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Alt 13.11.2013, 13:45   #1
männlich JanMestor
 
Dabei seit: 11/2013
Alter: 36
Beiträge: 1

Standard Garbageman Stories

#1 Verlorene Zeit

Er hat Schluss gemacht. Dieses verdammte Arschloch. Er meinte, wir hätten uns auseinandergelebt. Von wegen! Daran ist bestimmt dieses Flittchen schuld. Ich stand im Badezimmer vor dem Spiegel. Die Augen waren gerötet von den Tränen, mein Make-Up über das ganze Gesicht verschmiert. Ich blickte in die Augen einer völlig zerstörten Frau in den Zwanzigern. Sie hatte ihr hellbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengesteckt, weil er es so am liebsten mochte. Der Pferdeschwanz musste weg. Ich nahm die Schere zur Hand und legte das Haar zwischen die Scheren. Sie zitterte, so aufgeregt war ich. Doch ein bißchen Menschenverstand war mir noch erhalten geblieben und ich legte die Schere wieder weg.

Erneut betrachtete ich mich im Spiegel. „Feigling“, sagten mir die Augen der Frau, die mir gegenüberstand.
„Wärst du nicht so ein Feigling, wäre er bei dir geblieben und nicht zu dieser falschen Schlange gerannt.“
Wie sie sich immer bei ihm einschmeichelte. Es fing damit an, dass sie sich eine Packung Milch borgte, als sie in die Wohnung neben ihn zog. Später fing sie an, für ihn zu kochen und ihn einzuladen. Und was tat ich? Ich hatte es einfach geschehen lassen, weil ich ihm vertraute. Wie naiv ich doch war. Mir wurde die Luft zu stickig in dem Raum und ich öffnete ein Fenster. Es war Nacht und es wehte eine kühle Brise. Am Himmel war kaum ein Stern zu sehen, nur der Mond. Wie schön er doch war. Das einzige Licht in dieser Dunkelheit, ein Symbol für Hoffnung. Hoffnung, die ich eigentlich nicht mehr hatte. Mir fiel es schwer den Blick von ihm zu wenden. Da klingelte es an der Tür.

Das Klingeln riss mich aus meiner Trance. Plötzlich hatte ich einen Riesendurst und meine Augen brannten. Mit geschlossenen Lidern torkelte ich zur Tür. Wer auch immer auf der anderen Seite der Tür stand, musste eine ziemlich penetrante Person sein, denn der nächtliche Besucher klingelte Sturm und dachte gar nicht daran aufzuhören. Vorsichtshalber sah ich durch den Spion. Vor der Tür stand ein junger Mann, ungefähr in meinem Alter. Er war etwas dürr, hatte wuscheliges dunkelblondes Haar und einen kleinen Kinnbart. Der Mann hatte ein weißes Hemd an, das er über der Hose trug und darüber eine schwarze Krawatte. Die oberen drei Hemdknöpfe waren geöffnet. Die Hose gehörte zu einem Anzug, dessen Rest wohl abhanden gekommen war. Auch die Schuhe sahen teuer aus. Trotz des seriösen Outfits, versuchte er wohl krampfhaft lässig zu wirken. Er sah aus wie ein Geschäftsmann, der sich nach der Arbeit einen hinter die Binde gegossen hatte. Allerdings wirkte er recht nüchtern. Er hörte auf zu klingeln und sah von seiner Seite aus ebenfalls durch den Spion. Instinktiv trat ich einen Schritt beiseite, als ob er mich sonst sehen könnte. Ein paar Sekunden überlegte ich, ob ich dem Fremden die Tür öffnen sollte, da er allerdings recht harmlos aussah, beschloss ich es zu wagen.

„Guten Abend Miss Heartgold“, begrüßte er mich freundlich. Mir gefiel der Name nicht sehr, er klingt wie der Name einer Comicfigur. Und gerade jetzt, wo mir das Herz gebrochen wurde, fand ich ihn noch unerträglicher. „Ist das da eine Maus?“, fragte er und blickte an mir vorbei. Erschrocken sah ich mich um und wollte schon kreischend auf einen Stuhl springen, doch da war nichts. Das war nur ein Ablenkungsmanöver des Fremden, um mein Haus zu betreten. Wie selbstverständlich trat er über die Schwelle, ging an mir vorbei und schien etwas zu suchen.
„Hey, warten Sie mal“, schrie ich ihm hinterher. Doch er ließ sich dadurch keineswegs beirren.
„Sie können doch nicht einfach mein Haus betreten. Ich kenne Sie gar nicht, was wollen Sie hier?“
Er ignorierte meine Frage und ging ins Bad. Was hatte er vor? Suchte er etwa nach Wertgegenständen? Wollte er mich etwa tatsächlich ausrauben?

Schnell rannte ich in die Küche und holte das größte Messer aus der Schublade. Dann betrat ich das Bad, wo der Schlipsträger an dem geöffneten Fenster stand. Ich fuchtelte demonstrativ mit dem Messer und sagte: „Sie sollten jetzt besser gehen. Sie brauchen nicht zu glauben, dass Sie mit mir leichtes Spiel hätten, nur weil ich eine Frau bin.“
Er blieb immer noch unbeeindruckt und sah sich neugierig im Bad um. Ich beschloss ihn anzulügen.
„Eben habe ich die Polizei gerufen. Sie sind schon auf dem Weg hier…“
„Wie spät ist es?“, unterbrach er mich.
„23:00 Uhr“, antwortete ich ihm irritiert. Was sollte die Frage aufeinmal?
„Falsch“, entgegnete er mir knapp und sah mir direkt in die Augen. Da fiel mir etwas in seinem Gesicht auf. Der Mann sah aus wie Anfang 20, doch seine Augen sahen so viel älter aus, wie die eines alten Mannes.
„Es ist 23:00 Uhr. Ich hab eben noch auf die Uhr geschaut, als ich von meinem Freund…Exfreund kam.“ Wieso erzählte ich ihm das?

Er schüttelte besserwissend den Kopf. „Sie können gar nicht vor kurzem heimgekehrt sein. Ich ging die Straße an ihrem Haus entlang, als mir auffiel wie sie in den Himmel starrten. Sie sahen so weit weg aus und das waren sie auch. Eine halbe Stunde lang habe ich sie beobachtet, bevor ich bei Ihnen klingelte.“ Eine halbe Stunde? Das konnte überhaupt nicht sein. Es waren höchstens fünf Minuten. Mein Mund fühlte sich so trocken an. Ich hatte immer noch Durst und bisher noch nichts getrunken. Auch meine Augen brannten noch immer. Ich ließ das Messer sinken und ging in die Küche zurück. Eigentlich sollte ich diesen Typen aus meinem Haus verscheuchen, doch trotz seines seltsamen Verhaltens, machte er mir immer noch keine Angst. Ich holte ein Mineralwasser aus dem Kühlschrank und während ich trank, warf ich einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kühlschrank stand. Fast hätte ich das Wasser wieder ausgespuckt. Es war fast 5:00 morgens.

Nun gesellte sich auch der Fremde zu mir in die Küche.
„Bald fängt der Tag an“, begann er. „Ihnen wurden sechs Stunden Ihres Lebens gestohlen.“
„Gestohlen?“, fragte ich ungläubig. „Ich verstehe das nicht. Wieso habe ich das nicht bemerkt? Wieso fühlt es sich so an, als seien nur fünf Minuten vergangen. Und verdammt nochmal, wann hören meine Augen endlich auf zu brennen?“ Tränen rannen erneut über meine Wangen. Als hätte ich diese Nacht nicht schon genug geweint. Doch das war im Moment einfach zu viel.
“Das mit Ihren Augen wird schon wieder“, sagte der Fremde mit einer beruhigenden Stimme. „Sie hatten Sie sechs Stunden lang geöffnet. Kein Wunder, dass sie jetzt ein wenig rebellieren.“ Er reichte mir ein Taschentuch, dass er aus dem Bad geholt hatte und ich wischte mir die Tränen weg. Da fiel mir ein, dass mein Gesicht total verschmiert war. Was musste er bloß von mir denken…Halt was denke ich? Er war hier der Einbrecher.

