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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 03.12.2005, 18:17   #1
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19

Standard Tom

Tom. Tom. Tom.
Sein Name steht auf meinem Körper. Auf meiner Wange, auf meinen Zehen. Auf meinen Händen. Dort in besonders kleinen Buchstaben. Auf meinen Beinen, da ist ein großes O, ein großes hübsches O ist dort, und ein kleines, mickriges T. Auf meinen Füßen, auf meinem Hals. Das war besonders schwer, aber es steht auf meinem Hals. Von meiner Brust runter bis zum Bauchnabel. Tom. Ich suche Stellen ab, die noch nicht von ihm bedeckt sind. Ein kleiner Fleck rechts an meiner Hüfte. TOM. Tom in kleinen und Tom in großen Buchstaben. Tom in kursiv, Tom in Druck- und Schreibschrift. Tom oben, Tom unten, Tom spiegelverkehrt und Tom rückwärts. Auch wenn das an der Sichtweise liegt. Nein, niemals steht MOT auf meinem Körper. Niemals. Tom. Nur Tom.
Er liebt mich! Er liebt mich, natürlich tut er das, er liebt mich vollkommen. Tom hat nie jemanden mehr geliebt als mich und Tom wird auch nie jemanden mehr lieben als mich. Niemals. Niemals.
Ein kleines Stück zwischen dem Großen Zeh und dem linken daneben an meinem linken Fuß ist unbefleckt. Dort passt nur ein kleines Tom hin. Aber wenigstens etwas. Kein Stück darf unbeschrieben sein, ich liebe Tom, Tom liebt mich! Im Spiegel sehe ich aus wie ein Leopard, mit einem dunklen, fleckigen Fell, bestehend aus Tom. Ich bestehe aus Tom. Es gibt nichts, was sonst noch dort ist oder für mich zählt. Meine Haut ist dünn, mein Körper abgemagert- was macht das? Tom ist das einzig Wichtige! Tom liebt mich, natürlich liebt Tom mich! Warum sollte Tom mich nicht lieben? Die Leute halten mich für verrückt, gehen mir aus dem Weg wenn sie mich sehen. Ich- verrückt? Nein, niemals! Tom liebt mich! Er liebt mich! Ja, jeder weiß, dass Tom mit Sina zusammen ist- aber was zählt das? Ich weiß, dass Tom mich liebt, er liebt mich! Er ist immer bei mir wenn ich ihn brauche. Wenn ich mit ihm rede, manchmal ist er abweisend und verkriecht sich. Aber das ist keine Realität. Er tut doch nur so! Er tut so, gegenüber den anderen, aber mir kann er sich nicht verstecken! Er liebt mich, ich weiß es! Tom, hier und da, meine rechte Brustwarze ist noch nicht beschrieben- man meint, ich solle das nicht tun, ich sei verrückt! Jeder soll sehen, dass Tom mir gehört, jeder soll es sehen! Tom gehört mir! Er ist bei mir, er ist geschrieben auf mir, in mir, Tom ist da! Tom weiß es, natürlich weiß Tom es, er reagiert wie alle anderen, aber soll ich daran glauben? Er steht auf meiner Stirn, in geringelten Buchstaben; TOM, es ist Tom, Tom ist da, Tom steht hier und da, TOM! Tom liebt mich, ja, das tut er, das weiß ich! Er muss es tun, ich weiß es doch! Bilder von ihm hängen in diesem Zimmer, die ganze Wand ist vollgeklebt damit, der ganze Boden, die Fotos beschrieben mit TOM. Tom, Tom ist da, ich weiß es! Er ist hier im Raum, neben mir, über mir, ich weiß es doch! Tom ist da, ich spüre ihn! Er küsst meine Haut, überall, oben und unten, hinten und vorn, es ist Tom! Tom liebt mich, ich weiß, dass er mich liebt! Glaub nicht den anderen, er liebt mich! Tom liebt MICH, niemanden sonst! Nur MICH!


