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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 23.06.2006, 14:15   #1
Monty Schwarz
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 84

Standard Riss

Meine Tür geht nicht richtig zu.
Die Angst beneidet mich darum -
sie hat Hausarrest.
Steht ein bisschen verloren am Fenster herum.

Ich denke mir: Besuch sie doch mal!
Verirre mich aber nicht schnell genug.
Der Wald schickt mich immer wieder
auf die Wege zurück.

Hier und da fällt ein Vogel vom Dach.
Ich schließe kurz die Augen
bevor er den Boden erreicht.
Beim Öffnen ist er weg.

Meine Haut löst sich in langen Fetzen.
Den Rücken zur Tür,
sitze ich nächtelang wach.
Warte, dass jemand kommt,
den ich nicht sehen kann,
der den Riss wieder schließt.
Monty Schwarz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.06.2006, 14:56   #2
uninvited guest
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 481

Bevor ich mich intensiv mit dem Text befasse, den ich im Augenblick noch nicht ganz durchschaue, der mich aber schon allein durch die Wortwahl anspricht, möchte ich kurz mein Missfallen des Ausdruckes "zugehen" kundtun.
Meines Erachtens, scheint dieses Wort in der letzten Strophe etwas ungeschickt.
Den Rücken zur Tür, die nicht richtig schließt,, würde ich persönlich lieber lesen.
Das stößt dann allerdings in der letzten Zeile auf ein erneutes "schließt", welches ich deshalb durch "kittet", eventuell sogar "heilt", oder einen ähnlichen Ausdruck ersetzen würde.(wie anmaßend von mir )

Ansonsten ein Gedicht, welches wortstark daherkommt, sich mir aber noch nicht erschließt, was aber keineswegs die Qualität Deines Werkes in Frage stellen soll.
Gefällt mir ausgesprochen gut.

Grüße,
der Gast
uninvited guest ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.06.2006, 15:08   #3
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007

Ich mag es auch sehr, obwohl ich es nicht deuten kann.
Ich finde es blöd, wenn man "zu geht" durch "schließt" ersetzt. Das klingt unpassend. Das "geht zu" ist ja schon in der ersten Zeile zu finden und sollte so beibehalten werden.

Gib uns mal einen Tipp. Hat es etwas mit zu viel oder zu wenig Vertrauen oder Zutrauen zu tun?
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.06.2006, 16:01   #4
Monty Schwarz
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 84

Hey guest! Hallo Struppigel!


Vielen Dank für eure Kommentare&Tipps (sie sind überhaupt nicht anmaßend und selbst wenn würde es mich nicht stören)! Freut mich, dass euch "Riss" gefällt!

"Zu gehen" in der ersten Zeile ist unersetzbar. Der Satz "Meine Tür schließt nicht richtig" klingt eine Spur technischer und trifft damit nicht genau, was ich sagen möchte.

"Schließen" in der letzten Zeile kann ebenso nicht weg, weil ich Wert auf den Unterschied lege, den das lyrische Ich in der Einstellung zum Problem und der Einstellung zur Lösung sieht.

"Deuten" ist so eine Sache: Ich selber mag es nicht, wenn ein Autor sagt, was er in/mit seinem Text "gemeint" hat (als sei ein Gedicht ein Rätsel mit klar zuordenbarer Lösung) und so von den hundert offenen Türen neunundneunzig zuschlägt.

Gute Gedichte sind kluge Spiegel.
Beste Grüße
Monty
Monty Schwarz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.06.2006, 21:30   #5
U-hEXe
 
Dabei seit: 02/2006
Beiträge: 353

Hallo Monty,

ich musste es auch mehrmals lesen, bis es mir nicht mehr ganz so kryptisch erschien.
In einer Deutung möchte ich mich allerdings auch nicht versuchen, ich kann nur den Eindruck beschreiben, den es bei mir erweckt:
dem Lyr.Ich geht alles zu nahe, es macht sich andauernd Gedanken und Sorgen über seine Umwelt... so sehr, dass ihm das den Schlaf raubt, es innerlich zerfleischt und dass es sich wünscht, es sei nicht ganz so sensibel - folglich auch nicht ganz so verletzlich... das "dicke Fell" eben...

ich hab keine Ahnung, ob das im Entferntesten etwas mit Deiner Intention zu tun hat, aber selbst wenn nicht, liest es sich so sehr schön... verletzlich eben...

