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Alt 30.07.2015, 23:13   #1
weiblich CeliZeb
 
Dabei seit: 07/2015
Beiträge: 11


Standard Eulenstein

Es war ziemlich weit draußen, nah am Eulenstein. Ich ging gegen die Sonne. Der Abend war in rotes Feuer getaucht und es duftete nach Trockenheit. Es duftete nach der erbarmungslosen Hitze eines unendlichen Juli-Tages und meine Haut klebte vor Schweiß.
Als ich ihre Silhouette erkannte krampfte mein Herz, trotzdem übte ich ein müdes Lächeln. Sie saß an den Eulenstein gelehnt im verdursteten Gras, die Beine langgestreckt, die Augen geschlossen. Betend.
So kam es mir zumindest vor. Als würde sie beten. Ich konnte ihre Konzentration spüren, ihr Versunkensein. Mein Herz machte noch einen Satz als sie plötzlich die Augen öffnete, aber ich nickte ihr nur kurz zu und ging weiter. Sie sollte sehen, wie unbeeindruckt ich von ihr war. Sie sollte sehen, dass ihre erschütternde Schönheit, ihr süßes, warmes Lächeln mich völlig kalt ließen. Sie sollte wissen, dass ich hier nur zufällig auf sie traf.
Nie käme ich auf den Gedanken heimlich ihre Gewohnheiten zu studieren, ihr merkwürdiges Mondphasenleben zu analysieren, ihrer hexenhaften Naturverbundenheit hinterherzuschnüffeln - aber immer zu Neumond sitzt sie am Eulenstein. Egal, ob Sommer oder Winter, ob Regen oder Sturm. Einmal saß sie in einem Hagelschauer da. Regungslos. Mich - geschützt und verborgen von Blättern im Dickicht - piesackten die Körner, dass ich Schmerzensschreie unterdrücken musste. Und sie betete.

Ich wagte es nicht mich nach ihr umzusehen. Wusste ich doch nicht, ob sie mir ihr schönstes Lächeln hinterher schickte oder ob ich es noch einmal würde sehen müssen. Ob ich - würde ich mich umdrehen - noch einmal den Teufel würde sehen müssen. Ich konnte es nicht riskieren. Der Anblick damals hatte mir ein Stück meiner Seele geraubt und jetzt wo ich so von ihr wegging, wusste ich nicht, ob sie nicht bereits etwas Leben aus mir heraussagte. Vielleicht war ihre Energie gegen mich gerichtet und ich ging hier arglos entlang, während sie mich hinterrücks vergiftete.
„Wiggo?!?“
Sie rief mich.
Und jetzt? Der Honig ihrer Stimme rann noch meinen Gehörgang hinab als ich mich vorsichtig umdrehte. Blinzelnd sah ich zu ihr, um notfalls schnell die Augen schließen zu können, sollte mich wieder die grelle Fratze erwarten. Doch sie lächelte.
„Wiggo, was machst du denn hier?“
Heuchelt sie? Hat sie mich in all der Zeit wirklich nie bemerkt? Haben ihre übernatürlichen Mächte es ihr nicht zugeflüstert, wie ich ihr nachstellte? Lockt sie mich?
„Helga, Süße, was sitzt du denn hier rum? Hast du keine Angst, dass dich ne Zecke erwischt? Wir sind hier im FSME-Risiko-Gebiet“, sagte ich und wunderte mich etwas darüber.
„Hier kriegt man keine Zecken. Es ist irgendwie ein besonderer Ort, weißt du? Man kann eine uralte Kraft spüren.“
Ihr Blick war so unverblühmt, wie ihre Worte. War das die Wahrheit? War sie nur ein Mädchen mit leichtem Esoterik-Tick? Ich wünschte es mir so sehr und wusste es doch anders.
„Komm Wiggo, setz dich mit her.“
Da! Da war es! In ihrer Stimme, ich hab es genau gehört. Ein tiefes, metallenes Grollen, das den weichen Ton ihrer Worte verzerrte. Besessen. Sie war besessen. Zumindest solange sie hier war an diesem verfluchten Stein.
„Helga, magst du nicht von dem Stein weggehen?“, flehte ich mit wackliger Stimme.
Sie runzelte verständnislos die Stirn, heuchelte Ahnungslosigkeit. Oder war es der Teufel in ihr, der mich belog? Vielleicht bekam Helga davon gar nichts mit?
„Bitte“, flüsterte ich hinterher.
„Wiggo, was hast du?“ Sie klang tatsächlich ängstlich. Ihr zierlicher Körper verspannte sich. Ganz erschreckt sah sie aus, ganz hilflos und beschützenswert. Dämonenzauber.

