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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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28.08.2011, 01:21 | #1 |
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Spätschäden
Blühen hinter diesen grauen Mauern
Blumen wieder, ziehen Frühlingsdüfte, füllt das Rauschen übervoller Flüsse nach des Winters Schweigen laue Lüfte, schenkt die Sonne heiße Strahlenküsse, wird es noch, oh Gott, sehr lange dauern, bis auch meine starren Fesseln fallen, Freiheitsklänge weithin fröhlich hallen? Kinderlachen klimpert durch das Fenster, stahlgesiebt erreicht es meine Ohren, schneidet gnadenlos die schlimmsten Wunden, hat mein Herz zum Ziele sich erkoren. Fieber wütet, Tränen tropfen, Schrunden bleiben und erinnern an Gespenster jener klinkenlosen, hoffnungsarmen Zeit im Gelben Elend, oh Gott - Erbarmen! Hundert Jahre sind seither vergangen, hin und wieder blute ich nach innen; niemand siehts, ich spiel den harten Mann. Hör ich Kinder lauthals lachen, rinnen gut verborgen meine Zähren, dann maln sie salzge Spuren auf die Wangen. Noch nach Stunden brennen meine Augen, besser würden sie zum Lachen taugen. |
28.08.2011, 01:31 | #2 |
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Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll, soviel Positives habe ich zu sagen.
Das Thema ist mir bisher noch nicht untergekommen – und schon gar nicht in so wunderbar bildhaft ausgearbeitetem Detail. Meisterhaft finde ich besonders, wie Du dem Leser von deinem Lyrischen Subjekt alles erklären lässt, ohne das Wesentliche auszusprechen. Man liest den Titel, dann das Gedicht und weiß einfach, was gemeint ist, ohne, dass zuviel oder zu wenig gesagt wird. Übrigens gefällt mir auch das Reimschema, das sich auch wunderbar in Relation setzenlässt, zu der Situation des Lyrischen Subjekts – aber hoffentlich interpretiere ich da nicht schon zuviel. |
28.08.2011, 02:00 | #3 |
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Spätschäden
Lieber Odiumediae,
zu nachtschlafener Zeit noch einen so liebenswürdigen Kommentar zu bekommen, freut mich sehr. Danke! Etwas zu vermitteln ohne mit dem Zaunpfahl auf die Köpfe einzuschlagen (oder winkt man damit nur?), ist ein Ziel, das ich bei Gedichten abseits meiner "Fingerübungen" immer wieder verfolge. Wenn mir das hier ansatzweise gelungen ist, na, das wäre ja toll. Nein, Du interpretierst nicht zuviel, ich denke, die Gleichmäßigkeit des Reimschemas in allen Strophen schließt den Zufall aus. Jetzt muss ich nur noch schauen, wie ich die Fesseln groß geschrieben bekomme. Liebe grüße und schönen Sonntag, Heinz |
28.08.2011, 11:02 | #4 |
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Man reiße mir das Brett vom Kopf - ich bekomme das "Gelbe Elend" nicht aufgeschlüsselt.
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28.08.2011, 12:22 | #5 |
Lieber Heinz,
Deine überaus berührenden "Spätschäden" rollen wie eine Welle über einen hinweg, reißen mit und hinterlassen sehr tiefe Eindrücke. Dein anspruchsvolles Werk ist, wie man es von Dir gewöhnt ist, makellos gestaltet und ausgefeilt. Für mich eines Deiner besten Gedichte. Großer Beifall! LG Daisy |
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28.08.2011, 12:52 | #6 |
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"Gelbes Elend"
Lieber Schamansky,
das Gelbe Elend ist die Bezeichnung für das Zuchthaus in Bautzen. "Gelbes", weil die Verklinkerung des Gebäudes aus gelben Klinkersteinen besteht. Elend muss ich ja nicht erklären. Liebe Daisy, soviel Lob am frühen Sonntag, Du machst, dass ich eingebildet, hochmütig und sonst noch was werde. Aber gefreut habe ich mich sehr über Deinen Kommentar. Es ist immer schwierig, die Wirkung eigener Werke einzuschätzen, deshalb freue ich mich immer über die Beurteilungen der Leser und Leserinnen. Danke! Liebe Grüße Euch beiden, Heinz |
28.08.2011, 15:42 | #7 |
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Danke Heinz, das war mir nicht bekannt. Bautzen ja, aber die gelben Klinker nicht. Nun ist alles klar, und ich komplimentiere Dein Gedicht.
