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Alt 03.08.2016, 14:46   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Der Fauxpas

„Yannick, endlich! Du kommst reichlich spät!“

„Ich habe einen Freund von früher getroffen.“

„Und der hatte keinen Terminkalender dabei?“

„Er reist morgen früh ab, möglicherweise kommt er nicht mehr nach Deutschland zurück.“

„Verstehe, dein Freund war wichtiger als deine Vernissage?“

„Deine Vernissage, nicht meine. Ich habe für den Zauber nur bezahlt.“

„Mit dem Geld deines alten Herrn. Du selbst tust doch nichts, außer im Luxus zu baden!“

„Genommen hast du es aber gerne. Und gegen meinen Luxus hattest du bisher nichts einzuwenden.“

„Sag doch gleich, dass du meine Bilder nicht magst!“

„Warum so masochistisch? Das weißt du doch längst.“

„Du bist und bleibst ein Snob!“

„Davon verstehe ich immerhin eine Menge. Jedenfalls mehr als du von der Malerei.“

Yannik nahm die Sektflasche und ein Glas vom Buffet und schenkte sich ein. Von den Speisen war wenig angerührt worden.

„Üppig aufgetragen für zehn Leute, findest du nicht? Immerhin hattest du zweihundert Einladungen verschickt. Hat denn einer von deinen Kunstfreunden ein Bild bestellt?“

Julia kochte vor Zorn.

„Du wirst noch an mich denken, du arroganter Mistkerl!“

Sie setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf und wandte sich wieder ihren Gästen zu. Yannik leerte sein Glas und schickte sich an, die Galerie zu verlassen. Er fühlte sich fehl am Platz.

„Wollen Sie schon gehen? Sie sind doch gerade erst gekommen.“

Yannik schaute auf, und es verschlug ihm den Atem. Vor ihm stand eine hochgewachsene, schlanke Frau in einem körperbetonten, smaragdgrünen Kleid, das in Kontrast stand zu ihrem schwarzen, langen Haar. Ihre vollen Lippen leuchteten orange, was dem Amber ihrer Augen schmeichelte. Eine Korallenkette war ihr einziger Schmuck.

Sie nahm die Sektflasche, füllte sein Glas und hielt es ihm entgegen.

„Ich bin Miriam Molnar. Stoßen Sie mit mir an?“

„Wie finden Sie die Vernissage, Miriam?“

„Langweilig. Die Künstlerin hat keinen eigenen Stil. Sehen Sie dort hinten links? Vor dem Bild, das an Immendorfs ‚Deutschlandcafé‘ angelehnt ist? Man könnte auch sagen, es sei abgekupfert, aber mein Begleiter unterhält sich prächtig und mimt den Kunstexperten. In Wirklichkeit ist er nur hier, weil er hoffte, ein paar Leute zu treffen, denen er mich als den Star der Zukunft vorstellen kann. Tatsache ist, dass niemand von mir Notiz genommen hat. Genauso wenig wie von seinen Filmen.“

„Ich kenne ihn. Harry Zielke, ein Exzentriker. Unter ihm Karriere zu machen wird nicht leicht sein.“

Yannik verspürte keinen Drang mehr, nach Hause zu fahren. Er schenkte sich und Miriam Sekt nach.

„Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Yannik Emmerich.“

Miriams Augen weiteten sich und begannen spöttisch zu funkeln.

„Doch nicht DER Yannick Emmerich? Sohn des Konzernchefs Horst Emmerich? Der mit dem silbergrauen Porsche, der Strafzettel sammelt wie andere Leute die Kassenbons für ihre Haushaltsbücher?“

Yannicks Schultern wurden steif.

„Erraten. Der Schrecken aller Zebrastreifen, Verkehrsampeln und Parkverbote. Darf ich Ihnen im Gegenzug eine Frage stellen? Stimmt es, dass Harry Zielke ausschließlich schwarze Bettwäsche benutzt?“

Das Funkeln wich aus Miriams Augen. Um ihren Mund bildete sich ein harter Zug. Sie stellte ihr Glas ab und sah auf ihre Armbanduhr.