______


Du kleines, mieses, verlogenes Luder! Du intrigantes Miststück, du dämliches Kind! Du bist dämlich, hörst du mich?! DÄMLICH!
Er liebt dich nicht. Er liebt dich nicht.
Es zischt durch meinen Kopf wie Feuer, prasselt wie Regen auf mich nieder. Doch dies ist kein leichter Sommerregen- dies ist ein Sturm.
Zitternd streiche ich mir über meine nackte Haut. Tom, du liebst mich doch, Tom du tust es, bitte, bitte, sag es mir... Sag mir dass du mich liebst...
ER LIEBT MICH NICHT! Er liebt dieses Miststück, diese verlogene Schlange, diese Hexe... Was ist mit mir? Wie kann er mir das nur antun?!
Tom, Tom, ich liebe dich doch! Du weißt es doch, bitte Tom, gib mir eine Chance! Siehst du denn nicht, dass ich dich liebe, Tom, dass wir zusammengehören- das weiß ich doch!
Wach endlich auf! Du bist nur eine verrückte Hexe, die sich etwas einredet! Du drehst vollkommen durch! Ich liebe dich nicht, hörst du, ich liebe dich nicht!
NEIN! Ich schreie auf, greife mit zittrigen Händen nach dem Messer, das wie gewöhnlich auf dem Nachttisch ruht und steche blitzschnell ein - zwischen dem Großen Zeh und dem linken daneben. Aus dem TOM quillt Blut heraus, bedeckt die blassschwarzen Buchstaben. Ich keuche, lasse das Messer sinken, falle zu Boden. Er ist weg - Stück für Stück verlässt er mich. Das kannst du doch nicht ernst meinen, Tom, ich liebe dich doch! Tom du liebst mich, dass weiß ich! Nicht sie, nicht sonst wen, MICH!
Ich liebe dich nicht, hörst du, ich liebe dich nicht!
Abermals schreie ich, greife wieder blitzschnell nach dem Messer und scharre auf meiner Haut entlang- eine kleine blutige Spur bleibt zurück.
Weinend, keuchend, zitternd verweile ich auf dem Boden und starre auf das blutige Messer, auf den leeren, kalten Boden, auf die Namen auf meiner Haut, über und über bedeckt, hier und da, dort und drüben, in dicken und dünnen, kleinen und großen Buchstaben; und immer wieder höre ich seine Stimme im Kopf...
...eine verrückte Hexe, die sich etwas einredet!
Tom, das kann nicht sein, du lügst! Du musst lügen, du liebst mich, wir gehören zusammen! Ich weiß doch, dass du mich liebst- warum lügst du mich an?! Warum zweifelst du?! WARUM sprichst du nicht die Wahrheit?!
Es tut so weh... Es tut so weh zu spüren, dass er... Nein, er liebt mich, ganz sicher! Aber wie soll ich... Wie soll ich nur auf ihn vertrauen, wenn er es nicht eingesteht? Wen will er schützen, was hat er vor?!
Abermals fahre ich mit dem scharfen Messer auf Toms Namen entlang. Vorsichtig, aber rasch, steche ich abermals zu- diesmal in meinen Oberarm. Der Schmerz sitzt tief, er durchdringt meinen ganzen Körper, betäubt mich, ich schließe zitternd die Augen, beiße die Lippen aufeinander. Doch es tut gut... Es tut so gut, es zu spüren... Den wahren Schmerz. Ich fühle meine Seele nicht mehr und so auch nicht mehr...
Ich liebe dich nicht!
Es macht mir nicht aus, nein. Ich steche wieder zu und wieder, mir wird schwindelig, doch ich spüre nichts... Nichts, außer dem äußeren Schmerz- was macht der schon? Er liebt mich nicht, er hat es gesagt... Ich muss mich von ihm befreien, seinen Namen von meinem Körper waschen, rein werden. Ich beweise ihm, dass ich ihn liebe, dass wir zusammen gehören! Wir gehören doch zusammen!
Eine Welle der Emotionen überströmt mich- rasch steche ich mir in meinen Bauch. Ich krümme mich vor Schmerzen, falle auf die Seite, mein Körper bebt.
Mein Körper ist blutüberströmt, kein Tom, ich sehe keinen Tom, ich habe mich befreit von ihm, frei... Ich liebe ihn, ich liebe dich, Tom! Mit zittrigen Fingern umschließe ich das blutige Messer, meine Augen fahren meinen Körper ab, suchen nach seinem Namen, seinem wundervollen Namen, nach ihm... nach dir... TOM.
Das Messer fährt über meinen Körper, teilt das Blut ein wenig ein, doch verbirgt immer noch gut Toms Namen auf meiner bloßen Haut.
Da... Ein kleines Tom, ein kleines, mickriges Tom, unterhalb meiner linken Brust- doch es strahlt vor sich hin, sendet Schmerzen aus, die größer sind, als die Jetzigen. . Ich muss es loswerden, es muss weg, weg... Ich könnte es verwischen, doch ich kann es nicht überdecken, es muss weg, verschwinden, vernichtet werden...
Ich liebe dich nicht, hörst du, ich liebe dich nicht!
Ich setze mein Messer an, ziehe Kreise drum herum. Du und ich, wir gehören zusammen, Tom, du und ich, nur wir beide... Ich liebe dich Tom und du liebst mich, du wirst es begreifen! Du liebst mich, nur mich! Nur mich, hörst du?! Nur mich!
TOM... ich liebe dich...
Und ich steche zu.
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