschuss, wahrscheinlich hat Marcus von nebenan endlich um Jenny‘s Hand angehalten und sie hat ja gesagt.“ Doch dann folgte sofort ein zweiter und Nina fing an sich Sorgen zu machen. „Am besten ich schaue mal nach, wenn es wirklich nur der Jungspund ist, dann kann ich ihm immerhin gratulieren.“ Mit einer schnellen Bewegung öffnete Nina die Eingangstür und starrte nach draußen. Es war niemand zu sehen, kein Marcus und keine Jenny. Kurz bildete sich Nina ein, Schritte auf der Straße zu hören. Schnelle Schritte. Sie war sich sicher, es war keine Einbildung. Jemand rannte und, allem Anschein nach, weg von ihr. Sie trat hinaus an die frische Luft, das Küchenmesser fest umklammert in der rechten Hand. Sie ging noch ein paar Meter, als sie etwas auf dem Boden liegen sah. Langsam schritt sie zu dem Etwas hin, jederzeit auf eine Überraschung gefasst. Als sie über dem schlaffen Körper stand und ihrem eigenen Gesicht direkt in die weit und vor Furcht und Schmerz geöffneten Augen sah, sackte sie zusammen. Da lag sie, Zora, in einer gewaltigen Blutlache und mit heftigen Schnittwunden im Bauch und einem zerfetzten Kopf.







Etwas verstört blickte Frank den weggehenden Gesetzeshütern hinterher. Sie hatten Joe im Schlepptau, gefesselt. Mit leerem Kopf drehte sich Frank um, doch der Balkon war leer. Isabella war bereits wieder im Haus. Was sie nun wohl machen würde? In ihrer Situation gab es nicht viele Möglichkeiten. Sie könnte versuchen, sich anderswo einzuheiraten. Aber wer würde eine Frau zu sich nehmen, deren Jungfräulichkeit schon ewig verblasst war und die kaum eine Ausbildung genossen hatte? Oder aber sie würde Selbstmord begehen, religiös war sie nicht. Das dachte zu mindestens Frank. Er hatte sie noch nie auch nur in der Nähe der Kirche gesehen, geschweige denn ein Kreuz in ihrer unmittelbaren Gegenwart. Ruhig schloss er die Augen und betete. Man hatte ihm immer eingeredet, Religion sei ein Schwachsinn. Niemand würde eine Sachlage ändern oder entscheiden können, mit Ausnahme von Waffen. Die Stimmen der Gewalt würden immer gehört und erhört werden. Doch für Frank war der Glaube nicht etwas, von dem er hoffte, er könne ihm den Arsch retten. Es war für ihn einfach Halt. Es war immer schön gewesen, an etwas glauben zu können, wenn längst alle guten Dinge vergangen waren. Es war auch schön zu wissen, dass immer jemand da war, der ihm zuhörte. Auch wenn dieser jemand nicht antwortete. Als er seine Augen wieder öffnete, kam ihm gerade einer der verbliebenen Ranger entgegen. Er faselte etwas in sich hinein, Frank konnte es nicht verstehen. Geistesabwesend stolperte er an dem Söldner vorbei und striff ihn beinahe mit der Schulter. Frank sah ihm nur kopfschüttelnd hinterher. Just in diesem Moment drehte sich der Ranger um und kam auf ihn zu. Mit fragender Stimme meinte er:
„Frank … richtig? Stimmt es, dass es hier im Stall einen Hengst gibt, der schwer zu kontrollieren ist und hin und wieder beruhigt werden muss?“
Frank kniff die Augen zusammen, er verstand nicht ganz was die Frage sollte. Doch nach einigen Sekunden hörte er auf, über den Sinn nachzudenken und antwortete schlicht auf die Frage.

„Ja, es ist der Schwarze!“

Der Ranger bedankte sich freundlich und machte sich eifrig auf den Weg in die Stadt. Frank sah ihm hinterher, bis er hinter dem Gestrüpp des Gartens verschwand und auf die Straße in Richtung Innenstadt lief.

„Hoffe, Joe kommt wieder, mag ihn.“

Wäre Frank nicht trainiert gewesen, Überraschungen gekonnt zu verschleiern und beim Erschrecken nicht mit der Wimper zu zucken, er wäre womöglich zwei Meter vom Boden abgehoben und sein empörter Aufschrei hätte jedes schlafende Baby im Umkreis von zwei Meilen geweckt.

„Jonas, schleich dich nicht so an, du alter Gauner.“ Grinsend klopfte Frank dem Alten auf die Schulter und die schmutzige Kleidung des Sattlers staubte. Frank verkniff sich ein Husten.
„Jonas, weißt du warum der Ranger mich nach dem Hengst gefragt hat?“
Einige Atemzüge lang sah Jonas sein Gegenüber an, als hätte er ihn nicht verstanden. Gerade wollte Frank, leicht genervt, seine Frage wiederholen, da strahlte ihn Jonas aus heiterem Himmel an.

„Ich habe ihm gesagt, Joe hat das Beruhigungsmittel für unseren Hengst Josh geholt, weil er sich doch immer aufführt wie ein Jugendlicher in der schlimmsten Phase der Pubertät.“
„Und was wird er jetzt machen?“
„Na, hoffentlich uns unseren Joe wieder heimschicken. Wie die darauf kommen, dass er etwas damit zu tun hat.“
„Aber wer könnte es gewesen sein?“
„Du vielleicht!“

Jonas sah Frank eiskalt an, sämtliche Regungen in seinem Gesicht waren erstarrt und seine Falten schienen all seine Emotionen zu schlucken. Frank wusste nicht wirklich, was er erwidern sollte. Also hob er lediglich seine rechte Augenbraue.
„Ich mach doch nur Spaß, Franky.“ Jonas versetzte Frank einen Stoß zwischen die Rippen. „Zwei der Jungs vom Sheriff suchen gerade noch das Haus ab, sie finden vielleicht was anderes.“

„Na, wenn sie wieder so einen guten Beweis finden wie bei Joe, dann steht das Wallace Anwesen bald leer und die Zellen beim Sheriff sind dafür überfüllt.“
Jonas fing an herzhaft zu lachen. Es war das Lachen dieses alten Mannes, das Frank jedes Mal in seinen Bann zog und ihn quasi zwang, mitzulachen. Knapp konnte er bisher diesem Drang widerstehen, doch nun huschte ein Lächeln über sein Gesicht und verweilte dort gerade solange, dass Jonas es sehen konnte. Seine Augen leuchteten und er wirkte glücklich.

