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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 22.08.2013, 17:00   #1
männlich Desperado
 
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Standard Verpoesiebtes

Verpoesiebtes

Mir scheint, es ist genug gedichtet,
bin's Leid, das Wort in Maß zu klemmen,
genug an Reim auf Vers geschichtet-
Gedichtetes ich lesen muss,
das will des Denkens Fluss mir hemmen,
weil's schlimmer noch als blanker Stuss,
wenn heller Schein grunzt wie ein Schwein,
mit Ekel füllt und Überdruss
das Auge bis zum Bluterguss.

So mancher Trottel ohne Geist
die Freude dran möcht mir verleiden,
da Dichtkunst in den Schlund er reißt-
denn klingt sein Stumpfsinn noch so schön,
mag er in flotten Reim ihn kleiden,
bleibt seine Hässlichkeit bestehn,
wird deshalb niemals Klugheit sein,
gereimte Dummheit noch so schön
ist doch als blöde anzusehn.
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Alt 22.08.2013, 17:57   #2
Thing
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Standard Hi, Desperado -

Brutal!


LG
Thing
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Alt 22.08.2013, 19:00   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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So mancher Trottel ohne Geist
die Freude dran möcht mir verleiden,
da Dichtkunst in den Schlund er reißt-
denn klingt sein Stumpfsinn noch so schön,
mag er in flotten Reim ihn kleiden,
bleibt seine Hässlichkeit bestehn,
wird deshalb niemals Klugheit sein,
gereimte Dummheit noch so schön
ist doch als blöde anzusehn.
Das spricht mir aus tiefster Seele, Desperado, denn diesen Standpunkt vertrete ich auch schon lange.

Nichts gegen ein perfektes Gedicht, solange es nicht dahergeleiert kommt. Aber leider ist das bei vielen "perfekten" Gedichten der Fall. Dazu kommt, dass den selbsternannten Perfektionisten allein die Form so wichtig ist, dass sie darüber den Inhalt und Sinn ihres Textes vergessen, ja nicht einmal ein Gespür mehr dafür haben, dass Form und Text eine Synergie bilden müssen; wenn das nicht passt, ist es eben nicht perfekt.

Wie es der Zufall will, habe ich gerade heute etwas über dieses Thema gelesen und bin auf einen aufschlussreichen Vergleich gestoßen. Da wurden zwei Texte gegenübergestellt, und Studenten sollten feststellen, welcher von beiden das Original ist. Die Verse lauteten folgendermaßen:
Text A:
Es rauschen die Wipfel und schauern,
Als machten zu so später Stund
um fast schon versunkene Mauern
Die uralten Götter die Rund.

Text B:
Es rauschen die Wipfel und schauern,
Als machten zu dieser Stund
Um die halbversunkenen Mauern
Die alten Götter die Rund.
Die meisten Studenten hielten Text A für das Original; einige Studenten entschieden sich für Text B, weil ihnen Text A zu glatt vorkam.

Tatsächlich ist Text A ein vom Buchautor* geglätteter Text, das Original ist Text B und stammt von Eichendorff. Es wird das Geheimnis des Dichters bleiben, weshalb er sich für weniger glatte Verse entschied.

Meine persönliche Meinung: Der Buchautor konnte nicht anders als mit Hinzufügen von Füllwörtern glätten (so, schon, -ur...), und deshalb erscheint mir Eichendorffs Version ohnehin professioneller.

(*Christoph Hönig: Neue Versschule, UTB 2980)

Liebe Grüße
Ilka
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Alt 22.08.2013, 19:12   #4
Thing
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Ich verkrauche mich in mein Kämmerlein und weine leise in die Kissen!
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Alt 22.08.2013, 19:23   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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Ich verkrauche mich in mein Kämmerlein und weine leise in die Kissen!
Warum?
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Alt 22.08.2013, 20:58   #6
männlich Desperado
 
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Danke für Deine interessanten Ausführungen, Ilka-Maria.

Das ist mir schon oft aufgefallen, dass bekannte und wirklich gute Dichter sich auf ihr Sprachgefühl verlassen und es nicht immer allzu genau nehmen mit dem "korrekten" Versmaß, bei lautem Lesen kommen die vermeintlich ungelenken Reime dann flüssig, sehr natürlich und lebendig, nicht verkrampft, gekünstelt und vertrackt, wie sie in ihrer exakten Form erstaunlicherweise zu holpern beginnen würden. Wahrscheinlich macht diese Freiheit den wirklich großen und genialen Dichter aus, der die Sprache des Gedichtes wie ein gesungenes Lied empfindet, wo man derlei "Glättungen" ja sehr oft beobachten kann.