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28.08.2011, 18:34 | #8 |
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Spätschäden
Lieber Schamansky,
ein Kompliment von Dir wiegt schwer und ich weiß es zu schätzen. Danke! Heinz |
28.08.2011, 20:53 | #9 |
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Heinz, sehr gut gemacht. Allerdings dachte ich beim gelben Elend an Hohenschönhausen, da ist der Stasi-Knast so gelb verputzt. Aber vielleicht war der früher mausgrau.
Babs |
29.08.2011, 01:26 | #10 |
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Spätschäden
Liebe Babsi,
auch Hohenschönhausen zählt zu den Orten, die meine Biografie schmücken. Aber der Stasi-Knast (genauer: Das Stasi-Untersuchungsgefängnis) war und ist meines Wissens (und auch bei meinem letzten freiwilligen Besuch) nie gelb, sondern grau gewesen. Nee, das Gelbe Elend ist In- und Outsidern der stehende Begriff für das Zuchthaus in Bautzen. Für das "sehr gut gemacht" herzlichen Dank! Liebe Grüße, Heinz |
04.09.2011, 22:53 | #11 | |
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05.09.2011, 11:49 | #12 |
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Spätschäden
Lieber Odiumediae,
in Berlin-Hohenschönhausen gab es keine Justizvollzugsbeamte. Hohenschönhausen war die Untersuchungshaftanstalt des DDR-Staatssicherheitsdienstes und die "Beamten" waren Soldaten des Wachregiments Czercinsky. Die Vernehmer waren Offiziere des gleichen Regiments. Ich habe nie irgendeiner Organisation der ehemaligen DDR angehört (als die "Jungen Pioniere" erfunden worden, hat mein Vater, der Sozialdemokrat war, meinem Kinderwunsch, auch zu den Jungen Pionieren zu gehören, einen rigorosen Riegel vorgeschoben. Mit achteinhalb Jahren bin ich mit meinen beiden jüngeren Geschwistern meinem Vater (der als Oberkommissar der Volkspolizei in den Westen "abgehauen" war und meiner Mutter, die ihm ein Jahr später folgte (bei Nacht und Nebel über die "grüne Grenze") an den Niederrhein gefolgt. In der DDR bin ich verhaftet worden, weil ich als Spion galt (das Urteil ist in rechtswidriger Art und Weise erfolgt und vor Jahren ungültig erklärt worden). Hintergrund: Der Staatssicherheitsdienst der DDR hatte versucht, mich während eines Urlaubsaufenthalts in Jena, meiner Geburtsstadt, anzuwerben, um aus mir einen "Kundschafter des Friedens" zu machen (eine nette Umschreibung für den Versuch, mich zum Spion gegen mein eigenes Land zu machen. Das konnte man mit mir, ich war Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr, nicht machen. In Zusammenarbeit mit dem Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr bin ich zum Schein auf die Anwerbungsversuche eingegangen und wir haben geglaubt, die Stasi fünf Jahre an der Nase herum zu führen. Leider gab es bei der Bundeswehr einen Offizier, der in einer lang angelegten "Operation Schleicher" etwa zehn Leute hoch gehen ließ. Resultat: 15 Jahre Zuchthaus. Nach knapp drei Jahren wurde ich gegen einen hochrangigen Agenten der Stasi ausgetauscht und bekam als erster politischer Häftling auf Grund mehrerer Berichte über mein Verhalten in Hohenschönhausen und Bautzen das BVK. Weitere Fragen beantworte ich gern ausführlicher per PN. Liebe grüße, Heinz |
05.09.2011, 12:12 | #13 |
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Das ist sehr interessant und befriedigt meine vielleicht etwas aufdringliche Neugier, deshalb werde ich Dich nicht per PN mit diesem Thema belästigen. Vielen Dank für die Beantwortung der Frage!
