Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Gefühlte Momente und Emotionen

Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 23.10.2013, 19:40   #1
männlich AndereDimension
 
Benutzerbild von AndereDimension
 
Dabei seit: 06/2009
Beiträge: 3.325

Standard Feigling

Feigling

Im Grauschleier ihrer Gesellschaft
wagte ich einen ersten Blick
über den Tisch hinweg

während sie im Pudding
nach den Kirschen stocherte

Wir fickten die ganze Nacht

dann stieß ich sie mit dem Rauch aus
und setzte alles auf Rot -

das war ich mir schuldig
AndereDimension ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.10.2013, 23:04   #2
männlich Sonnenwind
 
Benutzerbild von Sonnenwind
 
Dabei seit: 06/2012
Alter: 62
Beiträge: 1.514

Ziemlich direkt. Und glasklar.

Find ich super. Nicht den Feigling. Den Text.

LG
Sonnenwind
Sonnenwind ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.10.2013, 00:10   #3
männlich Jeronimo
gesperrt
 
Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237

Hallo AD,

eine Zeile muss ich bemängeln:

dann stieß ich sie mit dem Rauch aus


das war kalt und böse.
Und ich frage mich: Welche Farbe fiel denn nun?

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.10.2013, 08:58   #4
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073

Klasse, A.D.,

knallhart, toller Titel!

Gruß,
simbaladung
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.05.2015, 09:47   #5
männlich AndereDimension
 
Benutzerbild von AndereDimension
 
Dabei seit: 06/2009
Beiträge: 3.325

Hallo Sonnenwind,
Hallo Jeronimo,
Hallo simbaladung,

vielen Dank für das Lob!

Zur Erklärung (auch wenn nicht danach gefragt war):

wir fickten die ganze Nacht ist der Wechsel vom Belanglosen, der Monotonie, hin zum Konkreten.

Das LY-I ist ein Spielzeug des LY-D, hat sich "kaufen" lassen...für ein Leben im Luxus, aber ohne Liebe und Emotionalität - was ihm "eigentlich" sehr wichtig ist. Das LY-I ist ein Feigling, weil es sich nicht traut aus dieser Abhängigkeit auszubrechen. Eigenes Geld zu haben ist ihm eine Last,
denn es nötigt ihn dazu damit etwas anzufangen - Wünsche zu erfüllen, die andere für das LY-I haben. Auf der andere Seite braucht das LY-I das Geld...um es im Spiel "verlieren" zu können. Nur im Gefühl der Besitzlosigkeit durch Verlust ... ist es dem LY-I möglich zu sich selbst zu finden. Dem LY-I ist es nicht möglich das LY-D zu verlieren ... weil es nie ein Teil von ihm war oder jemals sein wird. Dem LY-D ist das vollkommen gleich - es möchte möglichst oft und gut gefickt werden - ohne emotionalen Aufwand, ohne Fragen und vermeintliche Antworten.

Gruß, A.D.
AndereDimension ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.05.2015, 14:56   #6
Stachel
 
Benutzerbild von Stachel
 
Dabei seit: 03/2015
Ort: Niederrhein
Beiträge: 955

Hallo A.D.,

ich bin sehr beeindruckt. Die Bedeutungsebenen, die du durch dein Gedicht ziehst, vermag ich selbst mit der Erklärung nur schwer zu erfassen.
Dennoch haben es drei Kommentatoren offenbar zielgenau geschafft.

Zitat:
Zitat von AndereDimension Beitrag anzeigen
wir fickten die ganze Nacht ist der Wechsel vom Belanglosen, der Monotonie, hin zum Konkreten.
Für mich gestaltet sich dieser Wechsel interesanterweise genau umgekehrt:
Etwas "Konkretes" finde ich unmittelbar davor:
"während sie im Pudding
nach den Kirschen stocherte"

Diesen Wechsel empfinde ich eher als hin zum Plakativen, Vulgären. In dem in mir erzeugten Bild schwingt bei dieser Wortwahl umgekehrt sehr viel Monotonie mit ("stumpfes Rein-Raus").
Konkret ist er hingegen nicht, denn jeder Leser stellt sich unter dem nachtlangen Ereignis vermutlich etwas anderes vor, nur die grobe Richtung ist vorgegeben.

Der Wechsel rüttelt aber auf und stellt damit einen starken Bruch dar. Die generelle Intention ist somit gelungen.

Der Satz steht, trotz der zeitlichen Verbindung mit den folgenden Versen ("dann", V7) thematisch für sich allein. Das LI befindet sich unmittelbar anschließend rauchend am Roulette-Tisch. Für mich bildet er den Kern des Gedichtes. Gerade die von mir hierbei gedachte Monotonie finde ich in diesem Zusammenhang elementar und durchdringend.

Die eigene "Schuldigkeit" im letzten Vers hast du hilfreich erklärt. Das LI gibt als Liebesersatz und "Spesen" für die Seelenverfassung/Beziehung das Geld am Spieltisch aus. Die Farbe "Rot" steht hier symbolisch als Ersatz für die fehlende Liebe.