Warum der arme Thing weinen muss, weiß ich auch nicht. Vielleicht hat er aufs falsche Gedicht getippt? Ich hätt instinktiv B genommen, grade eben weil es nicht "perfekt" ist, sondern stattdessen eine eigene und "organische" Dynamik hat.

Schönen Abend!
Desperado
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Alt 22.08.2013, 21:17   #7
weiblich FrauKonfetti
 
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Ich hab zwar noch nicht viele Gedichte in diesem Forum gelesen, aber trotzdem ist deins das erste, bei dem ich das Bedürfnis habe es zu kommentieren.

Aus dem einfachen Grund um dir zu sagen, dass ich es genial finde !
Wahrscheinlich weil es schlichtweg die Wahrheit sagt und dabei ist es noch gut und witzig verpackt.

Zu dem Thema "Glättungen".. ich bin Freund von "unglatten"," nicht perfekten" Texten. Das macht sie wie ich finde irgendwie lebendiger, ungezwungener
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Alt 23.08.2013, 11:52   #8
weiblich Ex Carina M.
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Lieber Desperado,

da hast du aber was Wahrhaftes gekonnt verdichtet.
Hatte ich doch ähnliche Gedanken in letzter Zeit.
Oftmals dachte ich, Jessas wie Seelenlos oder hirnrissig ist das denn?
Das kann einem die Freude an der Lyrik schon mal abhanden kommen.

Liebe Grüße
Carina

PS ich mag Eichendorff sehr
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Alt 23.08.2013, 17:53   #9
männlich Desperado
 
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Herzlich willkommen, FrauKonfetti,
Hallo Carina,

manchmal kann ich einfach nicht schweigen zu diesem oder jenem, dann drängt es mich zu Gedichten wie diesem. Es freut mich, dass es zu euch spricht und euch aus der Seele- manches werde ich nie begreifen.
Was hat der Mensch davon, seinesgleichen mit Verachtung zu überziehen?
Macht es ihn glücklich, gemäß dem Motto: Lieber böse als gar nicht?

Aber das muss ich nicht beantworten. Sind ja zum Glück nicht alle so fertig, ja eigentlich nur eine Minderheit. Die es eben überall gibt. Seufz.

Lieben Gruß
Desperado
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Alt 23.08.2013, 18:50   #10
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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Das ist mir schon oft aufgefallen, dass bekannte und wirklich gute Dichter sich auf ihr Sprachgefühl verlassen und es nicht immer allzu genau nehmen mit dem "korrekten" Versmaß ...
Ich weiß nicht, ob sich die anerkannten Dichter auf ihr Sprachgefühl verlassen - vielleicht ist das so. Wenn ich mir aber z.B. die erste Strophe von Heinrich Heines "Lorelei" ansehe, sind die metrischen Abweichungen so zahlreich, dass ich von Absicht ausgehen muss: 1. Vers 9 Silben; 2. Vers 6 Silben; 3. Vers 8 Silben, letzter Vers 7 Silben. Jeder Vers hat einen Auftakt und drei Hebungen, aber unterschiedlich viele Senkungen. Der daraus resultierende Stolpereffekt führt dazu, dass bekanterweise der Vers "Ein Märchen aus alten Zeiten" sehr oft gesungen wird als "Ein Märchen aus uralten Zeiten".

Heine wird sich etwas dabei gedacht haben, als er sich für diesen stolpernden Rhythmus entschied, und wenn er auch nur den Leierkasteneffekt vermeiden wollte.

Übrigens, lieber Desperado, hast Du in Deinem Gedicht das jambische Versmaß konsequent durchgehalten .
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Alt 23.08.2013, 20:23   #11
männlich Desperado
 
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Übrigens, lieber Desperado, hast Du in Deinem Gedicht das jambische Versmaß konsequent durchgehalten .
Ich kann's halt nicht besser...
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.08.2013, 20:37   #12
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Desperado Beitrag anzeigen
Ich kann's halt nicht besser...
Ich versichere Dich meines aufrichtigen Mitgefühls .

