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Alt 25.01.2006, 18:18   #1
Alpha
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 312


Standard 29 Cent das Leben

Sie stieß sich den klebenden Stoff vom Leib. Der Atem raste und eine Hitze wandte sich auf ihren Innenschenkeln. Ihr Blick zuckte durch das Zimmer, doch beharrlich hingen die Fetzen in ihrem Kopf. Sie musste sich ficken. Anders würde sie den Alptraum nicht los, das wusste sie und spreizte ihre Beine.
Der helle Puls holte sie in die Wachheit zurück. Sie wusste nicht, wie spät es war. Früher Abend sagte das blasse Licht, das durch die Vorhänge spähte. Sie drehte sich träge zur Wand und zog die Beine an.

Aufstehen. Gehen. Es muss sich doch ein Sinn darin finden. Essen vielleicht. Aber nichts da. Trinken. Auch nichts da. Zigaretten, bestimmt bald leer. Früher Abend. Und die ganze Nacht noch. Ohne Essen, ja, möglich. Aber ohne ... Oder liegen bleiben. Einfach immer liegen bleiben. Ja, fühlt sich gut an. Aber wie lange noch. Und dann später, trinken müssen, rauchen müssen. Und nichts da und Supermarkt geschlossen. Reue, Schuld, Ärger. Nein, nicht schon wieder bereuen müssen. Nein. Aber liegen, nur noch ein bisschen. Nur noch ein bisschen.

Gelegen wie lange? Ein paar Minuten wirre Gedanken, oder schon geträumt? Zu spät? Der Supermarkt?
Sie setzte sich auf und suchte das ausdruckslose Gesicht des Weckers. Gut, kurz nach Sechs. Noch so früh. Aber noch Zeit. Sie stieg aus dem Bett und wühlte mit dem Fuß in den Haufen aus Wäsche, die den Boden bedeckten. Hose, ich brauch doch nur eine Hose. Und irgendwo müsste Geld ...
Der Club war voll, ein Gedränge von heißen Menschenleibern, die Musik schlecht. Aber sie ging ja nicht zum Tanzen weg. Fast nur Hässliche unterwegs. Tussis. Auf dem Klo jammern sie über ihr Make-up, das nicht hält und sie nur noch mehr schwitzen lässt. Tanzende Clowns, die spastisch herumzucken und sich dabei toll finden. Wackelnde Hüften, fette Titten, wollen alle nur geknallt werden. Manchmal ein geiler Arsch dabei. Und die schlechte Anmache. Sprach nicht mal richtig deutsch, aber volle Hose. Egal, fünf Bier waren’s wert. Immer nur lächeln und beim Reden mal aus Versehen an ihn heran schubsen lassen. Dabei mit den Lippen das Ohr streifen.
Richtig getippt. In jener Hose fand sie einen zerknüllten Schein. Sie zog sich an, kam am Spiegel vorbei, strich die zerwühlten Haare glatt. Roch mechanisch an den Achseln. Ja, was willst du erwarten, vom pennen und fingern wird’s nicht besser. Duschen wäre ja nett. Aber später vielleicht.

Türknallend und eine Plastiktüte in die Tasche gestopft ging sie aus dem Haus und schwang sich aufs Rad. Noch immer hallte ein Wimmern in ihrem Becken nach. Sie fuhr los. Hätte die Strecke auch laufen können, aber das wären acht Minuten zu viel gewesen. Mild begegnete ihr der Abend. Wenn auch hinter den Wolken versteckt spürte sie die Wärme der Sonne. Es war fast ein bisschen schön. Die Menschen schienen so beschäftigt. Fuhren von der Arbeit nach Hause, oder ins Fitnessstudio. Mussten für ihre Familie einkaufen, oder für eine Feier mit Freunden, oder auch nur für sich selbst. Frisches Obst, stilles Wasser und fettreduzierte Produkte.

Ziellos streifte sie zwischen den Regalen umher. Welchen Wein wusste sie. Es war immer der gleiche. Ein Liter Lieblicher mit Schraubverschluss, dazu billig. Wenn Menschen nur auch so praktisch wären. Doch nun machte sich ein Hunger bemerkbar und rüttelte unentwegt am Magen. Eine Tüte Chips kam ihr in den Sinn. Auch billig. Und man musste nichts kochen, um satt zu werden. Gesund war es auch nicht. Chips. Das war für Menschen ohne Disziplin, ohne Regeln für ein gesundes Leben, für maßlose Menschen. Für Dicke mit fettigen Gesichtern, gammelige Penner, arbeitslose Alkoholiker ... dicke Arbeitslose, gammelige Penner ... Leute, die nicht geliebt werden.
Chips waren passend zu Wein und Zigaretten.