„Habe ich es doch noch geschafft, dich in meinem Leben lächeln zu sehen, bevor ich ins Gras beiße!“ Noch immer fröhlich glucksend stapfte der Alte wieder davon in Richtung der Ställe. Frank fuhr sich einmal mit der rechten Hand über das Gesicht, dann schrie er Jonas noch hinterher:

„Wie geht es denn jetzt Josh eigentlich, hat er sich beruhigt? Oder soll ich Joe nachher gleich nochmal losschicken, um die Blüten von der Pflanze zu holen?“
Jonas drehte sich zwinkernd um. „Aber, aber. Joe hat gar nichts für den Hengst geholt.“
Frank wirkte verwirrt. „Das heißt also, er hat das Schlafmittel nicht für ihn geholt? Für was dann?“
„Was weiß ich ...“

Frank sah dem Sattler noch hinterher, bis dieser bei den Pferden verschwunden war. Verwundert schüttelte er den Kopf. Was war nur los?








Irgendwann kam anstelle des Kraft gebenden Sauerstoffs dickflüssiges Blut. Gebrochen war seine Nase nicht, zum Glück. Wo hätte er sich verarzten lassen sollen? Zurück zum Anwesen konnte er nicht, nicht nach dem, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Und in der Stadt? Wer würde schon einen wie ihn untersuchen. Noch dazu hatte Joe kaum Geld bei sich. Er knöpfte sein Hemd bis zum letzten Knopf zu und drehte sich wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Weshalb hatte man ihn gehen lassen? Er war unvorsichtig gewesen, die Verkäuferin hatte ihn tatsächlich wieder erkannt. Schritt für Schritt ging er nun heimwärts, die Silhouette der Häuser waren schwer zu erkennen, es dämmerte bereits. Joe wurde immer schneller und im Laufschritt näherte er sich wieder der Stadt.

Ein Geräusch weckte ihn aus dem Halbschlaf. Als er seine übermüdeten Augen öffnete, konnte er gerade noch die Gestalt sehen, wie sie die drei Stufen hinab ging und dann in die Nacht davon huschte. Leise wie ein Fuchs heftete er sich an ihre Fersen. Vor dem Gebäude hingen Plakate, die die morgige Titelstory ankündigten. Offensichtlich hatte die US-Armee an der Grenze zu Mexiko eine Waffenlieferung abgefangen und nun herrschte dort unten das totale Chaos. Viele spekulierten auf einen baldigen Übergriff. Doch das interessierte Joe nicht. Nicht einmal im Geringsten! Keine Chance für Wallace auf die erste Seite, keine Chance für Joe. War Wallace nicht genug, reichte es nicht, einen der bekanntesten Männer der Gegend zu töten? Die Idee, wie er es schaffen konnte, war Joe gekommen, kurz bevor er eingenickt war. Und jetzt war er dabei, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Person war allem Anschein nach an ihrem Ziel angekommen. Fröstelnd sah Joe ihr dabei zu, wie sie die Tür zu ihrem Haus öffnete und leise wieder schloss. Wie lange würde er warten müssen? Zwei Stunden? Die ganze Nacht? Etwas abseits der Wohnung machte er es sich unter einem dürren Baum bequem, so gut es ging. Routiniert griff er in seine Hosentasche, doch sie war leer. Der Sheriff hatte seine Taschen geleert und er hatte Joes Zigaretten bei sich behalten. Alter Gauner, gehört selbst auf die andere Seite des Gitters! Es dauerte kürzer als gedacht. Die Haustüre öffnete sich und die Gestalt kam wieder heraus. Während sie sich langsam Joes Versteck näherte, checkte er sie ab. Gleiche Statur, gleiches Outfit, lange, rote Haare. Vielleicht musste ein Opfer ja nicht berühmt sein. Vielleicht musste das Opfer einfach nur auf eine brutalere Art und Weise aus dem Leben scheiden, als durch Ersticken … Die Frau war gerade an Joe vorbei gegangen, ohne ihn zu bemerken. Still schlich er sich von hinten an sie ran und überwältigte sie. Er zückte sein Messer und stach ihr damit in den Bauch. Einmal, zweimal, … Er verlor in seinem Wahn die Kontrolle. Die Frau unter ihm wollte schreien, doch jeder Versuch endete in einem Gurgeln. Sie spuckte Blut und röchelte nach Luft, ihre Augen waren entsetzt aufgerissen. Joe wollte sagen, dass es ihm Leid tat. Dass er das nur tat, um allen zu zeigen, dass die Presse kalt geworden war. Dass die Zeitungen es nicht für nötig hielten, um über den Tod eines Menschen zu berichten. Um solch eine Tat groß anzuzeigen und einen größeren Aufruf starteten, den Mörder zu finden. Sein Wahn schwand, als seine Augen auf die Hand der Rothaarigen fielen. Sie wanderte zu ihrer Manteltasche und zog einen Colt hervor. Doch noch ehe sie auch nur den Kolben umlegen konnte, hatte Joe bereits sein Messer wieder verstaut und ihr blitzschnell den Arm verdreht. Wahrscheinlich hatte er ihr das Handgelenk ausgekugelt. Heftig atmend stand er auf und betrachtete sein Werk, den Revolver in der rechten Hand. Zuckend lag sie vor ihm, die Journalistin, die seine Taten nicht ernst zunehmen schien. Nahm sie es jetzt ernst? Er war sich sicher. Doch es brachte ihr nichts mehr. Es war zu spät. Flehend durchdrangen ihre Blicke Joe und drangen durch ihn hindurch. Er hob die Hand und die Angst ließ ihren ganzen Körper beben. Dann drückte er hab, die Kugel verließ in derselben Sekunde, in der es klickte, den Lauf und grub sich durch das linke Auge der Frau. Ein Hund bellte und um ihn herum riefen verschiedene Leute durch die Gegend. Schweigend wartete Joe noch einige Augenblicke, dann drückte er ein weiteres Mal ab. Nur um sicher zu gehen.







