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Alt 31.10.2009, 00:20   #1
männlich noah
 
Dabei seit: 10/2009
Ort: Hannover
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Beiträge: 4


Standard Freunde?

Er wacht auf. Wo ist er? Wie ist er hier her gekommen? Langsam öffnet er seine Augen und versucht sich an das schale Sonnenlicht zu gewöhnen, dass durch das kleine verdreckte Fenster des Raumes scheint. Sein Mund ist wie ausgetrocknet. Wie spät ist es? Sein Blickfeld schwankt, als er sich, auf der modrigen Couch aufsetzt und langsam realisiert, dass er in der Wohnung seines Freundes, Martin, ist. Sein Körper fühlt sich steif und spröde an, jede Bewegung schmerzt in den Gelenken und Knochen. Es war mal wieder soweit. Wie lang kann er hier gelegen haben, dass der Entzug schon einsetzt? Der ganze Couchtisch liegt voll mit Löffeln, Wattebäuschen und Spritzen. Vor ein paar Tagen war hier anscheinend ganz schön was los.

Langsam kommen seine Erinnerungen wieder. Er hatte sich am Freitag mit Sascha getroffen, der hatte von der neuen Lieferung geschwärmt, die bei seinem Dealer eingetroffen war. Also haben sie gleich Nägel mit Köpfen gemacht und haben sich was von dem Zeug besorgt. Die Gelegenheit bietet sich ja schließlich nicht oft, wenn man hier in dieser beschissenen Gegend wohnt. Die verrotteten Sozialbauten rauben einem die letzte Hoffnung. Überall hat man die selben abgefuckten Typen, die einem aufn Sack gehen, versuchen dich abzuziehen und dir das Leben schwer machen und zu allem Überfluss ist der Stoff, den man hier bekommt gestreckt mit dem letzten Scheiss, den diese raffgierigen Pisser, die sich selbst „Dealer“ nennen, finden. Naja, jedenfalls sind wir dann erst bei Simon gewesen und dann anscheinend später hier gelandet.

Er greift mit zittrigen Händen in seine Hosentaschen, tastet jeden Winkel nach einem kleinen Rest Aitsch ab. Dicke Tropfen Schweiß bahnen sich ihren Weg von seinem Haaransatz über das abgemagerte Gesicht und seine bleiche, unreine Haut, bis sie sich in seinem ungepflegtem Bart verlieren. Er fällt zurück auf die Couch, seine Augen durchsuchen angespannt den Raum. Viele Möbel hat Martin nicht. Die Couch, der Tisch und ein versiffter Teppich kleiden das Zimmer, das auch schon bessere Zeiten erlebt hat, diese liegen allerdings weit zurück.

Langsam bricht Panik in ihm aus. Er versucht aufzustehen. Wie benommen verliert er für kurze Zeit den Halt und kann sich nur mit letzter Kraft an der Wand festhalten, bevor er auf den Tisch gefallen wäre. Er rappelt sich auf und schlurft in Richtung Schlafzimmer, immer in engem Kontakt mit der Wand, an der er sich langsam vorwärts schiebt. Die Wohnung ist kalt und leer. Die Stromrechnung hat Martin schon Monate lang nicht mehr bezahlt. Er braucht keinen Strom, so lang er drauf ist. Überall liegen abgebrannte Kerzen, Müll, Essensreste, und ein bestialischer Gestank breitet sich vom Badezimmer über die ganze Wohnung aus. Er nimmt dies alles jedoch nur beiläufig wahr. Das Einzige, an das er in diesem Zustand denken kann ist Aitsch.

Endlich erreicht er das Schlafzimmer. Martin liegt in seinen Klamotten, mit abgeschnürtem Arm und einer Spritze in diesem, auf dem Bett. Er atmet nicht, seine Augen sind weit aufgerissen und starren zur Decke. Erst jetzt fällt ihm auf, dass der beißende Gestank nicht aus dem Badezimmer kommt. Er tritt näher an das Bett und betrachtet Martin. Sein freigelegter, abgebundener Arm ist übersät mit Narben, Blutergüssen und Ekzemen. Eine kleine Blutkruste hat sich am Einstichloch gebildet. Seine Kleider stinken, oder ist er das?

Er kann sich nicht weiter mit Martin befassen, er braucht unbedingt einen Schuss, um runter zukommen, auch wenn es nur ein kleiner ist. Einfach kurz was drücken, dann raus aus der Bude und in den nächsten Bus zu Simon, die Ration für den nächsten Tag besorgen. Allerdings findet er auch im gammeligen, heruntergekommenen Schlafzimmer, nicht was er braucht. Ein Gedanke schießt ihm durch den Kopf – Martin. Er geht zum Bett, sieht die Leiche seines Freundes vor ihm liegen, war er überhaupt sein Freund, oder nur ein Bekannter, der den selben Weg wie er eingeschlagen hat und diesen jetzt unfreiwillig verlassen musste? - Wer weiß das schon, es interessiert ihn auch nicht weiter. Er greift in die Tasche von Martins fleckiger Jeans und fischt ein kleines Tütchen mit braunem Pulver heraus. Na also, wer sagts denn! Euphorisch stolpert er zurück ins Wohnzimmer und lässt sich auf die Couch fallen.

Welche Spritze ist meine?! Hier liegen fünf! Alle sehen gleich aus! Er zögert nur kurz und greift sich die erstbeste. Aus einer Flasche lässt er ein wenig Wasser in einen Löffel tropfen und schüttet, behutsam die braunen Körnchen auf den Löffel. Mit der Flamme aus seinem Feuerzeug bringt er das Gemisch vorsichtig zum köcheln. Jetzt legt er einen kleinen Wattebausch in den Löffel und lässt diesen sorgfältig die ganze, rostbraune Flüssigkeit aufnehmen. Er führt die Nadel der Spritze in den Wattebausch und füllt die Kammer der Spritze langsam mit seinem belebenden Elixier. Nur für das Zubereiten eines Schusses, hat er in seinem Zustand die nötige Konzentration. Alles andere rückt in den Hintergrund. Er schnürt sich den linken Arm mit seinem Gürtel, etwas unterhalb seines schwachen Bizeps ab und lockt durch gezieltes Klopfen eine dicke blaue Ader hervor. Kurz überkommen ihn, wie so oft, Zweifel doch im nächsten Moment drückt er sich die Nadel in den Arm und schießt die freudespendende und zugleich totbringende Flüssigkeit Richtung Gehirn.

Es dauert keine 5 Sekunden, bis der Kick einsetzt und sich sein steifer Körper langsam entspannt. Seine Knochen und Gelenke werden wieder weich und beweglich. Die Schmerzen sind vergessen. Die deprimierende Wohnung ist nicht mehr beklemmend. Sie ist ihm egal. Er will sich nur noch auf den Weg machen. Die knappen zehn Meter von der Couch zur Wohnungstür tänzelt er mit leichtfüßigen Schritten. Kurz hält er inne und lauscht - keine Regung in der Wohnung. Im nächsten Moment fällt die Tür ins Schloss und er ist auf dem Weg zum nächsten Freund.
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