„Gut gekontert. Sie haben mich erinnert, dass es für unanständige Mädchen an der Zeit ist, die Party zu verlassen und ihrem Job nachzugehen. Ich wünsche Ihnen noch einen amüsanten Abend, Herr Emmerich.“

Yannick biss sich auf die Unterlippe. „Verdammter Vollidiot!“ Vor ihm hatte die schönste Frau gestanden, der er je begegnet war, eine Chance, die nur einmal im Leben kommt, und er hatte sie innerhalb von Sekunden vermasselt. Er fühlte sich benommen. Julia kam auf ihn zu.

„Was ist mit dir? Hast du zu viel getrunken? Im Hinterzimmer steht ein Sofa …“

„Nein … nein. Entschuldige … ich muss gehen …“

Er rannte zum Ausgang und suchte die Straße ab. Neben der Galerie befand sich ein kleiner Parkplatz, von dem ein BMW rollte. Am Steuer saß Zielkes Chauffeur, im Fond kauerte Miriam. Bevor der BMW in die Straße einfädeln konnte, war Yannik bei ihm, riss die Hintertür auf und sprang auf den Rücksitz. Miriam nahm keine Notiz von ihm, niemand sprach ein Wort.

Nach zehn Minuten Fahrt hielt der BMW vor einem Mehrfamilienhaus.

„Sie müssen jetzt aussteigen, Herr Emmerich, und sehen, wie sie weiterkommen. Dieser Wagen ist kein öffentliches Verkehrsmittel. Freddy wird zurückfahren und dafür sorgen, dass Harry gut nach Hause kommt.“

Sie stieg aus und ging festen Schrittes zum Hauseingang. Yannik folgte ihr.

„Miriam … zum Donnerwetter, bleiben Sie stehen! Es tut mir leid! Ich habe mich wie ein Volltrottel benommen, aber ich schwöre, dass ich nichts dafür kann. Das sind die Gene meines Vaters, der ist genauso. Und meine Schwester ist auch so, die tritt dauernd ins Fettnäpfchen. Aber es ist nie so gemeint, wie es klingt. Miriam …

Miriam blieb stehen und sah ihn an. „Das ist die albernste Entschuldigung, die ich jemals zu hören bekam.“

„Dann sagen Sie mir, wie ich meinen Fauxpas wiedergutmachen kann.“

„Gut. Laden Sie mich zum Essen ein und beichten Sie mir alle ihre Sünden vom Tag Ihrer Geburt bis heute. Wenn Sie diesen Marathon hinter sich gebracht haben, wissen Sie vielleicht, was es heißt, ein Mensch zu sein. Und schreiben Sie sich eins hinter die Ohren: Ich bin kein Flittchen, und Harry hat mich immer anständig behandelt.“

„Tut mir wirklich leid. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer?“

„Wenn es Ihnen ernst ist, werden sie die Nummer selbst herausfinden. Gute Nacht.“

Sie schloss die Eingangstür auf und verschwand. Yannick sah, wie im Treppenhaus das Licht anging. Er war eine Stunde Fußweg von seiner Wohnung entfernt und setzte sich in Marsch. Die kühle Abendluft tat ihm gut.

(Fortsetzung möglich)
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Alt 04.08.2016, 15:29   #2
Thing
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Prima Geschichte mit nur einem entdeckten Tippfehler.
Fesselnd von Anfang bis zum (vorläufigen!) Schluß.

Zwar ist der kühne Sprung in den BMW etwas unglaubwürdig, aber ohne ihn ginge es nicht so interessant weiter.

Ich lauere auf eine Fortsetzung.

Übrigens ist nur eine Figur deutlich gezeichnet.


LG
Thing
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Alt 04.08.2016, 16:15   #3
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Zitat:
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Zwar ist der kühne Sprung in den BMW etwas unglaubwürdig, aber ohne ihn ginge es nicht so interessant weiter.
Wieso? Ich hatte geschrieben: "... Bevor der BMW in die Straße einfädeln konnte" (nicht: als der BMW in die Straße einfädelte). Der Wagen stand also noch, weil er den Gegenverkehr abwarten musste. Wie soll es da nicht möglich sein, hinein zu springen?

Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Übrigens ist nur eine Figur deutlich gezeichnet.
Findest Du?

Die Charakterisierung der Figuren geht weitgehend aus den Dialogen hervor.

JULIA: Künstlerisch noch nicht dort angekommen, wo sie gerne wäre, zudem offensichtlich knapp bei Kasse und auf ihren Freund angewiesen, von dem sie sich jedoch nicht akzeptiert fühlt. Sie kontert mit Herrschsucht, ist leicht reizbar und wirft Yannik Unpünktlichkeit, seinen luxuriösen Lebensstil und sein Schmarotzertum vor. Zudem überschätzt sie sich maßlos, indem sie zweihundert Leute eingeladen hat, von denen nur zehn gekommen sind.

YANNICK: Verwöhnter Millionärssohn, eitel, von Julia längst so gelangweilt, dass es ihm unwichtig ist, pünktlich zu ihrer Vernissage zu erscheinen, unwillig, sich in ihre künstlerischen Ambitionen hineinziehen, geschweige denn Vorschriften machen zu lassen. Neigt außerdem zur Überempfindlichkeit, wenn man sein Verhalten bekrittelt (rüder Fahrstil). Rücksichtnahme scheint nicht seine Stärke zu sein.

MIRIAM: Attraktiv, aufgeschlossen, bastelt an einer Karriere beim Film, ist enttäuscht von der Party und peinlich berührt von der Angeberei ihres Mäzens, sie selbst hat einen klaren Blick für Kunststile (sie erwähnt ein Bild Immendorfs), eine Frau mit Selbstwertgefühl und Prinzipien, wie ihre Reaktion auf Yannicks Beleidigung zeigt, und die es offensichtlich niemandem leicht macht, einen Fehler auszubügeln. Ihre Wohnadresse weist daraf hin, dass sie in bescheidenen Verhältnissen lebt.

Was bzw. wem fehlt noch eine klarere Beschreibung?
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Alt 04.08.2016, 16:17   #4
Thing
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Alles paletti!
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Alt 04.08.2016, 16:23   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
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Alles paletti!
Nicht ganz. So unrecht hast Du nicht, aber bei dem kurzen Einstieg in eine Geschichte kann bzw. muss noch nicht jede Einzelfigur bis in die Tiefen gezeichnet sein, das ergibt sich aus der weiteren Handlung.
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Alt 09.08.2016, 19:17   #6
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Fortsetzung:

Yannick hörte das Knistern der Gegensprechanlage. Miriams Stimme klang wie aus weiter Ferne. „Bin gleich unten!“

Er lehnte sich an den Kotflügel seines VW-Käfer und umfasste sich mit beiden Armen, weil ihm die Kälte durch alle Ritzen seines Mantels kroch. Über Nacht war das Thermometer auf minus sechs Grad gesunken, daran musste sich der Körper erst gewöhnen.

Miriam ließ ihn nicht lange warten. Sie erschien in einem roten Woll-Cape mit schwarzem Pelzkragen.

Yannick ging ihr entgegen. „Wie ich sehe, haben Sie sich für den Abend gut eingepackt.“

„Was denken Sie denn! Bei dieser Kälte hätte ich mich nicht gewundert, wenn mich Yeti höchstpersönlich abgeholt hätte.“

Sie schaute halb irritiert, halb fasziniert auf den Käfer. „Das ist doch nicht Ihrer, oder …? Was haben Sie mit dem Porsche gemacht?“

„Den Porsche fahre ich nur, wenn mir die Strafzettel ausgegangen sind und ich neue brauche. Oder wenn ich hübschen Frauen imponieren will.“

„Ach so, da gehöre ich wohl nicht dazu?“

„Erraten. Sie sind nicht hübsch, Sie sind wunderschön, und da passt ein solches Kleinod wie dieser Käfer haargenau dazu. Sehen Sie: Das ist ein Modell aus den 60er Jahren, wenig gefahren und völlig intakt, quasi wie neu. Hellblauer Lack. Käfer in Pastellfarben waren damals der letzte Schrei. Es war nicht einfach, so ein Stück in diesem exquisiten Zustand zu finden. Ich habe noch ein Modell in hellgrün, allerdings nicht ganz so neuwertig.“