Die Geschichte ist vor langer Zeit passiert. Die Geschichte vom Eulenstein. Es ist eine verdeckte Geschichte. Eine von den Geschichten, die erzählt werden mit der Bemerkung keinesfalls wieder erzählt werden zu dürfen. Geschichten die ihre Wege durch die Generationen in Augenblicken der Unvernunft finden. Man erzählt sie, wenn man glaubt für einen Moment außer Beobachtung zu sein und das ist immer ein Irrtum.
Mir wurde die Geschichte erst spät erzählt. Ich war schon lange erwachsen. Ich zählte schon die ersten grauen Haare an meinen Kopf. Der alte Mann, der sie mir zuraunte, ließ viele Lücken. Nur vage konnte ich erfassen, was sich zugetragen haben mochte. Von einem Mädchen war die Rede, von seiner Gabe, die Sprache der Natur zu sprechen. Von einem teuflischen Bund handelte die Geschichte, vom Unheil, das erst über die Familie kam, dann über das ganze Dorf. „Es ist nicht vorbei“, sagte der Alte. Das war der erbauliche Abschluss seiner Erzählung, den Rest mochte ich mir zusammenreimen. Oder auch nicht.
Damals interessierte es mich. Ja, tatsächlich. Ich war in meiner Kindheit oft am Eulenstein. Es war ein Ort an dem ich tiefe Ruhe fand. Ein Ort, an dem ich gut Zwiesprache halten konnte mit mir, meiner Seele. Und als der Alte am Maifeiertag diese Geschichte auspackte, hörte ich gespannt hin. Ich wollte mehr wissen. „Was ist aus dem Mädchen geworden?“, fragte ich und natürlich wollte er dann nichts mehr sagen. Er hätte die Geschichte um ihr Geheimnis gebracht und ohne Geheimnis hätte die ganze Geschichte ihren zauberhaften Nebelglanz verloren. Und wahrscheinlich ging die Geschichte gar nicht weiter. Wahrscheinlich hatte sie gar keinen Anfang und kein Ende, war ein müde gewordenes Fragment. Vielleicht ein Überbleibsel eines alten Hexenprozesses - davon gab es hier seinerzeit zu genüge.
So dachte ich, bis ich lernte, dass der Ursprung der Geschichte älter war als die Inquisition, älter als die Christenheit. Viel älter.

„Wiggo?!!?“ Sie schrie. Der Stein zog sie an sich. Sie hatte die Kontrolle verloren.
„Helga, sieh mich an!“, rief ich. Ich wusste, ich durfte sie nicht berühren. Sie würde sich selbst befreien müssen. Sie hatte es falsch eingeschätzt. Sie hatte gedacht, nur weil der Stein Jahr um Jahr duldsam war, würde er ihr immer gehorchen.
„Helga! Sie mich an, verdammt!“, kreischte meine Stimme, aber ich konnte ihre Augen nicht mehr lenken. Der Stein zog ihren Körper an wie ein starker Magnet. Sie kämpfte noch, riss sich herum, biss die Zähne zusammen, kämpfte sich mühsam nach vorne vom Stein weg. Einen Zentimeter. Noch einen. Umsonst.
Der Eulenstein wartet lange und geduldig. Doch wenn die Zeit gekommen ist, lässt er nicht los. Einen Moment überlegte ich. Einen Moment dachte ich, dass sie es vielleicht wert sei, es zu riskieren. Ich ging einen Schritt auf sie zu. Noch spürte sie es, auch wenn sie mich nicht mehr sehen konnte. Ihre Augäpfel hatten sich in die Höhlen gedreht, in Richtung des Steins.
„Wiggo!“, schrie sie.
„Wiggo!“, würgte sie.
„Wiggo“, röchelte sie und ihr letztes Wort war mein Name. Ich sah zu. Nein, sie war das Risiko nicht wert. Ich hatte schon zu viele gesehen. Auf eine mehr oder weniger kam es im Grunde nicht an. Schade um Helga. Es war schön all die Jahre.
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