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Alt 03.07.2021, 00:52   #1
männlich Kurt
 
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Standard Kino, damals.

(Eine wahre Geschichte in zwei Teilen)

Wir wohnten direkt gegenüber dem Kino, auf der anderen Straßenseite. Es trug, mit einem Zusatz, den Namen Theater - und das mit Recht. Es war das größte und schönste in der Stadt.
So war es mir ein Leichtes, als der Kino-Fan, der ich war und bin, mich so gut wie täglich an Ort und Stelle über das angebotene Programm zu informieren. Der aktuelle Film wurde immer mit großen auswechselbaren Buchstaben an einer sehr großen Leuchtwand angeboten. Manchmal auch, wie in den anderen Kinos, mit einem riesengroßen gemalten Plakat mit Bildern, gefertigt von einer ortsansässigen Firma. In den zahlreichen Schaukästen waren die gedruckten Plakate der Verleihfirmen sowie immer zahlreiche Szenenfotos der Filme ausgestellt. Der gerade laufende Film nahm dabei den bevorzugten ersten Platz ein, aber es waren auch, als Vorschau, Plakate und Szenenbilder von mindestens zwei der als nächstes kommenden Filme zu sehen.
Die Vorhalle hinter den Eingängen strahlte eine gediegene, vornehme Atmosphäre aus. Sie war geschmackvoll ausgestattet mit Bildern, Pflanzen und auch einem Board mit Autogrammen von Prominenten, meistens Künstlern, die schon als Besucher oder Aufführende in dem Theater waren. Außerdem war eine Portrait-Metallplastik des Theatergründers in natürlicher Größe aufgestellt.
Wenn man vor den Schaukästen die Angebote betrachtete, konnte es vorkommen, dass man einen Bekannten oder Schulfreund dabei traf. Wenn nun nur einer den Film schon gesehen hatte, erklärte er dem anderen Bild für Bild anhand der ausgestellten Standbilder, was genau in dieser fotografierten Szene gerade passiert war.
Es gab ungefähr zehn verschiedene Platzkategorien, von 2.Platz (den man Rasiersitz nannte), über 1.Platz, Sperrsitz, Balkon bis zur Laube (ganz hinten auf dem Balkon). Der teuerste Sitz war Balkonloge (ganz vorne auf dem Balkon). Neben der Eintrittskarte gab es deswegen oft auch eine entsprechende Platzkarte.
Zu fast jedem Film gab es auch ein "Programm". Es war ein Faltblatt (man würde es heute vielleicht als Flyer bezeichnen) mit Bildern und Inhaltsangaben des Films. Mein damaliger Freund pflegte sich dieses Programm immer zu kaufen, wenn wir mal zusammen ins Kino gingen.
Nach dem Kauf einer Karte war man in diesem Theater gewiss, nun ein wunderschönes Kinoerlebnis zu haben: man betrat einen riesigen Saal mit einer Bühne von enormer Größe, der Bühnenvorhang aus edlem Stoff mit angenehmer Farbe, oben am Bühnenrand das Theater-Maskensymbol weinend/lachend. Die Beleuchtung war gedämpft und in warmem Ton. Die Musik im Raum war in dezenter Lautstärke und man konnte sie etwa als leichte bis mittlere Unterhaltungsklassik bezeichnen. Niemand brauchte Popcorn als Mahlzeit während des Films, und niemand fiel es ein seine Beine auf die Lehne des Vordersitzes zu legen.
Die Vorstellung begann mit der Projektion eines Werbedias an den noch geschlossenen Vorhang, der sich danach langsam öffnete. Das Licht wurde nun noch etwas runtergedunkelt, und es folgten weitere Werbedias, nun an die Kinoleinwand projiziert. Die angenehme Musik spielte weiter, wurde aber dann möglicherweise unterbrochen oder zumindest leiser gestellt, wenn zu einem Werbedia ein Text zu hören war. Seltener folgten nach den Dias Werbefilme, manchmal noch von örtlichen Firmen, aber überwiegend dann doch von bekannten Marken. Noch seltener und wesentlich später dann auch Zigarettenwerbung: witzig z.b. immer das HB-Männchen, das bei Missgeschicken immer in die Luft ging, sich aber nach dem Griff zur Zigarette wieder beruhigte.
Es folgten Vorschauen (heute Trailer genannt) von kommenden Filmen und dann, nach langsamer vollständiger Abdunklung des Saales, die immer wieder mit Spannung erwartete Wochenschau ("Fox tönende Wochenschau", "Blick in die Welt"), bevor der eigentliche Hauptfilm startete.

