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Alt 12.03.2014, 23:04   #1
weiblich Inge
 
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Standard Montagmorgen

Ein Montagmorgen im verwahrlosten Prenzlberg...


Der Wecker klingelt. Der Hund erkämpft sich eine Straße durch die Massen an Burgerpackungen, Pizzaschachteln, Bierflaschen, Dreck, Staub, Müll.... und zwingt mich aufzustehen. Er stupst. Ich hasse ihn so stark, wie noch nie. Er stupst mit seiner ach so niedlichen riesigen Nase. Verdammte Scheiße. Er stupst unaufhörlich bis ich ihn anschreie und er sich auf einem Berg ungewaschener Unterhosen niederlässt.
Ich reflektiere mein Leben und renne schon vor Beginn einer Idee eines Gedankens innerlich davon und steh lieber auf. Also schäle ich mich aus meinem Pfandmeer, aus dem mein Bett besteht, versuche dem Hund ein Lächeln entgegen zu bringen und säusel ein paar Worte der Entschuldigung.

Vom Haufen der einigermaßen tragbaren Wäsche, nehme ich mir Anziehsachen und dusche. Wenigstens ich selbst bin sauber und so lange man nicht in seiner schlimmsten jogginghose vor die Tür geht, hat man die Kontrolle über sein Leben noch nicht verloren, denke ich. Mir fällt ein, dass ich gerne in Jogginghose vor die Tür gehe und ich eigentlich eher selten dusche. Diesen Anflug einer kritischen Selbstbetrachtung übersinge ich mit einem Smash-Hit meiner Wahl: Lambada. Eine gute Wahl, wie ich finde: Es gibt keinen Text oder nur irgendeinen Text in einer Sprache, die sowieso keiner versteht und das Video von hübschen Menschen an irgend nem Strand ist auch nicht zu verachten. Musikvideos sind großartig. Der Lambada-Mann auf der Straße hingegen ist alles andere als großartig. Mist, den hatte ich vor meiner Smash-Hit-Wahl vergessen. Dieses Monster, dieser abgrundtief böse, widerliche Mann... Der Lambada-Mann ist Mitte bis Ende Vierzig, hat ne komische Glatze und sieht irgendwie aus wie ein dümmlicher Handlanger in nem Mafia-Film. Er spielt Akkordeon und das ziemlich schlecht. Er verbreitet den Lambada wie eine Seuche. Eine Seuche, die mit einem genervten Ohrwurm anfängt, über eiternde Klänge innerhalb des Gehörgangs geht und schließlich mit versuchtem Mord endet. Das alles wegen Lambada und weil der Lambadamann keinen anderen Song spielen kann. Irgendwann kack ich dem auf sein beschissenes Akkordeon!! Die Wahl meines Smash-Hits betrübt und enttäuscht mich: Heute ist nicht mein Tag, denke ich, zieh mich an und seufze in Gedanken.