Yannick öffnete die Beifahrertür. „Steigen Sie ein und lernen Sie das Fahrgefühl der legendären 60er Jahre kennen! Ich habe einen Tisch bei „Les Clochards“ bestellt, ist nur fünf Minuten von hier.“

Im Restaurant herrschte eine stille, vornehme Atmosphäre, die Miriam nicht behagte. Aber sie ließ sich nichts anmerken. Yannik übergab seinen Mantel und ihr Cape einem Kellner, der die Kleidungsstücke zur Garderobe trug, und führte Miriam zu dem reservierten Platz.

„Wir sollten erst etwas zum Aufwärmen nehmen, bevor wir das Menü bestellen.“

„Gerne. Ich möchte einen Glühwein.“

„Glühwein?“

„Ja, Glühwein. Schön süß.“

Der Kellner erschien mit den Speisekarten.

„Bringen Sie uns bitte zwei Glühwein. Schön süß.“

„Bedaure, Glühwein haben wir nicht auf der Karte.“

Yannick funkelte den Kellner an. „Es muss kein Glühwein vom Discounter sein. Nehmen Sie ihren besten und lieblichsten Wein aus dem Keller, lassen Sie ihn heiß machen und einen Zimtbeutel hineinhalten, und wenn er fertig ist, bringen Sie ihn bitte her.“

Der Kellner zog die Augenbrauen hoch und drehte sich auf dem Absatz um. Yannick reichte Miriam eine der Speisekarten. Während er sich in seine eigene zu vertiefen vorgab, schaute er über deren Rand Miriam intensiv an. Und was er sah, gefiel ihm.

Sie war auf eine eigene Art schön, nicht eine der vielen Werbeplakatschönheiten, die einander ähnelten, als stammten sie von denselben Eltern ab oder hätten denselben Maskenbildner. Mit ihr als Modell, dachte er, hätte ich ein Maler sein können, der trotz mangelnder Begabung Triumphe feiert.

Er hing mit seinen Augen noch immer an ihren aufmüpfig geschwungenen Lippen, an der schlanken Nase und an den Augenbrauen, die über der Nasenwurzel fast zusammentrafen, als der Kellner mit dem Glühwein erschien.

„Haben die Herrschaften gewählt?“

Yannik runzelte die Stirn. „Die Fischgerichte sind Spezialitäten des Hauses und ziemlich verlockend, aber ich denke, dass heute Steak besser passt. Und dazu ein feuriger Rotwein. Was meinen Sie, Miriam?“

„Gibt es hier auch Schmalzbrot?“

„Wie bitte?“

„Entschuldigung. Ich meinte nicht einfach Schmalz. Ich meinte Schmalz mit Grieben.“

Yannick ließ die Speisekarte sinken und sah Miriam fest ins Gesicht. Sie erwiderte seinen Blick in ernster Unschuld. „Ich hätte gerne eine Scheibe Schmalzbrot – mit Grieben. Und dazu einen leichten Weißwein.“

Yannick klappte die Speisekarte zu. „Bringen Sie uns bitte pro Person zwei Scheiben Roggenbrot mit Griebenschmalz auf Salatblättern, garniert mit Tomatenscheiben, Streifen von gelben Paprika und ein paar grünen Oliven, dazu eine Flasche Chardonannay.“

„Pardon, der Herr, das haben wir nicht auf der Karte …“

„Ja, ich weiß, ihre Karte ist ziemlich lückenhaft. Aber die Zutaten haben Sie doch hoffentlich in ihrer Küche, ein renommiertes Haus wie dieses …“

„Ich weiß nicht …“

„Dann gehen Sie in die Küche und fragen Sie den Küchenchef…“

Der Kellner entfernte sich irritiert.