„Wer hat meine Zeit gestohlen?“, fragte ich ihn. Er sah mich überrascht an.
„Sagen Sie’s mir. Was haben sie die ganze Zeit angestarrt?“ Jetzt verstand ich gar nichts mehr.
„Na den Mond“, antwortete ich. Ich sah wie der Groschen bei ihm fiel.
„Jetzt verstehe ich“, sagte er und ging ins Bad zurück. Ich folgte ihm.
„Was verstehen Sie?“
„Der Mond war es“, sagte er und zeigte aus dem Fenster hinaus in den Himmel. „Er tut es schon wieder. Dabei habe ich ihn letztes Mal verwarnt.“ Seine Worte verwirrten mich immer mehr. „Wenn wir deine Zeit zurückwollen, müssen wir dorthin“, sagte er und kam auf mich zu.
„Wohin?“, fragte ich nur verwirrt und bemerkte dass ich das Messer in der Küche vergaß. Er nahm meine Hand.
„Na auf den Mond natürlich.“ Aufeinmal nieste er mir ins Gesicht. Reflexartig schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, waren die Badezimmerkacheln verschwunden und eine weite öde Steinwüste erstreckte sich zu allen Seiten.

Der Himmel war schwarz und voller Sterne. Ich war kurz davor panisch zu schreien. „Was? Wie? Wo? Wo zum Teufel sind wir aufeinmal?“
„Das sagte ich doch bereits.“ Seine Stimme war nicht mehr ruhig. Er klang wie jemand, der langsam seine Geduld verlor. „Das ist der Mond. Da kannst du die Erde sehen.“ Er zeigte auf eine Stelle hinter mir und ich drehte mich vorsichtig um. Und da war sie. So blau und wunderschön. Aufeinmal überkam mich wieder dieses Gefühl der Hoffnung und der Fremde fasste mir auf die Schulter. „Vorsicht, sonst verlierst du dich wieder. Der Mond hat der Erde deine sechs Stunden geklaut und nun versucht die Erde, sich diese wieder zurückzuholen, also solltest du vermeiden sie anzusehen“, erklärte er. Ich befolgte seinen Rat und wandte mich mit meinen 1000 Fragen wieder ihm zu.
„Wer bist du?“, war die erste Frage.
„Oh hab ich mich gar nicht vorgestellt?“, fragte er überrascht. „Arthur Conan Doyle, freut mich sehr.“ Er schüttelte mir die Hand und ich runzelte die Stirn. Wen wollte er hier verarschen?

„Der war wohl nicht so gut“, sagte er als er meinen Blick bemerkte. Doch anstatt mir eine vernünftige Antwort zu geben, streckte er seine Nase in die Luft. „Riechst du das auch?“, fragte er mich und machte laute Schnüffelgeräusche. Jetzt wo er es erwähnte, fiel mir auch der Geruch von Grillfleisch in die Nase. „Hier lang“, rief Arthur und rannte zu einem nahe gelegenen Krater. Vor dem Abgrund holte ich ihn wieder ein. Mitten im Krater saß ein Mann auf einem Klappstuhl und drehte ein paar Würstchen auf einem komisch aussehenden Grill herum. Wir näherten ihm uns von hinten und als wir ihn erreichten, schubste Arthur den Mondmann von seinem Stuhl.
„Was zum Teu…“, wollte er sich beschweren, bis er Arthur sah. Er schien ihn zu kennen.
„Du kannst es einfach nicht lassen“, sagte Arthur.
„Ich weiß nicht, was du meinst“, tat der Mondmann ganz unschuldig.

Eigentlich sah er fast menschlich aus, nur sein Gesicht war kugelrund und voller Krater, wie der Mond. „Darf ich vorstellen, Miss Heartgold?“, sagte Arthur und machte eine Handbewegung zum Kratergesicht, der versuchte sich wieder aufzurappeln. „Das ist der Mann im Mond.“
„Ich habe es lieber wenn man mich Mann auf dem Mond nennt“, korrigierte er Arthur. „Du kannst mich allerdings auch George nennen“, sagte er mit einem frivolen Blick in meine Richtung. Flirtete der Mann im Mond etwa gerade mit mir? Arthur betrachtete misstrauisch den seltsamen Grill. Oben brieten die Würstchen vor sich hin, während unten der reinste Kabelsalat herrschte.
„Ist es das?“, fragte Arthur George.
„Ich weiß immer noch nicht, was du meinst“, gab er nur achselzuckend zurück.
„Jetzt tu nicht so. Dieses Gerät ist doch ein Energieumwandler. Er wandelt Zeitenergie in thermische Energie um. Ich hatte dich doch gewarnt. Du solltest das lassen. Ich kann dich auch ebenso gut auf einen fliegenden Asteroiden verbannen. Wie wäre ein Quadratmeter Lebensraum für dich? Nicht so angenehm, oder?“, drohte ihm Arthur. Der Mondmann keuchte.
"Es ist schon schlimm genug, dass du mich hierher verbannt hast“, sagte er schwitzend.

„Warte mal! Du hast ihn hierher verbannt?“, fragte ich ungläubig. Das war alles zu viel Nonsens für einen Abend.
„Was sollte ich machen? Er hat versucht die Weltherrschaft an sich zu reißen. Hier kann er wenigstens keinen Unsinn anstellen. Zumindest dachte ich das“, sagte Arthur und blickte wieder zum Energieumwandlergrill.
„Wie kommst du hierher? Braucht man dafür nicht eigentlich eine Rakete und mehr als ein paar Zehntelsekunden Reisezeit?“, war meine nächste Frage.
„Ach Papperlapapp!“, antwortete Arthur. „Raketen sind völlig unnötig, deswegen hörst heute kaum noch davon in den Nachrichten. Man hat nämlich entdeckt, dass Erde und Mond mit unzähligen winzigen Wurmlöchern verbunden sind. So klein, dass sie für unser Auge gar nicht sichtbar sind. Mit diesem Gerät hier…“, er holte eine kleine Apparatur aus der Hosentasche, die ähnlich wie ein altes Handy aussah, „…kann ich die Löcher dehnen und sie als Transportmittel nutzen. Schnell und einfach.“ Von wegen, ich verstand überhaupt nichts, von dem was er sagte.

„Wie kann es überhaupt sein, dass wir hier ohne Raumanzüge überleben können?“, wollte ich noch wissen.
„Wieso nicht? Der Mond hat eine Atmosphäre ähnlich der Erde. Du solltest nicht alles glauben, was du im Fernsehen siehst. Die erste Mondlandung war ein Fake, das weiß doch jeder. In Wahrheit waren die Menschen nie auf dem Mond, das wurde alles in Hollywood gedreht.“ Lachend schüttelte Arthur den Kopf. „Jetzt müssen die Politiker natürlich bei ihrer Lüge bleiben. Es wäre zu peinlich, wenn sie nach Jahrzehnten zugeben müssten, dass der Mond doch eine Atmosphäre hat. Ein Skandal wäre das. Und jetzt entschuldige mich kurz, ich muss mal eben dieses Ding entschärfen.“ Mit diesen Worten widmete er sich dem Grill und steckte ein paar der Kabel um.
„Oh bitte nicht“, jammerte George. „Wie soll ich sonst das Fleisch warm machen? Ich bin doch kein Aasfresser.“

„Wo bekommen Sie hier eigentlich Fleisch her?“, fragte ich ihn.
„Na von den Hasen, die der werte Herr hierher verbannt hat“, antwortete er und schnaubte verächtlich in Arthurs Richtung. Ich bekam langsam Kopfschmerzen.
„Wieso hast du Hasen auf den Mond verbannt?“ Ich musste es einfach wissen.
„Na weil…das ist eine lange Geschichte. Aber sie haben angefangen“, antwortete Arthur, während er überlegte, ob das blaue Kabel in den roten oder gelben Stecker musste.
„Mir bleibt nichts anderes übrig, als ein paar dieser langohrigen Biester einzufangen und abzuschlachten. Wochenende hat der McDonalds auf dem Mond ja zu“, versuchte der Mondmann zu erklären. Meine Kopfschmerzen wurden noch stärker.
„Wieso hast du ein McDonalds-Restaurant auf den Mond verbannt?“, fragte ich Arthur resigniert.
„Das ist eine noch längere Geschichte, als die Hasengeschichte“, antwortete George für ihn. Arthur steckte ein letztes Kabel um und betrachtete dann zufrieden sein Werk.

