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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 17.06.2021, 14:21   #1
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Beiträge: 446

Standard Panta rhei

I

Und so gebiert der Anfang auch das Ende.
So sagst du, nichts währt ewig, später Herbst,
wenn du das Laub in Gold und Feuer färbst,
und es im eleganten Flug behände,

Geschmeide gleich zu Boden sinken lässt,
wo es sich mit dem Erdenreich vermählt.
Ein Samen dort im Zwielicht, nun beseelt,
keimt auf - umrahmt von Moosen und Geäst.

Ein Lauf, der im Kreise sich vollzieht,
dem nichts hinzukommt und auch nichts entflieht,
indessen er an Schöpfung nicht verwirkt.

Und so pulsiert erneut in Keimlings sattem,
beschwingtem Grün des Laubes letzter Atem,
so wie der Tod das Leben in sich birgt.

II

So wie der Tod das Leben in sich birgt,
die Welt stets einen neuen Tag begrüßt,
wenn sie den blassen Mond zum Abschied küsst,
in dessen Blöße Ohnmacht sich verbirgt.

Und niemand kann das Rad erneut erfinden,
doch dessen Weg ist stets ein neuer Priel,
so wandelbar in Musterung und Ziel,
vom Zweck kann es sich jedoch nicht entbinden.

Der Sonne Strahl entfaltet seine Macht,
und alles, was im Traume lag, erwacht,
bis Dämmerung das Gegenteil bewirkt;

der Nächte Sternenmeer und aller Tage
Gezeit hält sich dort draußen die Waage,
und alles, was im Innern wohnt und wirkt.

III

Und alles, was im Innern wohnt und wirkt,
ist schließlich einem Wandel unterworfen;
ein Sinn gedeiht, der Unsinn wird verworfen;
das Streben nach Vollkommenheit erwirkt

trotz allem keinen Höhepunkt am Ende.
Denn Rasten wohnt in keinem Wesen inne;
der Überschuss versiegt bald in der Rinne,
und der Verlust bringt eine neue Wende.

Was auf dem Meeresgrund verborgen liegt
und in den Wolken schwer und dunkel wiegt,
wird rasch als Gut gespült an weiße Strände,

ergießt sich über welke, spröde Klinge
des Grashalms dort; der Lauf aller Dinge
ist stets Verlust und zeitgleich eine Spende.

IV

Ist stets Verlust und zeitgleich eine Spende
das Kommen und Vergehen an der Schwelle
zum Ufer eines Stromes, dessen Welle
mäanderförmig ihre feuchten Hände

flussabwärts gütig ausgestreckt, beflissen,
das Tal mit reichen Gaben überschwemmt,
die sie in früher Zeit gar ungehemmt
einst dem Gestein des Bergmassivs entrissen.

Und wenn sie dann, mit Meeressalz gewürzt,
sich schließlich wölkt und in die Tiefe stürzt,
umspülend jede Faser, jede Zelle,

versickert sie erneut im Erdengrund
als kühner Dieb, als freier Vagabund
und eines jeden neuen Daseins Quelle.

V

Und eines jeden neuen Daseins Quelle,
ein Punkt, der Raum und Zeit unendlich krümmt,
bläst Quanten in die Leere und erstürmt
die öde Dunkelheit, durchbricht die Schwelle

der zähen Stille und des kalten Nichts,
die aus inanem Schlaf gerissen
um ihren Niedergang nun wissen,
in Demut gar versinken angesichts

des Schleiertanzes zwischen Schall und Licht,
wenn deren Einheit Prisma Glas durchbricht
als reine Sinfonie spektraler Pracht.

Und alle Teile fügen und verweben
sich zum Komplexen hin, bis neues Leben
aus Nebeln toter Galaxien erwacht.

VI

Aus Nebeln toter Galaxien erwacht,
erhebt ein neuer Stern sich am Zenit,
die Zeit ist auch für ihn ein Kryptonit,
wenn er zum roten Riesen, doch ganz sacht,

sich aufbläht und seine ganze Fülle
in die Unendlichkeit des Alls entlässt,
zum winzig kleinen, weißen Zwerg gepresst,
im Vakuum der scheinbaren Idylle.

Noch ist sein Schicksal nicht besiegelt, und
kein Grabstein tut von seinem Scheiden kund;
doch weichend und gewährend seiner Macht,

des endlos sich verdichtenden Verlangens,
zur Singularität wird auch sein Agens,
zur reißend Stromes Schnelle einst entfacht.

VII

Zur reißend Stromes Schnelle einst entfacht,
pulsiert das kochend heiße, wilde Blut
durch Erdenspalten, bis die rote Glut
gen Himmel, in die sternenklare Nacht,

als Furcht einflößender Geysir emporschießt,
bis sie an Kraft verliert, sich mäßigt und,
gefolgt von Staub und Asche aus dem Schlund,
gar honiggleich am Kamm hinunterfließt.

Und wo sie war, ist nur noch Schutt und Rauch,
im Keim erstickt die Blütenpracht von Strauch
und Busch unter der dicken, schwarzen Pelle.

Des einen der Natur perfide Masche,
des anderen – wie Phönix aus der Asche –
versiegt alsbald am Fuß der Meereswelle.

VIII

Versiegt alsbald am Fuß der Meereswelle
des Lavaflusses lauernde, latente
Gefahr, entbrennt ein Kampf der Elemente,
wenn salzgetränkter Schaum die Feuerstelle

in einem forschen Kuss zu zähmen sucht,
sie leidenschaftlich, brünstig aufmischend,
während sie widerspenstig aufzischend
als Gischt ihn von sich stößt mit voller Wucht.

