Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 27.08.2021, 12:38   #1
männlich Krebsgestoeber
 
Benutzerbild von Krebsgestoeber
 
Dabei seit: 03/2013
Alter: 31
Beiträge: 313


Standard Einer muss schieben

Beschämt blickt Sisyphos ins Dunkel. Hoffentlich hat ihn niemand gesehen, als er, schusselig wie er war, den Stein hat hinabrauschen lassen. Alles starrt ihn an, buht ihn aus, den Versager, der seinem ureigenen Handwerk nicht gewachsen ist.

Doch der Tod kennt keine Gnade, Sisyphos muss wieder ran. Nach den ersten Metern reicht es ihm schon. Der Stein ist unhandlich, verkantet sich ständig und hinterlässt hässliche Lehmflecken auf der Haut. Genau genommen steht es dem einstmaligen Königssohn bis hier (stellt euch bitte seine Hand auf der Höhe seiner Augenbrauen vor). Innerlich wirft Sisyphos alles von sich und schreit: "Macht euren Scheiß allein! Ich bin hier raus."

Mit einem Mal kommt ihm der Stein gar nicht mehr so schwer vor. Sisyphos lächelt überlegen bei dem Gedanken, dass ihn Hades nicht ohne Grund mit diesem Amt betraut haben kann. Der Tartaros liegt im Schweigen und sieht dem schwitzenden Sisyphos bei seinem Tagewerk zu. Wäre dieser nur Herr der Unterwelt, er würde sich schämen für eine derart faule, selbstsüchtige und unfähige Gefolgschaft. Doch es hilft ja alles nichts; einer muss wachen, muss schieben und drücken, muss Uhrwerk sein dort wo kein Helios fährt und ein Amboss neun Tage lang fiele.

Geändert von Krebsgestoeber (27.08.2021 um 14:51 Uhr)
Krebsgestoeber ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.08.2021, 14:52   #2
männlich Krebsgestoeber
 
Benutzerbild von Krebsgestoeber
 
Dabei seit: 03/2013
Alter: 31
Beiträge: 313


Standard Eine weitere, kränkelnde Passage:

Sisyphos beginnt seinen Stein zu lieben. Wie ein Töpfer umkost er zärtlich, aber kraftvoll den feuchten Lehm. Er durchlebt sein erstes Mal mit Merope, den Augenblick, als ihm klar wurde, wann er sie küssen, wo streicheln, wo knuffen und wo kneten musste. Doch vermacht sie am Gipfel der Sinneslust rührend ihr Lächeln und Zittern dem Schlaf. Sie wird wie ein fallender Amboss vom Abgrund verschluckt und im Sandstaub verdaut.

Endgültig gestorben, ergreift Sisyphos aufs Neue den Stein und wird ihn bis in alle Ewigkeit ohne Schweiß, ohne Blut und ohne Tränen emporhieven. Das letzte Rätsel der Götterwelt: Wer oder was seine Glieder wohl bewegen mag?

Geändert von Krebsgestoeber (27.08.2021 um 23:11 Uhr)
Krebsgestoeber ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Einer muss schieben



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Ich muss dir was sagen silence. Liebe, Romantik und Leidenschaft 0 03.08.2018 14:09
Ich muss das für uns tun! Ex-Poesieger Düstere Welten und Abgründiges 0 18.04.2015 08:07
Es muss Rosa Liebe, Romantik und Leidenschaft 2 01.05.2013 16:41
reh muss marlenja Humorvolles und Verborgenes 41 13.01.2011 11:51
Ich muss... Cyphixx Sonstiges Gedichte und Experimentelles 0 28.08.2007 22:02


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.