„Sie wurde erschossen, mein Gott was wollen sie denn noch von mir hören?!“ Nina schnaubte entrüstet und der Sheriff musterte ihre feinen Gesichtszüge. Als sie seine Blicke bemerkte, errötete sie leicht und wandte den Blick ab. „Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Wenn es Sie nicht stört, dann würde ich jetzt gerne gehen. Ich habe noch etwas vor heute und Sie stehlen mir mit dieser sinnlosen Fragerei die Zeit!“ Der Sheriff strich sich selbstgefällig über seinen Schnauzer. Innerlich arbeitete sein Gehirn bereits auf Hochtouren – sofern das nach drei Gläsern Whisky noch möglich war. „Dann bedanke ich mich für die Informationen und wünsche noch einen guten Tag. Ich verspreche, dass wir den Mörder Ihrer Schwester finden werden.“ Nina kniff die Augen zusammen. „Oder Mörderin …“. „Das ist vollkommener Humbug, eine Frau würde etwas Derartiges nicht wagen, geschweige denn, zu so brutalen Methoden greifen. Das beste Beispiel ist das Weib dort hinten.“ Er zeigte kurz mit seinem Kopf in Richtung Zelle, in der sich Magreth aufhielt. Nina würdigte den Sheriff keines weiteren Blickes mehr und öffnete die Tür nach draußen. „Darf ich erfahren, was Sie denn noch so wichtiges vor haben heute?“. „Den Mord an meiner Schwester aufklären, guten Tag!“
War diese Frau, diese Magreth doch keine Mörderin, hingen die Morde überhaupt zusammen? Nein, sie bezweifelte das. Zum einen war Magreth bereits eingesperrt gewesen, als der Mord verübt wurde und zum anderen unterschieden sich die Vorgehensweisen aufs Äußerste. Während Mister Wallace still und heimlich aus dem Leben scheiden musste, war Ninas Schwester aufgeschlitzt worden. Ganz zu schweigen von dem Blei das in ihr gefunden wurde. Nina schluckte schwer, der Kloß, groß wie ein halbes Ei, bahnte sich langsam seinen Weg die Speiseröhre hinunter. Wo sollte sie zuerst anfangen? Es gab keinerlei Hinweise auf irgendetwas. Am Tatort war nichts zurückgelassen worden, keiner hatte etwas gesehen oder gehört. Sie entschied sich dazu, erst einmal den Saloon zu besuchen. Einen Drink, das konnte sie jetzt vertragen.








Die Nachricht von einem weiteren Mordopfer war erst zu Frank vorgedrungen, als er in der Stadt Besorgungen machte. Natürlich dachte er sofort an Joe und die Lüge von Jonas, doch er verwarf den Gedanken so schnell wie er gekommen war und tat ihn als Hirngespinst ab. Nachdem er den Waffenladen verlassen hatte, steuerte er auf direktem Weg den Saloon an. Heute war wieder eine Menge los, zudem war es sehr kalt und die meisten Menschen in der Stadt trieb es bei solchen Temperaturen einfach in den Saloon - denn es gab nichts Wärmenderes, als einen Whisky. Zudem beruhigte er etwas die Nerven. Außer, man sah zu tief ins Glas, was bei Frank allerdings nie vorkam. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, dass er jemals einen über den Durst getrunken hatte. Früher durfte er sich so etwas nicht erlauben, zu viele seiner Kameraden hatten wegen des Alkohols frühzeitig ins Gras gebissen.