„Nun hab ich die Wirkung ins Gegenteil verkehrt. Der Mann im Mond…“, George räusperte sich, als Arthur das sagte,…der Mann auf dem Mond hat dir mit Hilfe dieses Gerätes, die Zeit gestohlen und sie in Wärmeenergie umgewandelt. Nun kann ich die Wärme des Grills nutzen und sie wieder in Zeit umwandeln. Damit kann ich dir deine fehlenden sechs Stunden wieder zurückgeben“, erklärte er. George seufzte verzweifelt und wollte protestieren, doch er ließ es bleiben, als Arthur ihn böse anfunkelte. „Treib es nicht zu weit. Dies ist meine letzte Warnung. Nochmal so eine Aktion und du kannst dich nicht weiter fortbewegen, als deine Arme lang sind. Ich hab mir schon einen netten Asteroiden in der Nähe von Saturn für dich ausgesucht. Wo hast du eigentlich das ganze Material her, um einen Energieumwandler zu bauen?“, fragte Arthur den Mondmann.
„Manchmal wird auch hier ein bißchen Müll angeschwemmt. Und manchmal lässt sich aus diesem Müll noch etwas machen. Als Müllmann solltest du dich doch damit auskennen“, entgegnete ihm George.

„Warte!“ Ich musste wieder ein paar neue unglaubliche Informationen verdauen. „Du bist ein Müllmann? Ich wusste gar nicht, dass euer Job so außergewöhnlich und vielseitig ist.“
„Sie wissen so einiges nicht, Miss Heartgold“, entgegnete er mir mit einem Lächeln.
„Bitte nenn mich Luna“, sagte ich ihm. Ich wusste nicht, warum ich so vertraulich mit ihm umging, obwohl er innerhalb einer halben Stunde meine ganze Welt erschütterte.
„Gerne, aber ich glaube nicht, dass wir uns nochmal wiedersehen. Wenn ich den Umwandler einschalte, kommt Ihre gestohlene Zeit zurück. Sie werden wieder in ihrem Badezimmer stehen und all das hier wird nie passiert sein. Wir werden uns nie begegnet sein. Sie werden sich an nichts erinnern.“ Als er mir das sagte, rutschte mir das Herz in die Hose.
„Warte…“, schrie ich. Ich hatte noch so viele Fragen. So viele Fragen an den Mann, der in meine Wohnung einbrach, mich auf den Mond entführte und sich letztlich als Müllmann herausstellte. Doch er ließ mir keine Chance. Er legte einen Hebel um und eine unsichtbare Kraft erfasste mich. Sie stieß mich weg und ich….stand vor dem Spiegel. Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht, wegen einer anderen. Doch wieso machte mir das nichts mehr aus?

#2 Schlechtwetterfront

Vor einer Woche hat mich mein Freund verlassen. Wegen einer anderen Frau. Ich eilte total aufgelöst zu meiner Wohnung, doch als ich dort ankam und mich im Badezimmer vor dem Spiegel betrachtete, war der Schmerz aufeinmal wie weggeblasen. Ich fragte mich woher das kam, als mein Chef mich aus meinen Gedanken riss. „Haben Sie nicht zugehört? Sie sollen sich sofort zur Doyle Street aufmachen.“ Bei dem Namen flackerte kurz etwas auf, doch ehe ich es begreifen konnte, verschwand das Flackern auch schon wieder.
„Was soll ich dort nochmal tun?“, fragte ich peinlich berührt. Ich hatte ihm wirklich nicht zugehört und das brachte ihn auf die Palme.
„Was soll ich nur mit Ihnen machen, Miss Heartgold. Seit einer Woche sind Sie völlig neben der Spur. Vor ein paar Tagen sollten Sie den Bürgermeister interviewen, als er die neue Kentucky Fried Chicken Filiale in der Edison Road einweihte, stattdessen sind Sie zu McDonalds gegangen und haben alles verpasst. Sie sind meine beste Reporterin, aber wenn das so weitergeht, muss ich über Ihre Kündigung nachdenken.“

Normalerweise war mein Chef, der Redakteur der größten Tageszeitung der Stadt „The quickly Hammer“, ein ganz ruhiger und freundlicher Typ. Mit seiner kleinen roten Fliege, dem akurat zugeknöpften, weißen Hemd, dem Kurzhaarschnitt und seiner dicken Hornbrille sah er zwar wie ein unscheinbarer Nerd aus, doch wenn es drauf ankam, konnte er auch hart durchgreifen und ich hatte mir diese Woche wirklich einige Fehltritte erlaubt.
"Sie werden jetzt zum St. Moritz Hospital in der Doyle Street 21 fahren und dort Mr. Archibald Schuster interviewen, dem ist nämlich aus heiterem Himmel ein Klavier auf den Kopf gefallen“, sagte Mr. Sanders und fügte hinzu: „Wenn Sie das versauen, war‘s das für Sie. Ich hoffe, wir verstehen uns.“ Also machte ich mich auf zum Krankenhaus.

Die Sache klang schon ziemlich merkwürdig. Doch ich hab schon merkwürdigeres gehört. Habe ich das wirklich? Wieder war da ein Flackern, aber ich konnte es einfach nicht festhalten. Ich klopfte an die Tür von Mr. Schusters Zimmer und trat ein. Er hatte mich bereits erwartet, da Sanders zuvor beim Krankenhaus anrief und fragte, ob es in Ordnung wäre. Ich nahm auf einem Stuhl vor seinem Bett Platz und schaltete mein Tonbandgerät ein. Mr. Schuster sah noch sehr schwach aus. Der größte Teil seines Körpers war einbandagiert. Über den unzähligen Mullbinden, trug er einen blauen Bademantel.
„Wenn Sie bereit sind, erzählen Sie was Ihnen passiert ist…“, begann ich als plötzlich die Zimmertür aufflog. Eilig schritt ein junger Mann, Anfang 20, zum Bett des Patienten.
„Austin Powers vom Daily Mirror“, stellte er sich vor und schüttelte mit überschwänglicher Energie Mr. Schusters Hand.

Er trug das Hemd über der Hose, eine Krawatte, aber keine Jacke. Seine Sachen waren teuer, doch er trug sie sehr schlampig. Das seltsamste an dem Typen war allerdings, dass ich das Gefühl hatte, ihn irgendwo schon mal gesehen zu haben und mich freute, ihn zu sehen. Auch dieser offensichtlich falsche Name, begann irgendwas in mir wachzurütteln. „Uns wurde berichtet, Sie gingen die Perkson Lane entlang, als plötzlich ein Flügel auf den Bürgersteig fiel und sie traf.“ Er machte eine Pause um zu schmunzeln. „Das ist ja wie in einem Zeichentrickcartoon.“ Als er sah, dass Mr. Schuster das gar nicht so witzig fand, bemühte er sich eine ernste Miene aufzusetzen. „Pardon. Kam der Flügel aus dem oberen Stockwerk des Souvenierladens, an dem sie gerade vorbeigingen?“, fragte er.
„Moment mal“, schritt ich ein. Das konnte ich mir nicht gefallen lassen. „Ich habe gerade ein Interview mit dem Patienten. Wir haben einen Termin ausgemacht. Haben Sie einen Termin?“ Erst jetzt schien er mich wahrzunehmen und zu meiner Verwunderung, machte er ein überraschtes ja geradezu schockiertes Gesicht.

„Ne-Nein“, stotterte Mr. Schuster plötzlich. „So war das nicht. Die Polizei hat das Gebäude genauestens untersucht. Es ist unmöglich, dass der Flügel aus dem Gebäude kam. Er kam von oben“, sagte Mr. Schuster und deutete mit dem Zeigefinger an die Decke. „Vom Himmel. Ich weiß, das klingt schwachsinnig, aber ich hörte ihn herunterbrausen. So ein pfeifendes Geräusch, das mich alarmierte. Reflexartig sprang ich zur Seite, sodass mich nicht das ganze Klavier traf. Nur so konnte ich überleben. Zwar schwer verletzt…“, Tränen kullerten ihm vom Gesicht, „…aber ich danke Gott, dass ich noch lebe.“ Wir beide waren still, während Mr. Schuster leise schluchzte. Plötzlich durchbrach ein markerschütternder Schrei die Stille. Das Fenster war angekippt, der Schrei kam von draußen.
„Ich muss los“, sagte Mr. Powers plötzlich und rannte aus dem Zimmer. Seine Stimme verriet mir, dass ich an ihm dran bleiben musste, wenn ich die Story des Jahrhunderts wollte. „Entschuldigen Sie“, sagte ich zu Mr. Schuster und nahm die Verfolgung des anderen Reporters auf.