Diesmal eine andere Kasse. Ist nur eine Flasche, aber trotzdem. Irgendwann wird’s auffällig. Könnte woanders einkaufen, nein, lohnt nicht. Alles weiter weg. Gibt ja viele Kassen hier, die Verkäuferrinnen sitzen ständig woanders. Außerdem merken die sich doch nicht ihre Kunden. Sind so viele hier jeden Tag. Nein, bestimmt nicht. Hätten dann besser zwei Flaschen sein sollen. Scheiß Geld.
Auf dem Weg zur Kasse kam sie an einem Stapel blauer Kisten vorbei. Allzweckmesser, Haargummis, Buntstifte, Wäscheklammern ... und alles für nicht mal 30 Cent. Sie schlenderte ein paar mal mit musternden Blicken um die Artikel herum, obwohl sie es schon wusste. Sie zog die Ärmel ihrer Jacke tiefer und ging zu Kasse.
Alpha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 19:03   #2
HALLOman
 
Dabei seit: 01/2006
Beiträge: 108


Schöne Geschichte...

zwar zwischen drin ein wenig verwirrend, aber gegen ende scheint alles klar ...

ich kann nur nochmal sagen: schön
HALLOman ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 19:52   #3
Ra-Jah
gesperrt
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 481


Ja, die Geschichte ist gut. Auch wenn ich das Ende nicht verstehe.
Vielleicht doch. Das schönste ist: ich muss es garnicht verstehen müssen.
Ra-Jah ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 20:50   #4
Alpha
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 312


Ähm, hmmpf.
Nöö, müssen tut ja sowieso niemand irgendwas. außer sterben. naja, und verwirrend mag es nur kurzzeitig sein. sollte es zumindest. ich war jedenfalls der annahme, dass man zwischen dem gesagten des erzählers und dem gedachten der protagonistin deutlich genug unterscheiden kann. wenn auch icht unbedingt auf anhieb.
Alpha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 20:53   #5
Silent Winter
 
Dabei seit: 04/2005
Beiträge: 224


Wirklich gut. Netter Aufbau... Dass es zwischendurch leicht verwirrend wird finde ich nur gut. :up:
Silent Winter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 21:21   #6
tagedieb
 
Dabei seit: 07/2005
Beiträge: 520


Ich mag die Sprache. Unverziert, klar und wie eine starke Brücke.
Zum Inhalt kann ich schlecht was sagen. Vielleicht wäre ein verständnisvolles Stirnrunzeln ein angebrachter Kommentar.
Was das Verstehen des Schlusses betrifft: Möglicherweise ... der Titel sagt ja für sich etwas aus.
(Wie könnte man denn Menschen lieb und teuer machen?)
tagedieb ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 21:38   #7
Alpha
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 312


@ Silent: Ähm, danke

@ Tagedieb: Ja, die schnörkellose Sprache hat schon einigen Gefallen. Oder ist wohl genau das, weshalb der Text (einigen) gefällt. Dem Ende-Titel-Bezug muss ich auch nichts weiter hinzu fügen. Es ist deutlich genug, aber nachdenken muss man. Zumindest nur ein mal. Ich als Leser mags nicht, wenn mir der Erzähler (bzw Autor) etwas so erzählt, als wölle er mir das Denken abnehmen. Oder hielt mich für nicht kombinierfähig. Hja. Und deswegen schreibe ich auch nicht so. Wenn es sich vermeiden lässt. hihi

-> ein verständnisvolles Stirnrunzeln ist gut, ja.

-> Das in Klammern ... moment. Darüber muss ich nachdenken. Bzw für das Gedachte Worte finden. hmmpf
Alpha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 21:39   #8
Ra-Jah
gesperrt
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 481


Zitat:
Original von Alpha
Ähm, hmmpf.
Nöö, müssen tut ja sowieso niemand irgendwas. außer sterben. naja, und verwirrend mag es nur kurzzeitig sein. sollte es zumindest. ich war jedenfalls der annahme, dass man zwischen dem gesagten des erzählers und dem gedachten der protagonistin deutlich genug unterscheiden kann. wenn auch icht unbedingt auf anhieb.
Nun gut, die unterste Ebene des Verstehens meinte ich nicht.
Den Ursprung der Assoziation Geld-Leben eher.