Yannick sah Miriam in die Augen. „Das meinten Sie nicht im ernst?“

„Doch. Warum?“

„Kein Restaurant hält heutzutage Griebenschmalz für exzentrische Gäste vor.“

„Warten wir’s ab!“

Der Kellner erschien mit dem Chardonnay. „Die Küche lässt fragen, ob die Herrschaften Schweine- oder Gänseschmalz bevorzugen.“

„Ich hätte lieber Gänseschmalz. Was meinen Sie, Yannick?“

„Einverstanden. – Der Chardonnay ist in Ordnung. Sie können einschenken.“

Die Brotscheiben waren schnell aufgegessen, und die Flasche Wein war bald geleert. Yannick bestellte noch eine Flasche, und während er die Gläser füllte, erzählte er aus seiner Kindheit und von seinen Jugendsünden. Miriam war weniger redselig, aber das fiel ihm nicht auf. Als sie das Lokal verließen und zum geparkten Käfer schlenderten, waren beide beschwipst und lachten über die ganze Welt.

„Hast Du gesehen, wie komisch der Kellner aus der Wäsche geguckt hat?

„Na ja, wen wundert das? Schmalzbrot mit Gieben! Der wusste wahrscheinlich gar nicht, was Grieben sind. Das ist ein Relikt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.“

„Kanntest du es?“

„Ich? Natürlich!“

„Du flunkerst, Yannick, aber du hast die Probe bestanden. Du hast für mich Schmalzbrot bestellt … und du hast es bekommen. Dafür hast du eine Belohnung verdient.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Yannick auf den Mund. Nicht einfach so, sondern intensiv und lang. Viel zu lang.

„Ruf mich an, wenn du Lust dazu hast. Beim nächsten Mal bestelle ich das Steak und den feurigen Rotwein. Versprochen!“

Dann wandte sie sich ab, winkte ihm kurz zu und rief: „Ich gehe zu Fuß nach Hause. Und das solltest du auch tun!“

Yannick war einen Moment lang benommen. Sie hatten sich auf einmal mit „Du“ angesprochen, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Dann küssten sie sich, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Und natürlich hatte Miriam recht, wenn sie dazu riet, zu Fuß zu gehen und nicht mehr in das Auto zu steigen.

Aber was genau hatte sie zum Schluss gesagt?

„Ich gehe zu Fuß nach Hause. Und das solltest du auch tun.“

Er grinste und setzte sich in Marsch, ihr zu folgen. Nach Hause.
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Alt 09.08.2016, 19:49   #7
Thing
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Standard Liebe Ilka-Maria -

Wäre ich Hans Reimann, schriebe ich kurz und bündig:
"Süffige Geschichte. Nur ein Fehlerteufelchen hat eingeschlichen. Weitermachen!"
Aber ich bin nicht Hans Reimann.
Deshalb schreibe ich bei ihm ab.

Herzlichen Gruß
von
Thing
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Alt 11.08.2016, 23:03   #8
weiblich Ilka-Maria
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- Fortsetzung -


Als Yannick am nächsten Morgen im Büro ankam, den Mantel, den er auf dem Flur bereits ausgezogen hatte, auf seinen Schreibtisch warf und seinen Aktenkoffer daneben schwang, rauschte ihm Sigrid entgegen. „Die Sitzung läuft seit zehn Minuten! Ich bin schon bei meiner letzten Entschuldigung angelangt. Herrjeh, wie sehen Sie denn aus!“

„Ich hatte eine schlechte Nacht. Und dann steckte ich im Stau. Mein Vater wird es überleben.“

„Und Julia hat angerufen. Sie wirkte völlig durchgedreht.“

„Ist das etwas Neues? Wenn sie wieder anruft, dann erzählen Sie ihr irgendwas, nutzen Sie Ihre Kreativität!“

„Mein Repertoire ist ziemlich erschöpft und der Rest ist nicht mehr glaubwürdig.“

„Sagen Sie ihr, dass es mir gut geht und dass ich sie am Wochenende anrufe. Okay?“

„Heute ist Mittwoch!“

„Sigrid, Sie sind meine Sekretärin, nicht mein Kindermädchen!“

„Gut, dass Ihnen das aufgefallen ist.“

„Wo ist nochmal das Meeting?“

„In Raum 3.02.“

„Sitzt meine Krawatte?“

„Nein.“

„Egal. Aus dem Deal wird sowieso nichts, aber mein Vater weiß ja alles besser. Ist das Ihr Kaffee?“

Yannick wartete die Antwort nicht ab, nahm Sigrids Tasse und trank sie in einem Zug aus.