Er lief hinaus auf die Straße. Am Bürgersteig gegenüber des Krankenhauses lagen die Überreste eines Klaviers. Es ist schon wieder passiert. Als ich ihn einholte, inspizierte er sorgsam den Flügel, während ich mit meinen teuren weißen Stiefeln in eine Pfütze trat…eine rote Pfütze. Ich kreischte auf, als ich einen Arm unter den Trümmern hervorluken sah. Oh nein, ich bin in die Blutlache eines Menschen getreten…meine Stiefel sind ruiniert. Nein, so durfte ich nicht denken. Ein Menschenleben war in Gefahr. Mit aller Kraft versuchte ich die Trümmer hochzuheben. Mr. Powers sah mich nur stirnrunzelnd an und fragte: „Was machen Sie da?“
„Hier liegt ein Mann unter dem Klavier. Wir müssen ihm helfen“, antwortete ich ihm.
„Ach so, der ist tot. Ich habe seinen Puls schon überprüft. Kümmern Sie sich nicht um ihn. Viel wichtiger ist doch die Frage, was mit diesem Klavier nicht stimmt. Fällt Ihnen was auf?“

Ich konnte nicht glauben, dass dieser Kerl sich mehr Sorgen um das kaputte Klavier, als um den Menschen, der darunter lag machte. „Das kann doch nicht Ihr ernst sei…“, wollte ich sagen, doch er unterbrach mich.
„Sehen Sie es denn nicht?“, fragte er. Ich tat ihm den Gefallen und betrachtete die Trümmer mal genauer, doch ich fand nichts Außergewöhnliches. Zugegeben, ich kannte mich auch nicht recht gut mit Flügeln aus.
„Da ist nichts. Das ist ein stinknormales Klavier“, antwortete ich ihm. Er schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Ihr geistig unterentwickelten Menschen. Wie könnt ihr mit so einem eingeschränkten Horizont nur leben?“ Er machte mich immer wütender, auch das kam mir irgendwie vertraut vor. „Sieh dir die Trümmerteile nochmal genau an. Da ist kein Name, nicht mal der des Herstellers zu finden. Kein Logo, kein Baujahr, nicht mal ein billiges Made in Taiwan“, erklärte er mir.
„Als wenn die Taiwaner Klaviere produzieren, die vom Himmel fallen“, sagte ich lächelnd.
„Wenn du wüsstest“, entgegnete mir Mr. Powers. „Taiwaner sind unberechenbar.“
„Wieso das?“, fragte ich.
„Das ist eine lange Geschichte.“
Aufeinmal machte es Klick.

„Müllmann“, brach es aus mir heraus. Er sagte nichts, sah mich nur verdutzt an. Alle meine Erinnerungen kamen zurück. „Letztes Mal nanntest du dich Arthur. Du bist in mein Haus eingedrungen und hast mich angeniest, dann waren wir plötzlich auf dem Mond. Dort hat der Mondmann gesagt, du wärst ein Müllmann.“ Ich schrie ihn geradezu an vor Euphorie. Endlich wusste ich, was die ganze Zeit mit mir los war. Die Leute um uns herum, starrten mich wie eine Verrückte an. Der Müllmann nahm mich an die Hand und zog mich in eine Seitengasse.
„Unglaublich“, sagte er. „Wie kannst du dich nur an mich erinnern? Das ist unmöglich.“ Ich wollte ihm gerade all die Fragen stellen, die ich ihm letztes Mal nicht stellen konnte, als es wieder krachte. Wir rannten aus der Seitengasse. Wieder ist ein Klavier vom Himmel gefallen. Es landete auf der Straße. Ein Autofahrer konnte gerade noch ausweichen, fuhr dafür aber gegen einen Laternenpfahl.

„Wir haben keine Zeit“, sagte er und zog mich hinter sich her. „Wie ich die bereits sagte, haben die Klaviere keinerlei Herstellungsnachweis. Sie kommen nicht von hier. Jemand lädt illegal Müll in unser Universum ab.“ Als er meinen verwirrten Blick sah, hielt er kurz an. „Ach stimmt ja. Du kennst die ganze Geschichte ja noch nicht.“ Plötzlich fielen weitere Klaviere vom Himmel. Erst nur ein paar vereinzelte, doch dann wurden es immer mehr. In der Stadt wurde es laut. Dauernd hörte man es irgendwo krachen oder jemanden entsetzt aufschreien. Panisch rannten die Leute an uns vorbei. Arthur zog mich unter eine riesige Werbetafel, die massiv genug aussah. Die Tafel gehörte zu einem Schuhgeschäft. Darauf war ein Cowboy mit einer Sprechblase zu sehen. Der Cowboy sagte: „Meine Stiefel kaufe ich nur hier.“ Ich hätte nie gedacht, dass mich ein Cowboy mal beschützen würde…oder ein Müllmann. Dieser dachte gerade angestrengt nach.

„Was passiert hier?“, fragte ich ihn ängstlich. Die Klaviere fielen immer schneller vom Himmel. Es passierte in der ganzen Stadt.
„Wo fange ich da am besten an…also wie du ja bereits gemerkt hast, bin ich kein normaler Müllmann. Ich kümmere mich nicht um euern Hausmüll, sondern um Müll, der von anderen Welten bei uns abgeladen wird.“ Das gleiche wie letztes Mal. Je länger ich mich bei ihm aufhalte, umso absurder wird es. Ich musste mich erstmal hinhocken. „Vor ein paar Jahrzehnten gelang es uns Kontakt mit einem Paralleluniversum aufzunehmen. Dieses Universum hatte wiederum Kontakt zu unzähligen anderen Parallelwelten. Diese Welten waren viel fortschrittlicher als unsere. Wir profitierten davon und konnten einige ihrer Erfindungen übernehmen. Ohne sie hätten wir heute keine Handys, keine Mikrowelle und keine Hüte, an denen man Bierdosen befestigen kann.“ Ich fragte mich, ob das letzte wohl ernst gemeint war. „Allerdings bekamen wir das nicht umsonst. Zudem befanden wir uns zu der Zeit in einer Wirtschaftskrise. Doch ein Problem gibt es in jedem Universum und das ist die Müllbeseitigung. Wir boten also den Paralleluniversen an, unsere Welt als Müllkippe zu benutzen, im Austausch für Technik und finanzielle Unterstützung.“ Er machte eine Pause.

„Ist das wirklich wahr? Unsere Erde ist eine Mülldeponie?“ Ich konnte es einfach nicht glauben.
„Natürlich dürfen die anderen Welten ihren Müll nur in kleinen Dosen bei uns abladen, nicht so extrem wie du es gerade miterlebst. Manchmal kommt es natürlich zu Vertragsbrüchen und eine Welt lädt mehr Müll bei uns ab, als sie darf. Doch das schlimmste ist, dass es bei dem Vertrag einen fatalen Übersetzungsfehler gab. Nicht alle Welten haben dieselbe Sprache und Müll bedeutet in vielen auch mehr. So landen nicht nur Schrottteile hier, sondern auch Lebewesen wie Sträflinge oder gefährliche Tiere, giftige Pflanzen, Krankheiten, Waffen, Drogen…einmal haben sie auch einen ganzen Planeten in unserer Milchstraße abgeladen. Es war wirklich schwer, das zu vertuschen, sag ich dir. Und deswegen gibt es mich. Ich bin dafür da, den Schaden, der durch diesen Fehler entsteht, möglichst gering zu halten. Die anderen Welten sind viel fortschrittlicher als wir und manche Dinge, die hier landen, sind hochgradig gefährlich. Ich muss sie beseitigen, bevor es zu einer Katastrophe kommt.“

„So wie in diesem Fall“, fügte ich hinzu und musste immer noch verdauen, was ich eben gehört habe. „Immerhin regnet es Dutzende von Klavieren vom Himmel.“ Aufeinmal erschrak Arthur.
„Was hast du eben gesagt?“, fragte er aufgeregt.
„Äh es regnet Klaviere vom Himmel.“ Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Natürlich, es handelt sich hierbei gar nicht um eine illegale Müllentsorgung.“ Er zog wieder an meiner Hand und rannte los. Mitten auf die Straße, auf der die Klaviere aufprallten. Ein Flügel schlug knapp einen Meter neben uns auf.
„Bist du verrückt? Willst du uns umbringen?“, schrie ich ihn an.
Doch das schien ihn nicht zu kümmern. Er schaute sich um und fragte: „Wo ist das höchste Gebäude der Stadt?“ War das sein ernst?
„Das müsste der Middle Tower sein, der befindet sich im Zentrum. Wieso willst du das wissen?“ Doch er antwortete nicht und erspähte ein leeres Taxi. Der Fahrer musste das Fahrzeug wohl fluchtartig verlassen haben, als der Klavierregen anfing und ließ dabei die Schlüssel stecken.

