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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 09.04.2013, 10:39   #1
männlich Ex-DrKarg
Gast
 
Dabei seit: 01/2012
Alter: 76
Beiträge: 3.139

Standard Die Rettung

Die Rettung

©Hans Hartmut Karg
2013

Zu mir kam er sehr gerne zum Erzählen,
Mein Nachbar, der glaubwürdig, ernst:
„Du kannst Dein Leben nicht erwählen,
Selbst wenn Du es am Ende oft besternst.

Im Achsenjahre Neunzehnhundertfünfundvierzig
Wurden in unserm Dorfe letzte Krieger ausgehoben.
Wir waren sechzehn, keiner dreißig, vierzig,
Als man uns zum Appell am Dorfplatze geschoben.

Als letztes Aufgebot waren wir ausersehen,
Für Hitler die Soldaten aus Amerika zu stoppen.
Deshalb erhielten Waffen wir und sollten gehen
In derben Schuhen, Mützen – und in groben Joppen.

Wir hörten schon den Donner in westlicher Ferne
Und kamen abends hin zum Sammellager.
Kein Einziger von uns marschierte gerne,
Blass, ängstlich waren wir – und hager.

Wir Jungen, die in Weinbergen geboren
Und nur glückselig-edle Kindheit hatten,
Wir waren nun unselig auserkoren
Zu kämpfen letztlich in Diktators Schatten.

Da kam ich Gottseidank auf jenen Trichter,
Mit diesem meinem besten Freund zu türmen.
Wir waren gegen Schießen, gegen Bombentrichter
Und wollten keine Stellungen mehr stürmen.

Wir mussten uns im Walde tief verstecken,
Voll Angst und hungernd hingekauert.
Wir wollten nicht mehr kämpfen, nicht verrecken,
Nicht dorthin, wo dem Feind man hinterrücks auflauert.

Hätte man uns beide da im Wald entdeckt,
Hätte man uns als Fahnenflüchtige sogleich erschossen.
So aber blieben im Walde frierend und versteckt –
Vom Himmel hat es damals fürchterlich gegossen.

Als wir zwei Tage später halb verhungert
An einer Bauernpforte ängstlich klopften,
Erschraken jene, weil wir da herumgelungert,
Auf Trinken, Nahrung und auf Hilfe hofften.

Die Bauern hatten längst von unserer Flucht gehört
Und brachten uns recht eilig zum Heuboden,
Denn unser Leben war ja keinen Kreuzer wert,
Man hätte uns erschossen und verscharrt im Boden.

So aber wurden wir versteckt und außerordentlich gerettet,
Mit Essen, Trinken, Eimern und mit Decken gern versorgt.
Wir haben unseren Körper räkelnd auf duftendes Heu gebettet
Und alles hat man uns zu unserer Rettung gut besorgt.

Als dann der Spuk aus und der Krieg zuende,
Da konnten wir als Flüchtlinge endlich nach Hause.
Das war für uns die allerbeste Zeitenwende –
Und endlich gab es wieder Elternhaus und Brause.

Doch unsre große Freude kehrte sich in Trauer,
Als wir im eigenen Dorfe bald erfahren hatten,
Dass da so mancher allerliebste Bauer
Zurück bekommen seinen Sohn – nur zum Bestatten.

Kein Einziger von unsern Freunden hatte überlebt,
Erschossen hat man sie im Irrsinnskriege alle.
Wo Krieg und Unfreiheit nur Zwang bewegt,
Da führen Ideale direkt in die Todesfalle.“

*
Ex-DrKarg ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2013, 11:12   #2
weiblich C.Alvarez
 
Benutzerbild von C.Alvarez
 
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.892

Lieber Dr. Karg,

dieses Gedicht ist so schmerzhaft, so ehrlich, am Schluss hatte ich Tränen in den Augen. Kann ein Gedicht mehr berühren? Ich glaube nicht.
Bei so einem Text, da muß, oder besser müsste, doch auch der Versmaß und Metrik Fanatiker mal schweigen. Hier gibt es nichts zu verbessern, es sei denn man möchte den Text verwässern.
Der Text zeigt das, was mir an allen Ihren Texten gefällt:
Ihre Lebenserfahrung. Jeder Ihrer Texte beruht auf den Erfahrungen Ihres Lebens, dieser ganz besonders.
Und davor habe ich größten Respekt.

Herzliche Grüße

Corazon
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2013, 11:47   #3
männlich Ex-kipling
abgemeldet
 
Dabei seit: 09/2012
Beiträge: 113

Standard die rettung

Lebenserfahrung ? kann es sein, dass Du das Geburtsjahr des Autors übersehen hast ? 1947. Da gab es keinen Krieg mehr und Lebenserfahrung pränatal ist doch noch ganz schön selten. VG k
Ex-kipling ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2013, 12:32   #4
weiblich C.Alvarez
 
Benutzerbild von C.Alvarez
 
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.892

Zitat:
Zitat von kipling Beitrag anzeigen
Lebenserfahrung ? kann es sein, dass Du das Geburtsjahr des Autors übersehen hast ? 1947. Da gab es keinen Krieg mehr und Lebenserfahrung pränatal ist doch noch ganz schön selten. VG k
Dr. Karg hat eine Geschichte, die ihm ein Nachbar erzählte, zum Gedicht gemacht.
Wenn du es gelesen hättest, wäre dir aufgefallen, daß dies nicht seine Geschichte ist.
"Lebenserfahrung"- ja die ermöglicht uns Dinge zu verstehen und in Worte zu fassen, die manch jüngeren noch nicht zugänglich sind. Diese Lebenserfahrung hat Dr. Karg. Und meine Achtung. Und meinen Respekt.

Corazon
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.04.2013, 09:07   #5
männlich Ex-DrKarg
Gast
 
Dabei seit: 01/2012
Alter: 76
Beiträge: 3.139

Standard Re: Die Rettung

Liebe Corazon,
genau so, wie Du es dargestellt hast, ist das Gedicht geschrieben. Danke!
Herzliche Grüße R. R. Karg
Ex-DrKarg ist offline   Mit Zitat antworten
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