Der Hund wartet. Dieser dumme Hund. Treudoof und so liebenswert, dass ich kotzen könnte. Wenigstens hat ihm jemand nen Hitler-Gruß beigebracht. Ein Party-Witz für Groß und Klein. Hahaha, denk ich und frage mich, wie Leute so sind, die das nicht lustig finden. Haben bestimmt nen Stock im Arsch oder n Problem mit unserer Vergangenheit. Pah. Unsere Vergangenheit. Meine Vergangenheit isses nicht. Wenn's eure ist, Pech gehabt. Ich koche Kaffee und führe gedanklich Streitgespräche mit Menschen, die nicht über Hitler lachen können. Absurd, solche Leute. Kopfschütteln.
Der Hund. Achja. Schnell vor die Tür.
Es ist Neonoranger Tag. Müllabfuhr. Wir sind die sechs von der Müllabfuhr. Lalalaaaa. Warum sehen Müllmänner nie so gut gelaunt aus, wie in dem Video von der Sendung mit der Maus? Vor allem die Fahrer sind griesgrämige grauhäutige unzufriedene Männer mit Bierbauch. Immer. Variabel ist nur das Arrangement aus Kuscheltieren an oder in ihren Fahrzeugen. Ich frage mich jedes Mal, was das soll. Sollen die unfreundlichen Typen damit zeigen, dass sie im Kern ganz weich sind? Wollen die Kinder verführen? Oder sind sie selbst Kinder und werden gezwungen Kostüme alter Männer anzuziehen, damit sich die BSR Personalkosten spart? Ich weiß es nicht und gehe vom schlimmsten aus. Dem freundlichen Müllmann vom Fahrrad, der immer die Haustüren aufschließt, spuck ich ins Gesicht und ruf "Kinderschänder", als er mich fragt, ob ich ihm freundlicherweise die Tür aufmachen könnte. Er schaut mich verwundert an und ich laufe fluchend und Mittelfingerzeigend weiter. Mein Hund begattet inzwischen einen anderen Hund von vorne. Hahaha, blowjob, jawoll! Lobe ich ihn und werde von einer Dame mit Jack-Wolfskin-Attitüde bepöbelt und mit gefüllten Hundekotbeuteln beworfen. Zum Glück hat sie nur eine sportive Scheinheiligkeit um sich und keinerlei Anflüge eines wahren sportlichen Talents und trifft nicht mich, sondern ihre eigenen Schuhe. Fassungslos über so viel Dummheit gehe ich weiter zum Spielplatz meines Vertrauens. Jahaaa. ich bin so richtig evil, ne richtige bitch, rebellisch und todesgefährlich: ich lass meinen Köter braune Landminen auf Spielplätzen verteilen. Alles wird in die Luft gesprengt bald. Die Rache der braunen Stinkbomben. Auch n guter Kinderbuchtitel eigentlich, wenn auch für manche zu assoziativ mit Hitler (hahaha), denke ich, während der Hund ein Wildschwein aus Holz anbellt. Zu Recht, wie ich finde.

Der Rückweg ist immer das schlimmste. Man weiß nie, was einen am Ausgang des Spielplatzes erwartet. Schimpfende Väter. (Denkt denn hier auch einmal jemand an die Kinder). In Panik aufschreiende Kinder (Der Hund ist riiiiiesig (Aber auf Holzwildschweinen sitzen)). Rosenverkäufer. Knutschende Hipster mit Sternburg. Oder sogar der Lambadamann. Ich bin auf alles vorbereitet. Todesmutig mit imaginären Scheuklappen geht es voran, durch das Tor des Spielpatzes und es passiert nichts. Puh. Dann mal schnell nach Hause zum Kaffee.
Und wieder einmal komme ich nicht Drumherum mir über die BSR Gedanken zu machen. Der Mülleimer ist jetzt kein Mülleimer mehr sondern eine "Würstchenbude" und er lobt alle Hundebesitzer für die Eintütung von Exkrementen. Auf dem Straßenfegegerät steht "I kehr for you" und der Fahrer kehrt zwar für mich, aber kümmert sich n scheiß wenn man bei ihm unter die Räder kommt. Beschissene Zweideutigkeit, würd ich sagen. Die sollten lieber mal ihren Leuten mehr Geld zahlen oder denen mehr Urlaub geben, damit sie nicht so griesgrämig und kinderschänderisch rüberkommen.
Egal, ich bin schon im Hausflur des einzigen nicht sanierten Hauses im Umkreis von mindestens 5 Kilometern und lobe meinen Hund, der beim Treppelaufen heimlich ein schlecht erzogenes Nachbarkind verschlingt.
Der Kaffee ist kalt. Scheiße. Ich geh heute nirgends mehr hin. Im Paradies eines jeden Pfandsammlers, das Bernsteinzimmer der Armen, schlafe ich selig ein und warte auf einen besseren Tag.
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