Arthur schubste mich auf den Beifahrersitz, ging hinüber zur Fahrerseite und startete den Motor.
„Das ist Wahnsinn“, brüllte ich ihn an.
„Es gibt keine andere Möglichkeit, wir müssen so schnell wie möglich zum Middle Tower“, sagte er und fuhr los. Vor uns krachte ein Klavier auf die Straße, doch Arthur wich geschickt aus und gab Vollgas. „Die Klaviere kommen aus den Wolken und das an verschiedenen Orten der Stadt. Mal nur vereinzelt, mal sind es unzählige.“ Er sah kurz nach oben. „So wie jetzt. Außerdem haben sie keinen Namen oder Hersteller. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Die Klaviere werden von einem Wettergenerator erzeugt. Die Wolken, die wir da am Himmel sehen, sind nicht echt. Wettergeneratoren erzeugen ein künstliches Wetter. In niederschlagsarmen Regionen, können sie die Menschen vor einer Dürre bewahren. In Regionen, in denen das Wetter oft mies ist, können sie für Sonnenschein sorgen. Doch damit so eine Wettermaschine funktioniert, muss sie so hoch wie möglich angebracht werden. Wahrscheinlich ist sie auf dem höchsten Punkt der Stadt gelandet, als sie aus der Parallelwelt entsorgt wurde.“

„Das macht doch keinen Sinn“, erwiderte ich, während Arthur einem weiteren Klavier auswich. „Wieso sollte ein Wettergenerator Klaviere erzeugen?“ Arthur hielt an, denn wir hatten den Tower erreicht. Er stieg aus und rannte schnell zu meiner Tür, um sie mir aufzuhalten. Ich stieg aus und rannte mit ihm in das Gebäude.
„Na weil das Gerät defekt ist“, antwortete er auf meine Frage und tat so, als wäre das ganz offensichtlich. „Deswegen hat man es doch auch weggeworfen.“ Wir stiegen in den Fahrstuhl, der uns in das letzte Stockwerk brachte. Dort liefen wir durch einen Gang zu einer Tür, auf der ein Schild angebracht war, worauf „Betreten verboten“ stand. „Ich finde es echt niedlich, dass ihr Menschen denkt, mich würde sowas abschrecken“, sagte Arthur und öffnete die Tür. Wir rannten eine Treppe hoch, die zum Dach des Gebäudes führte. Nur noch eine Tür trennte uns vom Dach, doch diese war verschlossen.

„Und nun?“, fragte ich ihn.
„Moment…“ Er kramte in seiner Hosentasche und holte ein kleines Werkzeug hervor, das im ersten Moment wie ein Schraubenzieher aussah. Er steckte ihn in das Schlüsselloch und drückte auf einen Knopf, der am Griff des Werkzeuges angebracht war. Das Gerät surrte leise, während das Schloss der Tür laut knackte. Plötzlich sprang die Tür auf und Arthur steckte sein kleines Gerät zurück in die Hosentasche. „Universalschlüssel“, sagte er. „Man sollte nie ohne aus dem Haus gehen.“ Wir rannten beide auf das Dach und tatsächlich stand dort eine mannshohe Apparatur. Arthur fing sofort an, sie zu inspizieren.
„Oh ja, das Modell kenne ich. Stammt aus dem Xeno-Universum“, protzte er mit seinem Wissen. „Guck mal hier“, sagte er und zeigte auf ein Display. „Da liegt der Fehler. Hier steht Kadus. Regen heißt auf xenoisch Kadius und Flügel Kadus. Deshalb fliegen hier Klaviere vom Himmel. Der Programmierer hat einen Schreibfehler gemacht.“

„Was?“, regte ich mich auf. „Wegen eines Schreibfehlers wurde die halbe Stadt verwüstet und mussten so viele Menschen sterben?“ Ich konnte es nicht fassen.
"Das war eure eigene Dummheit“, sagte er kalt, während er den Wettergenerator umprogrammierte. „Ihr Menschen habt den Vertrag unterzeichnet, eure Welt zu einer Mülldeponie gemacht und nun müsst ihr mit den Konsequenzen leben. Ich tue was ich kann, um das schlimmste zu verhindern, aber alle kann ich auch nicht retten.“ Aufeinmal lächelte er. Ich fragte mich wieso, als mir plötzlich kalter Regen auf dem Kopf tröpfelte. Er hatte es geschafft. Am Himmel waren keine Klaviere mehr zu sehen. Dafür regnete es über der ganzen Stadt. „Ich werde den Generator hier wegschaffen und du solltest zurück zu deinem Boss gehen“, sagte er.

„Aber…ich hab noch so viele Fragen.“
„Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Mensch mir zweimal im Leben begegnet ist und du solltest dich eigentlich nicht mehr an mich erinnern können. Wie du das geschafft hast, ist selbst mir ein Rätsel. Aber ein drittes Mal werden wir uns nicht mehr begegnen, Miss Heartgold.“
„Ich hab doch gesagt, du sollst mich Luna nennen. Du kannst mir doch nicht alles verraten und mich in deine Welt entführen und mich dann einfach so abwimmeln. Ich arbeite bei einer Zeitung. Was ist, wenn ich alles verrate? Das wäre die größte Schlagzeile überhaupt.“ Arthur lächelte.
„Tu es ruhig“, sagte er. Er schrieb etwas auf der Tastatur des Generators und ein kräftiger Wind bließ mich ins Treppenhaus zurück.
Ich lief zurück zum Dach, doch als ich die Tür öffnete, waren der Wettergenerator und er verschwunden.

#3 König der Enten (Teil 1)

„Was soll ich nur mit Ihnen machen?“ Mr. Sanders stolzierte vor seinem Schreibtisch hin und her, nur leider wirkte das bei seiner schmächtigen Erscheinung wenig einschüchternd. Der Vorfall mit dem Klavierregen über der Stadt war nun drei Wochen her. Ich hatte ihm alles erzählt, was ich erlebt habe, nachdem Arthur mich wieder einmal zurückgelassen hatte. Doch anstatt die Story sofort drucken zu lassen, fragte er mich besorgt ob ich nicht ein paar Tage Urlaub machen wolle. Er kenne da einen guten Psychiater, der auch seiner Frau bei ihrem Trinkproblem half. Auch ein kurzer Aufenthalt in einer geschlossenen Einrichtung wurde mir empfohlen. Arthur, dieser miese…deshalb sagte er, ich solle es ruhig verraten. Er wusste, dass mir diese absurde Geschichte eh niemand glauben würde. Stattdessen wurde behauptet, dass ein Frachtflugzeug über der Stadt seine Ladung verlor. Doch in welches Frachtflugzeug passen schon tausende von Klavieren hinein? Und wie kann es denn sein, dass die Klaviere gleichzeitig an mehreren Orten vom Himmel fielen? Doch die Menschen wollten nicht darüber nachdenken und nahmen dankbar diese Lüge an. Langsam verstand ich Arthurs Hass auf die Menschen.

„Ich weiß gar nicht mehr, welche Arbeit ich Ihnen noch anvertrauen soll“, sagte Sanders und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Er schob einen Stapel Papier zu mir herüber.
„Das muss alles zehnmal kopiert werden. Bekommen Sie das hin?“, fragte er mich und überlegte dabei, ob er nicht doch eine leichtere Aufgabe für mich hätte. Seitdem ich ihm von Arthur erzählt habe, bekam ich keine schweren Aufgaben mehr. Ich wurde quasi zum Kopier- und Kaffeemädchen degradiert. Einmal war ich sein bestes Pferd im Stall, nun lachten mich sogar die Praktikanten aus. In der Kantine sind alle Sitzplätze im Umkreis von sechs Quadratmetern um mich herum frei. Mein vermeintlicher Nervenzusammenbruch hatte schnell die Runde gemacht und nun war ich eine Gefahr für die gesamte Belegschaft. Deprimiert verließ ich Mr. Sanders Büro und wollte zu meinem Arbeitsplatz zurückgehen, als Violett grinsend auf mich zukam.