[Teil 2 folgt in Kürze]
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Alt 03.07.2021, 06:00   #2
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Zitat:
Zitat von Kurt Beitrag anzeigen
Es folgten Vorschauen (heute Trailer genannt) von kommenden Filmen und dann, nach langsamer vollständiger Abdunklung des Saales, die immer wieder mit Spannung erwartete Wochenschau ("Fox tönende Wochenschau", "Blick in die Welt"), bevor der eigentliche Hauptfilm startete.
Guten Morgen,

das ist lange her, aber ich kenne es noch. Vor dem Hauptfilm tat sich aber noch ein bisschen mehr. So kamen außer der "Fox" und der "Blick in die Welt" und vor den Teasern für die kommenen Filme noch ein "Belehrungsfilm" über Gefahrenvermeidung, der drastisch-zynisch aufgemacht war und den Titel "Denn bei mir liegen Sie richtig" trug (der Moderator stellte wechselweise einen Bestatter oder einen Chirurgen dar), und danach ein Vorfilm, in der Regel eine Dokumentation von zehn bis fünfzehn Minuten Länge. Bevor der Hauptfilm losging, wurde der Saal hell, und eine Kinoangestellte verkaufte Eiskonfekt. Eine Zeitlang (60er Jahre), als dringend Arbeitskräfte gesucht wurden, bombardierte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, das Publikum mit einem Werbefilm für die Stellenganbote der Arbeitsämter.

"... denn bei mir liegen Sie richtig":
https://www.youtube.com/watch?v=d1V9n_REfpc

Besten Gruß
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 03.07.2021, 21:42   #3
männlich Kurt
 
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Beiträge: 452


So endete Teil 1:
Es folgten Vorschauen (heute Trailer genannt) von kommenden Filmen und dann,nach langsamer vollständiger Abdunklung des Saales, die immer wieder mit Spannung erwartete Wochenschau ("Fox tönende Wochenschau", "Blick in die Welt"), bevor der eigentliche Hauptfilm startete.
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Teil 2

Niemand hatte damals einen Fernseher, und es gab Tage, besonders an Wochenenden, mit einem wahren Ansturm auf das Kino. Die Vorhalle war dann voll mit einer mehrfach gewundenen Warteschlange an Besuchern, von denen oft nicht alle eine Eintrittskarte ergattern konnten. An solchen Tagen gab es sogar Notsitze im Theater: an den Seiten der jeweiligen Sitzreihe gab es ein ausklappbares Brett, und an den Wänden wurden Klappstühle aufgestellt.
Es fanden auch öfters Sondervorstellungen nur für Amerikaner statt, die in dieser Stadt stationiert waren. Am Ende dieser Vorstellungen gab es dann auch sehr oft ein besonderes Schauspiel zu beobachten. Da es verhältnismäßig kurz nach Kriegsende war, gab es regulär kaum oder auch überhaupt keine Zigaretten zu kaufen. Die Leute sammelten deshalb oft weggeworfene Kippen von der Straße. Solche Kippensammler waren es auch, die das Ende der Kinovorstellung für die Amerikaner abwarteten. Viele Amerikaner machten sich dann einen Spaß daraus, gleich nach Verlaß des Kinos eine kurz angerauchte oder auch ganze Zigarette wegzuschnippen, auf die sich dann gleich eine ganze Anzahl Kippensammler stürzten.
Übrigens teilte mir ein Kumpel, kein schlechter Beobachter, damals mal mit, ihm fiele gelegentlich auf, dass die Amerikaner fette Ärsche hätten, mit denen sie beim Gehen wackelten. Nun ja, eher sein subjektiver Eindruck, aber möglicherweise geschuldet den ungewohnten Uniformen der Amis. Sie liefen übrigens auch lautlos auf leisen Sohlen, auf Gummisohlen; im Gegensatz zur Wehrmacht, die Stiefel mit genagelten Sohlen hatten. Gelegentlich oder eher selten wurde ein Amerikaner sogar von einem besonders aufgelegten Knirps oder Jugendlichen auch direkt angesprochen:"Häv yu Tschuing-Gam?"
Im Gedächtnis geblieben sind eigentlich alle der zahllos gesehenen Filme. Nur jeweils drei deutsche und drei amerikanische seien hier, nur als Beispiel und ganz zufällig schnell erinnert, hier genannt:
Deutsche Filme: "Der weiße Traum" (Regie Geza von Cziffra) - "Münchhausen" (mit Hans Albers) -"Der Tiger von Eschnapur" (mit La Jana).
Amerikanische Filme: "Der Herr der sieben Meere"(mit Errol Flynn)- "Goldrausch" (von und mit Charlie Chaplin)- "Das Haus der Lady Alquist" (mit Charles Boyer, Ingrid Bergmann)
Herrliche und eindrucksvolle Filme -- Kino von gestern.
In den achtziger Jahren wurde das Theater, sozusagen schachtelförmig, zu drei oder vier "Kinochen" umgebaut...
Dieses schöne große alte Theater ist Vergangenheit.
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