„Bis später.“

Sigrid sah ihm kopfschüttelnd hinterher. Es war der Kaffee von gestern, der von den Überstunden übrig geblieben war!

Kaum war Yannick verschwunden, klingelte das Telefon.

„Julia … Julia Petry. Ist Herr Emmerich inzwischen eingetroffen?“

Sigrid atmete durch und überlegte kurz. „“Ja, Frau Petry, er befindet sich jetzt in einem Meeting.“

„Verstehe. Aber vielleicht kann er mich im Laufe des Nachmittags anrufen. Es ist wichtig. Bitte richten Sie ihm das aus.“

„Natürlich, Frau Petry.“

„Siggi, du verdammter Feigling,“ dachte Sigrid, „warum sagst du ihr nicht die Wahrheit? Dass sie lästig ist wie eine Laus, dass Yannick sie satt hat und dass er offensichtlich eine sehr aufreibende Nacht hinter sich hatte, die seinen Tagesablauf völlig aus der Bahn geworfen hat …“

Doch dann dachte Sigrid, das sei nicht ihre Aufgabe, auch wenn sie älter und lebenserfahrener war als Yannick, dem sie seit acht Jahren treu zur Seite stand. Sekretärin, Faktotum, Beraterin, Vertraute – alles wollte und konnte sie für ihn sein, aber kein Kindermädchen und kein „Fragen-Sie-Tante-Emma“-Kummerkasten.

Zwei Stunden später tauchte Yannick wieder auf und warf sich in seinen Bürostuhl. Sigrid stellte ihm eine Thermoskanne und eine Tasse hin.

„Ich habe Kaffee gemacht. Ganz frisch und heiß.“

„Aber so ist er doch immer. Danke.“

„Wie lief es?“

„Wie vorausgesehen: Die Parteien konnten sich nicht einigen.“

„Julia hat nochmal angerufen.“

„Und? Haben Sie ihr gesagt, dass …“

„Nein. Sie erwartet Ihren Rückruf. Heute. Sie sagte, es sei wichtig.“

Yannik schenkte sich Kaffee ein und seufzte. „In Ordnung. Lassen Sie mich allein.“

Nachdem Sigrid die Tür hinter sich geschlossen hatte, wählte Yannick Julias Nummer.

„Ich habe die halbe Nacht versucht, dich zu erreichen. Wo warst du?“

„Bei der Frau, in die ich mich auf deiner Vernissage verliebt habe. Wir waren die ganze Nacht zusammen.“

„Das ist ein Witz!“

„Nein Julia, das ist die Wahrheit.“

„Du bist ein Dreckskerl!“

„Nein, bin ich nicht.“

„Und wer ist dieses Flittchen?“

„Das geht dich nichts an.“

„So, das geht mich nichts an? Nach all unseren gemeinsamen Jahren geht mich das nichts an?“

„Es ist vorbei, Julia.“

„Einfach so? Nach einer Nacht?“

„Es ist schon lange vorbei, und das weißt du.“

„Gar nichts weiß ich!“

Yannick hörte, dass Julia zu weinen begann. Die harte, souveräne, alles beherrschende Julia, die jede Situation im Griff hatte und nie die Fassung verlor, weinte! Er verstand die Welt nicht mehr.

„Julia, hör mir zu. Wir haben in der letzten Zeit nur noch gestritten, wir verstehen uns schon lange nicht mehr, sitzen wie in einem Schützengraben, damit uns nicht der Schuss des anderen trifft. Wir zermürben uns gegenseitig, unseren Stolz zu schützen und nicht vor dem anderen in die Knie zu gehen. So können wir nicht weitermachen.“

„Vielleicht habe ich viel falsch gemacht, aber ich liebe dich doch.“

„Ich dich auch, wenn ich an früher denke. Ich mag dich. Aber jetzt ist es anders.“

Julias Weinen bracht in heftiges Schluchzen aus.

„Yannick, ich bin schwanger. Wir bekommen ein Kind.“
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