Das Brodeln, das sich aus dem Innern quält,
verdrängt die Ozeane, und die Welt
verschiebt sich, schlüpft in eine neue Tracht.

Land unter Wasser, Erde die erbebt,
was ewig da ist, hat es schon erlebt;
und es gibt nichts, was nicht schon mal gedacht.

IX

Und es gibt nichts, was nicht schon mal gedacht,
nicht schon gefragt gar zehnmillionenfach
nach Echtheit in dem Schlummer, oder nach
der Matrix, wenn man letztlich aufwacht.

Ich denke, also bin ich, oder doch
gar umgekehrt, und auch des Lebens Sinn –
ob fraglich, ob ersichtlich - und wohin
des Lichtes Weg führt durch das schwarze Loch.

Es ist das wie, woher, warum und wann;
die Lösung liegt, wo alles einst begann,
womöglich sie in einem selbst entfacht.

Es ist die Suche, sie ist unumgänglich,
währt ewig, ist in Zyklen doch vergänglich,
gleich einem Schneesturm in der Winternacht.

X

Gleich einem Schneesturm in der Winternacht
umtost das Fleisch und Blut in reicher Fülle
ein Potpourri durchdringender Gefühle,
verleihend ihnen Seele und die Macht,

mit ihnen und durch sie heranzureifen,
im Einklang mit der Welt und ihrem Geist
zu sein, und was die Liebe wirklich heißt,
was wichtig ist im Leben zu begreifen.

Der Trauer Weinen und der Freude Schmunzeln,
die schließlich auch im Reziproken wurzeln,
entfachen feuerspeiend heiße Brände,

erfüllen den unendlich weiten Raum
mit Mut zur Hoffnung und mit Wunsch und Traum,
und Worte Schwall - wie sandgefüllte Strände.

XI

Und Worte Schwall - wie sandgefüllte Strände –
durchwabert der Atome Zwischenräume,
wie kleinste Bläschen aufgewühlter Schäume,
durch Federführung dichterischer Hände,

und aller Lippen schöpferische Triebe
geformt; gar flüchtig in dem Weltraummoloch,
fürs große Ganze unbedeutend, dennoch
ein Balsam für die Rädchen im Getriebe.

Die Inspiration ist die Essenz
und Antriebskraft für jeden neuen Lenz,
von der ein Geistesfunke sich stets nährt.

Und so wie Bläschen eins um eins zerspringen,
als Schwingungen im Äther just verklingen,
gleich einem Blitzeinschlag das Dasein währt.

XII

Gleich einem Blitzeinschlag das Dasein währt
am Pulsschlag der unendlich langen Zeit,
durchwandernd und bezwingend Schmerz und Leid,
denn Frieden ists, was es so sehr begehrt.

Auf Kriegsfuß sind Gefühle und Verstand,
dem Kompromiss oft fern, und deren Weichen
ins Paradoxe führen, ohne gleichen,
und Einigung liegt nicht in Gottes Hand.

So war es, und so wird es immer sein,
es scheint, auch keinen Weg aus dunklem Hain
zu geben, doch da alles wiederkehrt,

bleibt auch der Ausgang für immer offen,
auch mangels Weisheit bleibt doch noch das Hoffen,
und weil das Licht jedweder Zeit entbehrt.

XIII

Und weil das Licht jedweder Zeit entbehrt,
entfaltet sich, gedeiht ein neues Leben,
in dem des alten unbewusstes Streben
sich ausbreitet und stets weiter gärt.

Ein neuer Zyklus, der uns Ehrfurcht lehrt,
und dass der Zweck nicht alle Mittel heiligt,
dass Selbsterkenntnis stets den Weg bereinigt
zur Einsicht, die der Kosmos oft verwehrt.

Die Wahrheit steckt in allem wie ein Wirt,
so manches bleibt verborgen, manches wird
bewusst und weitet der Erleuchtung Blende.

Sobald der erste Stern die Nacht verkündet,
und des Gedanken letzte Weisheit zündet,
zeigt sich erneut die Sommersonnenwende.

XIV

Zeigt sich erneut die Sommersonnenwende,
füllt sich die Luft mit Zirpen, Zwitschern, Summen;
der Bäume Früchte und die Wiesenblumen
enthüllen ihre prachtvollsten Bestände.

In sanften Böen wiegen sich die Ähren.
Es kreucht und fleucht im Hellen und im Schatten,
und Triebe, zu betören, zu begatten,
erfüllen die instinktgeschützten Sphären.

Doch wenn der Wind auf Pusteblumen pustet,
der erste kalte Herbsttag zwei mal hustet,
entgegen aller regen Widerstände,

vergilbt das Grün in Laubes letztem Atem,
was einst gar voll im Saft stand, wird zu Mattem,
und so gebiert der Anfang auch das Ende.

Meistersonett

Und so gebiert der Anfang auch das Ende,
so wie der Tod das Leben in sich birgt;
und alles, was im Innern wohnt und wirkt,
ist stets Verlust und zeitgleich eine Spende.

Und eines jeden neuen Daseins Quelle,
aus Nebeln toter Galaxien erwacht,
zur reißend Stromes Schnelle einst entfacht,
versiegt alsbald am Fuß der Meereswelle.

Und es gibt nichts, was nicht schon mal gedacht,
gleich einem Schneesturm in der Winternacht
und Worte Schwall – wie sandgefüllte Strände.

Gleich einem Blitzeinschlag das Dasein währt,
und weil das Licht jedweder Zeit entbehrt,
zeigt sich erneut die Sommersonnenwende.
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