Vielleicht versuchst Du es mal mit zwei Schritt vor, einem Schritt zurück, mal rechts, mal links, zwischendurch auch mal zwei rechts und zwei zurück, dann mal hüpfen und ein Purzelbaum, Halbdrehung und Brückenschlag, darauf einen Cha-Cha-Cha, nochmal Halbdrehung und dann weiter im Militärmarsch, beim ersten Schuss ducken, beim zweiten Schuss Volldrehung und dann nur noch halbgebückt und flott-flott-flott ... und wenn es gut gegangen ist, im Dreivierteltakt.

Ich habe gelesen, die Griechen der Antike gaben das gesprochene bzw. gesungene Versmaß durch Abschreiten vor, weshalb man beim Metrum auch vom Versfuß spricht.

Zitat:
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Ich kann's halt nicht besser...
Aber Spaß beiseite: Dein Gedicht ist wirklich gelungen. Wahrscheinlich aus dem Bauch heraus bei soviel Ärger - aber trotzdem: richtig gut.
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Alt 24.08.2013, 02:01   #13
männlich sommermann
 
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Beiträge: 30

Standard poesieachte

achtepoesie

Mir scheint, es ist nie genug gedichtet,
die silben, die worte im Innersten gesichtet -
sie drängen beständig sie müssen aufs blatt
ohne dichte ist das leben matt
es fliesst hinaus .. ist ein strom, ein meer, ein ozean
mal eben klar mal blanker wahn
doch mehr noch als heller schein
sind meine gefühle meine worte mein

So mancher Trottel ohne Geist
hab ich dann wiederum entdeckt
und schönes in dem unschönen gefunden
kein schwein hat mich je abgeschreckt
bin´s niemals leid das wort den sinn zu finden
muss mich strecken zweifeln überwinden
ob´s klugheit ist wer weiss das schon genau
Mir scheint, es ist noch nicht genug gedichtet
sommermann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.08.2013, 13:55   #14
männlich Desperado
 
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Zitat:
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Dein Gedicht ist wirklich gelungen.
Oh danke, Ilka-Maria!
sagen wir mal so- wenn ich nach über einem Jahr Poesieforum nicht wenigstens ein bisschen was dazugelernt hätte, wär's sowieso umsonst. Den Versfuß wie ein Tanzbein schwingen... vielleicht machen die Könner ja einfach nur, was sie wollen. Extravaganz unterscheidet unter anderem den Solisten vom Orchestermusiker. Wer kann, der kann. Lange Jahre dichtete ich ohnehin nur ungereimt, wie etwa Mitte der Neunziger, was dann zum Beispiel so aussah:

Recht

da sagen sie
Recht hat der
der hat
und
wer herrscht
sowieso
wer aber bloß ist
hat nix zu melden
und wer liebt
ist ein Träumer
weil er eben nun mal nichts hat
sagen sie
und haben nichts
als die Gewissheit
ihrer Sterblichkeit
es ist verrückt

oder so:

Wahr

weiß auch nicht
mensch hat nur Scheiß gebaut
seids ihn gibt
ohne ihn
wärs schöner auf diesem Planeten
warum nur
macht mensch alles kaputt
warum nur
warum

Man macht so seine Entwicklungen und Phasen durch im Leben, mit ihnen verändern sich auch Ausdrucksweise und Stil, und das ist auch gut so.


Und natürlich, sommermann,

lass ich mir die Freude an der Sprache nicht vergällen von niemandem. Stünde mein Gedicht als Allgemeinplatz im leeren Raum, könnt es durchaus als arrogant empfunden werden, dann wäre Deine Umkehrung nicht nur nachvollziehbar, sondern folgerichtig, ich mach das selbst ganz gern ab und zu. Aber es versfußt ja auf Spezifisches und spiegelt eine spezielle Reflexion wieder, als solche ist es in Bezug auf manch gemeinte Exponate sogar noch milde und duldsam ausformuliert. Klüger zu sein als der Rest der Welt und deshalb das Recht für sich zu beanspruchen, die "einfältigen" Gefühle anderer aufs Gröbste zu verletzen- das ist die Dummheit, die ich meine... und wohl ihre extremste Form.

Immer schön locker bleiben!
Desperado
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