Die Luft im Saloon stand und es war anfangs schwer zu atmen, ohne das Gefühl zu haben, sich gleich übergeben zu müssen. Höflich drängte sich Frank an den stehenden und sitzenden Leuten vorbei, sein Ziel war die Theke. Es kam ihm so vor, als würde er sich nur mit halber Geschwindigkeit fortbewegen, als bremse ihn die stickige und schwere Luft. Der Rauch der Zigaretten brannte in seinen Augen.
Die Theke war einfach gearbeitet und aus massiven Eichenholz. Auf der einen Seite stand der Barkeeper alleine in seinem Reich. Auf der anderen gröhlten ihm die Gäste ihre Trinkwünsche entgegen. Frank konnte relativ schnell seinen Wunsch auf ein Gläschen Obstschnaps äußern. Der Barkeeper kam ursprünglich aus Deutschland und hatte allerhand Rezepte von dort hierher gebracht, so auch diesen Schnaps. Ohne Umschweife schnippte Frank zwei Dollar über den Tresen, nahm noch in derselben Bewegung den Schnaps in die Hand und leerte ihn in einem Zug. Seine Nachbarn links und rechts von ihm beobachteten Franks Reaktion. Aus dem Augenwinkel konnte er ihre gaffenden Blicke sehen. Der brennende Alkohol schien seinen gesamten Hals und seine Mundhöhle in Brand gesteckt zu haben. Mit Mühe konnte Frank eine Träne zurückhalten und versuchte normal weiter zu atmen. Nach einigen Augenblicken verflog das schmerzende Gefühl und zurück blieb eine gereinigte Nase und ein gefühltes Loch im Bauch. Der Schnaps machte Hunger auf Fleisch, oder auf noch mehr Schnaps. Außerdem befreite er die Atemwege und so nahm Frank alles im Saloon nun viel intensiver war. Der stickige Geruch hatte sich größtenteils verflüchtigt, der übertriebene Parfumgestank der billigen Nutten hier war allerdings keine besonders gute Alternative. Frank ließ seinen Blick umherwandern. Seine geübten Augen durchforschten den Raum und ihnen entging nichts. Die Standorte der Pokertische, potenziell gefährliche Gäste und und und. Doch sein Blick blieb an einer Frau haften. Ihre roten Haare betonten ihr bleiches und fast makelloses Gesicht noch mehr. Sie war von zarter Gestalt. Als er ihr Getränk begutachtete, musste er grinsen. Sie hielt ein halbvolles Glas mit Whisky in der rechten Hand und vor ihr stand ein leeres Glas Bier. Er hätte sie für eine Teetrinkerin gehalten. Lächelnd sah er ihr weiter beim Trinken zu und jedes Mal, wenn sie ihr Gesicht vor Ekel verzerrte, lächelte er noch breiter. Den Mann, der auf einmal seine Hand auf ihre Schulter legte, bemerkte er erst spät. Allen Anschein nach wollte er etwas von ihr, dass sie ihm nicht geben wollte. Der Mann war ziemlich bullig und hatte einen blonden Pferdeschwanz. Das allgemeine Getratsche war zu laut, als dass Frank sie hätte verstehen können. Ruhig verlagerte er sein Gewicht nach hinten und stützte sich mit den Unterarmen und mit dem Rücken gegen die Theke. Noch interessanter wurde es, als ein weiterer, vom Suff berauschter Mann, zwei Tische weiter aufstand und zwischen den Riesen und die Rothaarige trat. Naja, ‚Mann‘ traf es nicht wirklich. Dem Jüngling fielen die schwarzen, fettigen Haare unschuldig ins Gesicht. Frank meinte sogar, ein paar Pickel auf dem Gesicht des Burschen erkennen zu können. Was hatte er wohl vor? Frank hoffte für den Knaben, dass er nichts Dummes tun würde. Offensichtlich versuchte er die Rothaarige, die sichtlich erschrocken schaute, vor dem Kasten zu beschützen. Warum musste es ausgerechnet ein Kerl sein, der zwei Köpfe kleiner war. Hatte niemand anderes in der Nähe die Eier dazu, der Frau beizustehen? Es dauerte noch einige Atemzüge, bevor der Mann mit dem Pferdeschwanz den Burschen locker mit einer Hand packte, ihn zur Tür trug und ihn anschließend mit voller Wucht nach draußen beförderte. Niemand anderes schien auf das Geschehen zu achten, zu mindestens tranken, aßen, erzählten und hurten die Leute normal weiter. Der Kerl rechts neben Frank setzte sein Glas ab. „Ja, niemand legt sich freiwillig mit Sven an. Das arme Mädel, er wird es unbrauchbar machen.“ Verdutzt sah Frank ihm in die Augen. „Na, du weißt schon. Er hat nicht nur auf dem Kopf einen Pferdeschwanz, erzählt man – wenn du weißt, was ich meine.“ Er zwinkerte und brummend wandte sich Frank von ihm ab und ging in Richtung Sven, der bereits wieder am Tisch der Frau war. Er meinte noch von hinten ein ‚Mach keinen Fehler‘ zu hören, doch es wurde Zeit, dass endlich jemand diesen Koloss in die Schranken wies!

Frank tippte dem Riesen auf die Schulter. Obwohl Frank recht groß war, musste er dennoch den Kopf leicht in den Nacken legen, um Mister Pferdeschwanz in die Augen sehen zu können. Sven drehte sich mürrisch um. „Was willst du, ich bin beschäftigt.“ „Freundchen, du solltest dir ernsthaft jemanden in deiner Größe suchen.“ Sven drehte sich erneut um und widmete Frank seine volle Aufmerksamkeit. Im Saloon war es eine Spur ruhiger geworden, jedenfalls kam es Frank so vor. „Es gibt keine Frau, die meinem Kaliber standhalten kann.“ Er brach in ein dreckiges Lachen aus und Frank hielt die Luft an, um nicht den Geruch aus Whisky- und Knoblauchfahne einatmen zu müssen. „Geh weg von ihr, hol dir noch ein Bier an der Bar und dann zieh Leine. Schlaf deinen Rausch aus und geh morgen wieder aufs Feld arbeiten. Du hast doch Arbeit?“ Sven besah sich den muskulös wirkenden Mann genauer. „Sehe ich etwa so aus, als hätte ich keine?“ Frank hob die Augenbrauen. „Erwartest du darauf wirklich eine Antwort?“ Das war genug für Sven. Sein ohnehin schon aufbrausendes Gemüt, noch angestachelt vom Alkohol, ging mit ihm durch und er holte mit seiner mächtigen Faust aus. Für einen Durchschnittsbürger mochte es vielleicht aussehen, als würde Sven mit normaler Geschwindigkeit zu hauen. Doch Frank war darauf gefasst gewesen, dass Sven einer der langsameren Sorte im Kampf war. Grob, brutal, aber langsam. Gekonnt duckte er sich unter der angeflogenen Faust hindurch, boxte ihm pfeilschnell zweimal genau in die Niere und ging dann wieder auf drei Schritte Abstand. Sven taumelte kurz, er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Schlag ins Leere gehen und ihn damit aus dem Gleichgewicht bringen würde. Erst als er sich wieder aufrecht und in voller Größe vor Frank aufbaute, spürte er den stechenden Schmerz. Doch die vielen Jahre in der eisigen Kälte Skandinaviens hatten den Schweden robust gemacht und er ließ sich nichts anmerken. Der gesamte Raum war verstummt (kann ein RAUM verstummen- eher die Menschen, oder?), jeder verfolgte nun das Geschehen. Nichts ging über einen guten Zweikampf, vor allem, wenn der bullige Sven mitmischte. Sogar die Musik hatte aufgehört zu spielen und Frank konnte Sven schnaufen hören. Es glitzerten bereits Schweißperlen auf seinem Gesicht und sein Kopf war hochrot. Frank vermutete, dass es aufgrund seiner Darbietung war. Er hatte Sven komplett aussteigen lassen und ihn vor allen hier bloß gestellt. Würde Sven ihn zu packen kriegen, wäre es aus. Frank versuchte, sich zu entspannen, verlagerte sein Gewicht abwechselnd zwischen seinen Beinen. Links, rechts. Rechts, links. Dann fing er an eine Melodie zu pfeifen, die er seit seiner Kindheit kannte und liebte. Sie gab ihm Ansporn und war recht temporeich. Dabei hielt er stets den Augenkontakt mit seinem Gegenüber, der immer heftiger zu schnaufen begann. Wie ein Stier, der achtlos mit seinen Hufen scharrt, bevor er sich auf sein Opfer stürzt. „Hast du zugehört, Musiker?“. Aus dem anderen Ende des Saloons ertönte ein kleinlautes ‚Ja‘. „Gut, dann spiel es jetzt.“ Doch nichts geschah, der Musiker haute nicht in die Tasten, es blieb still. „Dann halt nicht – kann es los gehen?“ fragte Frank spöttisch. Doch anstatt zu antworten rannte Sven nur blindlings auf Frank zu.