Violett war der Grund für Mrs. Sanders Trinkprobleme. Sie gab dem Chef, nach der Weihnachtsfeier, in seinem Büro ein ganz besonderes Geschenk. Ihre Jungfräulichkeit, wie sie behauptete und Chlamydien. „Hallo Luna“, begrüßte sie mich. „Ein gewisser Freddie Mercury ist vorhin hier aufgetaucht und wollte dich sprechen. Er wartet an deinem Schreibtisch auf dich.“
„Soll das ein Witz sein? Wieso sollte mich ein toter Rockstar besu…“, begann ich. Plötzlich wurde mir klar, um wen es sich dabei nur handeln konnte. Aufgeregt ließ ich die Blätter von Mr. Sanders fallen und rannte schnurstracks zu meinem Schreibtisch. Violett sah mir irritiert hinterher. Tatsächlich lag er in meinem Stuhl. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Füße auf meinem Tisch. Sofort zu erkennen an seinem teuren Anzug, den er immer so schlampig trug und die wuscheligen Haare. Die schwarze Krawatte hing ihm den Nacken hinunter.

„Ich werde also von einem Müllmann gestalkt“, begrüßte ich ihn lächelnd. Auf seinem Schoß lag eine Ausgabe des „The quickly Hammer“, die er wohl auf meinem Schreibtisch fand. Bei meiner Begrüßung sah er auf und sagte:
„Guten Tag, Miss Heartgold. Ich schritt auf ihn zu und gab ihm eine Ohrfeige. Überrascht sah er mich an und rieb sich die Wange.
„Das war dafür, dass du einfach abgehauen bist. Außerdem hab ich dir gesagt, du sollst mich Luna nennen“, schrie ich ihn an. „Wieso bist du überhaupt hier? Das letzte Mal sagtest du, wir würden uns nicht noch einmal wiedersehen.“ Ich versuchte verärgert zu wirken, doch in Wahrheit freute ich mich nur, ihn wiederzusehen.
„Das zählt nicht“, begann er. „Dieses Mal hab ich dich mit Absicht aufgesucht. Mir will das einfach nicht aus dem Kopf gehen. Warum kannst du dich an mich erinnern? Und wieso wurdest du zweimal in meine Angelegenheiten verwickelt?“
„Ich denke, das war einfach nur Zufall“, entgegnete ich ihm.
„Es gibt keine Zufälle“, sagte er und warf einen Blick in die Zeitung. Jetzt erkannte ich, dass er die morgige Ausgabe in der Hand hielt.

„Ich denke, ich bin der Lösung dieses Rätsels fast auf den Grund gekommen. Ich warte eigentlich nur noch auf eine Bestätigung meiner Theorie.“ Wieder einmal verstand ich nur Bahnhof, doch als ich ihn fragen wollte, wie er das meinte, sprang er vom Stuhl auf.
„Was ist nun los?“, fragte ich erschrocken. Arthur deutete auf die Zeitung.
„Ich habe gerade etwas interessantes gefunden. Wahrscheinlich gibt es hier einen Job für mich zu erledigen.“ Endlich wieder ein bißchen Action. Genau das hatte ich gebraucht. Mal ein wenig Abwechslung vom Kaffee kochen und Büroklammern zählen.
„Was ist es? Eine außer Kontrolle geratene Zeitmaschine? Ein fleischfressender Pullunder? Oder ein Hometrainer, der die Weltherrschaft an sich reißen will?“ Ich konnte mich kaum halten.
„Oh man merkt, dass du zu viel mit mir rumhängst“, sagte er. „Also ich habe in dieser Zeitung gerade etwas sehr verdächtiges gefun…“, begann Arthur, doch er wurde plötzlich durch „Eye of the Tiger“ unterbrochen.

Er holte einen kleinen Pager aus der Brusttasche seines Hemdes. „Oh, ich muss los“, sagte er und öffnete das Fenster, das sich gegenüber von meinem Schreibtisch befand.
„Was? Hey warte!“, brüllte ich ihm hinterher. „Ich dachte, du wolltest dich gerade um einen Fall hier kümmern.“
„Tut mir leid, das hier ist sehr dringend. Ich muss alle vier Stunden den Ätna füttern oder er bricht aus“, sagte er und stieg auf das Fensterbrett. Wollte er springen? Wir befanden uns im zwölften Stock. Das wäre sein Tod.
„Ätna? Du meinst doch nicht Vulkan.“
„Eigentlich ist er kein Vulkan, sondern ein Spucktier aus dem Pyren-Universum. Die sehen ganz zufällig aus wie Vulkane. Sie ernähren sich von…oh das willst du nicht wissen. Wenn sie es aber nicht alle vier Stunden bekommen, spucken sie Magensäure aus, die wiederum zufällig die Eigenschaften von Lava hat. Ich muss mich beeilen, aber ich bin gleich wieder da. Warte auf mich“, sagte er und sprang. Schnell rannte ich zum Fenster, doch von Arthur war nichts mehr zu sehen.
„Ich dachte, es gibt keine Zufälle“, murmelte ich vor mich hin und atmete beruhigt auf, als ich keine zerschellte Leiche auf dem Bürgersteig fand. Er wollte ja gleich wiederkommen, also wartete ich…und eine Woche habe ich nichts mehr von ihm gehört.

„Da hinten ist noch ein Fleck“, sagte Mr. Sanders und zupfte an seiner Fliege. Neuerdings war sie blau. All die Jahre, die ich hier arbeitete, hatte er immer eine rote Fliege getragen. Was es wohl mit dem Farbwechsel auf sich hatte? Ich sprühte die Möbelpolitur über den Fleck auf dem Aktenschrank und kreiste mit dem Wischlappen darüber. Seit dem letzten Mal bin ich wieder degradiert worden. Nachdem ich vor Violett Mr. Sanders Blätter fallen ließ, kam man zu dem Schluss, dass wohl auch Kopieren und Kaffee kochen zu schwer für mich sei. Nun war ich für die Reinigung der Büros zuständig.
„Gut so“, stellte Mr. Sanders fest und zeichnete mit dem Bleistift eine Layoutskizze des nächsten Titelblatts. Plötzlich musste er niesen und rutschte ab. „Oh nein, nicht schon wieder“, jammerte er und klopfte mit der Faust auf den Tisch. Seine schlechte Laune war zu einem Dauerzustand geworden, obwohl er mal so ein netter Chef war.
„Kein Problem“, sagte ich und holte ein Radiergummi aus der Brusttasche meines Blazers. „Damit können wir den überflüssigen Strich ganz schnell beseitigen.“
„Weg damit!“, brüllte er mich an und stieß mich fort. Der Radiergummi fiel mir aus der Hand.