Und wie ist da die Verbindung zur Liebe (den nicht-geliebten Menschen).
Wären sie geliebte Menschen mit Geld? Von dir? Von anderen?
Worin die verschiednenen Betrachtungsweisen münden können, steht ja außer Frage.

Interessant auch, dass du bewußt Erzähler und Protagonistin gegenüberstellst.
Verrät das etwas über die Intention des Gesagten und wenn ja, inwiefern?

Fragen über Fragen, hoffentlich mal nicht OT.
Ra-Jah ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 21:50   #9
Alpha
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 312


Nun, auf die - sagen wie: metaphorische - Verbindung von Geld, Leben und Liebe ist auch Tagedieb schon eingegangen.

Die offensichtliche Verbindung von Geld und Leben ist im Text klar: "29 Cent das Leben". Man könnte es also, zugegebenermaßen böse ausgedrückt, als "billig" und "wertlos" bezeichnen. Oder aber als "leicht erwerbbar".
Die Liebe spielt in sofern hier schon mit hinein, dass das, was man liebt, nicht als "wertlos" empfunden wird, und leicht zu erwerben ist es auch meistens nicht.

Ähm, nein, lass mich nachdenken. Ich glaube, ich habe dich wieder mal nicht wirklich verstanden. Was eigentlich willst du wissen?

Ob ich Menschen mit Geld mehr schätze? Oder ob das aus dem Text hervogehen soll?
Beides natürlich nicht. Wie oben schon erkenntlich liegen die übertragenen Bedeutungsebenen von Geld, Leben und Liebe eng beeinander, aufeinander und/oder sind end miteinander verknüpft. Es ist eben ein Spiel mit jenen.

Trotzdem: Was wolltest du genau wissen? (Alpha blöd, weißt ... )
Alpha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.01.2006, 22:01   #10
Ra-Jah
gesperrt
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 481


Ich glaube, die nicht-geliebten unansehnlichen Menschen deines Textes, solange sie kein Geld haben liebst du sie mehr, als wenn sie welches hätten.
Das wollte ich auch zum Ausdruck bringen.

Dass das Ende eben nicht offen ist, wenn man zwischen die 29 Cent und das Leben noch den Gedanken der Liebe stellt und ob das Herunterziehen der Ärmel nicht auch als Schutzmechanismus vor einseitigem Denken warnt.

Zitat:
Original von Alpha
Ich als Leser mags nicht, wenn mir der Erzähler (bzw Autor) etwas so erzählt, als wölle er mir das Denken abnehmen. Oder hielt mich für nicht kombinierfähig. Hja. Und deswegen schreibe ich auch nicht so. Wenn es sich vermeiden lässt. hihi
Das finde ich nett. Trotzdem mag ich wie du jetzt schreibst irgendwie lieber.
Eine blöde Bemerkung erlaube ich mir noch: männliche Logik ist manchmal einfach straighter gepolt. Obwohl...einkaufen geh ich wie du. Manchmal. Nur die Messer interessieren mich nie.
Ra-Jah ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.01.2006, 00:12   #11
Alpha
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 312


Ähm, ich glaube, was du meinst, nur ... dem Plural bei "Menschen" komme ich nciht ganz hinterher.

Zitat:
Dass das Ende eben nicht offen ist, wenn man zwischen die 29 Cent und das Leben noch den Gedanken der Liebe stellt
-> "eben nicht"? nein, versteh ich nicht. das ende ist so und so offen. ob mit oder ohne Hinzunahme der Liebe ...


Zitat:
Trotzdem mag ich wie du jetzt schreibst irgendwie lieber
Versteh ich auch nicht. Wie ich jetzt WAS WIE anders im Vergleich zu WAS/WANN schreibe? *grübel*
Alpha ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.01.2006, 21:04   #12
nina
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 47


ich fand sie irgendwie traurig ...
und ernst ... und natürlich gut (denn schönscheint mir hier nicht das richtige wort zu sein)

danke für diese gedankenanregung ...
nina ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.01.2006, 21:36   #13
Alpha
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 312


bitte, gern geschehen.
Alpha ist offline   Mit Zitat antworten
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