Bevor Sven Frank zu packen bekam, duckte sich dieser erneut unter den gewaltigen Armen hindurch und stand nun wieder hinter dem Schweden. Schnell wie eine Klapperschlange ihre Opfer beißt, so schnell schlug Frank auf Svens Rücken ein. Gefühlte fünf Minuten später drehte sich der Riese endlich zu Frank und schlug wild um sich. Doch der Soldat hatte die Situation permanent unter Kontrolle. Langsam ging er ein paar Schritte um den heftig schnaufenden Sven herum. „Wollen wir aufhören?“ Als Antwort bekam er nur ein raues Fauchen. „Eine Chance gebe ich dir noch.“ Nicht anders als zu erwarten, funkelten die Augen des Blonden nur böse. Zum ersten Mal seit langem öffnete er auch wieder den Mund. „Wenn ich mit dir fertig bin, dann schick ich deine Überreste an deine Mutter.“ Frank zwinkerte ihm zu. „Immerhin trägt meine Mutter Kleidung bei der Arbeit.“ Provoziert rannte Sven wieder auf Frank zu. Der wartete ab, er konnte förmlich hören, wie die Massen um ihn die Luft anhielten. Kurz bevor er niedergewalzt wurde, duckte er sich. Keinen Moment zu spät. Während seine Beine leicht einknickten und sein Oberkörper sich nach vorne beugte, schnellte gleichzeitig seine rechte Faust nach oben. Das Gefühl, Knochen auf Knochen, durchzuckte Franks Arm und gab ihm die Bestätigung für einen harten Treffer. Noch mit voller Geschwindigkeit unterwegs, fiel Sven ausgeknockt gegen Frank und warf ihn mit zu Boden. Knapp verfehlte Franks Kopf eine hölzerne Tischkante. Sven, der über Frank war und etwas weiter vorne, knallte mit voller Wucht gegen diese Kante. Es gab ein hässliches Geräusch und als Frank auf den reglosen Schweden sah, musste er hart schlucken. Das war wirklich extrem blöd gelaufen. Eine riesige tiefe Schramme zog sich quer über dessen Stirn. Blut war sofort ausgetreten und Svens Haare hatten auf einmal eine ähnliche Farbe wie die der Frau. Obwohl er es nicht nach außen hin zeigte, schmunzelte Frank. Wer so hoch oben ist, fällt tief! Das war alles, was ihm dazu einfiel. Er stand auf, klopfte sich auf die Kleidung, als wolle er Wüstenstaub loswerden, und sah demonstrativ auf seinen Gegner hinab. Nach einigen weiteren Sekunden des Schweigens, blickte er in die Runde. Entsetzen, Freude, Furcht, Hohn und Fassungslosigkeit konnte er in den Augen der Gäste ablesen. Doch das eine Gesicht, nach dem er suchte, fand er nicht. Verwirrt ging er die Personen durch, doch er konnte sie nicht finden. Als die ersten Rufe nach dem Sheriff laut wurden, beschloss Frank zu verschwinden. Er eilte schnell nach draußen, niemand versuchte ihn aufzuhalten. Als er hinaus in die Kälte trat, fiel ihm sofort wieder ein, dass er seinen Mantel im Saloon vergessen hatte. Aber nichts konnte ihn wieder dort hinein bringen. Wer weiß, ob er noch einmal so einfach heraus käme. Nach einigen Schritten, der frisch aufkommende Schneefall hatte sein Hemd bereits durchnässt, sah er von weitem die rothaarige Frau. Gepackt von seinem Elan, sprintete er auf sie zu. Als sie ihn bemerkte, lächelte sie nicht, wie er es erwartet hatte. Stattdessen legte sie lediglich den Kopf schief und verschränkte die Arme vor der Brust. Etwas unsicher begann Frank das Gespräch.
„Ich, ich habe da drinnen gerade gekämpft, für dich.“

Sie nickte nur.

„Weißt du, was er mit dir angestellt hätte?“

Wieder ein Nicken. Langsam wurde es Frank unwohl.

„Bekomme ich kein Danke?“

„Danke “, sagte die Frau spitz, aber nicht unhöflich. Dann kam sie bis auf einen Schritt auf Frank zu.

„Woher kannst du das?“

„Kämpfen?“
„Nein, Stricken.“ Sie sah ihn ernst an. Frank wusste nicht, wie er reagieren sollte, da gab sie ihm einen leichten Schubs.

„Natürlich Kämpfen.“

„Sagen wir, in meiner Vergangenheit habe ich des Öfteren mit Rüpeln wie Sven zu tun gehabt.“
Der Rotschopf hob interessiert die Augenbrauen.

„Nur in der Vergangenheit, klar.“ Sie zwinkerte. „Hast du vielleicht Interesse daran, dir wieder etwas Geld zu verdienen. Jetzt wo dein Arbeitgeber ermordet wurde.“ Er sah sie mit zusammengekniffen Augen an. Woher wusste sie das? Doch bevor er auch nur fragen konnte, fing sie wieder an zu reden. „Ich bin Journalistin, es ist mein Beruf über so etwas Bescheid zu wissen. Wie gesagt, hast du Interesse?“ Frank fing an zu lächeln. Konnte man diesem Zuckermund widerstehen?

Nina fuhr sich mit zittrigen Händen durch die Haare. Mehrere Stunden hatte sie sich nun mit dem Soldaten beraten. Das einzige, was es sich lohnen würde zu verfolgen, war der Verdacht von ihm. Ein Neger, der auch bei Wallace gearbeitet hatte, schien verdächtig zu sein. Doch der Sheriff hatte ihn bereits einmal eingesperrt gehabt. Daher war es fragwürdig, ob der Schwarze wirklich ihr Mann war. Nina bezweifelte es, doch in ihrer momentanen Situation war sie überglücklich für jeden noch so kleinen Tipp.
„Wie gehen wir die Sache am besten an?“, fragte sie Frank und zupfte nervös an ihrem Rockzipfel.
„Ich habe schon seit längerem eine Idee, aber das wäre recht barbarisch.“
Irritiert blickte Nina auf, was meinte Frank?

