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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 05.08.2009, 20:24   #1
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.103

Standard Der Bettler

Jeden morgen sitzt er da,
mager, bleich, mit wirrem Haar,
auf dem Gehweg vor dem Laden,
zu erbetteln milde Gaben.

Neben seinen Füßen ruht
ein umgedrehter alter Hut
als stummes Flehen um Erbarmen
und Mitleid für den alten Armen.

Um den Nacken, auf sein Hemd,
hat er sich ein Schild gehängt:
“Hab’ weder Freunde, Bleibe, Geld,
nur an Hunger mir’s nicht fehlt.“

Niemand will bei ihm verweilen,
um zu lesen diese Zeilen,
alle, die vorübergehen
sind bemüht, ihn nicht zu sehen.

Körperlich ist er zwar da,
dennoch bleibt er unsichtbar
wie eine gläserne Figur,
ganz ohne Inhalt und Kontur.

So viele gibt es seiner Art,
daß keiner mehr was geben mag,
vor allem ist man nicht dafür,
ihm zu bezahlen Schnaps und Bier.

Am Abend packt er seine Sachen,
um sich auf seinen Weg zu machen
zurück ins Obdachlosenheim.
“Soll so der Rest des Lebens sein?“

© Ilka-M., 14.07.2005
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Alt 05.08.2009, 21:18   #2
weiblich Sonja
 
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Standard Interessant

Ich finde dein Gedicht sehr gut geschrieben.
Aber es ist nun einmal wirklich so, dass man heutzutage, einfach nicht wissen kann, ob diese Bettler auch wirklich diese Hilfe benötigen, um die sei betteln.
Auch ist es schwer zu beurteilen, wofür sie es ausgeben werden...

In der heutigen Zeit ist vielen Menschen jedes Mittel recht, so einfach wie möglich an Geld ran zu kommen.

Leider...

Ich habe selbst einmal einen Obdachlosen kennen gelernt, der scheinbar auch geistig ein wenig angeschlagen war. Womit ich nicht sagen will, dass er dumm war!!!
Doch erzählte er immer wieder neue Geschichten, und veränderte sie ständig, was einen das Glauben schon erschwert!

Nach 4 Jahren "Bekantschaft", war er dann von jetzt auf gleich verschwunden, und wurde kurze Zeit später in einen nahegelegenen Wald aufgefunden.
Es wird vermutet, dass er sich zu Tode gesoffen hat....

Naja, wie gesagt, echt gut geschrieben!
Sonja ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.08.2009, 04:24   #3
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.103

Liebe Sonja,

das ist richtig, man kann nicht hinter die Kulissen schauen. Ich will mit dem Gedicht auch keine Wertung abgeben oder gar ein moralisches Urteil fällen, sondern einen Zustand allgemein beschreiben.

In Frankfurt werden in Zeiten wie diesen die Bettler immer mehr, da ist sicher mancher dabei, der sein "Hartz4" aufbessern will. Dabei fällt mir auf, daß immer mehr Frauen darunter sind, was es früher praktisch nicht gab. Die sind in der Regel ordentlich und sauber gekleidet und benehmen sich unaufdringlich, während ihre männliche "Kollegen" oft die "Schmuddelrolle" abziehen, um Mitleid zu erregen. Ist eben Ermessenssache, was man glauben will oder nicht.

LG
Ilka-M.
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Alt 06.08.2009, 11:36   #4
männlich thedichter
 
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Alter: 33
Beiträge: 5

Standard Sehr Flüssig

Ein sehr schönes Gedicht, welches die Umstände ziemlich gut trifft.
Es liest sich außerdem sehr flüssig, nur an einer Stelle bin ich gestolpert, vielleicht liegts auch an mir...:

vor allem ist man nicht dafür,
ihm zu bezahlen Schnaps und Bier.

Würde ein einfaches zahlen nicht vielleicht auch ausreichen?

PS: wo ich's mir grad wieder vorlese und Silben zähle ist es wahrscheinlich doch mein Lesefluss (Betonung in diesem Fall) die mich stolpern lässt.
Sehr gelungen auf jeden Fall!!
thedichter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.08.2009, 15:43   #5
9Miri9
 
Dabei seit: 10/2008
Beiträge: 25

Standard Interessantes Thema

Liebe Ilka-Maria,

Zuerst einmal ein Kompliment: Insgesammt finde ich, dass das Gedicht sich sehr flüssig liest. Diese gespielte Einfachheit steht in einem starken Kontrast zum Inhalt deines Gedichts und macht es dadurch sehr interessant. Hat wirklich Spaß gemacht es zu lesen und sich Gedanken darüber zu machen.

Nun noch ein paar Anmerkungen: Du hast in den meisten Zeilen deines Gedichtes einen Trochäus verwendet (also Hebung, Senkung). Von diesem Versmaß weichst du aber in mehreren Zeilen ab (z.B. "ein umgedrehter alter Hut") Du könntest das Versmaß in den meisten Strophen erhalten indem du einfach ein paar Worte umbaust. Z.B. Neben seinen Füßen ruht -- umgedreht ein alter Hut. Dadurch liest es sich noch flüssiger. Ich persönlich finde, das sich dein Gedicht dann noch elleganter und flüssiger lesen würde. Im Moment stocke ich an den Stellen wo sich das Versmaß ändert immer ein bischen. Aber das ist ja bekanntlich Geschmackssache

Liebe Grüße, Miri**
9Miri9 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.08.2009, 20:47   #6
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.103

Liebe thedichter und Miri,

bei fast jedem Gedicht gibt es Stellen, über die man holpern kann. Ich gebe zu, daß diese Verse ein schönes Stück Arbeit waren und, wie ich selbst weiß, einige Schwachpunkte enthalten. Der Vers mit dem Hut gefällt mir überhaupt nicht, aber ich habe leider keinen anderen Ausdruck gefunden. Vielleicht passiert das ja noch. Denn wie ich schon in anderen Kommentaren geschrieben habe, korrigiere ich von Zeit zu Zeit immer mal wieder das eine oder andere meiner Gedichte, wenn mir beim Lesen plötzlich eine neue Idee kommt. Seht ein Gedicht einfach als Lebewesen an, das sich ständig entwickelt.

Auch nehme ich mir die Freiheit, nicht zu streng auf die Form zu achten (außer bei einem Sonett, Haiku oder Limerick), wenn der Ausdruck stimmig ist. Das ist mir lieber, als die Form zu halten und dafür einen "gedrechselten" Text zu haben, der einem wie ein Stück Holz im Magen liegt. Auch große Dichter sind von gleichförmigen Hebungen und Senkungen oder gleichfolgenden männlichen und weiblichen Reimen abgewichen, wenn dabei der Rhythmus nicht gestört und/oder die Aussage kräftiger wurde. Viele weichen auch gabt absichtlich von strengen Formen ab, weil es für sie sonst wie "Leiern" klingt. Das ist nicht nur eine Geschmackssache, sondern schon fast eine Philosophie.

Ach ja, und vielen Dank für eure Kommentare.

LG
Ilka-M.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.08.2009, 15:06   #7
9Miri9
 
Dabei seit: 10/2008
Beiträge: 25

Könntest du mir ein paar Gedichte nennen, von bekannten Dichtern, die stark vom Versmaß abweichen? Würde ich gerne lesen
9Miri9 ist offline   Mit Zitat antworten
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