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10.09.2011, 01:30 | #14 |
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Gern geschehen.
LG Heinz |
10.09.2011, 09:57 | #15 |
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Heinz, Kommi # 12 hat mich schwer beeindruckt. Chapeau, dass Du trotzdem so ein fröhliches Kerlchen geblieben bist.
Wie sagt Thing …. Ai laff juuhhh |
11.09.2011, 12:24 | #16 |
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Spätschäden
Liebe Babsi,
ich könnte Dich wieder einmal ... Du weißt schon. Nach meiner Erfahrung ist es wohl so: Gehst Du als einigermaßen gefestigter Mensch, insbes. was die Ausbildung des Rückgrats angeht, durch so ein Jammertal und gibst dir ein bisschen Mühe, den aufrechten Gang beizubehalten, deine Kreativität - zwar in anderen Bahnen, die von den Verhältnissen bestimmt werden - nicht zu vernachlässigen, kommst du gestärkt aus der misslichen Lage heraus. Warst du schon immer ein Arschloch, dann wird das da auch vergrößert. Will sagen: Die bestehenden Charaktereigenschaften werden, so sie positiv zu bewerten sind, be- und gestärkt; waren sie negativ zu beurteilen, wird aus einem schwachen Charakter ein noch schwächerer. Vielleicht hatte mein alter Prof recht, als er meinte, dieser Sanatoriumsaufenthalt hätte mir noch gefehlt. Liebe Grüße und Bussi (wir haben schon lange nicht mehr gebusselt), Heinz |
11.09.2011, 16:56 | #17 |
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Mein Heinz, Du bist ein Beau mit Charakter ( in Anlehnung an das Bild, wo Du im Smoking diese tolle Figur abgibst ).
Bussi Bussi Babsi |
11.09.2011, 17:11 | #18 |
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Liebe Babsi,
Du müsstest mich erst mal im Frack sehen, dann legst Du aber wirklich die Ohren an. Lieber Odiumediae, ich komme zurück auf Hermes = Psychopompos/Seelenbegleiter und Thanatos. Also, irgendwie liegen wir beide richtig. Du hast recht, wenn Du die Darstellung eines Gottes mit umgekehrter Fackel dem Thanatos zuordnest. Aber Thanatos ist nicht der Seelenbegleiter = (Psychopompos), sondern das ist Hermes, der dieses Amt in Nachfolge von Apollo ausgeübt hat. Thanatos ist der Gott des Todes, der seine Opfer nicht mehr hergab. Liebe Grüße Euch beiden, Heinz |
11.09.2011, 19:15 | #19 | |
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Zitat:
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11.09.2011, 19:43 | #20 |
Hi, Heinz!
Ein schönes Gedicht mit traurigem Hintergrund! Ich verbeuge mich vor deiner Geschichte! Viele haben Mut, aber wenige Gelegenheit, ihn zu beweisen.(Auch wenn du dir diesen Beweisweg sicherlich lieber erspart hättest!) Mein Herz schlägt grundsätzlich mit den Opfern totalitärer Regime, aber du warst im eigentlichen Sinn kein ausschließliches Opfer - du hast etwas getan, bist deiner Überzeugung gefolgt. Von daher kannst du erhobenen Hauptes aus diesem "Gelben Elend" gehen! Es hat keine Macht über dich. Mit ergriffenen Grüßen, eKy |
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12.09.2011, 01:25 | #21 |
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Spätschäden
Lieber eKy,
ich danke Dir für Deine Streicheleinheiten! Ich stimme Dir völlig zu: Ein Opfer ist man nur, wenn man den aufrechten Gang vergisst. Die knapp drei Jahre Zuchthaus in Bautzen inkl. der U-Haft in Berlin-Hohenschönhausen - klar, die hätte ich nicht unbedingt erleben müssen (mein alter Prof war anderer Meinung und es hat lange gedauert, bis ich ihn verstanden habe, als er sagte, diese Erfahrung hätte mir noch gefehlt und ich solle sie positiv sehen). Ich glaube, er war ein weiser Mann. Liebe Grüße, Heinz |