„Immer raus damit, wir sind unter uns.“

Er schwieg noch einen kurzen Augenblick, ehe er den Mund öffnete.
„Noch einmal die Fakten: Ich weiß, dass Joe etwas durch den Wind ist und außerdem das ganze System im Land hasst. Die Medien, die Wirtschaft, die Politik, die Menschen. Einfach alles. Erinnerst du dich an die kleine Hellen Bora?“
Nina nickte wild, wie könnte sie jemals das ausdruckslose Gesicht des Mädchen vergessen, wie es da lag. Halb im Wasser, halb auf dem Steg. Als Nina damals ankam, war Hellens Blut bereits getrocknet und es sah aus, als hätte sie sich ein großes rotes Lätzchen umgebunden. Ein Lazarettarzt, der zufällig in der Stadt war, meinte, wäre es nicht so unnatürlich kalt gewesen, wäre noch weitaus mehr Blut aus der Wunde am Hals gekommen.
„Gut, was stand darüber in der Zeitung?“

„Der Tatsachenbericht. Der Sheriff und seine Männer haben nichts finden können und den Fall schnell ad acta gelegt.“

Frank sah sie ernst an.

„Richtig, der Bericht war, glaube ich, auf einer der hinteren Seiten. Oder?“
„Ja genau. Leider Gottes wurde am selben Tag die Zuglinie nach New York fertig gestellt. Das hat dann den Platz auf der Titelseite bekommen.“
Frank ließ seine Finger knacken.

„Ich überspringe den Teil mit Mister Wallace, den kennst du ja bereits in und auswendig. Ich komme direkt zu deiner Schwester.“

„Was ist mit ihr?“

Nina blickte fragend in Franks leere Augen.

„Fällt es dir denn nicht von selbst ein?“

Es brauchte noch einige Atemzüge, ehe Nina es begriff. Aber nein, das konnte doch nicht sein. Frank konnte unmöglich das meinen.

Als hätte er Ninas Gedanken gelesen, räusperte sich Frank erneut.
„Der Mörder bekommt durch die Times nicht die Art von Aufmerksamkeit, die er möchte. Der Mord an einem kleinen Kind und der Mord an einem Eisenbahngesellschafter haben nicht das nötige Interesse der Öffentlichkeit erregt. Was bleibt ihm also anderes übrig, als denjenigen umzubringen, der für Neutralisierung seiner Taten verantwortlich ist? In unserem Fall, diejenige.“

Frank ließ seine Worte wirken und die Irin schluckte schwer. Sie hatte begriffen, der Mörder wusste nichts von ihrer Schwester. Nina war das Ziel gewesen, nicht Zora! Doch bevor sich Nina Vorwürfe machen konnte, sprang Frank auf und legte ihr behutsam einen Finger auf die Lippen.

„Nein, wir kriegen ihn. Du musst nur etwas in die Zeitung schreiben, dass ihn stutzig macht. Und wir müssen mit dem Sheriff sprechen. Jetzt gleich!“








Joe stutzte. Was las er denn da? '… Stichwunden getötet. Die einzige Zeugin ist beim Sheriff vorgeladen. Es handelt sich hierbei um die Zwillingsschwester der Ermordeten …'. Stirnrunzelnd legte Joe das Blatt weg. Zwillingsschwester? Hatte er die falsche der zwei Schwestern erwischt? Das konnte nicht sein. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto unsicherer wurde er sich. Wie von der Tarantel gestochen stand er auf und verließ die Ranch, auf der er heimlich den Tag verbracht hatte. Er machte sich auf in Richtung des Sheriffbüros, Zoras Waffe hatte er eingesteckt und griffbereit. Was man anfing, das brachte man auch zu Ende.

Es dämmerte bereits, als er in der Stadt ankam. Keine Menschenseele war mehr auf der Straße. Es war, als stände der komplette Platz um und zwischen den Häusern unter Quarantäne. Die Lichter, die durch die Fenster auf die Straße fielen, erzählten Joe eine Geschichte von Wärme und Geborgenheit. Er konnte beides im Moment nicht brauchen. Er war eiskalt. Und ihm stand die pure Mordlust ins Gesicht geschrieben. Langsam stapfte er durch den Schnee, dann sah er durch das Fenster in das Office hinein. Zwei, vielleicht drei Meter direkt vor der Tür saßen sich der Sheriff und sein Opfer gegenüber. Sie tranken nichts, sie aßen nichts. Lediglich ein Stapel Papierkram war zu sehen. Vermutlich nahm er gerade ihre Aussage auf, um sie später zu prüfen. Joe wartete noch einen kurzen Moment, doch niemand weiteres tauchte mehr auf. Er ließ von dem Fenster ab und stellte sich vor die Tür. Sie sah nicht besonders stabil aus. Mit gezogener Waffe trat er gezielt auf die Tür zu und stieß sie mit einem krachenden Geräusch auf.