Liebe Grüße!
U-hEXe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.06.2006, 21:48   #6
Mummy
 
Dabei seit: 06/2006
Beiträge: 127

Huhu!

Ich kann mich den anderen nur anschließen. Dein Gedicht hat mich sehr angesprochen, aber deuten? Ich schließe mich der U-hEXe an und versuche, den Eindruck zu beschreiben, den es bei mir hinterlässt. Mir kommt das Lyrische Ich etwas verloren vor. Es werden Dinge/Zustände beschrieben, aber die Reaktion des L.I.s kommt mir eher karg vor, irgendwie stumpf, ich weiß auch nicht. Am Ende sitzt es auch eher passiv da und wartet, bis jemand kommt und ihm hilft.
Na ja, im Deuten bin ich normalerweise eine Niete, wollte nur mal vorwarnen .

Lg, Mummy
Mummy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.06.2006, 21:56   #7
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007

@Monty: Schade, das hilft mir leider gar nicht weiter, es zu verstehen. Ich wollte ja keine allumfassende Interpretation, sondern nur einen Ansatz, um weiterzukommen.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.06.2006, 21:38   #8
Monty Schwarz
 
Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 84

Hallo!

Vielen Dank für eure Kommentare! Ich mag eure Gedanken und Deutungen ungemein. Das tolle an diesem Forum ist: Gedichte sind hier Boxen. Wer vorbeikommt wirft einen Zettel rein. Das macht sie bunt und immer neuer.

Trotz meines Grundsatzes: „Alles, was der Autor über seinen Text schreibt, ist falsch“, kommen jetzt auf vielfachen Wunsch drei Deutungsansätze.

1. Manche Dinge wollen nicht aus meinem Kopf heraus. Andere kommen nicht herein. Da ist ein Keil in der Seelentür, der verhindert, dass sie schließt. Seltsam – seltsam. Was richtig schließt, ist die Tür zum Käfig in dem die Angst sitzt, denn die Phase meines Lebens habe ich überwunden. Aber manchmal will ich (ich schäme mich dafür ein wenig) zurück zu dieser Zeit, denn damals hatte ich so eine wunderbar bequeme Erklärung dafür, wieso ich halb leben konnte und die meiste Zeit schlief: Ich bin entschuldigt, ich habe doch Angst.

2. Da stand etwas am Fenster. Beim Joggen laufe ich immer weitere Routen. Teils, weil ich die alten alle kenne, teils weil ich nur ungern anderen Joggern begegne und daher immer entlegenere Wege suche. Neulich bin ich an einem seltsamen Haus vorbei gekommen. Uralt und verfallen, soweit man das durch das Moos beurteilen konnte, dessen Wachstum nur von dem ebenfalls überall wucherndem Efeu behindert wurde. Dieses Haus sah so trostlos verlassen aus, dass ich richtig erschrak, als ich entdeckte, dass jemand am Fenster stand. Ich joggte weiter, aber die wenigen Sekunden, die ich de Gestalt gesehen habe, brannten sich in meine Lider ein. Dabei sah sie zunächst nur verloren aus.

3. Mein Körper will nicht. Beziehungsweise: Ich glaube, dass er nicht will. Ich fühle mich nur besuchsweise in ihm zuhause, er ist ein Bekannten, bei dem ich notdürftig unterkomme, aber eigentlich ist es uns beiden unangenehm. Wenn ich nicht mein Körper bin was bin ich dann? Jener versucht mich, mal verdeckter, mal offener, loszuwerden.


Viele abendliche Grüße,
Monty
Monty Schwarz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.06.2006, 21:56   #9
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007

Danke! Das ist wirklich interessant und an so persönliche Erlebnisse geknüpft, dass es in der Art wirklich nur von Dir interpretiert werden kann.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
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