Sehr gelungen finde ich die einleitende Beschreibung der Monotonie als "Grauschleier ihrer Gesellschaft" (V1).

Ich danke dir herzlich für deine Erläuterung zu diesem Gedicht. Sie erhöht - in meinem Fall - das Interesse an einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Stoff ungemein. Das Gedicht habe ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen. Die Fäden entwirren sich für mich nur langsam, aber nachhaltig.

Herzliche Grüße,
Stachel
Stachel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.05.2015, 22:53   #7
männlich AndereDimension
 
Benutzerbild von AndereDimension
 
Dabei seit: 06/2009
Beiträge: 3.325

Hallo Stachel,

zunächst mal herzlichen Dank, dass Du dich so intensiv und konstruktiv mit meinen Zeilen befasst!

während sie im Pudding nach Kirchen stochert ist zwar, betrachtet man es isoliert, ein konkretes Bild - im Kontext jedoch, gerade weil es explizit erwähnt wird, eher Ausdruck der Belanglosigkeit, oder auch Beliebigkeit. Eine beiläufige Handlung, die durch jede andere ersetzt werden könnte. Das LY-I nimmt die Szene zur Kenntnis, ihm Glauben sie nicht zu be-werten . was das LY-I im Unterbewusstsein dennoch macht, indem es die Suche nach ... als "Stochern" bezeichnet, also als plumpe, unsensible Handlung - welche die Oberflächlichkeit des LY-D widerspiegelt. Das LYD sucht unter der Oberfläche (Pudding) und bleibt dabei oberflächlich...

Zitat:
Konkret ist er hingegen nicht, denn jeder Leser stellt sich unter dem nachtlangen Ereignis vermutlich etwas anderes vor, nur die grobe Richtung ist vorgegeben
Das stimmt - jedoch, gerade weil jeder eine ganz genaue Vorstellung hat,
wird die subjektive Erfahrung zu einem ganz konkreten Bild, obwohl der Erzähler vielleicht alles andere als ein konkretes Bild vor Augen hat.

Zitat:
LI befindet sich unmittelbar anschließend rauchend am Roulette-Tisch.
Er hat das LY-D schon mit der Zigarette "danach" ausgestoßen. Gewöhnlich raucht das LY-I die Zigarette danach zusammen mit dem LY-D und fühlt dabei eine Leere, die sich so schnell nicht wieder füllt. An diesem Tag ist es anders; das LY-D fasst den Entschluss "alles" auf Rot (die Liebe...wie schon richtig erkannt), im Wissen, dass es dabei auf jeden Fall verlieren wird. Rot müsste es für sich alleine behalte, doch nur im Teilen fände sich das Glück - und schwarz würde bedeuten, das Spiel geht weiter.

Vielen Dank für den interessanten Gedankenaustausch!

Gruß, A.D.
AndereDimension ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.05.2015, 21:57   #8
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Andi,

Ich bin erstaunt, wieviele Worte es braucht, ein so klares Gedicht zu "erklären".

Allein die beiden Schlussverse lassen Raum:

Zitat:
und setzte alles auf Rot -
das war ich mir schuldig
Deine Gedanken dazu sind allerdings wenig schlüssig:

Zitat:
das LY-D fasst den Entschluss "alles" auf Rot (die Liebe...wie schon richtig erkannt), im Wissen, dass es dabei auf jeden Fall verlieren wird. Rot müsste es für sich alleine behalte, doch nur im Teilen fände sich das Glück - und schwarz würde bedeuten, das Spiel geht weiter.
Bei Rot müsste LI den Gewinn für sich alleine behalten? Erstens warum? Zweitens, was sollte ihm Besseres passieren als die Liebe zu "gewinnen"?

Liebe, die wir fühlen, ist immer unteilbar, in dem Sinne, dass sie kein anderer empfinden kann, auch wenn wir uns das noch so sehr wünschten, dass ein LD ebenso für uns empfände.

Egal ob das LI nun den doppelten oder 36fachen Einsatz gewinnt: das LI hat gewonnen.

Wenn allerdings Schwarz kommt, wäre es bei dieser dualistischen Sichtweise echt blöd. Das LI würde seine Liebesfähigkeit endgültig verlieren.

Ich habe dieses Bild also ganz anders gesehen: Als Auflösung der Dualität.

Der "Feigling" wird zum Held und setzt seine Berechnung und Oberflächlichkeit (die aus dem Gedicht deutlich hervorgeht) aufs Spiel und gewinnt dadurch in jedem Fall sein wahres Selbst zurück, das von Natur aus liebesfähig ist: "das war ich mir schuldig".

Sehr gerne gelesen!

Lieben Gruß
shoshin - die Unbelehrbare
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Feigling



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Feigling Früchtetee Liebe, Romantik und Leidenschaft 4 17.01.2007 02:10
Ein Feigling Clown Zeitgeschehen und Gesellschaft 2 17.11.2005 19:35


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.