Frank saß etwas abseits des Sheriff-Office. Joe hatte ihn nicht bemerkt und trotzdem biss er sich auf die Zähne. Die Sache war zu riskant, für jeden. Als er sah, dass Joe die Tür eintrat, checkte er schnell noch einmal seinen Colt. Alles war perfekt. In der Sekunde, in der er hinunter gesehen hatte, hallte plötzlich ein Schuss durch die menschenleere Straße. So plötzlich wie der Schuss ertönte, so schnell wurde sein Schall auch wieder von den Schneewehen verschluckt. Es war soweit, hoffentlich nicht zu spät! Frank rappelte sich auf und sprintete zu seinem Ziel. In seinem Kopf spielten sich die schlimmsten Bilder ab. Hatte Joe Nina erschossen? Oder den Sheriff? Oder war auf Joe geschossen worden? Die Antwort würde er gleich erhalten. Je näher er dem Office kam, desto langsamer wurde er. Sein Puls musste beruhigt sein, wenn er schoss. Leicht geduckt schlich Frank in den Raum hinein, den Kolben hatte er bereits gespannt. Innerhalb eines Atemzugs stellte er die Lage klar. Einen Meter vor ihm lag der Sheriff mit einem Loch im Hinterkopf auf dem Boden. Ninas Stuhl war leer. Wo war sie? Doch ehe Frank um die Ecke zu den Zellen sehen konnte, kam genau von dort Joe hervor. Er hatte die Journalistin schützend vor sich gestellt und hielt ihr die Mündung seines Revolvers an die Schläfe.
„Lang nicht mehr gesehen, Frank.“
Der Soldat erwiderte nichts, ließ sich nicht ablenken.
„Alle Achtung, du würdest einen besseren Sheriff abgeben. Junge, junge. Du wärst glatt ein Marschall mit deinen Fähigkeiten.“
Frank ließ Joe keinen Moment aus den Augen. Er wartete auf den entscheidenden Fehler Joes. Doch er kam nicht. Stattdessen richtete der Schwarze unverhofft Kimme und Korn auf Frank und drückte ohne zu blinzeln ab. Das erste, was Frank hörte, nachdem er die Situation begriffen hatte, war der grelle Schrei von Nina. Dann erst kam ihm der grässliche Knall des Schusses zu Ohren. Und als er schon mit dem Rücken an der Wand auf dem Boden aufkam, trat der Schmerz ein. Es war nicht so, wie er es sich immer vorgestellt hatte. In seiner Phantasie hatte die Kugel nur kurz gebrannt und ein sauberes Loch in seinen Körper hinterlassen. Das hier war schlimmer. Seine linke Bauchhälfte fühlte sich an, als würde sie von innen heraus explodieren. Der Schmerz war so heftig, dass Frank Mühe hatte, bei Bewusstsein zu bleiben. Abwechselnd hörte er auf seine inneren Schmerzensschreie und auf die wehklagende Stimme Ninas. Das boshafte Lachen Joes blendete er vollkommen aus. Wie musste er aussehen? Völlig verkrüppelt saß er auf dem Boden. Aufrecht zwar, gestützt durch die Wand, doch alle Viere schienen schlaff um ihn herum zu liegen. Sein Bild war in Rot getaucht, er nahm den Zweikampf zwischen Nina und Joe nur verschwommen wahr. In dem Moment, als Joe abgedrückt hatte, musste Nina ihm ihren Ellbogen in den Magen gerammt haben. Joe hatte seine Waffe fallen gelassen und nun rangen die Beiden. Direkt vor dem angeschossenen Frank. Es wäre so einfach gewesen. Frank hätte nur aufstehen zu brauchen und Joe, der mit dem Rücken zu ihm stand, von hinten packen und unschädlich machen müssen. Aber nichts im Leben ist einfach. Es werden einem allerdings immer wieder Gelegenheiten zugespielt. Als Frank fast kraftlos seinen Kopf zur Seite neigte, stach ihm die Winchester des Sheriffs ins Auge. Da lehnte sie an der Wand, keine zehn Zentimeter von ihm entfernt. Mit letzter Kraft packte er sie, vertraute darauf, dass sie geladen war und feuerte im Sitzen auf Joe. Joe und Nina würgten sich gegenseitig, Joe hatte sie bereits an die Wand gedrückt und stand mit dem Rücken zu Frank. Als der Schuss ertönte, dessen gewaltiger Rückstoß Frank erneute Schmerzen im Bauch bereitete, durchzuckte Joe ein Gefühl des Schmerzes. Frank sah von seiner Position, wie Joe gegen Nina gedrückt wurde. Dann erschlafften seine Gliedmaßen und er fiel reglos zu Boden. Mit Tränen in den Augen betrachtete Frank Nina. Er hatte es geschafft. Doch bevor er den Versuch startete, aufzustehen, gefror ihm das Blut in den Adern. Ninas Gesicht wurde plötzlich ausdruckslos und sie rutschte langsam an der Wand hinunter. Dabei hinterließ sie eine Blutspur an der Wand. Die Kugel hatte sich nicht nur durch Joes Eingeweide gefressen, sondern hatte auch noch Ninas Brustkorb zerfetzt.


Am Rande der Stadt legte Frank Ninas leblosen Körper auf den schneeweichen Untergrund. Als sie aufgehört hatte Blut zu spucken, schwand auch ihre letzte Kraft und ihr Herz stellte den Betrieb ein. Jeder Mann hätte geweint. Nina war für Frank eine Art Liebe gewesen, er hatte noch nie etwas derartiges für jemanden verspürt. Und nur wenige Stunden, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, waren sie schon wieder getrennt worden. Für immer. Doch Frank war nicht wie andere Männer. Seine Seele trauerte, sein Körper gab keinen Mucks von sich. Scharf sog er die eiskalte Luft ein, sodass seine Lunge anfing zu brennen. Er wollte den Schmerz ignorieren, wusste jedoch nicht wohin mit ihm. Während er langsam wieder auf Touren kam und sich Gedanken machte, wie es nun weitergehen sollte, stand sein Beschluss eigentlich schon fest. Er würde das tun was er am Besten konnte: Spurlos verschwinden und woanders sein Leben weiterführen. Wahrscheinlich als Söldner, an den Grenzen gab es immer Konflikte zu lösen. Oder aber als Kopfgeldjäger. Die Auswahl für einen Mann mit den Fähigkeiten von Frank waren schier endlos. Abgehackte Rufe weckten ihn aus seinen tiefen Gedanken.
„Sie suchen nach dir, meine Hübsche.“
Behutsam strich er ihr mit seinen kühlen Fingerknochen über das bereits blasse Gesicht. Die Sommersprossen waren kaum mehr zu erkennen, das Rot ihrer Haare schien seine Transparenz verloren zu haben. Während er mit der einen Hand ihr Gesicht streichelte, schaufelte er mit der anderen langsam aber sicher Schnee auf Ninas Brustkorb. Die Wunde sollte verdeckt werden, die ganze Leiche sollte vergraben werden. Doch er hatte keine Zeit mehr. Würde ihn die Masse hier finden, wäre womöglich noch der drei Meter entfernte Baum sein Lynchtod. Er schloss Ninas Augen mit seinen Fingern und gab ihr einen letzten sanften Kuss auf die Stirn. Es sollte wohl nicht sein, Frank war dazu verdammt, sein Leben allein zu bestreiten. Ruhig atmend erhob er sich. Und nicht wirklich geliebt zu werden. Die entfernten Rufe kamen bereits näher, wurden lauter. Texas wäre wohl seine Wahl. Weit genug entfernt von Boston und es war warm! Ein letzter schwerer Seufzer und er wandte sich von Nina ab, die nur am Boden zu liegen und friedlich unter einer Schneedecke zu schlafen schien.