Er war außer sich. Irritiert blickte ich ihn an. „Äh…“ Ihm wurde bewusst, was er getan hatte und wurde verlegen. „Es tut mir leid. Sie können für heute Feierabend machen.“ Verwirrt verließ ich sein Büro. Was war nur in letzter Zeit mit ihm los? Violett kam mir entgegen.
„Er ist wieder da. Diesmal nennt er sich Charlie Sheen. Soll ich die Polizei rufen?“, fragte sie besorgt und zückte schon ihr Handy.
„Nicht nötig“, sagte ich und eilte zu meinem Arbeitsplatz. Mittlerweile bestand dieser nur noch aus einem Hocker und einer Zimmerpflanze. Die Praktikanten bekamen meinen Schreibtisch und alles andere, was in meiner Arbeitsnische stand. Tatsächlich saß Arthur genervt auf dem Hocker. Er wusste nicht, wie er bequem auf dem harten alten Teil sitzen sollte.
„Was ist mit deinem Arbeitsplatz geschehen?“, fragte er, als er mich sah. Zorn überkam mich. Ich wollte ihm erneut eine Ohrfeige verpassen, doch diesmal war er vorbereitet und wich aus.
„Du sagtest, du wärst gleich zurück“, brüllte ich ihn an. „Und dann wagst du es, erst nach einer Woche hier wieder aufzutauchen.“

„Du weißt genau, dass ich keinen normalen Job habe“, wollte er sich herausreden und wich der nächsten Ohrfeige aus. „Manche Fälle sind eben dringender als andere. Hätte ich nichts unternommen, wären die Mongolen in das alte Rom eingefallen und hätten vorzeitig den ersten Weltkrieg ausgelöst.“
„Das ist nicht wahr, oder?“, fragte ich.
„Es könnte aber wahr sein.“
„Was hast du letztes Mal entdeckt?“, fragte ich ihn.
„Das erzähle ich dir gleich. Kannst du mich in euer Archiv schmuggeln?“ Ich sah mich um. Es war kurz nach Redaktionsschluss und die meisten waren bereits auf dem Heimweg.
„Ich denke, das lässt sich einrichten.“ Wir schlichen uns zum Fahrstuhl und fuhren ins Untergeschoss. Zum Glück hatte Mr. Sanders es bisher versäumt, mir auch noch meinen Schlüssel für die Archivräume abzunehmen. Ich öffnete Arthur die Tür und wir gingen hinein. Die Luft war stickig und trocken. Der Raum war voller Aktenschränke. „Wonach genau suchst du?“, fragte ich Arthur.
„Eure Ausgaben der letzten Wochen“, antwortete er nur.
„Die aktuellsten Ausgaben befinden sich hier vorne rechts.“ Ich zeigte mit dem Finger auf einen Aktenschrank, der im Gegensatz zu den anderen, noch ziemlich neu aussah. Arthur durchwühlte die Schubladen des Schranks und sagte dabei: „Während ich hier suche, kannst du mir ja erklären, warum du nur noch einen Hocker für deine Arbeit hast.“

Also erzählte ich ihm davon, wie ich Schritt für Schritt degradiert wurde und man mich für eine Gefahr für die Allgemeinheit hielt. „Und das hat alles damit angefangen, dass du ihnen erzählt hast, was bei dem Klavierregen wirklich geschah?“, fragte er spöttisch. Ich machte einen Schmollmund. „Ich wusste, dass so etwas geschehen würde. Da du mich damit erpressen wolltest, alles zu verraten, wollte ich dir einen kleinen Denkzettel verpassen. Deswegen sagte ich, dass du die Story ruhig erzählen kannst. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass dein Chef gleich so extrem reagieren würde. Ihr Menschen müsst immer gleich so überreagieren“, höhnte er.
„Langsam gehen mir deine Sprüche gegen die Menschen echt auf die Nerven. Du tust ja gerade so, als wärst du selbst keiner“, schimpfte ich. Doch Arthur blieb still. „Du bist doch einer, oder?“ Er sagte nichts und holte ein paar ältere Ausgaben des „The quickly Hammer“ aus dem Schrank.

„Worum geht es nun eigentlich?“, fragte ich ihn. Er antwortete nicht, stattdessen fragte er mich selbst etwas:
„Hast du einen Stift dabei?“ Zufällig befand sich ein Textmarker in meiner Brusttasche. Dann breitete er die Ausgabe aus, die er beim letzten Mal von meinem Schreibtisch mitnahm. „Als Reporterin weißt du doch sicherlich, was eine Ente ist“, sagte er.
„Natürlich, das weiß doch jeder. Quakende Wasservögel, die gerne von Rentnern mit Brotkrumen gefüttert werden.“
„Doch nicht diese Enten.“
„Achso, du sprichst von dem Auto.“
„Wieder falsch.“ Arthur sah mich an, als könne er nicht glauben, wie begriffsstutzig ich sei und raschelte demonstrativ mit der Zeitung. Da verstand ich, was er meinte.
„Oh, diese Ente meinst du“, sagte ich peinlich berührt. „Eine Ente wird bei der Zeitung auch eine Falschmeldung genannt.“
„Richtig“, sagte er seufzend. Er strich mit dem Textmarker eine Titelzeile rot an: „Serienmörder im Gefängnis von Außerirdischen entführt“. „Dieser Bericht fiel mir beim letzten Mal ins Auge“, sagte Arthur. „In Wahrheit bestach er einen Wärter, der ihn rausließ. Offensichtlich eine Falschmeldung.“ Ich erinnerte mich daran.
„Stimmt, am nächsten Tag haben wir eine Entschuldigung drucken lassen. Aber inwiefern hat das mit deinem Job zu tun?“
Er drückte mir die Zeitung in die Hand und sagte: „Les den Artikel!“ Ich tat wie mir geheißen, doch ich konnte nichts entdecken.
„Was soll damit sein, außer dass es eine Falschmeldung ist?“, fragte ich Arthur. Dieser schüttelte den Kopf, als wäre ich ein hoffnungsloser Fall.

„Siehst du es wirklich nicht?“, fragte er und nahm mir die Zeitung wieder aus der Hand. Er strich die ersten Buchstaben jeder Zeile rot an. „Siehst du es jetzt?“, fragte er mich. Die Buchstaben ergaben die Wörter „Helft mir“.
„Das ist doch bestimmt nur ein Zufall“, sagte ich erstaunt. Arthur lächelte und sagte:
„Wie oft denn noch? Es gibt keine Zufälle.“ Er breitete die anderen Zeitungen aus, die er aus dem Schrank holte. „Das sind eure Ausgaben des letzten Monats. Alle in denen sich eine Falschmeldung befindet. Insgesamt zehn Enten innerhalb eines Monats. Das ist doch nicht normal“, sagte er. Ich betrachtete die Schlagzeilen, die er markierte: „Mann überlebt Zusammenprall mit Zug“, „Spuk im Oval Office“, „Eismänner gehen die Eiswürfel aus“…Das war wirklich nicht der reguläre Durchschnitt. „Willst du mir immer noch sagen, dass dies bloß nur ein Zufall ist?“, fragte mich Arthur.
„Nun ja…“, ich wusste nicht so recht, was ich darauf antworten sollte.
„Dann schau dir das hier an“, sagte er und markierte einzelne Textstellen aus den Falschmeldungen. Anfang und Ende eines Artikels ergaben den Satz: „Ich bin gefangen“. Bei einem anderen ergaben die ersten Wörter der einzelnen Abschnitte den Satz: „Holt mich hier raus“. Bei einem weiteren Artikel endete jeder Satz mit einem S.O.S.

Ich konnte es nicht glauben. „Was hat das zu bedeuten?“ Ich zeigte auf den Artikel, der am weitesten zurücklag. Dort fand sich im Text immer wieder ein rückwärtsgedrucktes „Hilfe“. „Den Artikel hier habe ich verfasst. Ich erinnere mich nicht, das geschrieben zu haben. Wie kann das sein?“, fragte ich den Müllmann.
„Ist das nicht offensichtlich?“ Arthur tat schon wieder so, als wäre alles doch ganz logisch. „Da ist jemand in eurer Zeitung gefangen“, sagte er. Bevor ich ihn fragen konnte, wie das möglich ist, öffnete sich die Tür zum Archiv. Mr. Sanders kam hinein und wurde puterrot im Gesicht, als er uns beide sah.
„Was ist denn hier los? Wer ist dieser Kerl?“, brüllte er wutentbrannt. Plötzlich ertönte wieder „Eye of the Tiger“ und Arthur griff nach seinem Pager.
„Oh nein! Die Mongolen sind zurückgekommen. Ich muss weg“, sagte er und stand auf.
„Sie werden schön hier bleiben“, brüllte Mr. Sanders. Doch Arthur war schon zum Lichtschalter getreten und schaltete das Licht aus. Es wurde dunkel. Ich hörte meinen Chef zum Lichtschalter poltern, ihn fluchen, weil er sich den großen Zeh stieß und kniff die Augen zusammen, als das Licht wieder anging. Arthur war natürlich verschwunden. Doch auf der Zeitung, die vor mir lag, hatte er noch eine Nachricht geschrieben: „Ich bin gleich wieder da“.
„Also war die Geschichte mit den Mongolen doch wahr“, murmelte ich.
„Was?“, mein Chef sah mich verwirrt an.
„Ach nichts“, antwortete ich ihm.
Gleich würde Arthur wiederkommen und mir alles erklären…und eine Woche habe ich nichts mehr von ihm gehört.

Nachdem ich Arthur in das Archiv ließ, wurden mir meine sämtlichen Schlüssel für das Haus entzogen. Natürlich wurde ich ein weiteres Mal degradiert. Jetzt bin ich für die Entspannung der Praktikanten verantwortlich. Das heißt wenn ihre Rücken verspannen, bin ich sofort zur Stelle für eine Nackenmassage. Die Bälger kosteten das natürlich richtig aus. Wie demütigend das ganze doch war. Nach einem harten Tag, an dem ich gefühlte 260 Massagen gab, legte ich meine tauben Hände auf die kühlen Scheiben eines Fensters. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Wie lange sollte ich das noch ertragen? Ich öffnete die Augen und…bekam fast einen Herzinfarkt. An der Außenseite des Fensters stand Arthur und klopfte gegen die Scheibe. Schnell ließ ich ihn rein.
„Wieso kommst du nicht durch den Haupteingang?“, fragte ich ihn. „Und überhaupt, wie kommst du auf ein zwölf Stockwerke hohes Fenster?“
„Würdest du mir eh nicht glauben“, antwortete er knapp und wich schon beinahe instinktiv meiner Ohrfeige aus.

„Du hast mich wieder eine Woche warten lassen“, brüllte ich ihn an. Er wartete bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
„Es tut mir leid, aber es ließ sich nicht vermeiden. Allerdings habe ich mir Gedanken um die Person gemacht, die in eurer Zeitung festhängt. Ich habe einen Verdacht, wie er dort reinkam. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher. Gab es in letzter Zeit irgendwelche Veränderungen bei euch? Hat sich eine Person vielleicht anders verhalten als sonst?“, fragte er mich. Ich dachte angestrengt nach und tatsächlich kam mir da eine Person in den Sinn.
„Mein Chef verhält sich seit einiger Zeit ziemlich aggressiv. Er wird schnell laut und bestraft mich ständig. Früher war er so nett, aber jetzt schubst er mich schon, wenn ich ihm ein Radiergummi reiche“, antwortete ich ihn.
„Gummi?“, fragte er mich aufgeregt.
„Äh…ja.“
„Wo ist er?“ Ich zeigte auf Mr. Sanders Büro.
Arthur nahm meine Hand und stürmte mit mir in Sanders Büro.

Erschrocken fiel dieser von seinem Drehstuhl, als die Tür so plötzlich aufgerissen wurde. „Wa-was ist hier los?“, stotterte er. Da erkannte er Arthur wieder. „Sie sind doch dieser Kerl, der vor einer Woche in unserem Archiv herumspionierte.“
„Ja“, antwortete Arthur. „Und Sie sind der Kerl von einem anderen Universum, der sich für jemanden ausgibt, der er nicht ist.“ Sanders machte ein erschrockenes, geradezu angsterfülltes Gesicht.
„Was für einen Blödsinn reden Sie da?“, fragte er panisch.
„Nun, als Chefredakteur können Sie mir bestimmt sagen, wieso es ständig zu Falschmeldungen bei Ihnen kommt“, entgegnete ihm Arthur.
„Das ist völlig normal, dass ab und zu mal eine Falschmeldung dabei ist.“
„Ab und zu ja, aber zehnmal innerhalb eines Monats ist doch ein bißchen viel oder nicht?“
„Nun ja…also…“
„Und warum dort ständig versteckte Hilferufe enthalten sind, wissen Sie wahrscheinlich auch nicht.“
„Also…was?“

Arthur wendete sich an mich. „Weißt du, es gibt da ein Universum, dessen Bewohner können jederzeit leicht in jedes andere Paralleluniversum reisen. Das Dublikato-Universum. Dieses Universum ist karg und öd. Leben ist dort kaum möglich. Deshalb reisen sie nach der Geburt in andere Welten und nehmen dort die Gestalt von anderen Leuten an. Sie sind Formwandler, die keine eigene Form besitzen. Die Person, dessen Gestalt sie annehmen, lassen sie dann verschwinden. Sie kehren nur zur Paarung und zum Laichen in ihr Universum zurück. Sie nehmen alle Gewohnheiten der Person an, die sie kopieren, doch irgendwann machen sie Fehler. Fällt dir da einer auf?“
„Ja“, stellte ich fest. „Seine Fliege ist blau. Er hat sonst immer eine rote getragen.“
„Verdammt! Es ist mir schon wieder passiert“, schimpfte Sanders und klopfte mit der Faust auf dem Tisch.
„Arthur hat also Recht“, sagte ich. „Du bist ein Dublikato.“

„Das alles wäre noch kein Beweis“, sprach Arthur wieder. „Doch als du mir sagtest, dass er ausgerastet ist, als du ihm ein Radiergummi reichen wolltest, war mir alles klar. Dublikatos haben nämlich eine Abneigung gegen Gummi. Es löst allergische Reaktionen bei ihnen aus.“
„Also heißt das, dass der Gefangene im „The quickly Hammer“, der wahre Mr. Sanders ist?“, fragte ich Arthur.
„Genau! Und mit den Zeitungsenten hat er von innen heraus versucht, auf sich aufmerksam zu machen.“
„Aber wie hat er ihn dort eingesperrt?“, fragte ich.
„Das hab ich dir doch schon erzählt“, antwortete Arthur und schüttelte den Kopf. „Dublikatos können in jedes Universum reisen. Das heißt auch in Geschichten, Berichte, alle Texte die es gibt.“
„Soll das heißen, dass jeder geschriebene Text, auch ein eigenes Universum ist?“
„Nicht nur der geschriebene Text. Alle Geschichten, auch die mündlichen. Jede Idee, jeder Gedanke eines Lebewesens ist ein eigenes Universum. Man redet nicht umsonst vom Geistesblitz oder dass der Funke überspringt. Denn ein Gedanke ist wie Elektrizität, die Leben erzeugt.“
„Sind alle Welten so entstanden?“
„Vielleicht. Das weiß selbst ich nicht. Aber nun zu dir“, sagte Arthur und wandte sich wieder dem Dublikato zu.

Er holte ein Paar Gummihandschellen aus seinem Hemd hervor. „Es wird Zeit dich dingfest zu machen.“ Als der falsche Mr. Sanders die Handschellen sah, wurde er noch panischer und bewarf uns mit Büroutensilien. „Ich gehe hier nicht mehr weg. Hier habe ich alles. Macht und schöne Frauen.“ Arthur packte den Dublikato, doch dieser veränderte einfach seine Form, schlüpfte aus Arthurs Griff und schlug ihn die Handschellen aus den Händen. Sie rangen miteinander, während ich überlegte, was zu tun war. Da sah ich vor mir das Radiergummi liegen, dass ich vor einer Woche fallen ließ. Ich hob es auf und hielt es dem falschen Sanders ins Gesicht. Er schrie vor Schmerzen und auf seinem Gesicht sprossen dicke Eiterblasen. „Na wartet!“, sagte er und drehte an seinem Ärmelknopf.
„Oh nein!“, schrie Arthur und wollte es noch verhindern. Doch zu spät.

Es gab einen hellen Lichtblitz und aufeinmal befanden wir uns auf einer Straße. Mitten im Nirgendwo. Es roch stark nach Druckerschwärze. Von dem Dublikato fehlte jegliche Spur. „Was ist passiert?“, fragte ich verwirrt. Ich bekam Kopfschmerzen von dem Lichtblitz.
„Er hat uns in die Zeitung transportiert. Der Eingang ist das Titelblatt. Wir müssen zum Ausgang, um hier wieder rauszukommen.“
„Und wo ist der?“
„Wir müssen uns von einer Seite zur nächsten durchschlagen, bis zur allerletzten. Und was befindet sich am Ende der letzten Seite?“
Ich dachte kurz nach. „Das Impressum“, antwortete ich.
„Genau da müssen wir hin. Sag mal, du kennst doch die aktuelle Ausgabe. Was war eigentlich die Titelstory?“
„Oh, das war ein großer Autounfall…“ Während ich ihm antwortete, tauchte vor uns, wie aus dem Nichts, ein Paar Scheinwerfer auf. Arthur schubste mich zum Straßenrand und wurde voll von dem heransausenden Transporter erwischt. Er flog in die Luft, machte einen Salto und landete mit einem gebrochenen Genick wieder auf dem Asphalt. Er war sofort tot.
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