Sieben Jahre später, irgendwo in Dakota.

Die Schlacht war bereits seit mehreren Stunden vorüber. Nichtsdestotrotz stiegen noch überall zwischen den leblosen Körpern etliche Krieger umher. Hier und da war noch ein kurzer Aufschrei zu hören, ehe der Klang der Stimme abrupt endete. Auch Frank war da. Irgendwo zwischen drei Rothäuten und zwei uniformierten Soldaten. Es war das erste Mal, dass er nach dem Ende eines Kampfes so da lag. Horizontal, die Sicht und das Atmen eingeschränkt. Er blutete aus zahlreichen Wunden, ein abgebrochene Pfeil steckte in seiner linken Wade und beim Zweikampf mit einem der Sioux Kämpfer hatte ihn ein Tomahawk niedergestreckt. Komplett wehrlos versuchte Frank nun vorsichtig und vorallem so wenig wie möglich zu atmen. Sich tot zu stellen um zu überleben. Doch die Indianer verstanden es, solche Leute ausfindig zu machen. Weitere zehn, vielleicht waren es auch zwanzig, Minuten vergingen. Frank hatte schon seit einiger Zeit nichts mehr gehört und wagte es kurz zu blinzeln. Sein Herz blieb beinahe stehen. Direkt über ihm stand einer der Krieger, sein rasierklingenscharfes Messer gezückt. Er sagte etwas in einer anderen Sprache, doch Frank war sich sicher, dass es nichts gutes für ihn bedeutete. Ehe er sich auch nur die Mühe einer Bewegung machen konnte, hatte sich der Sioux bereits auf ihn gesetzt. Bei vollem Bewusstsein und mit aufgerissen Augen sah Frank den Schrecken kommen. Als der Indianer die Klinge an Franks Haaransatz ansetzte, fuhr ihm der ganze Schrecken des Moments in die Glieder. Frank wollte sich aufbäumen, mit seinen Gliedern wild um sich schlagen. Doch der kräftige Indianer lies keine Freiräume für seinen Gefangen zu. Dann begann er damit, die Kopfhaut des Weißen abzuziehen. Franks Augen wurden zwangsläufig aufgerissen, seine gesamte Gesichtshaut zog sich nach hinten, während der Sioux gemächlich mit dem Messer durch die Kopfhaut schnitt. Mit einem letzten kraftvollen Schwung befreite er die Klinge wieder aus dem Haarbüschel und hielt nun triumphierend mit der linken Hand den Hautlappen hoch, der nur wenige Augenblicke zuvor noch auf Franks Kopf gewesen war. Indianer ringsum sie herum fielen in Siegesgeheul mit ein. Frank war halb bewusstlos vor Schmerz. Seine Augen gaben ihm kein korrektes Bild wider, die Welt um ihn herum war grau in grau. Gerade als der Schmerz an seinem Kopf am heftigsten war, spürte er einen weiteren Stich. Die Waffe des Indianers hatte sich in Franks Herz gebohrt. In dem Moment, in dem Frank realisierte, dass er starb, bemerkte er erst, dass er die ganze Zeit wie am Spieß geschrien hatte. Doch sein Schrei verstummte, endete in einem Gegurgel aus Blut und verlor sich schließlich auf dem weiten Feld unter all den anderen Todesschreien.

Geändert von Westerner (06.11.2013 um 20:59 Uhr)
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Alt 06.11.2013, 19:32   #2
Thing
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Standard Hallo, Westerner -

bei mir kann das lange dauern, bis ein Kommentar kommt.
Ich muß mir erst einmal einen Tag frei nehmen, um zu lesen!


Herzlichen Willkommensgruß
von
Thing
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Alt 06.11.2013, 19:40   #3
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danke - hoffe der freie tag lohnt sich :P
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Alt 06.11.2013, 20:50   #4
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lch habe nur die ersten beiden Abs. gelesen, da muehsam mit smartphone - bin im Moment ohne PC. Erster Abs. gut erzaehlt. Ab den Dialogen wird der Text schwaecher. Sie koennten stilistisch besser formuliert sein, einfach naeher am Leben.

Morgen mehr.

Besten Gruss
Ilka
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Alt 09.11.2013, 01:21   #5
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Ab den Dialogen wird der Text schwaecher. Sie koennten stilistisch besser formuliert sein, einfach naeher am Leben.
Hallo Ilka-Maria,

hättest du denn eine Idee, wie man es in der Situation besser formulieren könnte?
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Alt 09.11.2013, 09:29   #6
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Ich muss spaeter antworten, mein PC funktioniert zur Zeit nicht und wird erst am Montag in die MAngel genommen.
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Alt 10.11.2013, 16:18   #7
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Die Hälfte hab ich geschafft.
Später mach ich mich über den Rest her.
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Alt 10.11.2013, 17:07   #8
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ich hätte es wohl Abschnitt für Abschnitt posten sollen, dann ist man nicht gleich so demotiviert wenn man den ganzen Text sieht ...
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Alt 10.11.2013, 17:12   #9
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Ja, ein "Appetithappen" ist das nicht....

Bis jetzt werd ich noch nicht ganz schlau aus der Story.
Zuerst argwöhnte ich, daß Joe der Kinder-Killer ist.
War am Ende doch der Gärtner der Mörder?
Na, ich werds erfahren!
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